Frank Flegel: Kurt Gossweilers „Taubenfuß-Chronik” ist erschienen!
Da habe ich knapp eine Woche vor Drucklegung dieses Heftes ein Buch in die Hände bekommen, das ich – auch wenn die Besprechung aus Zeitgründen noch unvollständig sein muss – hier unbedingt und sofort vorstellen muss.
Es handelt sich um das Buch von Kurt Gossweiler: „Die Taubenfuß-Chronik oder die Chruschtschowiade, 1953 bis 1964″, Band I, 1953 – 1957, ISBN: 3-00-008773-7, Verlag zur Förderung der wissenschaftlichen Weltanschauung – Stephan Eggerdinger Verlag, Tulbeckstr. 4, 80339 München, Tel: 089- 540 703 46. Das Buch besteht aus dem politischen Tagebuch Kurt Gossweilers. Ziel des Autors und des Verlages ist es, den zweiten Band noch in diesem Jahr herauzubringen.
Und nun inhaltlich zum Band I: Schon die Einleitung ist m. E. ein Glanzstück der historischen Forschung. Aber das Buch selbst übertrifft meine Erwartungen meilenweit (und dabei kenne ich Kurt Gossweiler ja schon einige Zeit…), denn hier handelt es sich um ein Stück konkreter Geschichte, Geschichte des Sozialismus, des Kampfes zwischen Imperialismus und Sozialismus und des Kampfes gegen und des Zurückweichens vor dem Revisionismus.
Kurt Gossweiler nennt Fakten, zitiert Reden, wertet Zeitungen aus und stellt so zunächst historisch fortlaufend Fakten dar, die er zwischendurch immer wieder analysiert, kommentiert und auf ihre Bedeutung hin untersucht. Und gerade dieses Vorgehen macht das Buch so wertvoll, denn irgendwelche Theorien über die Probleme des Sozialismus und die Ursachen für seine Niederlage in Europa in die Welt setzen – das kann jeder, und das haben auch schon hinlänglich viele (zunächst vor allem die reformistischen Heilsverkünder) in sehr oberflächlicher und gleichzeitig sehr interessierter Weise getan, wobei das Interesse meist das war, die Partei nach rechts zu drücken und den Sozialismus zu delegitimieren, ja sogar als unmöglich hinzustellen.
Ganz anders natürlich Kurt Gossweiler: sein grundsätzliches Einstehen für den Marxismus-Leninismus und für den Sozialismus steht immer außer Frage, insofern ist seine Chronik natürlich parteilich. Diese Parteilichkeit bringt Kurt Gossweiler aber nicht auf den Pfad der Lobhudelei, des Schönredens und anderer Torheiten, ganz im Gegenteil: die jeweiligen Fakten werden genauestens untersucht, ihrer inneren Logik wird nachgespürt, die äußeren und inneren Bedingungen werden analysiert und alles immer auf seine Folgen hin befragt.
Dazu möchte ich hier gern ein Beispiel zitieren. Auf Seite 109 berichtet Kurt Gossweiler von einer Rede Bulganins zum Jahrestag der Befreiung Polens, gehalten in Warschau, Bericht darüber im ND am 24. Juli 1956, also recht kurz vor dem konterrevolutionären Putschversuch in Ungarn. In der Rede verurteilt Bulganin den „Missbrauch des Kampfes gegen den Personenkult” und er kritisiert die „feindlichen Vorstöße in der polnischen Presse”. Und nun zitiert er aus der Rede direkt:
„Es ist bekannt geworden, dass Elemente, die unserer Sache feindlich gegenüber stehen, sich der Presseorgane der sozialistischen Länder bedient haben, um ihre giftige Saat zu sähen. Gewisse Leiter dieser Organe gerieten unter feindlichen Einfluß. …. Eine der wichtigsten Aufgaben: … Überwindung der opportunistischen Schwankungen”.
Dann Kurt Gossweiler dazu (S. 110): „Man sieht: Lange vor den Oktoberereignissen in Polen und Ungarn sind die Symptome der Krankheit klar erkannt, wurde vor der Krankheit gewarnt. Warum blieb diese Warnung so völlig ohne Wirkung? Weil die Bazillenträger nicht beim Namen genannt wurden. „Gewisse Elemente”, „feindliche Elemente”, das trifft niemanden, hat diese Elemente nicht im geríngsten in ihrer Tätigkeit gestört. Früher war das so, dass bei den Auseinandersetzungen in der Partei nicht nur die feindlichen Auffassungen, sondern auch deren Träger beim Namen genannt und bekämpft wurden. Warum war das jetzt auf einmal anders? Um der heiligen Einheit willen. Man hätte sonst gerade die „Elemente” beim Namen nennen müssen, die soeben erst – nicht ohne Zutun einzelner Führer der KPdSU – rehabilitiert worden waren! Heute (Januar 1957) ist die Frage angebracht: Ist durch all das die Einheit im sozialistischen Lager gefestigt worden? Es ist offensichtlich, dass diese Einheit – sowohl innerhalb der einzelnen Parteien wie im sozialistischen Lager als Ganzem – empfindlich geschwächt wurde.”
Ich hoffe, dass dieses Zitat aus dem Buch einen nachvollziehbaren Eindruck über die Art vermittelt, wie hier die Geschichte analysiert wird.
Und nun sage niemand, dass das alles Schnee von gestern sei. Die Frage nach den Ursachen der Niederlage ist von entscheidender Bedeutung für die heutige Haltung derer, die eine andere als die kapitalistische Welt anstreben.
Ich wünsche Kurt Gossweiler, dem Verlag und unserer Bewegung, dass das Buch „Die Taubenfuß-Chronik” eine weite Verbreitung erfährt und so einen Weg findet in die Köpfe und Herzen unserer Genossinnen und Genossen, Freundinnen und Freunde, Mitstreiter und Sympathisanten!
Frank Flegel, Hannover