Anastasia Moskovou:
Interview mit dem Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Venezuelas, Jeronimo Karero Damas
„Garantien bildet nur die Erhaltung und Stärkung der Kommunistischen Partei“
Unter obigem Titel veröffentlichte die Zeitung Rizospastis, Organ des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE), am 13. Mai 2007 nachstehendes Interview mit dem Vorsitzenden der Kommunistischen Partei Venezuela. Wir danken für die freundliche Genehmigung zum Nachdruck und die Übersetzung ins Deutsche von Thanassis Georgiou.
Frage: Auf Grund der langen Erfahrung der Kommunistischen Partei Venezuelas zunächst die Frage: Wie schätzt sie die Situation ein, die sich heute im Lande herausgebildet hat, neun Jahre, nachdem die Kräfte Oberhand gewonnen haben, die Chavez stützen?
Antwort: Ich würde sagen – und das ist die einstimmige Meinung in unserer Partei – dass wir eine sehr positive Einschätzung all dessen haben, das während der Amtszeit von Hugo Chavez gemacht wurde. Wir bieten ihm eine ständige Stützung seit nunmehr zehn Jahren. Ich persönlich kenne Chavez seit 1997. Als er 1998 seine Kandidatur bekannt gab, hat unsere Partei sofort Unterstützung angeboten.
Wenn ich mit ihm gesprochen habe, war ich stets zurückhaltend. Ich sagte zu ihm: „Hugo, vergiss nicht, dass Du mit einem Kommunisten sprichst!“. Eines Tages fragte er mich, warum ich das immer sage. Ich sagte ihm: „Sieh mal, ich würde niemals aus der Partei austreten.“ Ich weiß, dass er eine große Anziehungskraft hat und dass er viele Menschen zur Änderung ihrer Meinung bringt. Allerdings ist das auch das, was er jetzt mit uns macht. Er versucht, unsere Partei zu locken, in eine neue Partei einzutreten, die er selbst gründet.
Ich habe das gesagt, um zu zeigen, dass ich schon damals die Tendenz, den Zweck bei uns sah, uns zu locken, um ihn zu begleiten. Ich glaube aber nach wie vor, dass die beste Stütze und die beste Unterstützung, die wir Kommunisten Hugo Chavez bieten können, die Erhaltung unserer Partei ist und: unsere Partei zu stärken. Denn als Partei können wir ihm eine Garantie, eine Stütze bieten, die keine andere politische Kraft bieten kann.
Dies bezieht sich auch ganz besonders auf die internationale Ebene. Denn die Kommunistische Partei ist die einzige internationalistische Partei in Venezuela. Die Partei stützt sich auf den Internationalismus und wir haben Beziehungen zu allen KPs. Wir haben niemals die Beziehungen zu anderen KPs unterbrochen. Dieser kleine Saal kann ein bescheidenes Bild davon vermitteln. Wir hatten hier zu gast Lenin, Ho-Chi-Minh und den deutschen Genossen Ernst Thälmann, der in den 40er Jahren von den Faschisten ermordet wurde. Wir glauben sehr an den Internationalismus, für uns ist er etwas sehr Grundsätzliches. Und dass wir Beziehungen zu Bruderparteien haben, fördert die Unterstützung für Hugo Chavez und die bolivarische Revolution international.
Wir sind die einzige Partei, die einzige politische Kraft in Venezuela, die öffentlich die FARC Kolumbiens unterstützt. Es ist logisch, dass die Regierung Venezuelas ihre Beziehungen zur Regierung Kolumbiens achten muss. Sie kann nicht etwas tun, was die Ursache sein könnte für einen Abbruch der Beziehungen zu Kolumbien oder sie in der UNO in ein schwierige Lage bringen würde. Aber durch unsere Zeitung zeigen wir uns solidarisch mit der FARC. Wenn die KP nicht existieren würde, würde diese Solidarität mit den Revolutionären Kolumbiens praktisch verschwinden.
Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dass die KP als Partei ihre Unterstützung für Präsident Hugo Chavez wie in den vergangenen zehn Jahren fortsetzt. Aber dies ist eine unabhängige Unterstützung. Wir sind keine Regierungspartei. Aber es gibt Genossen, die Verantwortung in Regierungsposten übernommen haben, einschließlich eines Ministeramtes.
Wenn die Regierung einige unserer Kader für konkrete Aufgaben braucht, stehen sie zur Verfügung. Die Partei meint, dass dies richtig ist. Wir können uns aber nicht selbst verschwinden lassen. Zumindest erteilt uns die internationale Erfahrung diesen Rat.
Wir erinnern uns an das Beispiel Ägypten, als Nasser eine Partei der Sozialistischen Einheit gründete, der die Kommunisten beitraten. Nasser ist gestorben und die Partei verschwand. Die KP musste ihre Tätigkeit in der Illegalität fortsetzen. Dasselbe wiederholte sich in anderen Ländern. In Algerien geschah dasselbe und es wiederholte sich voller Mühen in Äthiopien. Als Oberst Megistou mit einer Gruppe von Offizieren die Macht ergriff, gründete er eine revolutionäre Partei, der die Kommunisten beitraten. Plötzlich verschwand diese Partei und die Kommunisten sind in die Illegalität gegangen. Auch in Lateinamerika gab es verschiedene Fälle. Die KP Mexikos verschwand, und jetzt ist man dabei, sie neu zu gründen. Dasselbe geschah mit der KP der Dominikanischen Republik und mit der KP von El Salvador, die der Front Farabundo Marti beitrat.
Der einzige positive Fall war Kuba. In Kuba, wo die alte KP den Namen Sozialistische Volkspartei trug, hat nach dem Triumph der Revolution unter Fidel Castros Führung im Jahr 1959 ein Prozess begonnen, der zur Gründung einer neuen Partei führte unter dem Namen KP Kubas, die bis heute existiert. Das ist ein sehr außergewöhnlicher Fall, und es ist nicht leicht zu glauben, dass er sich so wiederholen könnte. Damals ist es positiv ausgegangen, nicht nur, weil sich Fidel Castro im positiven Sinne zur kommunistischen Theorie entwickelte, sondern weil alle anderen Führenden aus der Sierra Maestra dasselbe taten. Wir wissen nicht, ob dies so in Venezuela möglich wäre. Im Falle, dass Hugo Chavez sich positiv zum Marxismus-Leninismus entwickelte, in Ordnung, alles gut. Aber was wird mit seinen Mitstreitern sein? Das ist die große Frage.
Wie Sie selbst werden beobachtet haben, da Sie ja schon einige Tage im Lande sind, wird hier vom Sozialismus geredet, nicht aber werden die genauen Bedingungen genannt. Es wird zum Beispiel davon geredet, dass Christus auch ein Sozialist war. Wir könne das nicht sagen.
Frage: Die Menschen in Venezuela sprechen immer mehr vom Sozialismus. Welchen Sozialismus brauchen die Werktätigen?
Antwort: Wir standen immer und stehen auch heute noch auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus. Das heißt, wir sind überzeugt davon, dass die Revolution, die wir brauchen, die proletarische Revolution ist. Und die proletarische Revolution kann nur unter Führung der Arbeiterklasse durchgeführt werde. Sie kann sich mit Teilen der Bevölkerung und anderen Klassen verbinden, im Mittelpunkt aber muss die Arbeiterklasse stehen. In Lateinamerika ist eine sichtbare Entwicklung der Arbeiterklasse vor sich gegangen, die dem örtlichen Bedarf der Industrie geschuldet ist und die seit den 40er und 50er Jahren des letzten Jahrhunderts einen allgemeinen Charakter angenommen hat. Die spezielle Situation im Zweiten Weltkrieg beschleunigte die Entwicklung der Arbeiterklasse nämlich sehr, weil keine europäischen Produkte eingeführt werden konnten – es gab keine Seetransporte – und die USA ihre Industrie auf die Waffenproduktion umstellen musste. In den Ländern Lateinamerikas, von Mexiko bis Argentinien, entstanden überall (kleine) Industrien. Und deren Entwicklung setzte sich auf unterschiedlichem Niveau fort – ermöglicht durch eine auf dem Keynesianismus beruhende imperialistische Wirtschaftsstrategie
Anfang der 80er Jahre ist eine Änderung in der Strategie des Imperialismus im Weltmaßstab vor sich gegangen. Als die Konservativen mit Margret Thatcher an die Macht gelangten und im Jahr darauf die Republikaner mit Ronald Reagen die Präsidentschaft für sich gewonnen haben, hat ein völliger Wandel in der ökonomischen Strategie des Imperialismus stattgefunden. Er ist von keynesianischen Positionen auf neoliberale Positionen übergegangen, und das hat die ökonomische und politische Situation in den Ländern Lateinamerikas gänzlich verändert. Es kam zu einer Bremse der Industrialisierung. Von Mexiko bis Argentinien ist eine große Schrumpfung vor sich gegangen. Die Arbeitslosigkeit hat sich erhöht, die Schattenwirtschaft blüht. Die Kriminalität wächst, es gibt eine große Masse von Menschen, deren Beschäftigung darin besteht zu rauben, Betrüge zu organisieren, Rauschgift zu verkaufen, Prostitution und Glücksspiel zu organisieren. Die Gewerkschaftsbewegung ist auf unserem Kontinent im Niedergang, man könnte sagen, dass es in Venezuela keine Gewerkschaftsbewegung mehr gibt. Vor 30-40 Jahren hatten wir eine starke Gewerkschaftsbewegung. Sie ist nicht mehr vorhanden.
Somit fragen wir uns: Ist es möglich, durch diesen Prozess zum Sozialismus überzugehen mit einer Gesellschaft, deren Charakteristikum die Arbeitslosigkeit ist? In der die Arbeiterklasse zahlenmäßig und qualitativ sich vermindert? Ich meine, dass das nicht möglich ist. Deshalb bin ich selbst mit dem Präsidenten öffentlich uneinig gewesen. Das gefällt dem Präsidenten nicht. Aber es ist die Wahrheit.
Der Kapitalismus spiegelt seine Krise in unseren Ländern, indem er die industrielle Entwicklung beschränkt bei gleichzeitigem explosionsartigem Bevölkerungswachstum. In Venezuela drückt sich das darin aus, dass die Bevölkerung heute um ein zehnfaches größer ist als vor 100 Jahren. Wie kann man diese ganze Bevölkerung behandeln? Wir sind kein Agrarland mehr. Das Erdöl hat die Wirtschaft Venezuelas verändert. Die Landbevölkerung ist in die Städte gekommen.
Präsident Chavez gab mehrere Pläne zur Rückkehr auf’s Land bekannt. Aber keiner will zurückkehren. Die Bevölkerung, die in die Städte gekommen ist, will nicht auf’s Land zurück, selbst wenn sie unter Armutsbedingungen lebt, wie es z.B. hier in Caracas mehr als sichtbar ist. Die Hälfte der Bevölkerung hier in Caracas lebt in sehr primitiven Wohnungen, schlimmer als die, die sie auf dem Lande hatten. Der einzige Unterschied besteht darin, dass hier der elektrische Strom ins Haus kommt und man ihn nicht zu bezahlen braucht, weil man illegal Strom abzapft. Die Regierung weiß es, sie ist aber nicht in der Lage, etwas dagegen zu tun. In diesen Wohnungen gibt es etwas für die Menschen ganz wichtiges: Fernsehen. Und die Menschen sehen viel TV. Sie werden ins System integriert. Die Privatsender senden ein fürchterliches Programm, aber selbst die öffentlichen TV-Anstalten sind von niedriger Qualität.
Ich spreche über diese Dinge so, weil ich als Revolutionär, als Kommunist in meinem ganzen Leben so gesprochen habe und ich nicht aufhören kann, so darüber zu reden, nur weil wir den Präsidenten Chavez unterstützen.
Ich betrachte Präsident Chavez als persönlichen Freund. Ich glaube, dass die beste Unterstützung, die wir ihm gegen können, die ist, auf diese Probleme hinzuweisen und darüber zu reden, wie wir uns bemühen können, die Wirtschaftspolitik des Staates zu ändern, die nach wie vor eine Politik ist, die sich am christlichen Ideal der Almosen orientiert, so wie eben auch von einem christlichen Sozialismus geredet wird, der sich auf Hilfeleistungen für die Armen orientiert. So die Katholische Kirche, die erklärt: Gebt den Hungrigen zu essen, gebt den Durstigen zu trinken, besucht die Kranken.
Das ist in hohem Maße auf menschliche Solidarität bezogen, keine Frage, aber das löst die Probleme nicht!
Zu einer solchen Politik sagen wir Nein.
Was getan werden muss ist, der gesamten Bevölkerung Arbeit zu geben, also ist es notwendig, die Industrie zu entwickeln, um Arbeitsstellen zu schaffen. Venezuela verfügt über große industrielle Möglichkeiten, und wenn wir die Industrie entwickeln, werden die Menschen arbeiten und dafür ein konkretes, ausreichendes, stabiles Gehalt erhalten. So kann man den Lebensstandard erhöhen und muss keine Almosen verteilen.
Der Sozialismus bietet nichts an, schenkt nichts. Sozialismus ist das Recht auf Arbeit und das Recht auf einen soliden Lebensstandard, welches der Werktätige durch seine Anstrengung erringt. Der Staat bietet ihm in den jungen Jahren Bildung und Ausbildung, und wenn er später arbeitet, gibt er dem Staat zurück, was er von ihm erhalten hat. In einem bestimmten Alter erhält er wieder Hilfe, die Rente, die ihm gestattet, würdig zu leben und die kein Geschenk darstellt, sondern die der Preis für die getane Arbeit ist. Auch das kostenlose Gesundheitswesen, die kostenlose Bildung, die kostenlosen sozialen Leistungen sind im Sozialismus kein Geschenk. Die Menschen beanspruchen sie für ihre Arbeit.
Das alles unterscheidet sich sehr vom so genannten christlichen Sozialismus, der Almosen geben und Geschenke verteilen will.
Unser Sozialismus stützt sich auf den dialektischen Materialismus. Er hat nichts gemein mit der Religion oder mit der Mythologie irgendeines Typus. Demzufolge besteht ein großer Unterschied zwischen uns dem Sozialismus, der heute in Venezuela angeboten wird.
Ich meine, dass wir uns zur Zeit in einer bedeutenden Phase befinden. Es ist der Konflikt mit dem Weltimperialismus, ganz konkret mit dem US-Imperialismus. Man muss es klar benennen: der wirkliche Hauptgegner ist für uns der us-amerikanische Imperialismus, sind für uns die Monopole der USA. Wir müssen die Abhängigkeit von diesen Monopolen brechen, eine andere Wirtschaft aufbauen. Wir haben eine Erdölindustrie, die fast schicksalshaft von denen abhängt. Es ist sehr schwer, diese Abhängigkeit zu brechen. Venezuela selbst verbraucht sehr wenig von seinem eigenen Öl. Unser Öl ist für den Export bestimmt. Und es geht auf den Markt, der von ihnen bestimmt wird.
Wenn es uns gelingt, eine wirklich vollständige Unabhängigkeit zu erreichen, die Herrschaft der Imperialisten zu brechen, wenn wir gleichzeitig eine ausreichend vorbereitete Arbeiterklasse entwickelt haben, dann erst werden wir ernsthaft vom Sozialismus sprechen können.
Frage: Hinsichtlich der Diskussion in Ihrem Lande über die Weiterentwicklung des Bolivarischen Prozesses: Worin bestehen die Vorschläge der Kommunisten?
Antwort: Ich habe Ihnen ja schon gesagt, dass einige Genossen glauben, viel dazu beitragen zu können. Sie haben die volle Freiheit, dies zu tun.
Wir verstärken unsere ideologische Arbeit. Die Partei hat das Institut „Bolivar-Marx“ gegründet. Es ist ein offenes Institut für jeden, der studieren will. Es trägt diesen Namen, weil es seit einigen Jahren die Idee gibt, den bolivarischen Gedanken, der auf die Anfänge des 19. Jahrhunderts zurückgeht, mit dem Marxismus zu kombinieren, der einige Jahre später entstand.
Die Idee besagt, das es zweier Grundvoraussetzungen bedarf, um den Zweck zu vollenden.
Die eine ist die Anwendung der Politik der mehreren Pole. Wir leben in einer multipolaren Welt. Das bedeutet, dass unser Land freie Beziehungen haben muss mit Ländern anderer Kontinente, nicht nur Europas, sondern auch Afrikas und Asiens. Präsident Chavez hat in der Tat eine große Öffnung in Richtung natürlich der lateinamerikanischen Länder, aber auch der asiatischen Länder erreicht, dabei nicht nur nach China, sondern auch nach Japan, Indien, Korea, Vietnam und auch zu afrikanischen Ländern. Diese Politik der mehreren Pole hat bisher große Erfolge zu verzeichnen und wird sich weiter entwickeln.
Die zweite ist die Idee der nationalen Souveränität. Auch sie stützt sich auf den bolivarischen Gedanken. Die Idee der Vereinigung der lateinamerikanischen Völker in einer großen Föderation ist sehr konkret, und die Idee von Bolivar ist sehr ähnlich der von Lenin nach der Oktoberrevolution verwirklichten Union ehemals verschiedener Staaten in einem Lande, der Sowjetunion.
Viele Jahre war die Rede von national-revolutionären Prozessen und Revolutionen nationaler Befreiung. Dies ist so nicht mehr möglich. Eine Revolution der nationalen Befreiung muss heute auf größerer Stufenleiter geschehen. Deshalb glauben wir, dass sie eine bolivarische Revolution sein müsste. Bolivar wollte, dass die Revolution, von Mexiko ausgehend, sich auf alle Länder des lateinamerikanischen Kontinents erstrecken würde, bis zum Süden nach Patagonien. Alle diese Völker müssten zeitgleich die Herrschaft des US-Imperialismus brechen, sonst wird es misslingen.
Es hat viele Misserfolge in Lateinamerika gegeben, den Misserfolg von Farabundo Marti in El Salvador, den der Sandinos in Nikaragua und den von Allende in Chile.
Wir glauben, dass sich eine allgemeine Bewegung entwickeln muss, damit die Revolution einen Erfolg hat.
(Interview von Anastasia Moskovou mit Jeronimo Karera Damas, Vorsitzender der KP Venezuelas; Rizospastis, 13.5.07, Übersetzung: Thanassis Georgiou)