Eindrücke von der MarXXIsmuskonferenz

Ingeborg Böttcher:
Eindrücke von der MarXXIsmuskonferenz in Berlin weitgehend diffuse Begriffe und Inhalte

Die Konferenz „MarXXIsmus für das 21. Jahrhundert“ war immerhin ein Anreiz, wieder in die Bücher zu schauen, denn man fühlte sich unter Gleichgesinnten oder manchmal auch nicht. Obwohl der Zugang zu den Veranstaltungen im Nebengebäude, m. E. die mit den interessantesten Themen, nicht hinreichend angegeben bzw. organisiert war(Lage- und Zugangsplan?), war mit den Plenarveranstaltungen die Thematik aber recht angereichert, ausreichend, wenn man nur des Wochenende zur Verfügung hatte, Stoff genug – im inhaltlichen Niveau aber nicht immer an das Niveau unseres Altvorderen Namensgebers der Konferenz heranreichend. Dennoch aber war die Konferenz eine Anregung zum kreativen und kritischen Nachdenken. Besonderes Problem: die Erfassung der Gesetzmäßigkeiten der gesellschaftlichen Entwicklung, die von unseren Klassikern wissenschaftlich ausgewertet wurden, von den meisten Plenumsbeiträgen der Konferenz aber nur ungenügend erfasst wurden, da weitgehend mit diffusen Begriffen und Inhalten gearbeitet wurde, dennoch aber, wie man sah, für Viele interessant, denn der Plenarsaal war in beiden Etagen voll.

Manche Lücken beim Erfassen von Gesetzmäßigkeiten zeigten sich, vielleicht sind sie auf unerfahrenen oder flüchtigen Umgang mit der Wissenschaft zurückzuführen. Dem sollten wir uns als alte Hasen annehmen.

In Gesprächen mußte man den Eindruck gewinnen, dass die Präzision beim Lesen bzw. beim Studium der Originalliteratur/ML oberflächlicher geworden ist. Man polemisiert und diskutiert m. E. zunehmend mit Allgemeinplätzen. Das ist ein großer historischer Verlust. Es sieht so aus, als würden im Verlauf der wissenschaftlichen Aufnahme erlebter, erforschter und aufge-schriebener Geschichte und Gesellschaftswissenschaften Entwicklungen und Widersprüche sowie wichtige Gesetze überlesen, bagatellisiert, anders formuliert und dann natürlich falsch bewertet oder betrachtet, was zu gravierenden Fehlern führen kann.

Aber seit den Zeiten der Entwicklung, Entstehung und dem Fortschreiten ernst zu nehmender wissenschaftlicher Arbeit über gesellschaftliche Vorgänge, Widersprüche und Katastrophen ist es so, dass deren Analysen und Wertungen durch bewusste oder unbewusste Oberfläch-lichkeiten, Trugschlüsse oder gar Unterschlagung verfälscht werden und damit für die Ent-wicklung des Fortschritts der Gesellschaft nachteilig werden, ja sogar Irritation verursachen können, z.B. wenn Ursache und Wirkung, bzw. innere Logik dramatischer Zusammenhänge verwechselt, verdreht oder bagatellisiert, bzw. zugrunde liegende Gesetzmäßigkeiten ignoriert, falsch eingeordnet oder falsch benannt werden.

Solche Erscheinungen gehören auch zum Klassenkampf oder können auf mutwilliger Täuschung beruhen, aber auch aufgrund von Flüchtigkeiten in der wissenschaftlich analytischen Arbeit zu schweren Irrtümern und Schäden führen. Solche Erscheinungen können aber in der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft, ob gewollt oder ungewollt, verhängnisvoll sein.

Dieses Phänomen trat in der Diskussion der Thematik „Keynes“ auf. Wir finden in der Linken kaum Politiker, Ökonomen, Gesellschaftswissenschaftler oder gar Philosophen, die heute gegen die akute Gefahr spekulativer oder zerstörerischer Einwirkungen in die materialistische ökonomische Wissenschaft Stellung nehmen, diese Angriffe beachten und dann auch korrigieren – oder bei falschen klassenmäßigen oder entstellenden Bewertungen den sicheren Instinkt für die schnelle Bereinigung besitzen.

Das hat uns der Ablauf der Konterrevolution 1956 bis 1990 bewiesen, denn welcher Marxist in der ganzen Ära fand sich zurecht und war in der Lage, bezüglich der Geheimrede des XX. Parteitages der KPdSU 1956 die böse Absicht zu wittern, die zweifellos auf der Hand lag?!?

Kraft dieser Unbedarftheit von Millionen Kommunisten – auch noch nach Bekanntgabe des Inhalts der Chruschtschowschen „Geheimrede“, interessanterweise durch westliche Medien – konnte dennoch diese irre Mär vom bösen „Stalinismus“ zur materiellen Gewalt werden und die Massen ergreifen. Das war ein für uns Kommunisten und Bolschewiki ein schandbarer und folgenschwerer Lapsus des Klasseninstinkts, mit dem wir in Breitenwirkung so schnell nicht ins Reine kamen und kommen.

Warum nun wieder so etwas (natürlich verglichen mit damals im „Kleinformat“)? Die Hoffnung auf Keynes, und das namens einer modernen MarXXIsmus-Konferenz! Noch dazu in einer Situation immenser Ausbrüche der allgemeinen Wirtschaftskrise im imperialistischen System nach der Zerstörung des Sozialismus in Europa, gleichzeitig eines Aufschwungs der antikolonialen Bewegung weltweit, wo doch revolutionäre Orientierung richtig wäre! Dass die Konferenz bzw. die Veranstaltung zu Keynes das nicht ins Kalkül gezogen hat, gibt jedenfalls sehr zu denken, zumal der als Ausweg aus der Krise durch J.M.Keynes propagierte Weg vor rund 80 Jahren aktuell war. Die von Keynes vorprogrammierte staatsmonopolistische Regulierung, die einige Jahre nach der Teilung Deutschlands in der BRD noch geholfen hat, ist heute überholt. Die ökonomischen Bedingungen haben sich geändert. An Vollbeschäftigung ist kaum noch zu denken. Im 21. Jahrhundert eine Rechnung ohne die neoliberalen imperia-listischen Hyänen zu machen ist gefährlich.

Mensch muß lernen, mehr zu lesen, nachzudenken, zu speichern und weniger Dummheiten zu reden. Wie wenige, die sich Marxisten, Linke oder Kommunisten, Sozialisten u.a. nennen, kennen die Philosophie über die menschliche Denklogik von Heraklit bis Lenin, aber alle reden darüber in linken Floskeln, von Unwissenheit geschlagen! Nur ein verschwindender Teil der Menschen hat bisher trotz mannigfacher Zeichen begriffen, was die gesellschaftliche Glocke nach dem Tode Stalins geschlagen hat. Unter diesen Bedingungen meint man nun auch noch, die permanente Weltwirtschaftskrise des Kapitalismus mit Keynes retten zu wollen und alles mit „Vernunft“ zu regeln, statt dem Imperialismus als Ganzes und global zu Leibe zu gehen.

Vor fast einhundertundzehn Jahren schrieb Friedrich Engels angesichts der Niederlage der Klassenkämpfe in Frankreich in einer Einleitung zu Marx` diesbezüglichem Werk:

„…die Geschichte hat uns allen, die ähnlich dachten, Unrecht gegeben. Sie hat klar gemacht, daß der Stand der ökonomischen Entwicklung auf dem Kontinent damals noch bei weitem nicht reif war, für die Beseitigung der kapitalistischen Produktion; sie hat dies bewiesen, durch die ökonomische Revolution, die seit 1848 den ganzen Kontinent ergriffen und die große Industrie in Frankreich, Österreich, Ungarn, Polen und neuerdings Rußland erst wirklich eingebürgert, aus Deutschland aber geradezu ein Industrieland ersten Ranges gemacht hat alles auf kapitalistischer, im Jahre 1848 noch sehr ausdehnungsfähiger Grundlage.“

Engels gab also zu, dass man auch damals schon manchmal voreilig war. (Hätte er es nicht aufgeschrieben, so könnten wir heute keine Vergleiche ziehen, z.B. mit der Oktoberrevolution und den Lehren der Geschichte, die sie uns um die letzte Jahrhundertwende erteilte. Immerhin gab er uns damit ein Denkmuster.)

Uns allerdings muß heute klar werden, daß, obwohl die Oktoberrevolution 1917 vielleicht zu früh erfolgte, die Sowjetunion alle Feinde des Sozialismus aus aller Welt und sie waren permanent im Anmarsch, darüber gibt es keinen Zweifel – unter Stalins Führung zunächst geschlagen hat.

Wir haben in den Sozialistischen Ländern während der fünfziger bis siebziger Jahre die volkswirtschaftliche Verflechtungsbilanz vom Prinzip her entwickeln können mit den Möglichkeiten der Abschaffung der Warenwirtschaft und der klingenden Münze, ohne Abstriche vom Lebensstandard machen zu müssen. Das ist Voraussetzung für einen Sozialismus auf höherer Stufe, aber wir haben diese Entwicklung in der Sowjetunion seit Mitte der 50er Jahre, in der DDR seit Mitte der 70er Jahre vernachlässigt, u.a. durch mangelhafte Parteiarbeit, deren Voraussetzung m. E. eine strikte Befolgung und Durchsetzung der marxistisch/ leninistischen Theorie und deren gewissenhafte Fortschreibung hätte sein müssen, was aber nicht bis in letzte Konsequenz verfolgt wurde, sondern das Niveau der Theoriearbeit der Klassiker in unserer Tradition nicht gehalten und nicht weiter qualifiziert wurde. Dabei darf die laufende marxistisch-leninistische Analyse des realen Klassenkampfes und seiner ideologischen und taktischen Anforderungen an diese Theorie niemals außer Acht gelassen werden.

Die Welt und in ihr das Leben ist Ergebnis von Widersprüchen, womit auch jede Barbarei, jede Zivilisation Produkt ständiger Kämpfe von Widersprüchen ist, die aktiv gelöst werden müssen, deren Fortschritte oder Rückschritte von den um prinzipielle Ergebnisse kämpfenden Menschen vorangetrieben oder gebremst, bzw. überwunden werden müssen. Das richtige Erkennen positiver oder negativer Tendenzen ist dabei von großer Wichtigkeit, denn letzten Endes gehen derartige Tendenzen immer um Sein oder Nicht-Sein.

Das alles steht im Kompendium des Marxismus, der von den Arbeitern und ihren Verbündeten, insbesondere aber von ihrer Avantgarde benötigt, von ihren Feinden mit allen Mitteln bekämpft wird.

Reibungslos wird das Leben nie zu haben sein, aber für die Menschen ist es notwendig, ja unerläßlich, daß sie die Widersprüche und Probleme des täglichen Lebens zutiefst begreifen und erfassen, um mit ihnen vorrangig friedlich fertig zu werden, sie kämpferisch, aber entsprechend dem jeweiligen Entwicklungsstand und Kräfteverhältnis der Zeit zu lösen.

Keynesianismus ist jedenfalls kein Weg der Krisenüberwindung im Zeitalter des Imperialismus. Seine Möglichkeiten sind historisch und klassenmäßig begrenzt und die historischen Voraus-setzungen für sein Wirken innerhalb des Kapitalismus sind längst gesellschaftlich überholt.

Wir sollen trotzdem optimistisch sein, nicht in Handwerkelei verfallen, sondern die marxistisch/leninistischen Theorie weiterführen, denn wir alle wissen, daß das gesellschaftliche Leben der Menschheit eine Abfolge von Widersprüchen und ihrer kämpferischen Bewältigung ist, wie alles Leben also immer wissenschaftlich angesprochen und absolviert werden muß.

Ingeborg Böttcher,
Altlandsberg