Werner Hoppe:
Die Linkspartei – einige Anmerkungen
Nein, ich bin kein Anhänger jener kleinbürgerlichen Strömung, die in Lenins Partei jegliche Arbeit in bürgerlichen und auch reaktionären Parlamenten ablehnte, um dann in der Parteigeschichte kaum mehr Spuren zu hinterlassen als ihren klingenden Namen „Otsowismus“…Die leninistische Auffassung, daß die Beteiligung an Parlamentswahlen, wann immer sie möglich, ein Gradmesser für den Bewußtseinsstand des Proletariats ist und bei der Erringung von Sitzen im Parlament dieses als Tribüne benutzt werden muß zur Entlarvung der Bourgeoisie, hat heute wie im vergangenen Jahrhundert Gültigkeit.
Und selbstverständlich ist eine „Bündelung der Kräfte der Linken“ eine Notwendigkeit. Aber sechs Jahrzehnte nach der Befreiung Europas vom Faschismus gibt es in Westeuropa und besonders in diesem Lande ausreichende Erfahrungen, wie Erfolge kommunistischer und anderer linker Parteien auf dem Wahlterrain bei der Basis zu „linker Besoffenheit“ und bei den Mandatsträgern und Funktionären zum „parlamentarischen Kretinismus“ und schlußendlich zur Korrumpierung führten. Deshalb denke ich, daß wir das Recht und die Pflicht haben, zu einer klaren Einschätzung dessen beizutragen, was da als Wahlbündnis von PDS und WASG unter dem Namen „Die Linkspartei“ antreten und möglicherweise auch von uns gewählt werden wird.
Ob es nicht noch zu früh sei für eine solche Einschätzung, fragt die Redaktionsnotiz der Mai-Juni „offensiv“ und läßt daher offen, ob da eine neue sozialdemokratische Partei wie „vor oder eher wie nach Godesberg“ entsteht. Letzteres aber sollte schon jetzt beantwortet werden. Auch vor Godesberg war die westdeutsche Sozialdemokratie jene des August 1914, des „Burgfriedens“, der Ebert, Noske und Zörgiebel, und nach 1945 der Schuhmacher und des „Ostbüros“. Sie hatte nur das schwerwiegende Problem, in ihren Reihen zahlreiche Genossen und Genossinnen noch zu haben, die ihr Parteibuch t r o t z d e m behalten hatten und für die Marx und Engels, August Bebel und Wilhelm Liebknecht theoretisches Fundament und lebendige Erinnerung waren. Allerdings hatten Faschismus und Krieg ihre Zahl bereits reduziert, und Ende der 50er Jahre war ihr Einfluß – auch bedingt durch Alter – so weit gesunken, daß die Parteiführung nun zum Programm machen konnte, was sie vorher zwar stets praktiziert hatte, doch immer wieder gegen Widerstand in der Partei.
Wie die SPD nach 1945 von der CIA bzw. ihrem Vorgänger OSS direkt oder mittels Frontorganisationen zu einem „Bollwerk“ gegen die KPD, den Sozialismus und den weit verbreiteten Wunsch der Arbeiterklasse nach einer kämpferischen Einheitspartei aufgebaut wurde, ist inzwischen bekannt. CIA-Offiziere wie Tom Braden plauderten nach der 89er-Konterrevolution vor laufenden Fernsehkameras genüßlich darüber, wie sie Geldkoffer über den Atlantik brachten und umgekehrt, der SPD-Vorstand in Washington ausgewählt und bestätigt wurde. Man kann es auch so sagen: Jener Opportunismus und Reformismus innerhalb der Arbeiterbewegung, der eine – wie Lenin feststellte – untrennbar mit dem Imperialismus verbundene Erscheinung ist, wurde nun zu einer wissenschaftlich konzipierten Waffe weiterentwickelt. Ihren reaktiven ebenso wie präventiven Einsatz im Rahmen der USA-Strategie des „Eindämmens und Zurückrollen des Kommunismus“ ermöglichten Geheimdienstplaner und „Denkfabriken“; im operativen und bis in den taktischen Bereich finanzierten, kontrollierten und steuerten die CIA und andere imperialistische Dienste. D a s prägt die gesamte Politik der SPD und der von ihr durchdrungenen und mit ihr auf das Engste verflochtenen Gewerkschaften der BRD der Nachkriegszeit. Ende der 50er, Anfang der 60er war diese Struktur allerdings so gefestigt, daß sie in eine gewisse Autonomie „entlassen“ werden konnte. Und hier sei nur noch auf einige markante Stationen der SPD „nach Godesberg“ verwiesen, die für sich sprechen: Das Wirken gegen die nationalen Befreiungsbewegungen in Afrika und Lateinamerika, wobei die „Friedrich-Ebert-Stiftung“ eine herausragend schmutzige Rolle spielte; die Unterstützung der USA-Aggression in Vietnam; im Inneren Brandts Berufsverbote und schließlich der massive Einsatz Helmut Schmidts für den NATO-Raketenbeschluß von 1979 und sein gesamter Beitrag für das Projekt der Formierung Westeuropas zu einem aggressiven Block gegen das sozialistische Lager. Soweit zur ungebrochenen Kontinuität sozialdemokratischer Politik. Ihr kurzer Umriß ist hier von Bedeutung, weil sie der Boden ist, aus dem ein Spitzenkandidat und gefeierter Hoffnungsträger der „Linkspartei“ gewachsen ist und ihn selbst weiter bereitet hat.
Die Rede ist hier nicht von G. Gysi; seine Rolle bei der Konterrevolution in der DDR und der Zerschlagung der SED ist in der „offensiv“ oft genug untersucht worden. Hier möchte ich nur anmerken, daß sein Rücktritt vom Amt des Berliner Wirtschaftssenators natürlich auch unter dem Gesichtspunkt gesehen werden kann, daß die in dieser Position für ihn anstehende Schmutzarbeit des Sozialraubs sein Image nachhaltig beschädigt oder gar ruiniert hätte… . So aber kann er nun wieder – frei nach Morgenstern – als „plausternder roter Fingur flügelflagelnd durchs Wiruwaruwolz gaustern…“
Hier aber soll es etwas genauer um Oskar Lafontaine gehen. Bei seinem Rücktritt mögen ähnliche Gründe eine Rolle gespielt haben; hartnäckig hält sich auch das von ihm nie geklärte Gerücht, daß er die verbrecherische NATO-Aggression gegen Jugoslawien nicht mitverantworten wollte – wofür ihm, sofern es zutreffen sollte, hoher Respekt gebührte. In Bezug auf andere seiner politischen Standpunkte und Leistungen läßt sich nur das Gegenteil sagen. Dies betrifft vor allem Flüchtlinge und MigrantInnen. Bereits Anfang der 80er trat er als Oberbürgermeister von Saarbrücken – lange vor dem Inkrafttreten des „Asylbewerberleistungsgesetzes“- für Sachleistungen statt Sozialhilfe und große Sammellager für Asylbewerber ein. Als Ministerpräsident des Saarlandes war er, von 1989 an, der erste, der – noch vor Kohl – die Abschaffung des Asylrechtes forderte. Oskar Lafontaine war die treibende Kraft innerhalb der SPD und in der Öffentlichkeit in jener „Asyldebatte“, die dann 1993 mit jenen gravierenden Einschränkungen des Asylrechtes endete, die als von der SPD getragener „Asylkompromiß“ bezeichnet wurden und einer faktischen Beseitigung des Asylrechtes nahe kommen. Für seine maßgeblichen „Verdienste“ auf diesem Gebiet wurde ihm deshalb bereits 1990 vom „Flüchtlingsrat Berlin“ das „Steinerne Herz“ verliehen.
Daß diese Positionen nicht der Vergangenheit angehören soll hier nicht mit seinem Satz von den „Fremdarbeitern“ belegt werden, sondern dafür steht seine Unterstützung der Vorschläge Otto Schilys zur Einrichtung von Lagern für Flüchtlinge in Nordafrika – Ulla Jelpcke berichtete darüber in der jW vom 5.8.04. Im gleichen Jahr relativierte er im Zusammenhang mit dem „Fall Daschner“ das Verbot von Folter, was er im Juni dieses Jahres erneut tat. In seinem jüngsten Buch „Politik für alle“ finden sich im Kapitel über Ausländer, im Rahmen seiner Kritik an der „Globalisierung“ unmißverständliche und für InternationalistInnen unerträgliche Standpunkte: Zuwanderer hätten keine besonders guten Chancen auf dem Arbeitsmarkt, seien oft von sozialen Leistungen abhängig, und nach der Bilanz eines Bundesministeriums seien „Isolation, Drogenkonsum, Aggression sowie eine mangelnde Akzeptanz innerhalb der Gesellschaft“ die Folgen; er beklagt das Nichtgelingen der Integration, so dargelegt in der FR vom 2.7.05.
Auch was die Proleten betrifft, die noch Arbeit haben, weisen Oskar Lafontaines Forderungen in eine sehr bekannte (und wohl kaum „kapitalismuskritische“) Richtung: So wie bereits Ende der 80er trat er erst kürzlich wieder – in einem Interview mit der SZ – für „Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich“ ein. Vielleicht steht aus Gründen der „Vereinheitlichung auf diesem Niveau“ im Wahlprogramm der PDS auch die Forderung nach der „40-Stunden-Woche“ – war da nicht mal von 35 die Rede, bei vollem Lohnausgleich? Und für die Millionen ohne Arbeit drohte Lafontaine 1998: „Eine angebotene Arbeit muß angenommen werden. Sonst wird die Sozialhilfe gekürzt.“
Noch einmal: Dies soll keine Agitation gegen „Die Linkspartei“ sein; eine Fraktion im Bundestag, die „linker“ ist als das, was jetzt dort vertreten ist, kann auch für uns, für die antiimperialistische Linke, positivere Bedingungen schaffen und Entwicklungen in Gang setzen. Was wir nicht akzeptieren können und bekämpfen müssen ist jede Politik und Tendenz, die unter Gebrauch „linker“ Terminologie auf eine nationalchauvinistische Ausrichtung abzielt und in Wahrheit nur den BRD-Imperialismus besser aufstellen will im Ringen mit dem USA- und japanischen Imperialismus. So oder so gilt es – auch wenn uns dies heute noch als ein fast utopisches Ziel erscheinen mag – für die Schaffung einer breiten antiimperialistischen Front mit internationalistischer proletarischer Führung unsere Kräfte einzusetzen. Eine solche Front aller vom Imperialismus Ausgebeuteten, Unterdrückten, mit Verfolgung und Abschiebung bedrohten in diesem Land zu einer Gegenmacht zu entwickeln, den Widerstand auf den Straßen zu einer Stärke zu machen: das wird auch die Frage nach der Vertretung im Parlament anders und klar beantworten.
18.7.05, Werner Hoppe, Hamburg