Dieter Itzerott
Bernard Koenen – ein legendärer Kommunist und Antifaschist.
Konsequenter Antifaschismus heute gebietet an jene zu erinnern die nach dem Sieg über den Faschismus in einem Teil Deutschlands – in Gestalt der DDR – für mehrere Jahrzehnte Sozia-lismus und Antifaschismus geschichtliche Realität werden ließen.
Die Spuren und Erfahrungen dieser größten Errungenschaft der deutschen Arbeiterklasse sind unauslöschlich. Sie sind das Symbol für kommende Kämpfe, das Vermächtnis, daß „aus der Asche unserer Toten die neue Saat keimt“ und statt kapitalistischer und neofaschistischer Barbarei der Sozialismus/Kommunismus erneut als Realität in die Geschichte zurückkehrt.
Einer von denen, auf deren Schultern stehend wir, meine Generation, zu Kommunisten heranreiften, war Bernard Koenen, dessen Name bis heute unter der mitteldeutschen Arbeiterklasse einen legendären Ruf hat. Es ist mir ein Bedürfnis, gerade in dieser Zeit an ihn zu erinnern, in der im „Geiste“ des Antikommunismus-Beschlusses der EU gerade in Halle, seiner politischen Heimat, das Andenken von Antifaschisten durch Medien auf Grundlage eines zeitgeistlichen Tendenz-Machwerkes eines „Historikers“ verunglimpft wird, um ihr Ver-mächtnis auszulöschen. Kein Wunder, da in diesem Lande der Antikommunismus faktisch Staatsdoktrin ist.
Könnte Bernhard Koenen das Prädikat „legendär“ im Zusammenhang mit seinem Namen lesen, würde er es in seiner Bescheidenheit ablehnen. Für ihn war alles, was er in seinem bewegten Leben tat, einfach nur Dienst für seine Klasse. Ich kam 1946 als 15 jähriger in ein Zentrum der Chemieindustrie, das Buna-Werk in Schkopau. Zu dieser Zeit stand B. Koenen gemeinsam mit dem Sozialdemokraten W. Bruschke an der Spitze der Kräfte, die in Sachsen-Anhalt die Einheit der Arbeiterklasse durch die Vereinigung von KPD und SPD zur SED erkämpften. Aus den Diskussionen unter den Arbeitern über dieses Ereignis war Bernard mir bekannt. Persönlichen Kontakt hatte ich zu dieser Zeit zu ihm noch nicht. Aber er schrieb dennoch durch sein Wirken in das Buch meiner politischen Entwicklung erste, gewichtige Zeilen. Ab 1959, ich war unterdessen schon lange Mitglied der Partei, die er mitgegründet hatte, begann meine direkte, persönliche Zusammenarbeit als Jugendfunktionär mit ihm im Kollektiv der Parteiführung der SED, des Bezirkes. Ich kann so die Darstellung seines kampferfüllten Lebens mit persönlichen Erlebnissen aus dieser Zeit verbinden.
Die politischen Lebensdaten von Bernard Koenen sind ein einmaliges Zeugnis seines revolutionären Kampfes für die Interessen der Arbeiterklasse.
Bernard Koenen wurde am 17. 02. 1889 in Hamburg geboren. Ich erinnere mich an Aussagen, daß sein Vater zu den Mitstreitern von Karl Marx und Friedrich Engels gehörte. Der Marxismus wurde ihm und seinen Bruder Wilhelm sozusagen „in die Wiege gelegt“. Er erlernte den Beruf eines Maschinenschlossers und Drehers. 1903 wurde er Mitglied der Bebelschen SPD. Aus Protest gegen die spätere, reformistische Politik der SPD-Führung, besonders ihren Verrat in Form der Bewilligung der Kriegskredite, wurde Bernard, der wegen antimilitaristischer Tätigkeit aus der kaiserlichen Armee entlassen wurde, 1917 Mitglied der USPD und deren Vorsitzender im Bezirk Halle/Merseburg. Folgerichtig wurde er sofort nach ihrer Gründung 1920 Mitglied der KPD.
Er stand aktiv in den revolutionären Kämpfen in der Novemberrevolution 1918 und war führend in den Leunawerken bei den heroischen Abwehrkämpfen gegen die Offensive des Kapitals. Die Märzkämpfe 1921 in Mitteldeutschland wurden im Auftrage des Kapitals von der Soldateska und Polizei der Hörsing-Regierung provoziert. Es war ihnen bis dahin nicht gelungen, den Widerstand und Kampfeswillen der revolutionären Arbeiter dieses Bezirkes zu brechen. Bernard stand als Mitglied des Arbeiterrates in Leuna im Mittelpunkt dieses Geschehens. Auf dem 3. Weltkongress der Kommunistischen Internationale wurden diese Kämpfe trotz ihrer Niederlage als „ein großer Schritt vorwärts, ungeachtet der fehlerhaften Führung“ charakterisiert. Sie waren für Bernard eine prägende Zeit in seiner Entwicklung zum Marxisten-Leninisten. Er war mit seinem Bruder Wilhelm Teilnehmer nicht nur des Kongresses sondern auch des Gesprächs, welches Lenin mit deutschen Kommunisten darüber führte und in dem die Lehren dieser Kämpfe gezogen wurden. Sie fanden ihren Niederschlag in Lenins „Brief an die Deutschen Kommunisten“. Die darin entwickelte Strategie der Massenarbeit wurde zum praktischen Leitmotiv seines weiteren Handelns. In leitenden Funktionen der KPD stand er bis 1933 im aufopferungsvollen Kampf. An der Seite Ernst Thälmanns führte er den Kampf für die innerparteiliche Festigung und den Masseneinfluss der Partei und gegen alle Abweichungen linker Sektierer und rechter Opportunisten.
Es ist erbärmlich zu erleben, wie ein Renegat, ein Prof. Kinner, Leipzig, zwar den mutigen antifaschistischen Kampf Thälmanns und seine große Autorität unter der Arbeiterklasse und international nicht leugnen kann, aber versucht, seine Rolle kleinzureden und ihn als „Vasallen“ Stalins in bekannter „Anti-Stalinismus“-Manier zu diffamieren. Verlogen auch sein Versuch die aus der Partei wegen Rechtsopportunismus ausgeschlossenen Kräfte als „die geistige Elite“ zu preisen.
Mutig stellte sich Bernard Koenen auch unter Einsatz seines Lebens dem Kampf gegen den heraufziehenden Faschismus. Beim „Eislebener Blutsonntag“ am 12. 2. 1933 schlugen ihn SA-Schläger mit einem Feldspaten über Stirn, Nase und Augen, so daß er auf dem rechten Auge erblindete. 1933 emigrierte Bernard in die Sowjetunion. Dort hat er als Org.Sekr. der IRH, Lehrer an der Kominternschule, Mitarbeiter am „deutschen Volkssender und als Lehrer an Antifa-Schulen gearbeitet. Seit 1943 war er Mitglied des ZK der KPD.
Hier will ich ein Erlebnis einfügen das ich für bedeutsam in den aktuellen politischen Auseinandersetzungen zur Geschichte der kommunistischen Bewegung halte. Nach einer Bezirksdelegiertenkonferenz der SED (Bezik Halle) saßen wir im Kreis des gewählten Büros der BL mit Bernard zwanglos zusammen. Es war die Zeit nach dem 20. Parteitag der KPdSU. Es wurde über die „Geheimrede Chrustchows“ und die Information unseres ZK dazu gesprochen. Weil Bernard vorher nie darüber gesprochen hatte, informierte er uns auf unser Drängen darüber, wie er persönlich in die Zeit der so genannten „Moskauer Prozesse“ involviert war. Er war zwischen 1937/39 kurzzeitig verhaftet und inhaftiert. Er hatte eine klare Haltung dazu und lehnte konsequent die Stalinismus-Hetze der imperialistischen Kräfte ab. Er sah diese Ereignisse im Zusammenhang mit dem notwendigen Kampf zur Verteidigung der Parteilinie der KPdSU, ihrer Geschlossenheit und der Gefahr des faschistischen Überfalls. Er informierte uns, daß er nach seiner Haftentlassung ein Gespräch mit J.W Stalin hatte, in dem er ihn auch auf Übergriffe von NKWD-Angehörigen informiert hat. (Das wurde später durch H.Wehner in seinem Buch „Erinnerungen“ bestätigt.) Auch in den Jahren nach unserem Gespräch hat B.Koenen nie den Kampfbegriff antikommunistischer Propaganda „Stalinismus“ in den Mund genommen. Warum? Anpassung oder Angst um seine Funktion? Falsche Parteidisziplin? Bei einem aufrechten standhaften Klassenkämpfer und zutiefst ehrlichem Menschen wie Bernard ausgeschlossen!
1935 hatte Bernard am 7.Weltkongreß der KI teilgenommen. Die dort erarbeitete Strategie und Taktik im Kampf gegen den Faschismus, die Politik der Volksfront, wurde zur Leitlinie und Grundlage seines weiteren politischen Wirkens nach der Rückkehr aus der Emigration. Seine Unterschrift steht unter dem ersten, entscheidenden Dokument der KPD zu dieser Politik, dem historischen „Aufruf des ZK der KPD vom Juni 1945“. Die politische Basis für die Herstellung der Einheit der Arbeiterklasse war gegeben. Bernard war in seinem alten Wirkungsbereich, in Mitteldeutschland, ein führender Akteur im Kampf für die Vereinigung der KPD und SPD, für die Überwindung der Spaltung der Arbeiterklasse und für ein breites Bündnis aller anti-faschistisch-demokratischen Kräfte .Immer wieder konnte ich seinen Reden und Erin-nerungsberichten entnehmen daß er diese Zeit als eine der bedeutendsten seines Kämpferlebens gesehen hat. In Zusammenkünften mit alten Mitstreitern aus dieser Zeit hat er daran erinnert, wie dieser komplizierte politische Prozess in Gemeinsamkeit mit W. Bruschke, dem Ko-Vorsitzenden, der aus der Sozialdemokratischen Partei kam, verlief. Ich hatte nach der Konterrevolution von 1989 mehrfach mit W. Bruschke über diese Zeit sprechen können. Er bestätigte, was Bernard darüber gesagt hatte. Natürlich war es eine Zeit vieler Ausein-andersetzungen. Schließlich mussten auf beiden Seiten alte Meinungsverschiedenheiten und Vorbehalte überwunden werden.
Entschieden hat der greise Genosse Werner Bruschke die der historischen Wahrheit widersprechenden, gerade neulich von der „Historischen Kommission der PDS“ wiederholten Diffamierungen des Vereinigungsprozesses als „Zwangsvereinigung“ zurückgewiesen. Er betonte, daß die Zusammenarbeit mit Bernard Koenen als Ko-Vorsitzenden von der KPD vom Geist der Solidarität getragen war und der ganze Prozess einen zutiefst demokratischen Charakter hatte. Er bezog ausdrücklich die Zeit des Übergangs zur Entwicklung der SED zur “Partei neuen Typs“ ein.
In den Jahren von 1946 bis 1964 war Bernard Mitglied des Parteivorstandes bzw. des ZK der SED und 1. Sekretär der BL von Sachsen-Anhalt bzw. des Bezirkes Halle – mit einer kurzen Unterbrechung, in der er Botschafter der DDR in der CSSR war. Er war Mitglied des Staatsrates der DDR. In diese Zeit fällt meine direkte Zusammenarbeit mit ihm. Ich sehe es bis heute als eine Auszeichnung an, als FDJ-Funktionär mit ihm zusammengearbeitet zu haben. Diese Jahre waren für meine politische Entwicklung von besonderen Gewicht. In diese Periode fallen eine Fülle von Erlebnissen, die mir unvergessen sind. Sie hier darzustellen würde den Artikel sprengen. Ich will auf eines eingehen das für die heutige Verteidigung des Vermächtnisses der SED und DDR von Bedeutung ist.
Ich war von 1956 bis1959 1. Sekretär der FDJ-Kreisleitung Leuna. Wir bereiteten den 45. Jahrestag der Deutschen Arbeiterjugendbewegung vor. Eine propagandistische Großver-anstaltung war vorgesehen, für die wir Karl Schirdewan, der im Sekretariat des ZK für die Jugendarbeit verantwortlich war, als Referenten gewonnen hatten. Wir ahnten nicht, was das bedeuten würde. Am Morgen des geplanten Tages erhielt ich vom Pförtner des Baus 200, in dem die Partei und die Massenorganisationen ihren Sitz hatten, die überraschende Mitteilung, Schirdewan stehe vor der Tür, ich solle sofort nach unten kommen, er möchte direkt in den Betrieb gehen. Das verstand ich nicht. Wollte er nicht erst den Parteisekretär treffen? Aber ich ging mit ihm direkt in die Betriebe zu den Jugendbrigaden. Wieder Erstaunen bei mir. Er versprach den jungen Arbeitern Lohnerhöhungen. Eine nachfolgende Zusammenkunft mit FDJ-Sekretären der Grundeinheiten verlief enttäuschend. Statt Erfahrungen aus dem politischen Kampf der Arbeiterjugend Anekdötchen und nichtssagende Allgemeinheiten von Jugend-erinnerungen. Und dann kam die Veranstaltung mit 1000 Jugendlichen im Leuna-Klubhaus. Im Rahmen seiner Rede „begründete“ er seine Auffassung, man müsse in der Politik gegenüber der BRD die “Taktik des Ventils“, wie in Polen und Ungarn, anwenden. Mir war klar, daß das mit der politischen Linie der Partei nichts mehr zu tun hatte.
Am kommenden Morgen erhielt ich einen Anruf von Bernard Koenen. Er erkundigte sich nach der Versammlung mit Schirdewan und fragte mich, ob wir dessen Rede aufgezeichnet haben. Das war der Fall. Bernard bat mich mit dem Tonband umgehend zu ihm zu kommen. Was ich tat. Er sagte mir, daß wir keine Verantwortung hätten, wir sollten aber die nächsten Tage aufmerksam die politischen Informationen verfolgen . Wenige Tage danach fand die ZK-Tagung statt, die sich mit der Rolle Schirdewans und seiner fraktionellen Tätigkeit auseinandersetzte und die notwendigen Konsequenzen beschloss. Schirdewan hatte unsere Einladung nur benutzt, um sich bei der Arbeiterjugend des Leuna-Werkes anzubiedern. Dieses konkrete Erlebnis ist ein eindeutiges Indiz für die Richtigkeit der Reaktion der Parteiführung Die durch die PDS vorgenommene Rehabilitierung ist nicht zu akzeptieren und die danach veröffentlichten Stellungnahmen durch Schirdewan halte ich für unehrlich.
Die Jahre der Zusammenarbeit mit Bernard Koenen zählen zu dem wertvollsten meiner politischen Entwicklung. Er war ein standhafter Marxist-Leninist mit klaren Grundsätzen. Er vereinigte in seiner Person hohe marxistische Bildung mit großem Organisationstalent. Er war mutig und unerschrocken in der Klassenauseinandersetzung und besonnen im Ringen um Masseneinfluss und in Bündnisfragen. Er hatte trotz seiner hohen Funktionen einen, im besten Sinne proletarischen Lebensstil bewahrt. Er war von großer Bescheidenheit. Seine politische Konsequenz war bei ihm gepaart mit zutiefst menschlichen Zügen. Das war es, was seine große Popularität unter der Arbeiterklasse bewirkte, sein Charisma ausmachte. Er war ein Kommunist, dessen Leben uns auch heute noch stolz macht darauf, in deren Reihen zu stehen, in den Reihen der Geschlagenen – aber auch der kommenden Sieger!
Dieter Itzerott, Thorgau