China – ein bisschen anders betrachtet

Paula Panther:
China – ein bisschen anders betrachtet oder: “Genießen, solange es dauert”

Derzeit in linken Publikationen über China zu schreiben, gar vom marxistisch-leninistischen Standpunkt, ohne sich nach mindestens einer Seite hin unbeliebt zu machen – sei es gegenüber den China-Kritikern, sei es gegenüber den China-Verteidigern – ist sicherlich ein Ding der Unmöglichkeit.

Dieser Artikel kann das nicht nur nicht vermeiden, sondern ist eher dazu angetan, sich bei beiden Seiten gleichermaßen unbeliebt zu machen, sofern er beiden Einseitigkeit und Verkennung von bedeutsamen Zusammenhängen nachweist.

Recht haben diejenigen, die China kritisch betrachten wegen seiner – zumindest hierzulande unüberschaubaren – Menge kapitalistischer Elemente in Staat und Gesellschaft, der wachsenden sozialen Ungleichheit, der wachsenden Anzahl an Millionären, die auch noch immer mehr politische Rechte verlangen, Stichwort “Unternehmer in der KP”[1], wegen der teilweise miesen Arbeitsbedingungen, wegen des zunehmenden Kapitalexports und was der ungemütlichen, nicht eben sozialistisch anmutenden Phänomene mehr sein mögen.

Recht haben diejenigen, die China verteidigen als eine der letzten verbliebenen Bastionen des Sozialismus, die China für ein fortschrittliches Land halten, die aufzeigen, wie hoch der Anteil staatlichen Eigentums nach wie vor ist, wie Chinas nachholende Produktivkraftentwicklung vor allem im Produktionsmittelsektor (Abteilung I) die ökonomische Basis für eine sozialistische Entwicklung verbessert.

Unrecht haben die Kritiker allerdings, wenn sie China wegen seiner kapitalistischen Elemente für kapitalistisch, ja sogar (wegen des Kapitalexports) für imperialistisch halten. Unrecht haben sie, wenn sie daraus schlussfolgern, China sei nicht mehr verteidigenswert, sondern letztlich genauso anzugreifen wie jede andere “Groß”macht (wobei hier oftmals die schiere ökonomische Größe beachtet wird, nicht aber die Unterschiede in den Produktionsverhältnissen – insbesondere im Vergleich zwischen China und Indien oder gar zwischen China, den USA und Japan). Schwierig wird es insbesondere dann, wenn Chinas Beitrag zur internationalen Klassensolidarität an seinem Beitrag auf der Tribüne internationaler Diplomatie gemessen wird (Abstimmungsverhalten in UNO/UN-Sicherheitsrat), z.B. die angebliche Stützung von Sanktionen gegenüber Nordkorea[2].

Unrecht haben diejenigen, die China auf dem Durchmarsch zum Kommunismus sehen, die die Klassenzerrissenheit der chinesischen Gesellschaft übersehen oder zumindest verkennen, dass diese sich auch in der Regierungspolitik widerspiegelt.

Welche Einschätzung ist aber nun vom marxistisch-leninistischen Standpunkt “richtig”? Zunächst ist festzustellen, dass China als abhängige Kolonie und Entwicklungsland im Hinblick auf seine Produktionsverhältnisse eine erfolgreiche sozialistische Revolution absolviert hat und somit ein Vergleich mit Indien, das lediglich eine bürgerliche Revolution (allerdings nicht vollständig im Hinblick auf eine umfassende Landreform), schon ‘mal ausscheidet. Der Vergleich mit entwickelten kapitalistischen Ländern scheidet zusätzlich deshalb aus, weil es nie eine eigenständige kapitalistische Entwicklung in China gegeben hat (vor der Revolution nicht und auch – bisher – nicht danach). Ein Vergleich mit imperialistischen Ländern, insbesondere den imperialistischen Hauptländern, die das bereits 100 Jahre und länger sind, ist völlig unhaltbar.

Bleibt der Vergleich mit Russland/der Sowjetunion. Auch wenn das russische Zarenreich im Hinblick auf seine kapitalistische Entwicklung rückständig war, war es dennoch ein riesiges Kolonialreich, das Lenin als imperialistisch (wenn auch als schwächstes Kettenglied) einstufte. Die industrielle Basis war immerhin so weit entwickelt, dass nach der Revolution– wenn auch unter extrem erschwerten Bedingungen und mit zeitweise heftigen Klassenkämpfen – eine Umgestaltung der Produktionsverhältnisse gelang (Landreform, proportionale Entwicklung von Abteilung I und II, Ausgleich zwischen Stadt und Land etc.).

China gelang dies nicht. Das lag weniger an Mao als an den noch weit schwierigeren ökonomischen Startbedingungen, “getoppt” vom baldigen Bruch zwischen der (revisionistisch gewordenen) SU und China … Revisionistischen Kräften wurde in China damit noch weit mehr der Boden bereitet als in der SU, heftige Klassenkämpfe, die sich selbstverständlich auch in der Führung widerspiegelten, waren die Folge.

Das ist bis heute im Grunde nicht anders, die Entscheidung über die weitere Entwicklung der Produktionsverhältnisse in China deshalb aber keineswegs schon (wie etwa in Russland) entschieden – und wir haben hierzulande sehr wenige Mittel, diesen Entscheidungskampf in “unserem” Sinne zu beeinflussen.

Statt dessen sollten wir zum einen die Wirkung der progressiven Elemente Chinas, vor allem in seinem Verhältnis zu Afrika, beachten sowie die unglaubliche bürgerliche unsisono-Hetze, die sich – deshalb! – gegen China entfaltet.

China entwickelt Afrika – zum Leidwesen der Imperialisten

Unübersehbar ist die wilde Hetze in den Bürgerblättern gegen China. Ausgerechnet die deutsche Bourgeoisie und ihre Lohnschreiber ereifern sich über Arbeitsbedingungen in China, über Umweltverschmutzung, über soziale Ungleichheit etc., als gehe es ihnen um die Rettung des Sozialismus. Geschrieen wird über Dumpinglöhne und Billigprodukte, über die Missachtung geistigen Eigentums und – über bedingungsfreie (“unideologische” bzw. die “Menschenrechtssituation missachtende”) Billigkredite an Entwicklungsländer. Was die nun aber angeht, lohnt sich ein genauerer Blick, auch um die Qualität des chinesischen Kapitalexports einzuschätzen:

So schreibt etwa die Times am 29.1.2007: “Im vergangenen Jahr hat China mehr als zehn Milliarden US-Dollar in Infrastrukturprojekte in Afrika investiert, einschließlich Autobahnen in Nigeria, ein Telefonnetz in Ghana und eine Aluminiumschmelzanlage in Ägypten“.

Und der Guardian am 4.11.2006: “Beinahe jedes Land bekommt seinen Anteil. Ghana gibt an …, es sei kurz vor Zeichnung eines 600 Millionen-Dollar-Vertrags für ein 400 Megawatt Wasserkraftwerk. Gabun zeichnete kürzlich eine Vertrag mit einem chinesischen Konsortium über die Lieferung von 3 Mrd. US-Dollar Eisenerz, das zum Bau von Eisenbahnschienen und einen Containerhafen dienen soll. … Sambia wurde eine Investition in Höhe von 200 Millionen US-Dollar für eine Anlage zur Kupferproduktion im Umfang von 150.000 Tonnen zugesagt … Chinesische Investoren und staatliche Agenturen haben Milliarden für den Straßenbau in Kenia, ein Wasserkraftwerk in Kenia und ein Mobilfunknetz in Äthiopien ausgegeben … China kauft nicht nur Ressourcen, es verkauft ein Entwicklungsmodell. Während der Westen auf politische Freiheiten und universelle Rechte fokussiert [vor allem das Recht zur Ausbeutung – A.S.], meint Peking, die Priorität sollte die Hebung des Lebensstandards [!] und der nationalen Unabhängigkeit [!] haben [die der “Westen” offensichtlich und zugegebenermaßen nicht hat – A.S.]. Der Erfolg habe, so die Argumentation, die Überlegenheit dieses Modells bewiesen, der Lebensstandard von Hunderten Millionen von Menschen sei gestiegen.”

Interessant auch ein Artikel der Zeitschrift “Monocle” vom März 2007: “Angola wurde drei Jahrzehnte lang vom Bürgerkrieg zerrissen, der erst vor fünf Jahren zu Ende ging. Bahnschienen waren in Stücke gebombt, Straßen, Schulen und Krankenhäuser in einem verzweifelten Zustand. Als Gegenleistung zu Angolas Öl hat China ein massives Entwicklungsprogramm aufgesetzt, einschließlich neuer Straßen, drei neuen Eisenbahnlinien und einen internationalen Flughafen, der 30 Fernflüge täglich abwickeln kann … Mit seinem neuen Wohlstand konnte Angola innerhalb eines Jahres sein Haushaltsbudget von 13 auf 25 Mrd. US-Dollar steigern. … Es handelt sich um eine völlig andere Hilfe als jene, die die westlichen Länder, die Weltbank oder der IWF je erteilt haben. China schenkt nicht nur einfach Geld. China schenkt auch Arbeit. Ganze Armeen chinesischer Arbeiter kamen nach Afrika, um an Bauprojekten zu arbeiten, die von chinesischen Firmen geleitet werden.”

Schließlich der Daily Telegraph vom 5.2.2007: “In Angola entkam die marxistische Regierung den schmerzhaften Beschränkungen eines IWF-Kredits – mit seinen Auflagen der Transparenz in Korruptionsfragen, als Chinas Eximbank einen 43 Mrd. Dollarkredit zu 1,5% Zinsen [!] mit einer Laufzeit von 17 Jahren [!] und der Aussicht auf weitere Angebote. Das Angebot enthielt eine “Nicht-Interventions”-Klausel, der Traum eines jeden Despoten. … Das ebnete den Weg für Chinas staatliche Ölgesellschaft Sinopec, sich für die Ölfelder Block 17 und 18 zu bewerben, die zusammen 4,5 Mrd. Barrel an Rohölreserven beherbergen. Angola liefert heute 7% von Chinas Ölbedarf. … Armes Shell, das eigene Pläne für Block 18 hatte … China spielt dasselbe Spiel [!] in Gabun, Äquatorialguinea und vor allem in Nigeria, wo Peking übereinkam, 4 Mrd. US-Dollar zur Erneuerung der Kaduna Ölraffinerie und den Bau von Fabriken, Supermärkten und Straßen auszugeben.”

Die wenigen Beispiele mögen genügen, um den Charakter von Chinas Kapitalexports zu verdeutlichen: Es geht nicht um Maximalprofite, nicht um die Ausbeutung von Billigrohstoffen und billigen Arbeitskräften, nicht um die Abhängigkeit oder gar finanzielle Strangulierung von Entwicklungsländern und deren Degradierung zu Rohstoffanhängseln, sondern so ziemlich das glatte Gegenteil: durchaus nicht die völlig selbstlose internationalistische Hilfe, wie wir sie aus Kuba kennen, aber immerhin Tauschbeziehungen auf Gegenseitigkeit, die Möglichkeit der Produktivkraftentwicklung auf beiden Seiten, wenn auch – je nach den vorherrschenden Produktionsverhältnissen – davon einiges zu privater Kapitalakkumulation verwendet wird. Kredite mit 1,5% Zinsen und 17 Jahren Laufzeit sind allerdings so gut wie geschenktes Geld: Bei einem am Kapitalmarkt üblichen Zinssatz von z.B. 6% wächst der Schuldenbetrag incl. Zinseszins auf das 2,7-fache in 17 Jahren, bei 1,5% beträgt die Gesamtschuld nach 17 Jahren hingegen nur das 1,3-fache. Damit ist keine Inflationsrate gedeckt, geschweige denn Profit zu machen. Es wird deutlich, dass beim chinesischen Kalkül der Gebrauchswert – Entwicklung der eigenen ökonomischen Basis, insbesondere der Produktionsmittelindustrie – sowie der Solidaritätsfaktor eine erhebliche Rolle spielen muss! Worum es sich garantiert nicht handelt, das sollte deutlich geworden sein, ist imperialistische Ausbeutung.[3]

Daher auch das Geschrei insbesondere der hiesigen Presse über die kapitalistischen “Schweinereien”, wobei in der Financial Times Deutschland durchaus schon einmal in derselben Ausgabe ein Artikel gegenteiligen Inhalts zu finden ist:

Unter der Überschritt “Kleine Schritte aus der Armut” schreibt etwa die FTD vom 23. Juli 2007: “Afrikas Wirtschaft wächst so stark wie seit 25 Jahren nicht mehr. … China hat in einem beträchtlichen Ausmaß zu diesem Wachstum beigetragen. … Von westlichen Ländern misstrauisch beäugt, betreibt China mehr als 800 Investitionsprojekte in Afrika. ‘Die Chinesen halten sich nicht an die Vorgaben der Weltbank, die bestimmte Bedingungen für Investitionen in Afrika stellen [z.B. das Aushungern der eigenen Bevölkerung durch Kürzen der Sozialausgaben – A.S.]. Sie gehen ihren eigenen Weg’, sagt Frank-Jürgen Richter, Chef der auf die Beratung chinesischer Untenehmen spezialisierten Agentur Horasis … Präsident Hu Jintao hat versprochen, die Entwicklungshilfe seines Landes für Afrika bis 2009 zu verdoppeln. Mit insgesamt 6 Mrd. $ zinsgünstigen Krediten und zusätzlichen 2 Mrd. $ an Exportkrediten werden Wirtschaftsprojekte gefördert.”

Der Vorwurf wegen günstiger Kreditbedingungen geht zuweilen gar dahin, China würde die Dritte Welt verschulden, und am Ende hätten es die “westlichen” Länder wieder auszubaden (gemeint ist das Abschreiben eigener Forderungen, für die dann angeblich die Mittel fehlen, also entgangener Profit für die hiesigen Geldgeber …). In jüngster Zeit wird sogar noch eins draufgesetzt: Da China riesige Devisenreserven besitzt, geht nun die Angst vor den sogenannten Staatsfonds um. Die Heuschreckendebatte erhält damit eine neue Dimension: Waren es bisher die Private Equity Fonds und Investmentgesellschaften, die “Heuschrecken”, die ganze Firmen aufkauften (zumeist weniger marktfähige, während die Einverleibung profitabler Firmen, sofern sie nicht “feindlich” gegen deutsches Firmengut gerichtet ist, als völlig legitim und “sauber” gilt), kommen jetzt zahlungskräftige Staatsfonds daher, die alles “abgrasen”. In der Ausgabe vom 21.5.2007 präsentiert die Financial Times Deutschland auf S. 19 China in Bildzeitungsmanier als Riesenheuschrecke mit Devisenreserven von 1.200 Mrd. US-Dollar, mit denen man ‘mal locker den einen oder anderen deutschen “Champion” schlucken könne. Bildtitel: “Die Heuschrecken tragen jetzt rot. Auch China gibt Geld an US-Finanzinvestoren, um so die Verzinsung aufzupeppen.” Und die fressen wiederum unser schönes, deutsches, schaffendes Kapital.[4]

Wenn wir sonst nicht viel tun können, so doch zumindest hier China klar verteidigen gegen jeden imperialistischen Chauvinismus, der vor allem auch die hiesige Arbeiterklasse ergreift, die wegen der “gelben Gefahr” um ihre Jobs bangt – und wieder einen Grund findet, zum Anhängsel ihrer Bourgeoisie zu werden.

Streiten wir uns also nicht um China, sondern freuen uns, dass es noch Ökonomien gibt, die “ein bisschen anderes” als Ausbeutung und Erpressung zu bieten haben, freuen uns, dass das in der Produktivkraftentwicklung völlig abgehängte Afrika wenigstens ein bisschen auf die Beine kommt, freuen uns, dass die Imperialisten – wenn schon nicht durch uns – ein bisschen spürbaren Gegenwind bekommen. Genießen wir es, solange es dauert – und hoffen, dass es noch sehr lange dauert und das Kräfteverhältnis weltweit zu unseren Gunsten, für unsere Sache, verschiebt.

Paula Panther, Essen

  1. Hierzu übrigens ein interessanter Artikel aus der FTD vom 19.7.2007 mit der Überschrift “Kapitalisten mit Parteiabzeichen”: “Fast drei Millionen Parteimitglieder kommen heute aus der privaten Wirtschaft. … Die Unternehmer stellen noch immer einen verschwindend kleinen Teil von mehr als 72 Millionen Mitgliedern der größten politischen Organisation der Welt. … In 94 Prozent aller privaten Unternehmen ist die Partei heute mit drei oder mehr Mitarbeitern vertreten. Das gibt ihr eine direkte Verbindung zum lebendigsten Teil der Wirtschaft. Auch bei Firmen in ausländischem Besitz bemüht sich die KP um mehr Präsenz und Öffentlichkeit. So setzte sie im vergangenen Jahr die Gründung einer Parteizelle bei Wal-Mart China durch.” Die entscheidende Machtfrage wer – wen scheint also bei aller Widersprüchlichkeit noch längst nicht entschieden zu sein …

  2. Es lohnt sich auch hier immer wieder, auf das Kleingedruckte zu schauen. Sicherlich sind so manche “Verurteilungen” nicht gerade schön, etwa von Nordkoreas Atombombentests. Doch man achte auf das anschließende Lamento der Bürgerpresse über die fehlenden Taten bzw. unkonkreten Repressionsdrohungen Chinas im Zusammenhang mit derlei “Bekenntnissen”. Das “Mitheulen” mit den Wölfen scheint da doch eher taktischer Natur zu sein.
  3. Und nebenbei bemerkt, auch wenn China sich auf internationalem Parkett sicherlich nicht aus dem Fenster hängt zugunsten der sozialistischen Länder, so sind – bisher jedenfalls – mit China Ächtungen wegen Menschenrechtsverletzungen und Sanktionen gegen Mugabe/Simbabwe und den Sudan wegen Darfur nicht zu machen.
  4. vgl. “Ausländer erobern deutsche Konzerne”, FTD vom 6.6.2007. Dort heißt es unter anderem: “Nach Zahlen des Datendienstleisters Factset hat sich der Anteil ausländischer Aktionäre allein von Ende 2002 bis Mitte 2006 von rund 25 auf etwa 40 Prozent erhöht, besonders stark engagierten sich US-Anleger.”