Markus Wehner (FAZ):
Im Korsett der Reinen Lehre (Auszüge)
Die Empörung der Genossen ist groß. Am 60. Jahrestag der Gründung des Staates Israel , am 8. Mai, schmückt eine israelische Flagge die Homepage der Partei „Die Linke“.“Runternehmen!“, fordern einige ideologisch gefestigte Kämpfer gegen den Zionismus in ihren Mails an die Parteizentrale, das Karl-Liebknecht-Haus in Berlin. Doch der Davidstern zwischen den blauen Streifen auf weißem Grund wird zumindest bis zum nächsten Tag nicht verbannt.
Gregor Gysi legt eine Woche später nach. Der Fraktionschef geißelt in einer Rede vor der parteinahen Rosa-Luxemburg-Stiftung den Antizionismus, „der für die Linke insgesamt, für die Partei „Die Linke“ im Besonderen, keine vertretbare Position mehr sein kann“. Gysi wendet sich gegen die einseitige Bewertung des Nahostkonflikts als eines „Befreiungskampfes des palästinensischen Volkes“. Und er spricht seine „Bewunderung“ für den Staat der Juden aus. Es heißt es gut, dass die Solidarität mit Israel ein fester Bestandteil der „deutschen Staatsraison“ sei – gerade auch im Hinblick auf eine künftige Regierungsbeteiligung seiner Partei. Gysi, so berichten mit ihm vertraute Genossen, sei noch tagelang hochzufrieden gewesen, dass er dieses Signal gesetzt habe…
Gysi steht nicht allein. „Ich wende mich gegen jene Kräfte in der Partei, die mit Verbissenheit solche rückwärts gewandten Positionen verteidigen“, sagt Fraktionsvize Bodo Ramelow, der schon lange eine neue Haltung der „Linken“ zu Israel fordert. „Für Hamas und Hizbullah besteht Freiheit hauptsächlich in der Freiheit, Israel zu zerstören“, findet Ramelow, der im Juni „eine religionspolitische Reise“ nach Israel antreten will. Gysis Rede sei „kein Zufall und auch kein Betriebsunfall“. Die außenpolitische Revolution steckt aber noch in den Kinderschuhen. Nur vorsichtig machen einige „Linke“ erste Lockerungen, um sich aus dem Korsett der reinen Lehre zu befreien. Etwa bei der Frage nach Auslandseinsätzen der Bundeswehr. So haben sich bei den Abstimmungen im Bundestag zu den UN-Missionen in Darfur und Sudan in den vergangenen zwei Jahren einige Abgeordnete der Stimme enthalten – gegen die Beschlusslage der Partei, nach der jeder Einsatz deutscher Soldaten außerhalb der eigenen Grenzen eine Todsünde ist. Im Jahr 2006 taten dies erstmals sieben Parlamentarier. „Damals war danach noch die Hölle los“, erinnert sich einer. Im vergangenen Jahr waren schon 15 „Linke“ der Meinung, dass man nicht gegen die Verlängerung der UN-Missionen in Darfur stimmen könne. Neben Gysi und Ramelow gehören die Fraktionsvizes Klaus Ernst, Gesine Lötzsch und Barbara Höll, Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau und Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch zu den Abweichlern. …
Die Bundestagsfraktion hat kein Problem damit, Anträgen der großen Koalition wie der Novelle des Waffengesetzes oder einer Erhöhung des Wehrsoldes einstimmig zuzustimmen. Eine pazifistische Partei ist die „Linke“ eben nicht, wie Lafontaine betont. Der Parteichef hätte aber den Schlüssel, um die Türen zu einer realistischen Außenpolitik zu öffnen. Denn trotz seiner Vorliebe für populistische Parolen tut sich der einstige SPD-Vorsitzende schwer damit, den radikalen Losungen seiner Partei, etwa von der Abschaffung der Nato, zu folgen. …Eine außenpolitische Kurskorrektur will Lafontaine indes (noch) nicht betreiben. Zu riskant erscheint das für seine Strategie, alles maximalen Wahlerfolgen unterzuordnen. Zudem will er seine treuesten Anhänger in der Partei, die Linken in der „Linken“, nicht verprellen. …
Markus Wehner, Im Korsett der einen Lehre, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 25.5.08