Marx und Engels über koloniale Befreiungskriege und den Emanzipationskampf der Arbeiterklasse

Ulrich Huar

Marx und Engels über koloniale Befreiungskriege
und den Emanzipationskampf der Arbeiterklasse

Lenin über die sozialistische Revolution in Russland
und die Völker des Ostens


Inhalt


Marx und Engels

Ulrich Huar:
Marx und Engels über koloniale Befreiungskriege und den Emanzipationskampf der Arbeiterklasse

Angesichts imperialistischer Kriege gegen Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas und derer Befreiungskriege kann eine Reflexion einschlägiger militär- und revolutionstheoretischer Schriften von Marx und Engels über nationale Befreiungskriege kolonial unterdrückter Völker für die Politik revolutionärer Arbeiter- und anderer demokratischer Parteien in unserem 21. Jahrhundert nützlich sein. Sie sind auch heute noch von theoretischer und methodologischer Bedeutung in der Analyse der nationalen Befreiungs- und Klassenkämpfe in Asien, Afrika und Lateinamerika. Dabei sind drei Prämissen zu berücksichtigen:

Sie müssen erstens im Kontext des Marx’schen Gesamtwerkes, der allseitigen Begründung der welthistorischen Mission der Arbeiterklasse gesehen werden, zweitens müssen sie im Kontext der Zeit verstanden werden, in der die Arbeiten von Marx und Engels geschrieben wurden, unter Berücksichtigung des damaligen Kategoriengefüges, das Marx und Engels zunächst von den Theoretikern ihrer Zeit übernehmen mußten. Erst im Zuge der Ausarbeitung der Theorie des Wissenschaftlichen Sozialismus entwickelten sie das dieser Theorie adäquate Begriffs- und Kategoriensystem.

So hat auch der Begriff „Kolonie“ seine Geschichte. Marx und Engels verstanden – wie ihre Zeitgenossen und die Theoretiker ihrer Zeit – etwas anderes darunter als wir heute. Sie unterschieden Kolonien in einem doppelten Sinn. Einmal die „eigentlichen Kolonien“, zu denen die von europäischer Bevölkerung besiedelten Gebiete gehörten, Nordamerika, Australien, Südafrika, zum anderen die „bloß beherrschten, von Eingeborenen bewohnten Länder, Indien, Algier, die holländischen, portugiesischen und spanischen Besitzungen.“ (MEW 35/357) Marx und Engels verwandten den Begriff „Kolonie“ auch unter dem Aspekt der Arbeitsteilung. In seinem Hauptwerk, „Das Kapital“, bezeichnete Marx die USA als „Kolonialland von Europa“, da ihre ökonomische Entwicklung selbst ein Produkt der europäischen, namentlich englischen, Industrie ist. (MEW 23/779.)

Drittens sind die Quellen zu berücksichtigen, die Marx und Engels zur Verfügung standen. Es waren vor allem Tageszeitungen und Zeitschriften, englische, amerikanische, französische, deutsche, italienische und andere, Regierungserklärungen, Reden von damaligen Ministern und Parlamentariern und Schriften von Theoretikern, in ihrer Mehrheit bürgerliche Publikationsorgane, darunter demokratische, wie die „New York Daily Tribune“, in der auch Marx und Engels publizierten, in der Mehrheit aber konservativ-bürgerliche wie die Londoner „Times“. Publikationsorgane revolutionärer Arbeiterparteien und –organisationen, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunahmen, waren aber im Verhältnis zu den bürgerlichen gering.

In Klassengesellschaften tragen die Publikationen Klassencharakter. Ihre Autoren stellen die Ereignisse von ihrem jeweiligen Klassenstandpunkt, unter Berücksichtigung der Interessen ihrer Klasse bzw. Klassenfraktion dar, d.h., daß die Presseartikel in ihrem Inhalt von den tatsächlichen Geschehnissen erheblich abweichen, sie sogar völlig entstellen können.

Der britische Premierminister, Lord Palmerston, war geradezu ein Virtuose in der Verdrehung von Tatsachen und der Fabrizierung von gezielten Falschmeldungen, die in der „Times“ veröffentlicht wurden. Marx und Engels beherrschten die Methoden wissenschaftlicher Quellenkritik und wußten in den Presseerzeugnissen die tatsächlichen Vorgänge herauszufiltern. Dennoch konnten sich Irrtümer in ihren Darstellungen daraus ergeben. Wichtig sind die Kriterien, nach denen Marx und Engels soziale und politische Bewegungen dieser Völker sowie die Tätigkeit der Kolonialmächte beurteilten und einschätzten. Ein grundlegendes Kriterium für die Beurteilung sozialer Aktionen war die Frage nach ihrem Beitrag zum Menschheitsfortschritt. Marx und Engels haben den Fortschrittsbegriff zu keiner Zeit klassenindifferent aufgefaßt. Dies sei angesichts der „Theorien“ von „Erneuerern“ Gorbatschow’scher Provenienz ausdrücklich betont.

Die Herausbildung und Entwicklung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung im 18. und 19. Jahrhundert als internationaler Prozeß war in dieser Zeit die höchstmögliche Form des Menschheitsfortschritts, allerdings nur für eine Klasse, die Bourgeoisie, für einzelne Individuen dieser Klasse und für einzelne Nationen auf Kosten der Mehrheit der Weltbevölkerung, in den kapitalistischen Staaten des ausgebeuteten Proletariats, in den Kolonien der Eingeborenen, die in ihrer Mehrheit Bauernvölker waren. Die Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas spielten in diesem Entwicklungsprozeß eine konstituierende Rolle, waren aber von den Früchten des Fortschritts ausgeschlossen. Einerseits voll integriert in diesen „fortschrittlichen“ Weltprozeß, waren sie andererseits Objekt barbarischer Kolonialpolitik, der Ausrottung, Stagnation, Zerstörung ihrer natürlichen Produktions- und Lebensgrundlagen preisgegeben. Mußte diese destruktive Seite der Kolonialpolitik nicht selbst zur Gefährdung des Menschheitsfortschritt, auch in den Metropolen, werden? „Die Frage ist, ob die Menschheit ihre Bestimmung erfüllen kann ohne radikale Revolutionierung der sozialen Verhältnisse in Asien.“ (MEW 9/133)

Diese Fragestellung von Marx aus dem Jahre 1853 bezog sich nicht nur auf Asien. Marx und Engels banden den Menschheitsfortschritt an die soziale, ökonomische und politische Befreiung der Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas in einem revolutionären Prozeß. In seinem Brief an Engels vom 8. Oktober 1858 schrieb Marx: „Wir können es nicht leugnen, daß die bürgerliche Gesellschaft zum zweitenmal ihr 16tes Jahrhundert erlebt hat, ein 16. Jahrhundert, von dem ich hoffe, daß es sie ebenso zu Grabe läutet, wie das erste sie ins Leben poussierte. Die eigentliche Aufgabe der bürgerlichen Gesellschaft ist die Herstellung des Weltmarkts, wenigstens seinen Umrissen nach, und einer auf seiner Basis ruhenden Produktion. Da die Welt rund ist, scheint dies mit der Kolonisation von Kalifornien und Australien und dem Aufschluß von China und Japan zum Abschluß gebracht. Die schwierigste question (Frage) für uns ist die: auf dem Kontinent ist die Revolution imminent und wird auch sofort einen sozialistischen Charakter annehmen. Wird sie in diesem kleinen Winkel nicht notwendig gecrusht (unterdrückt) werden, da auf viel größerm Terrain das movement (die Bewegung) der bürgerlichen Gesellschaft noch ascendant (aufsteigend) ist?“ (MEW 29/360) Dieser hier geäußerte Gedanke scheint doch sehr interessant zu sein: Der Erfolg einer sozialistischen Revolution in den kapitalistischen Zentren wird an die soziale Revolution in Asien, Afrika und Lateinamerika gebunden.

Der Kapitalismus konnte nur entstehen als ein Weltsystem, das von Anfang an die Kolonialvölker als einen besonderen Teil integrierte. „Die Entdeckung der Gold- und Silberländer Amerikas, die Ausrottung, Versklavung und Vergrabung der eingeborenen Bevölkerung in die Bergwerke, die beginnende Eroberung und Ausplünderung von Ostindien, die Verwandlung von Afrika in ein Gehege zur Handelsjagd auf Schwarzhäute bezeichnen die Morgenröte der kapitalistischen Produktionsära. Diese idyllischen Prozesse sind Hauptmomente der ursprünglichen Akkumulation.“ (MEW 23/779)

Die Durchsetzung der neuen kapitalistischen Produktionsverhältnisse bedurfte jedoch der politischen Revolution. In diesem Sinne waren die englische, amerikanische und französische Revolution im 17. und 18. Jahrhundert weltgeschichtliche Revolutionen mit Auswirkungen auch auf die Kolonien. Es sei hier nur an die erfolgreiche soziale Revolution auf Haiti erinnert als eine der internationalen Auswirkungen der Französischen Revolution. Unter Führung des legendären Pierre-Francois-Dominique Toussaint L’Ouverture gelang es den aufständischen Negern und Mulatten, 1804 die erste unabhängige Negerrepublik der Welt zu errichten. Umgekehrt hatten aber auch revolutionäre Bewegungen der Kolonialvölker Rückwirkungen auf die Metropolen.

China

In seinem Artikel „Die Revolution in China und Europa“, New-York Daily Tribune (weiterhin NYDT genannt) vom 14. Juni 1853, meinte Marx unter Anführung einer Aussage Hegels „Extreme berühren sich“, daß die „Einheit der Gegensätze“ sichtbar werde in der „paradoxen Behauptung“, daß die nächste Erhebung der Völker Europas in „großem Maße davon abhängen dürfte, was sich jetzt im Reich des Himmels“ abspielt. (MEW 9/95)

Gemeint war die Taiping-Revolution, die 1851 ihren Anfang genommen hatte. Es habe schon im vorangegangenen Jahrzehnt „chronische Aufstände in China“ gegeben. Sie hatten sich 1851 zu einer „ungeheuren Revolution“ zusammengeballt. Ausgelöst wurde sie durch den ersten Opiumkrieg (1839 – 1842), in dem englische Kriegsschiffe die Öffnung von fünf wichtigen Häfen Chinas erzwangen und den chinesischen Markt für den britischen Export gewaltsam öffneten, vor allem für Opium, was dem Krieg seinen Namen gab. Hongkong mußte China an die Engländer für „ewige Zeiten“ übergeben, den Ausländern das Recht auf Exterritorialität eingeräumt werden. Die ohnehin verhaßte Mandschudynastie hatte auch den letzten Rest von Ansehen unter der chinesischen Bevölkerung – in ihrer überwiegenden Mehrheit Bauern – verloren. Haß gegen die Mandschukaiser und gegen Ausländer gehörten seit Beginn des 17. Jahrhunderts nach dem Einfall der Mandschu – ein Tartarenstamm – zum „politischen Prinzip“ der chinesischen Bauern. Die antifeudale Befreiungsrevolution hatte den Charakter eines großen Bauernkrieges angenommen, sich rasch auf die zentralen Gebiete ausgebreitet und das Gebiet des unteren und mittleren Janste-kiang erfaßt. Ziel der revolutionierten Bauern war die Errichtung des „Himmlichen Reichs der Großen Gerechtigkeit“, „Taiping tiänguo“, das der Revolution auch den Namen gab. Ziel der Taiping-Revolutionäre war die Vernichtung der mandschurischen Feudalherren, die Abschaffung der Steuern, die Liquidierung des großen Feudaleigentums. Da die buddhistische Geistlichkeit die Mandschu-Kaiser unterstützte – die Tartaren waren Anhänger des Buddhismus – richtete sich der Aufstand auch gegen diese und die buddhistischen Klöster.

Knapp ein Jahr später bemerkte Marx in einem Artikel für die NYDT vom 18. März 1854: „Die chinesischen Rebellen haben … einen regelrechten Kreuzzug gegen den Buddhismus unternommen, dessen Tempel zerstört und seine Bonzen getötet.“ Der Buddhismus war die Religion der Tartaren. Tibet ist der Sitz des großen Lama, das Allerheiligste für den buddhistischen Glauben. Gelingt es den Taiping-Revolutionären, die Mandschu-Dynastie zu vertreiben, wird es zu einem Religionskrieg mit den buddhistischen Kräften der Tartaren kommen, von dem Marx erwartet hatte, daß „in naher Zukunft“ sich der Religionskrieg über „die Grenzen Indiens ausdehnen wird.“ (MEW 10/116) Zugleich richtete sich die Taiping-Revolution gegen die ausländischen Eroberer und nahm damit auch den Charakter eines nationalen Befreiungskrieges an.

China hatte nach dem Opium-Krieg hohe Tribute an England zu zahlen. Die von den Briten erzwungene Opiumeinfuhr und der dadurch bewirkte Abfluß von Edelmetallen, die negativen Einflüsse der Konkurrenz auf die einheimische Produktion, die Einführung neuer neben den ohnehin schon hohen alten Steuern, bewirkten ernste Störungen des labilen Finanzsystems, der Moral, letzteres vor allem durch den zunehmenden Opiumverbrauch, der Industrie und der politischen Struktur Chinas. Die „englischen Kanonen“ hatten „die Autorität des Kaisers“ zertrümmert, „das Reich des Himmels zwangsweise mit der Erdenwelt in Berührung“ gebracht. „Die Frage ist jetzt, nachdem England die Revolution über China gebracht hat, wie diese Revolution mit der Zeit auf England – und über England – auf Europa zurückwirken wird.“ (MEW 9/97) Marx zeigte vor allem die ökonomischen Auswirkungen der chinesischen Revolution auf England und Europa. Die Revolution hat den chinesischen Markt für die Aufnahme englischer Exportgüter eingeschränkt, die Einfuhr von Tee aus China dagegen verteuert. Wenn „die Ausdehnung der Märkte nicht mehr mit der Ausdehnung der britischen Industrie Schritt halten kann“, dann muß „dieses Mißverhältnis … ebenso gewiß wie in der Vergangenheit eine neue Krise heraufbeschwören. Wenn aber einer der großen Märkte plötzlich einschrumpft, so wird der Ausbruch der Krise dadurch zwangsläufig beschleunigt. Genau diese Wirkung muß gegenwärtig der chinesische Aufstand auf England ausüben. Der Zwang, neue Märkte zu erschließen oder die alten zu erweitern, war einer der Hauptgründe für die Senkung der britischen Teezölle, da man sich von erhöhter Einfuhr an Tee auch erhöhte Ausfuhr an Industriewaren nach China versprach.“ (MEW 9/98)

Preiserhöhung für Tee, Schrumpfung „eines so bedeutenden Marktes wie China“ in Verbindung mit einer „unzureichenden Ernte in Westeuropa und daher mit steigenden Preisen für Fleisch, Getreide und alle anderen landwirtschaftlichen Produkte“ werde zu einer Schrumpfung des Absatzes von Industriewaren führen, da jeder Preisanstieg für lebenswichtige Bedarfsgüter sowohl im In- wie auch im Ausland zu einem Rückgang der Nachfrage nach Industriewaren führt. „Unter diesen Umständen, da der britische Handel den größeren Teil des normalen Wirtschaftszyklus bereits durchlaufen hat, darf man getrost voraussagen, daß die chinesische Revolution den Funken in das übervolle Pulverfaß des gegenwärtigen industriellen Systems schleudern und die seit langem heranreifende allgemeine Krise zum Ausbruch bringen wird, der dann beim Übergreifen auf das Ausland politische Revolutionen auf dem Kontinent unmittelbar folgen werden. Es wäre ein merkwürdiges Schauspiel, wenn China Unruhe in die westliche Welt brächte, während die Westmächte auf englischen, französischen und amerikanischen Kriegsschiffen ‚Ruhe und Ordnung’ nach Schanghai, Nanking und den Mündungen des Großen Kanals befördern.“ (MEW 9/100)

Marx erinnerte daran, daß es in Europa keine „ernstliche Revolution“ gegeben habe, der nicht eine Handels- und Finanzkrise vorangegangen wäre. Marx wies auf zwei zu beobachtende Erscheinungen hin, einmal „drohendere Zeichen“ innerer Konflikte zwischen Herrschern und Untertanen, zwischen Staat und Gesellschaft, zwischen den verschiedenen Klassen, zum anderen „daß der Konflikt der bestehenden Mächte untereinander einen Grad erreicht, wo das Schwert gezogen und zur Ultima ratio (zum letzten Mittel) der Herrscher gegriffen werden muß.“ Europa ginge mit einem „gesamteuropäischen Krieg schwanger.“ (MEW 9/102) Dies hatte Marx am 20. Mai 1853 geschrieben.

Nur drei Wochen später, im Juni 1853, fast zeitgleich mit dem Erscheinen des Artikels in der NYDT vom 14. Juni, begann mit dem Einmarsch eines 80.000 Mann starken russischen Heeres in die Moldau und Walachei der Krimkrieg zwischen Rußland und der Türkei. England, Frankreich und Sardinien traten an der Seite der Türkei gegen Rußland in den Krieg ein. Drei Jahre später untersuchte Marx für die NYDT vom 23. Januar 1857 (MEW 12/102-107) die Barbarei der englischen Kolonialmacht, die unter fadenscheinigen Vorwänden im Oktober 1856 Kanton sechs Tage lang bombardiert und damit den 2. Opiumkrieg (1856 – 1860) eröffnet hatten. Die chinesischen Behörden hatten Polizei-Offizieren den Befehl erteilt, chinesische Schmuggler und Piraten, die sich an Bord der im Hafen liegenden Lorcha „Arrow“ (Lorcha: Schiff europäischer Bauart mit chinesischer Betakelung) befanden, zu verhaften. Ein Teil der Mannschaft der „Arrow“ war an einem Piratenüberfall auf ein chinesisches Handelsschiff beteiligt gewesen. Die „Arrow“ fuhr laut Vertrag des Eigentümers mit britischen Behörden unter britischer Flagge. Dieser Vertrag war aber bereits abgelaufen und somit nicht mehr gültig. Offenbar war es keine Seltenheit, daß chinesische Piraten durch „Vertrag“ mit britischen Behörden unter britischer Flagge ihren „Geschäften“ nachgehen konnten. Der britische Konsul in Kanton, Sir Harry Smith Parkes, sah in den Handlungen der chinesischen Behörde eine Verletzung der britischchinesischen Verträge (von 1842 und 1849), die nach dem 1. Opiumkrieg der chinesischen Regierung aufgezwungen worden waren, eine „Beleidigung“ Großbritanniens, da angeblich die britische Flagge von den Chinesen heruntergeholt worden sei. Nach Darstellung des chinesischen Gouverneurs von Kanton hatte die „Arrow“ überhaupt keine Flagge gehisst, so daß auch keine heruntergeholt werden konnte. (…)

Der Vorwand für einen neuen Krieg gegen China war gefunden. Mit dem Bombardement Kantons hat die britische Regierung ihn eröffnet. Marx schrieb: „Die harmlosen, friedlich ihrer Beschäftigung nachgehenden Bürger Kantons wurden niedergemetzelt, ihre Wohnstätten dem Erdboden gleichgemacht und die Gebote der Menschlichkeit mit Füßen getreten unter dem fadenscheinigen Vorwand, das ‘Leben und Eigentum englischer Bürger durch das aggressive Vorgehen der Chinesen gefährdet sind’!“ (MEW 12/164)

Hatte Marx vor allem die politischen, sozialen und ökonomischen Hintergründe der Taiping-Revolution untersucht und deren Rückwirkungen auf England, so Engels den militärischen Verlauf der Revolution. Es handelte sich in China um zwei Kriege, die annähernd zur gleichen Zeit stattfanden, einmal der Revolutionskrieg der Taiping, zum anderen der 2. Opiumkrieg, der von chinesischer Seite den Charakter eines nationalen Verteidigungskrieges trug.

In seinem Artikel (Der neue englische Feldzug in China) NYDT vom 17. April 1857 (MEW 12/173-178) verglich Engels die militärischen Handlungen der Engländer und Chinesen im 1. Opiumkrieg mit dem zu erwartendem Widerstand der Chinesen im Jahre 1857. Hatten die Engländer 1841/42 mit der Erpressung der Chinesen um eine „ungeheure Summe Silber“ einen „bequemen Erfolg“ erzielen können, so gäbe es nunmehr – nach 15 Jahren – „bemerkenswerte Änderungen in der Lage der Dinge in China“. (MEW 12/173) Engels beschrieb sehr genau die navigatorischen Schwierigkeiten der englischen Flotte, als sie von der Jangtse-kiang-Mündung flußaufwärts vordrang: Inseln, Sandbänke, Schlammablagerungen, Untiefen, auf denen die englischen Linienschiffe zuweilen festsaßen. Die Mündung des Flusses Wusung in den Jangtse-kiang bildet den Hafen von Schanghai. Vom Ufer des Wusung deckten chinesische Artillerie-Batterien den Hafen. Die Engländer hatten keine Schwierigkeiten, die Batterien im Sturm zu nehmen. Von „den friedlichen und zaghaften Bewohnern der Ufer des Jangtse-kiang“ hatten die Engländer wenig Widerstand angetroffen. Nach „einem langen Frieden von nahezu zweihundert Jahren“ machten sie „jetzt ihre erste Kriegserfahrung.“ Den Jangtse-kiang weiter flußaufwärts fanden das englische Flottengeschwader und Expeditionskorps bei der Stadt Tschinkiang „reichliche Beweise dafür, daß es den tartarisch-chinesischen Soldaten, wie unzureichend auch ihre militärischen Kenntnisse sein mochten, weder an Mut noch an Kampfgeist fehlte. Diese tartarischen Soldaten, nur fünfzehnhundert an der Zahl, fochten mit äußerster Verzweiflung und wurden bis auf den letzten Mann niedergemacht. Als ob sie den Ausgang geahnt hätten, erwürgten oder ertränkten sie, ehe sie in den Kampf gingen, alle ihre Frauen und Kinder, deren Leichen in großer Anzahl hinterher aus den Brunnen gezogen wurden, in die sie geworfen worden waren… Die Engländer verloren bei dem Angriff einhundertfünfundachtzig Mann, ein Verlust, den sie durch die fürchterlichsten Exzesse bei der Plünderung der Stadt rächten. Der Krieg war von den Engländern durchweg im Geiste brutalster Grausamkeit geführt worden,… Wären die Eindringlinge überall auf einen ähnlichen Widerstand gestoßen, niemals hätten sie Nanking erreicht. Aber das war nicht der Fall. Die Stadt Gwatschou, auf der gegenüberliegenden Seite des Flusses, unterwarf sich und zahlte ein Lösegeld von drei Millionen Dollar, das die englischen Freibeuter natürlich mit außerordentlicher Befriedigung einsteckten.“ (MEW 12/177)

In dem neuen Krieg (2. Opiumkrieg) dürften die Engländer keinen „ähnlich leichten Erfolg’’ erwarten. „Die Erfahrungen jenes Krieges (1. Opiumkrieg, UH) ist an den Chinesen nicht spurlos vorübergegangen. Bei den kürzlichen militärischen Operationen auf dem Kanton-Fluß zeigten sie eine derart größere Fertigkeit in der Kanonade und der Kunst der Verteidigung, daß der Verdacht entstand, sie hätten Europäer in ihren Reihen. In allen praktischen Dingen – und der Krieg ist höchst praktischer Natur – übertreffen die Chinesen alle Orientalen bei weitem, und zweifellos werden die Engländer in ihnen gelehrige Schüler in militärischen Dingen finden.“ (MEW 12/177f)

Im Kampf um Nanking verflochten sich der Revolutions-Krieg der Taiping mit dem Verteidigungskrieg Chinas gegen die englischen Aggressoren (2. Opiumkrieg). Nanking und große Teile der umliegenden Bezirke waren seit geraumer Zeit von den Aufständischen besetzt. Der Führer der Taiping, Hung Ssju-tjüän war zum Taiping-Kaiser Tiän-wan des 1851 gegründeten „Himmlichen Reiches der großen Gerechtigkeit“ proklamiert worden und hatte Nanking nach der Einnahme durch die Taiping im März 1853 zur Hauptstadt ihres „Himmlichen Reiches der großen Gerechtigkeit“ gemacht.

Einmal war von den Taiping harter Widerstand gegen die Engländer zu erwarten, zum anderen hätten die Engländer dem Mandschu-Kaiser in Peking einen großen Gefallen getan, wenn sie Nanking zurückerobern würden. Die Besetzung der Stadt könnte sich für die Engländer als „ziemlich schwierig, lästig und gefährlich herausstellen.“ Eine solche Besetzung hätte keine „unmittelbar verhängnisvolle Folgen“ für die kaiserliche Macht in Peking gehabt. In der Nanking-Frage deutete sich bereits an, daß neben den Gegensätzen zwischen dem Mandschu-Kaiser und den Engländern ein gemeinsames Interesse an der Unterdrückung der Taiping-Revolution bestand.

In einem zweiten Artikel für die NYDT vom 5. Juni 1857, Persien – China, ging Engels ausführlich auf die Methoden der Kriegführung der Taiping ein. Beim Lesen des China betreffenden Teiles drängt sich ganz von selbst ein Vergleich zur Kriegführung der irakischen Widerstandsgruppen gegen die US-Besatzer und ihren Satelliten auf, auch wenn bei Engels noch nicht der Terminus des „Terrorismus“ auftaucht. Da diese Passage sehr aussagekräftig ist und zum Vergleich mit heutiger Kriegsführung in Vorderasien herausfordert, sei sie im Wortlaut ausführlich dokumentiert:

„Offenbar herrscht jetzt unter den Chinesen ein anderer Geist als in dem Krieg von 1840-1842. Damals war das Volk ruhig; es überließ den Kampf gegen die Eindringlinge den kaiserlichen Soldaten und unterwarf sich nach einer Niederlage mit östlichem Fatalismus der Macht des Feindes. Aber jetzt beteiligt sich, zumindest in den Südprovinzen, auf die der Kampf bisher beschränkt blieb, die Masse des Volkes aktiv, ja, sogar fanatisch am Kampf gegen die Ausländer. Sie vergiften massenhaft und mit kaltblütiger Berechnung das Brot der europäischen Kolonie Hongkong. (Einige Laibe sind Liebig zur Analyse übersandt worden. Er stellte große Mengen Arsen fest, gleichmäßig in den Broten verteilt, was beweist, daß es bereits mit in den Teig geknetet worden war. Die Dosis war jedoch so stark, daß sie als Brechmittel gewirkt haben muß und dadurch die Giftwirkung aufhob.) Mit verborgenen Waffen gehen sie an Bord von Handelsschiffen, und auf der Fahrt bringen sie die Mannschaft und die europäischen Passagiere um und bemächtigen sich des Schiffes. Sie entführen und töten jeden Ausländer, dessen sie habhaft werden können. Selbst die Kulis, die in fremde Länder auswandern, meutern, wie auf Verabredung, an Bord eines jeden Auswandererschiffes, kämpfen um dessen Besitz und gehen lieber mit dem Schiff unter oder kommen in dessen Flammen um, als daß sie sich ergeben. Sogar außerhalb Chinas konspirieren die chinesischen Ansiedler, die bisher unterwürfigsten und demütigsten Untertanen, und erheben sich plötzlich in nächtlichen Aufständen, wie in Sarawak, oder werden, wie in Singapur, nur mit aller Gewalt und höchster Wachsamkeit niedergehalten.

Zu diesem allgemeinen Aufruhr aller Chinesen gegen alle Ausländer hat die Piratenpolitik der britischen Regierung geführt. Sie hat ihn zu einem Vernichtungskrieg gestempelt. Was soll eine Armee gegen ein Volk unternehmen, das zu solchen Mitteln der Kriegführung greift? Wo und wie weit soll sie in das Land des Feindes vordringen, wie soll sie sich dort behaupten? Zivilisationskrämer, die Brandbomben auf eine schutzlose Stadt werfen und dem Mord noch die Vergewaltigung hinzufügen, mögen die Methode feige, barbarisch und grausam nennen; aber was kümmert das die Chinesen, wenn sie ihnen nur Erfolg bringt. Da die Briten sie als Barbaren behandeln, dürfen sie ihnen auch nicht das Recht absprechen, alle Vorteile ihres Barbarentums auszunutzen. Wenn ihre Entführungen, Überfälle und nächtlichen Gemetzel nach unserer Auffassung als feige zu bezeichnen sind, dann sollten die Zivilisationskrämer nicht vergessen, daß, nach ihrem eigenen Zeugnis, die Chinesen sich mit den gewöhnlichen Mitteln ihrer Kriegführung gegen europäische Zerstörungsmittel nicht behaupten können.

Kurz, anstatt über die schrecklichen Grausamkeiten der Chinesen zu moralisieren, wie es die ritterliche englische Presse tut, täten wir besser daran, anzuerkennen, daß es sich hier um einen Krieg pro aris et focis (für Haus und Herd) handelt, um einen Volkskrieg zur Erhaltung der chinesischen Nation mit all ihrer anmaßenden Voreingenommenheit, ihrer Dummheit, ihrer gelehrten Ignoranz und, wenn man will, ihrem pedantischen Barbarentum, aber dennoch um einen Volkskrieg. Und in einem Volkskrieg können die Mittel, die von der aufständischen Nation angewandt werden, weder nach den allgemein anerkannten Regeln der regulären Kriegführung gewertet werden, noch nach irgendeinem anderen abstrakten Maßstab, sondern allein nach dem Grad der Zivilisation, den die aufständische Nation erreicht hat.“ (MEW 12/213f)

Bemerkenswert ist die Prognose Engels’ nach dem Taiping-Aufstand und dem Volkskrieg gegen die englischen Interventionstruppen. Er meinte, gerade der Fanatismus der Südchinesen (Taiping, UH) in ihrem Kampf gegen die Ausländer scheint das Wissen um die tödliche Gefahr auszudrücken, die dem alten China droht, und in nicht allzu ferner Zukunft werden wir Zeugen vom Todeskampf des ältesten Kaiserreiches der Welt und vom Anbruch einer neuen Ära für ganz Asien sein.“ (MEW 12/215.) Er sollte recht behalten, auch wenn er es nicht mehr erlebte. Im Todesjahr von Engels, 1895, nahm die nächste große revolutionäre Bewegung, die Yihetuan-Bewegung (auch Ihotwan-Aufstand oder Boxeraufstand genannt) ihren Anfang. Ihr Name ins Deutsche übersetzt hieß „Faust im Namen des Friedens und der Gerechtigkeit“. Sie war eine der ersten antiimperialistischen Befreiungsrevolutionen in der Weltgeschichte. Acht imperialistische Mächte, darunter das deutsche Kaiserreich, führten einen Interventionskrieg gegen das revolutionäre China. Den Oberbefehl über die Interventionstruppen erhielt auf Drängen des deutschen Kaisers, Wilhelm II., Generalfeldmarschall Alfred Graf von Waldersee. Bei der Einschiffung des deutschen Interventionskorps in Bremerhaven am 27. Juli 1900 hielt Kaiser Wilhelm eine kernige Rede, deren bemerkenswerteste Stelle dem Leser nicht vorenthalten werden soll. An die Soldaten gewandt erklärte er: „Kommt ihr vor den Feind, so wird derselbe geschlagen! Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wer Euch in die Hände fällt, sei Euch verfallen! Wie vor 1000 Jahren die Hunnen unter ihrem König Etzel sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in Überlieferung und Märchen gewaltig erscheinen lässt, so möge der Name Deutscher in China auf 1000 Jahre durch Euch in einer Weise betätigt werden, daß niemals wieder ein Chinese es wagt, einen Deutschen auch nur scheel anzusehen.“ (Deutsche Geschichte in drei Bänden. Bd. 2, von 1789 -1917. Berlin 1965. S. 689.)

Militärischen Lorbeer errang das deutsche Expeditionskorps nicht mehr, denn als es in China eintraf; hatten die Truppen der anderen Mächte den Aufstand bereits niedergeschlagen. Aber mit barbarischen Strafexpeditionen gegen die chinesische Bevölkerung im Innern des Landes erfüllte das deutsche Expeditionskorps die Forderungen der Kaiserrede mit aller Gründlichkeit. Politiker der Bundesrepublik wären gut beraten, sich an diese glorreichen Vorkommnisse vor 100 Jahren zu erinnern, bevor sie Repräsentanten der Regierung der VR China an die Einhaltung der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit glauben erinnern zu müssen. In Deutschland mag das alles vergessen sein, ob die Chinesen es auch vergessen haben?

Mit dem Wuhaner Aufstand begann 16 Jahre nach Engels’ Tod 1911 die bürgerlich-demokratische Revolution, die mit dem Sturz der Mandschu-Dynastie und der Errichtung der Republik am 1. Januar 1912 unter dem ersten Präsidenten Chinas, Sun Yat Sen, siegreich endete. Am 1. Oktober 1949, ein halbes Jahrhundert nach Engels’ Tod, proklamierte Mao Tse-tung die Volksrepublik China. Im 21. Jahrhundert wird sie sich wahrscheinlich zu einer Weltmacht entwickeln.

Indien

In den Artikeln über revolutionäre Kriege in Indien verflochten sich die Arbeiten von Engels mit denen von Marx. Es ist insgesamt zu beachten, daß die revolutionäre Publizistik nicht den Hauptteil in der theoretischen Arbeit von Marx und Engels ausmachten. Marx Hauptarbeit war die politische Ökonomie, für deren Darstellung Marx insgesamt sechs Bände vorgesehen hatte, darunter einen Band über Politik, den er allerdings nicht mehr fertigstellen konnte. An seinem Hauptwerk, „Das Kapital“, hat er 25 Jahre gearbeitet. Für Publizistik war da wenig Zeit. Dennoch spielte sie eine beachtliche Rolle. Immerhin verfaßte Marx insgesamt in seiner zehnjährigen Mitarbeit an der NYDT über 500 Korrespondenzen. Nicht wenige Artikel stammten aus der Feder von Engels. Er stellte auch einzelne Abschnitte, Hinweise, Materialien, Ausarbeitungen und Notizen zur Verfügung, um Marx freizumachen für sein Hauptwerk. Es ist im Einzelfall nicht immer möglich, in der Autorenschaft zwischen den beiden Freunden zu unterscheiden. Aus dem Briefwechsel zwischen Marx und Engels läßt sich die Unterstützung der publizistischen Tätigkeit von Marx durch Engels in einigen Fällen eindeutig nachweisen.

Im Frühjahr 1857 kam es zum größten Volksaufstand des indischen Volkes gegen die britische Kolonialherrschaft, der unter dem Namen „Sepoy-Aufstand“ in die Geschichte eingegangen ist. Die Sepoys waren eine Söldnertruppe, die von den Engländern aus Indern gebildet wurde und unter Führung britischer Offiziere stand. Den Aufstand begannen die Sepoys, denen sich im Laufe des Krieges Bauern und verarmte Handwerker in den Städten angeschlossen hatten. Der Aufstand breitete sich auf die größten Gebiete Nord- und Mittelindiens aus. Erst nach zwei Jahren konnten die britischen Truppen, unterstützt von indischen Feudalherren, den Aufstand 1859 unterdrücken. Am 14. Juli 1857 schrieb Marx an Engels: „Die indische Revolte setzt mich einigermaßen in Verlegenheit. Ich bin bei der ‘Tribune’ expected to have some superior views of military affairs; (die T. erwartet von mir in militärischen Angelegenheiten überlegene Kenntnisse zu haben) wenn Du mir einige allgemeine Phrasen schreiben kannst, so kann ich mit dem Stoff, den ich gesammelt, leicht einen Artikel, der lesbar ist, daraus machen. Die Lage der Insurgenten in Delhi und die moves (Bewegungen) der englischen Armee sind die einzigen Punkte, worüber für den Moment einige militärische Phrasen nötig. Alles andere ist matter of fact.“ (Tatsachenmaterial) (MEW 29/155)

Am 24. September bot Engels in seinem Brief Marx Ausführungen über die Kriegslage in Indien an: „Dein Wunsch wegen Indien kreuzte sich mit der mir aufgestiegenen Idee, daß Du vielleicht gern mal meine Ansicht über den Kram hörtest. Ich fand gleichzeitig Gelegenheit, den Hauptinhalt der letzten mail (Post) mit der Karte in der Hand durchzunehmen und voici ce qui en resulte.“ (hier ist das Resultat) (MEW 29/189) Im Brief von Engels folgen dann zwei Seiten detaillierter Angaben über die Lage in Indien, die hier nicht reflektiert werden müssen. Marx hat diese Ausarbeitung von Engels zur Grundlage seines Artikels (Der Aufstand in Indien) für die NYDT vom 13. Oktober 1857 teilweise wörtlich übernommen. (MEW 12/298 – 301) Es ging in dieser Zusammenarbeit nicht nur um Indien. Marx erhielt von Engels auch einige Artikel über Militärfragen für die „The New American Cyclopädia“. Aus dem Briefwechsel geht hervor, daß Marx auch einige Artikel für die „Cyclopädia“ auf Anraten von Engels, so Biographien über einige Militärs und Politiker, selbst verfaßt hat. Es war im besten Sinne wissenschaftliche Zusammenarbeit von zwei Freunden, wobei die Sicherung der Arbeit von Marx an seinem ökonomischen Hauptwerk das bestimmende Anliegen von beiden war.

Einen ersten Bericht über den Sepoy-Aufstand schrieb Marx für die NYDT vom 15. Juni 1857. (MEW 12/230 – 233) (…) Die Herrschaft über das gesamte Gebiet übte die Ostindische Kompanie aus. Die Engländer hatten eine 200.000 Mann starke Armee aus Eingeborenen, die Sepoys, gebildet, die von englischen Offizieren kommandiert wurde. Eine englische Armee von nur 40.000 Mann hatte die Eingeborenenarmee „in Schach“ zu halten. Die Unterwerfung des indischen Volkes hing von der Treue der Sepoys zu den Engländern ab. Andererseits hatten die britischen Kolonialherren mit der Eingeborenenarmee „gleichzeitig das erste allgemeine Widerstandszentrum“ geschaffen, ein Zentrum, „wie es das indische Volk nie zuvor besessen hatte.“ (MEW 12/231) Meutereien der Sepoys habe es auch schon vorher gegeben, aber es sei das erste Mal gewesen, dass Sepoy-Regimenter ihre europäischen Offiziere umbrachten, daß sich Mohammedaner und Hindus trotz ihrer gegenseitigen Antipathien gegen die englischen Offiziere zusammengeschlossen haben. Es scheint bemerkenswert, dass die Hindus in Delhi einen Mohammedanischen Kaiser auf den Thron gesetzt hatten!

Der Aufstand der Sepoys fiel zeitlich zusammen mit der allgemeinen Unzufriedenheit der großen asiatischen Völker mit der britischen Kolonialherrschaft. In China fanden zur Zeit des Beginns des Sepoy-Aufstandes der Taiping-Aufstand und der 2. Opiumkrieg statt. Auslöser des Sepoy-Aufstandes sollen religiöse Motive unter den Hindus und Muslimen in der englisch-indischen Armee gewesen sein. „Die Ausgabe von Patronen, deren Papphülsen, wie es hieß, mit Rindertalg und Schweinefett bestrichen waren, weshalb das obligatorische Einbeißen der Hülsen von den Eingeborenen als Verletzung ihrer religiösen Gebräuche angesehen wurde, gab das Signal zu den örtlichen Unruhen.“ (…) „Am 22. Januar brach infolge Brandstiftung ein Feuer in den Kantonnements unweit Kalkutta aus. Am 25. Februar meuterte das 19. Eingeborenenregiment in Berhampur, wo die Soldaten die an sie ausgeteilten Patronen zurückwiesen. Am 31. März wurde dieses Regiment aufgelöst; Ende März ließ das in Barrackpur stationierte 34. Sepoy-Regiment zu, daß einer seiner Soldaten sich mit geladener Muskete auf dem Exerzierplatz vor der Front aufstellte, und, nachdem er seine Kameraden zur Meuterei aufgerufen hatte, wurde er nicht daran gehindert, den Adjutanten und den Feldwebel seines Regiments anzugreifen und zu verwunden. Während des Handgemenges das nun folgte, sahen Hunderte von Sepoys untätig zu, während andere an dem Kampf teilnahmen und die Offiziere mit dem Gewehrkolben angriffen.“ (MEW 12/231) Marx nannte noch weitere Einzelheiten. In diesen ersten Aufständen sah Marx „den Prolog zu einer höchst furchtbaren Tragödie, die sich noch abspielen wird.“ (MEW 12/233)

In einem weiteren Artikel über den Aufstand in Indien in der NYDT vom 4. August 1857 zitierte Marx den hochrangigen britischen Politiker und Schriftsteller Benjamin Disraeli, der zu dem Schluß gelangt sei, daß der Aufstand „keine Truppenmeuterei“ sei, „sondern ein nationaler Aufstand, in dem die Sepoys nur die handelnden Werkzeuge“ seien. (MEW 12/246) In der NYDT vom 14. August 1857 bestätigte Marx die zitierte Äußerung von Disraeli, daß sich in Indien „ein allgemeiner Zusammenschluß der verschiedenen Völkerschaften gegen die britische Herrschaft bereits schnell“ vollzogen habe. „Nach und nach werden noch andere Tatsachen an den Tag kommen, die sogar John Bull davon überzeugen werden, daß das, was er für eine Truppenmeuterei hält, in Wahrheit ein nationaler Aufstand ist“. (MEW 12/248 und 249)

Wenig später warnte Marx in der NYDT vom 29. August 1857 allerdings davor, „…zu erwarten, daß ein indischer Aufstand die Züge einer europäischen Revolution“ annehme. (MEW 12/262) Aufschlußreich für die Ursachen des Aufstandes ist der Artikel von Marx (Über die Folterungen in Indien), geschrieben am 28. August, veröffentlicht in der NYDT vom 17. September 1857. Anhand von Dokumenten berichtete Marx über die Anwendung von Foltern zur Eintreibung von Steuern durch britische Beamte. Die Behandlung der armen Bauern und ihrer Frauen war selbst nach Äußerungen britischer Publizisten, darunter Lord Dalhousie, ein Skandal. Nach einem Bericht über Beschwerdefälle von Eingeborenen hieß es, daß Bauern mit „großer Härte“ von Juni bis August (1857) zur Zahlung von Steuern gezwungen wurden, Steuern, die sie gar nicht aufbringen konnten. Aus der Beschwerde eines Bauern: „Man übergab mich und andere in Gewahrsam von Leuten, die uns in die Sonne zu stellen pflegten. Dort mußten wir uns niederbeugen. Steine wurden uns auf den Rücken gelegt, und so mußten wir im glühenden Sand verharren. Erst nach 8 Uhr ließ man uns auf unsere Reisfelder gehen. Derartige Mißhandlungen wurden drei Monate lang fortgesetzt, währenddessen wir mehrmals, um unsere Bittschriften abzugeben, zu dem Collector (Steuereintreiber, UH) gingen, der sich weigerte, sie anzunehmen. Wir nahmen diese Bittschriften und wandten uns an den Gerichtshof, der sie dem Collector überwies. Doch wir bekamen kein Recht. Im September erhielten wir eine Warnung, und fünfundzwanzig Tage darauf wurde unser Eigentum gepfändet und dann verkauft. Neben allem, was ich erwähnt habe, wurden auch unsere Frauen mißhandelt; der kittee (Folterinstrument zum Knebeln) wurde ihnen auf die Brüste gesetzt.“ (MEW 12/270f)

Es muß betont werden, daß es sich hierbei nicht um einen Einzelfall gehandelt hat, wie auch von dem von Marx genannten Lord Dalhousie bestätigt wurde, der ein „großes öffentliches Exempel“ an solchen Beamten statuieren wollte. Marx schloß: „Angesichts solcher Tatsachen mögen unbefangene und nachdenkliche Menschen vielleicht zu der Frage veranlaßt werden, ob ein Volk nicht zu dem Versuch berechtigt ist, die fremden Eroberer, die ihre Untertanen derart misshandelt haben, hinauszujagen. Und wenn die Engländer diese Dinge kaltblütig tun konnten, ist es da überraschend, daß die aufständischen Hindus in der grimmigen Erregung des Aufstandes und des Kampfes sich der Verbrechen und Grausamkeiten, die gegen sie vorgebracht werden, schuldig gemacht haben?“ (MEW 12/273)

In einem der folgenden Artikel für die NYDT vom 16. September 1857 (MEW 12/285-288) ging Marx auf die von den Sepoys begangenen Gewalttätigkeiten ausführlich ein. Sie seien „in der Tat entsetzlich, scheußlich, unbeschreiblich – so, wie man sie nur in Insurrektionskriegen, in Kriegen von Völkerstämmen und Geschlechtern und vor allem in Religionskriegen anzutreffen erwartet, …“ Solche Scheußlichkeiten fanden jedoch „den Beifall des respektvollen Englands“, wenn sie von konterrevolutionären Garden an Menschen revolutionärer Bewegungen begangen wurden. „Wie schändlich das Vorgehen der Sepoys auch immer sein mag, es ist nur in konzentrierter Form der Reflex von Englands eigenem Vorgehen in Indien nicht nur während der Zeit der Gründung seines östlichen Reiches, sondern sogar während der letzten zehn Jahre einer lang bestehenden Herrschaft. Um diese Herrschaft zu charakterisieren, genügt die Feststellung, daß die Folter einen organischen Bestandteil ihrer Finanzpolitik bildete. In der Geschichte der Menschheit gibt es so etwas wie Vergeltung; und es ist eine Regel historischer Vergeltung, daß ihre Waffen nicht von den Bedrückten, sondern von den Bedrückern selbst geschmiedet werden.“ (MEW 12/285)

Marx wies auf die von englischen Truppen an der chinesischen Bevölkerung im 1. Opiumkrieg begangenen Schandtaten hin, die sie „zum bloßen Vergnügen“ begangen haben. „Schändung von Frauen, Aufspießen von Kindern, Abbrennen ganzer Dörfer waren damals zügellose Belustigungen, die nicht von den Mandarinen, sondern von britischen Offizieren selbst bezeugt wurden.“ (MEW 12/286) Auch in dem gegenwärtigen Krieg in Indien „wäre es ein völliger Irrtum, anzunehmen, daß die ganze Grausamkeit auf seiten der Sepoys läge und die ganze Milch der frommen Denkungsart bei den Engländern flösse“.

Marx zitierte aus Briefen britischer Offiziere und Berichten englischer Zivilbeamte, die zum Teil in der Londoner „Times“ abgedruckt waren, aus denen eindeutig hervorging, daß Prügeln, Hängen und Erschießen von Indern, ob sie am Aufstand beteiligt waren oder auch nicht, zur Tagesordnung britischer Truppen gehörte. Aus einem Bericht aus Allahabad: „Wir haben die Macht über Leben und Tod in unseren Händen, und wir versichern euch, daß wir sie schonungslos gebrauchen.“ – „Nicht ein Tag verstreicht, an dem wir nicht zehn bis fünfzehn von ihnen“ (friedfertige Einwohner!) „aufknüpfen“. – Ein anderer Beamter: „Holmes hängt sie zu Dutzenden, er ist ein Mordskerl“. – Wieder ein anderer Beamter berichtet über das „summarische Erhängen einer großen Schar Eingeborener: ‘Dann ging der Spaß los.’“ – Noch ein anderer: „Wir halten Kriegsgericht zu Pferde, und jeder Nigger; den wir treffen, wird entweder aufgeknüpft oder erschossen.“ (Der Terminus „Nigger“ wurde als Schimpfwort gegenüber Nichteuropäern verwendet, nicht nur gegen Afrikaner. UH) Ein britischer Offizier: „Die europäischen Truppen wurden zu Teufeln, wenn sie mit den Eingeborenen zusammenstießen.“ (MEW 12/ 286f)

Es ging Marx nicht darum, die Scheußlichkeiten der Sepoys zu rechtfertigen. Grausamkeiten sind nicht zu rechtfertigen. Es ging Marx auch nicht um „Aufrechnung“, die Verbrechen der einen gegen die der anderen, ein „Gleichsetzen“ der beiden Seiten, wobei die einander ausschließenden Gegensätze und Inhalte des Krieges, antikolonialer, nationaler Befreiungskrieg der Inder mit britischem Kolonialkrieg zur Unterwerfung der Inder, zur Ausplünderung Indiens, neutralisiert bzw. völlig verdrängt werden. Marx wandte sich gegen eine ahistorische, einseitige „Schuldzuweisung“ und Verallgemeinerung der Grausamkeiten der Sepoys, wobei „die Gewalttätigkeiten der Eingeborenen, so entsetzlich sie sind, noch vorsätzlich aufgebauscht“ wurden. Marx nannte einen „feigherzigen Pfaffen“, der über begangene Greueltaten in Delhi und Mirat in der „Times“ berichtete, obwohl er „mehr als tausend Meilen (etwa 1.600 km) Luftlinie vom Tatort entfernt war! Dessen Berichte, die in der Londoner Presse die Runde machte, bewies, „daß die Vorstellungskraft eines englischen Pfaffen schlimmere Schreckenstaten als selbst die wilde Phantasie eines meuternden Hindus ausbrüten kann. Das Abschneiden von Nasen, Brüsten usw., kurz die grauenhaften Verstümmelungen, die die Sepoys begangen haben, sind für europäische Empfindungen natürlich abstoßender, als wenn (ein Sekretär der Friedensgesellschaft von Manchester (John Bowring) Brandbomben auf Kantoner Wohnhäuser werfen oder ein französischer Marschall in einer Höhle eingepferchte Araber rösten läßt.“ (MEW 12/287) Gemeint war General Pelissier, später Marschall von Frankreich, der 1845 in Algerien an Tausend aufständische Araber, die sich in Berghöhlen verborgen hielten, durch den Rauch von Schwefelfeuern umbrachte. (MEW 12/731)

„Wie alles andere besitzt auch die Grausamkeit ihre Mode, die nach Ort und Zeit wechselt.“ Marx wies auf Cäsar hin, der Tausend gallischen Kriegern die rechte Hand abschlagen ließ; Napoleon hätte so etwas nicht getan. Er schickte seine eigenen französischen Regimenter, die republikanischer Gesinnung verdächtig waren, nach St. Domingo, damit sie dort durch Negerhände und die Pest umkamen. Marx erinnerte noch an die Methoden im „christlich – byzantischen Reich“ und an die Vorschriften des Strafrechts Kaiser Karls V., die besondere Grausamkeiten vorsahen.

Es ging Marx keineswegs um eine Rechtfertigung von Grausamkeiten, die von den Sepoys begangen wurden, um dies noch einmal zu betonen, sondern in Analogie zu geschichtlichen Vorgängen wollte er die Heuchelei der britischen Presse entlarven. „Die Londoner ‘Times’ übertreibt ihre Rolle, und nicht nur aus Angst. Sie liefert der Komödie eine Figur, die selbst Moliere fehlte, den Tartuffe der Rache. (Tartuffe, Symbolfigur für einen scheinheiligen Heuchler, UH) Sie will einfach die Staatspapiere hochtreiben und die Regierung decken. Da Delhi nicht durch bloße Windstöße gefallen ist wie die Mauern von Jericho, sollen John Bulls Ohren von Rachegeschrei gellen, damit er vergißt, daß seine Regierung verantwortlich ist für das ausgebrütete Unheil und dafür, daß es solche kolossalen Ausmaße annehmen konnte.“ (MEW 12/288)

Engels widmete einen ganzen Artikel (Die englische Armee in Indien), NYDT vom 26. Juni 1858, (MEW 12/493 – 496) den Plünderungen Delhis und Lakhnaus durch englische Soldaten und Offiziere, wobei er aus Berichten des englischen Journalisten und Kriegskorrespondenten der Londoner „Times“, Sir William Howard Rüssel, ausführlich zitierte, d.h., ausschließlich aus britischen Quellen. Es gäbe „Kompanien“, in deren Reihen „gemeine Soldaten“ über ein „Vermögen von mehreren tausend Pfund“ verfügten. Einige Offiziere hätten in den indischen Feldzügen „buchstäblich ihr Glück gemacht… Es gibt da gewisse Kästchen in schäbigen Uniformkoffern, die Landgüter in Schottland und Irland enthalten, sowie ansehnliche Fischgründe und Jagdreviere in jedem an Wild oder an Lachs reichen Winkel der Erde“. (MEW 12/493) Nach der Erstürmung von Lakhnau waren die englischen Truppen vierzehn Tage mit Plünderungen in der Stadt ausgelastet, so daß sie die sich zurückziehenden Aufständischen nicht einmal verfolgen konnten. „Eine Armee“, so Engels, „die sich zum Plündern aufgelöst hat, ist für immer verwandelt; kein Kommandowort, kein Ansehen des Generals kann sie wieder zu dem machen, was sie vorher war.“ Russels schrieb: „Das Gewicht des Gürtels um die Hüfte des gemeinen Soldaten, voller Rupien und Gold-Mohurs (indische Goldmünze, UH) gibt ihm die Gewißheit, daß sein Traumbild (von einem behaglichen Auskommen in der Heimat) erfüllt werden kann, und es ist kein Wunder, daß er das Kommando ‚Antreten, Antreten!’ übel aufnimmt.“

150 Offiziere hätten den kommandierenden englischen General, Sir Colin Campbell, um ihren Abschied ersucht. Engels meinte, daß eine solche Verhaltensweise in einer vor dem Feind stehenden Armee „einzigartig“ sei, „das in jeder anderen Armee innerhalb vierundzwanzig Stunden Kassation und andere strengste Bestrafung nach sich ziehen würde…“ (MEW 12/494)

Nach Schätzungen von Rüssel würden die Verkäufe des Beuteguts 600.000 Pfund Sterling einbringen. (1 Pfd. St. = 20,43 Mark nach Jahr 1871) Mit den Zerstörungen öffentlicher Gebäude, der Vernichtung von Privateigentum, der Entwertung von Häusern und Land sowie den Auswirkungen der Entvölkerung von Lakhnau, der Hauptstadt von Audh, würden die Verluste fünf bis sechs Millionen Pfd.St. betragen. Engels resümiert: „Die Kalmückenhorden Dschingis-Khans und Timurs, die wie ein Heuschreckenschwarm über eine Stadt herfielen und alles vertilgten, was ihnen in den Weg kam, müssen ein Segen für das Land gewesen sein, verglichen mit dem Einfall dieser christlichen, zivilisierten, ritterlichen und edlen britischen Soldaten. Jene verschwanden wenigstens bald wieder auf ihrem Nomadenzug; aber diese methodisch vorgehenden Engländer, die das Beutemachen in ein System verwandeln, bringen ihre Taxatoren mit, die den Raub registrieren, ihn versteigern und ein wachsames Auge darauf haben, daß der britische Heldenmut nicht um ein Tüttelchen seines Lohnes betrogen wird.“ (MEW 12/495)

In 26 Artikeln analysierten Marx und Engels die Kämpfe zwischen den Aufständischen und den Engländern, die hier nicht im Einzelnen reflektiert werden können. Aus den einzelnen Kämpfen, vor allem denjenigen, die in den zentralen Gebieten stattfanden, konnten sie einige Schlussfolgerungen ziehen, die bemerkenswert sind. Die englische Kolonialarmee setzte sich zum größten Teil aus Eingeborenen zusammen, die häufig gegen die englischen Offiziere meuterten, davonliefen, zu einem bedeuten den Teil zu den Aufständischen überliefen. Der Genauigkeit halber bezeichnete man diese Armee auch als englisch-indische Armee im Unterschied zu den englischen Regimentern, in denen nur Europäer, nicht nur Engländer, dienten. Es gab in der englisch-indischen Armee auch Soldaten, Unteroffiziere und vereinzelt Offiziere, die sich aus den Eingeborenen rekrutierten und die unter englischem Kommando gegen die Aufständischen kämpften. Die Spaltung der indischen Bevölkerung in verschiedene Stämme, in Hindus, Muslime, Bramahnen, Sikh, Gurkha, Bengalesen u.a. wirkte sich auch im Krieg aus. Um es vorweg zu nehmen, diese Spaltung, die Feindseligkeiten zwischen den verschiedenen Bekenntnissen und ethnischen Gemeinschaften gehörten zu den Hauptursachen für die Niederlage der Sepoys.

Die Engländer befanden sich zu Anfang des Krieges in einer schwierigen Situation, einmal durch das mörderische Klima des indischen Sommers, dem offenbar mehr Engländer zum Opfer fielen als durch Kampfmaßnahmen, zum anderen durch ernsthafte Fehler von seiten der englischen Generale, worauf Engels mehrfach hinwies. Insgesamt war die europäische Kriegskunst der asiatischen zu dieser Zeit überlegen, desgleichen die Waffen und Ausrüstungen. Es gab aber auch beachtliche Anzeichen von militärischem Geschick der Sepoys, ihrer Strategie und Taktik. Marx bemerkte, daß das „Gefecht von Agra … die besondere Bedeutung“ hat, „daß es zeigt, wie zum ersten Mal die Aufständischen zu einer gut durchdachten Expedition über rund 300 Meilen (etwa 480 km) hin aufbrechen mit der Absicht, einen entfernten englischen Standort anzugreifen.“ (MEW 12/278) (…)

Engels untersuchte die militärischen Fähigkeiten der Sepoys sehr genau, wobei er zu einer sehr differenzierten Einschätzung gelangte. Besonders aufschlußreich ist sein Artikel (Die Einnahme Delhis) für die NYDT vom 5. Dezember 1857. (MEW 12/327 – 334) Engels bediente sich dabei der Analogie als Methode, wenn er die militärische Verhaltensweise der Sepoys mit der der russischen Armee im Krimkrieg (1853 – 1856) verglich, besonders die Erstürmung Sewastopols (18. September 1855) durch die Engländer und Franzosen mit der Einnahme von Delhi durch die Engländer zwei Jahre später (8. – 20. September 1857). „Wenn wir Delhi mit Sewastopol vergleichen, müssen wir natürlich zugeben, daß die Sepoys keine Russen waren, daß keiner ihrer Ausfälle gegen das britische Kantonnement mit Inkerman (Schlacht von Inkerman am 5. November 1854 während des Krimkrieges) verglichen werden kann, daß es in Delhi keinen Todtleben gab.“(Todtleben, russischer Oberst der Genietruppen, ab 1855 General. T. war einer der hervorragenden Organisatoren der Verteidigung von Sewastopol.) Die Sepoys, „so tapfer jeder einzelne Mann und jede einzelne Kompanie in den meisten Fällen auch kämpfte,“ waren „gänzlich ohne Führung, nicht nur ihre Brigaden und Divisionen, sondern auch fast alle ihre Bataillone, daß daher ihr Zusammenhalt nicht über den Bereich der Kompanien hinausging, daß ihnen das wissenschaftlich Element völlig fehlte, ohne das eine Armee heutzutage hilflos und die Verteidigung einer Stadt ganz und gar aussichtslos ist.“ (MEW 12/327) Eine ergänzende und relativierende Einschätzung der Taktik der Sepoys gab Engels am Schluß seines Artikels, in dem er meinte, „daß sich gewisse Vorstellungen einer wissenschaftlichen Kriegführung unter den Sepoys durchgesetzt hatten; …“ (…) (MEW 12/334)

Offenbar hatten die Sepoys von ihren englischen Offizieren einige Elemente einer wissenschaftlichen Kriegführung übernommen, konnten sie aber nur in begrenztem Umfang anwenden. Nicht zuletzt fiel Delhi durch Streitigkeiten unter den Aufständischen. Delhi war das eine städtische Zentrum des Aufstandes der Sepoys, wenn auch nicht von großer militärischer, so doch von politischer Bedeutung. (…) Engels stellte die Audh-Sepoys den Sikhs gegenüber, die er als die „kampffähigsten“ der indischen Völkerschaft bezeichnete. Die Sikhs, die einen bedeutenden Anteil von Eingeborenen der englisch-indischen Armee stellten, zeigten eine „weit größere innere Kraft und Geschlossenheit, als die Gesamtheit der englisch-indischen Armee.“ Den Sikhs gegenüber bestanden die Aufständischen in Lakhnau „zum größten Teil“ aus „ungeübte(r) Miliz statt ausgebildeter Soldaten.“ (MEW 12/354) Die Sikhs stammten aus dem Norden, wie auch die Gurkhas, die ebenfalls zu den „kriegerischen“ Völkern Indiens gehörten. (…)

In dem Artikel (Einzelheiten über die Erstürmung Lakhnaus), NYDT, 25. Mai 1858, (MEW 12/463 – 468) äußerte sich Engels ausführlich über die Befestigungen von Lakhnau, wie sie von den Sepoys angelegt worden waren: „Die Verschanzungen von Lakhnau sind lediglich ein Übertragen der gesamten Art der Kampfführung der Sepoys auf Wälle aus gebranntem Lehm und Brustwehren aus Erde. Der mechanische Teil der europäischen Taktik hatte sich den Sepoys teilweise eingeprägt; sie beherrschten die Gewehrübungen und das zugweise Exerzieren recht gut; sie konnten auch eine Batterie errichten und einen Wall mit Schießscharten versehen; doch wie man die Bewegungen von Kompanien und Bataillonen bei der Verteidigung einer Stellung miteinander in Einklang bringt oder wie man Batterien und mit Schießscharten versehene Häuser und Wälle kombiniert, um so ein widerstandsfähiges befestigtes Lager zu schaffen – davon wußten sie absolut nichts.“ (MEW 12/464) Die Sepoys waren waffentechnisch, logistisch und im Festungsbau den Engländern nicht gewachsen. Das kann auf die Dauer zu Erscheinungen des Defaitismus führen. Nach dem Fall von Lakhnau, dem zweiten städtischen Zentrum des Aufstandes, blieb den Sepoys nur noch der Guerillakrieg.

Engels widmete dem Guerillakrieg der Inder einen ganzen Artikel, „Die indische Armee“, NYDT, 21. Juli 1858. (MEW 12/518 – 522) Die aufständischen indischen Armeen hatten sich allmählich in kleinere Einheiten von zwei- bis zu sechs- oder achttausend Mann umgebildet. „Diese beweglichen Kolonnen brauchen keine große Stadt als zentrale Organisationsbasis. Sie können Mittel zur Verproviantierung, zur Wiederausrüstung und zur Rekrutierung in den verschiedenen Gebieten finden, in denen sie operieren; und eine kleine Stadt oder ein großes Dorf als Zentrum zur Reorganisation kann für jede einzelne von ihnen genauso wertvoll sein wie Delhi, Lakhnau oder Kalpi für die größeren Armeen.“ (MEW 12/518)

Er verglich den Guerillakrieg der Inder mit dem Freiheitskrieg der Mauren in Algerien gegen die Franzosen (1832 -1847). Die Kriegführung der Inder begann, den Charakter des Krieges anzunehmen, den die Beduinen Algeriens gegen die Franzosen führen“, meinte Engels. Allerdings seien die Hindus nicht so fanatisch und auch kein Reitervolk. Unter den Aufständischen in Indien gäbe es eine Menge Muslime, die „eine gute irreguläre Kavallerie abgeben würden; doch die hauptsächlichen Reitervölker Indiens“ hatten sich dem Aufstand nicht angeschlossen. „Die Stärke der aufständischen Armee liegt in der Infanterie, und da diese Waffengattung nicht dazu fähig ist, den Engländern im offenen Feld entgegenzutreten, wird sie zu einem Hemmschuh beim Guerillakrieg in der Ebene; denn in einem solchen Lande ist die irreguläre Kavallerie das Kernstück der regellosen Kriegführung.“ (MEW 12/521) (…)

Engels nannte einen Guerillaführer namentlich, Amur Singh, der sich im Dschagdispur-Dschungel als fähiger Stratege des Guerillakrieges erwies. Acht Monate lang hat er die Hauptstraße der Briten von Kalkutta nach Allahabad „unsicher gemacht.“ Der Aufstand der Sepoys ging im Herbst 1858 seinem Ende entgegen. Die Engländer übten „grausame Vergeltung“ an den Aufständischen. Der überlieferte Haß unter Muselmanen und Hindus gegen die Engländer, die „christlichen Eindringlinge“, war wütender denn je.

Der Sepoy-Aufstand hatte aber noch internationale Auswirkungen. „Die beiden großen asiatischen Mächte, England und Russland, sind jetzt an einem Punkt zwischen Sibirien und Indien angelangt, an dem russische und englische Interessen direkt aufeinanderprallen müssen. Dieser Punkt ist Peking. Binnen kurzem wird sich von hier nach dem Westen eine Linie quer über den gesamten asiatischen Kontinent erstrecken, an der diese gegensätzlichen Interessen ständig aufeinanderprallen werden. So mag die Zeit wohl nicht allzu fern sein, da ‘sich der Sepoy und der Kosak auf den Ebenen des Oxus begegnen werden’, und wenn diese Begegnung stattfindet, werden die anti-englischen Gefühle von 150.000 eingeborenen Indern eine sehr ernst zu nehmende Angelegenheit sein.“ (MEW 12/578) Geschrieben von Engels am 17. September 1858. Wenn sich nun auch „Sepoy und Kosak“ auf den Ebenen des Oxus nicht begegnet sind, die Oktoberrevolution 1917 hat zweifellos die revolutionär-demokratischen Kräfte Indiens gestärkt. Die Befreiung Indiens von britischer Kolonialherrschaft unter Führung der nationalen Bourgeoisie wäre ohne die Existenz einer starken Sowjetunion wohl kaum möglich gewesen.

Die aufständischen Armeen, auch wenn sie Niederlagen erlitten, übernahmen nach und nach die europäische Kriegswissenschaft. Das war in China, in Indien, in den arabischen Ländern und in der Türkei der Fall. Nach Amerika brachten die Europäer ihre Armeen mit, aus denen sich später die amerikanischen Streitkräfte formierten, im Norden Engländer, Franzosen und nicht zuletzt, deutsche Kommunisten, die nach der Niederschlagung der Revolution 1848/49 nach Amerika auswanderten und beachtliche militärische Erfahrung mitbrachten, in Lateinamerika die Spanier und Portugiesen, wobei auch hier das Potential von Revolutionären aus Europa eine nicht unbeträchtliche Rolle spielte.

Aber auch im Militärwesen brachten die Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas eigenes mit ein. Eine bloße Übertragung des europäischen Militärwesens auf die unterschiedlichen konkreten gesellschaftlichen Bedingungen dieser Länder, speziell Asiens und Afrikas war gar nicht möglich. Engels verdeutlichte die Möglichkeiten und Schwierigkeiten in der Einführung europäischer Militärtechnik, Strategie und Taktik bei asiatischen Völkern. Sie war grundsätzlich möglich, wie empirisch bewiesen in der Türkei und in Indien, als langwieriger Prozeß, der aber auch auf bedeutende Hindernisse stieß, die vorwiegend subjektiver Natur waren, wie die Überwindung alter, nationaler Vorurteile, Reminiszenzen in Militärdingen, orientalische Ignoranz, Ungeduld und Voreingenommenheit. Es gab aber auch keine bloße „Nachahmung europäischer Evolutionen“, wobei Engels die chinesischen Aufständischen im Auge hatte, die gegen die englischen Truppen, die zur Niederwerfung der Taiping-Revolution eingesetzt waren, einen Volkskrieg entfachten. Die chinesischen Aufständischen entwickelten im Opiumkrieg ihre eigenen Formen des Volkskrieges gegen die ihnen waffentechnisch weit überlegene englische Armee. Die Sepoys erwiesen sich als fähig, Elemente einer wissenschaftlichen Kriegführung von den Engländern zu übernehmen. Der Weg zur Schaffung eigener nationaler Streitkräfte sollte jedoch noch lange dauern wobei die Adaption europäischer Kriegswissenschaft in asymmetrischer Form verlief. Im Laufe des 20. Jahrhunderts schufen sich die meisten vom Kolonialismus befreiten Staaten Asiens und Afrikas moderne Streitkräfte. Die Sowjetunion und auch andere Staaten des Warschauer Vertrages haben mit moderner Technik, mit Instrukteuren und Ausbildung militärischer Kader diesen Prozeß nachhaltig unterstützt.

Die Mauren in Nordafrika

In dem 15jährigen Freiheitskampf der Beduinen in Algerien (1832 – 1847) gelang es dem legendären Abd el Kadar, die einzelnen Araber und Kabylenstämme zu einigen und den französichen Kolonialtruppen, darunter der in dieser Zeit gegründeten berüchtigten „Legion etrangere“ (Fremdenlegion), empfindliche Niederlagen beizubringen, die von den militärischen Fähigkeiten der arabischen Reitervölker zeugten. (MEW 14/95 -106) „Von der ersten Besetzung Algeriens durch die Franzosen bis zum heutigen Tage (17. September 1857) ist das unglückliche Land der Schauplatz endlosen Blutvergießens, des Raubes und der Gewalttaten gewesen. Jede Stadt, ob groß oder klein, ist Haus für Haus unter unermeßlichen Opfern erobert worden.“ Den „Araber- und Kabylenstämme(n)“ sind die Unabhänigkeit „kostbar und der Haß auf die Fremdherrschaft teurer als das eigene Leben…“ Der „Kolonisierungsversuch“ der Franzosen sei „gegenwärtig als ein völliger Mißerfolg zu betrachten.“ (MEW 14/102) Die französischen Behörden waren 1834 gezwungen, den Westen Algeriens als unabhängigen arabischen Staat anzuerkennen, den sie erst zehn Jahre später zerschlagen konnten. Den Widerstand der Araber konnten sie jedoch nicht brechen.

Den Spaniern in Marokko erging es nicht besser. Die Mauren erwiesen sich „keineswegs“ als „so verächtliche Gegner“, wie von den Spaniern erwartet. In „Buschwerk und Schluchten“ waren sie „sehr zu fürchten.“ Wenn die spanische Infanterie den maurischen Irregulären auch in den Ebenen überlegen war, das zerklüftete Gelände in den Bergen war für die maurischen Schützen günstiger. Die Mauren erwiesen sich als kluge Taktiker. Dort, wo ihnen die Spanier überlegen waren; traten sie ihnen „ungewöhnlich oft“ im Nahkampf, Mann gegen Mann, entgegen. „Wenn die Spanier dicht genug heran sind, stellen die Mauren das Schießen ein und stürzen sich mit dem Schwert in der Hand auf sie, genau so, wie es die Türken zu tun pflegten, und das ist sicherlich für so unerfahrene Truppen wie die spanischen nicht sehr angenehm.“ (MEW 13/551)

Die Beduinen und Kabylen hatten in ihren Kämpfen in Algerien, die Mauren gegen die spanischen Kolonisatoren die Guerillataktik zu einer hohen Kunst und Wirksamkeit entwickelt. Davon konnten sich die französischen Imperialisten und spanischen Faschisten im 20. Jahrhundert noch überzeugen. Die Algerier erzwangen im März 1962, die Marokkoaner 1956/57 ihre nationalstaatliche Unabhängigkeit. Welche Erfahrungen die US-Truppen und ihre Satelliten im Irak im 21. Jahrhundert mit den militärischen Fähigkeiten der Araber machen werden, bleibt noch abzuwarten.

Der amerikanische Sezessionskrieg 1861 – 1865

Die Schriften von Marx und Engels über den amerikanischen Sezessionskrieg nehmen eine Schlüsselstellung in ihrer Publizistik über den Zusammenhang kolonialer Befreiungskriege mit dem Emanzipationskampf der Arbeiterklasse ein. Wie schon im Kapitel über Indien erwähnt, fand auch bezüglich der Publizistik über den Sezessionskrieg eine enge Zusammenarbeit zwischen Marx und Engels statt. Die Darstellungen über die Kampfhandlungen auf den Schlachtfeldern stammen fast ausschließlich aus der Feder von Engels. Während der Zeit des Krieges befand sich Marx in der „Endphase“ der Ausarbeitung des ersten Bandes des „Kapitals“. Neben den intensiven Studien der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur, Statistiken, Parlamentsberichten untersuchte er 1863 speziell noch die Geschichte der Technik und Technologie der Produktion, der industriellen Revolution und deren Auswirkungen auf das Industrieproletariat. Für die Militärwissenschaft im Allgemeinen und die Kriegshandlungen im Besonderen blieb da keine Zeit. Engels stellte Marx die Ergebnisse seiner militärwissenschaftlichen Untersuchungen des Bürgerkrieges für dessen Publikationen uneigennützig zur Verfügung, wie aus dem Briefwechsel der beiden Freunde eindeutig nachweisbar ist. (…)

Die Südstaaten der Vereinigten Staaten von Amerika bildeten eine Art innerer Kolonie. Die auf Sklavenarbeit beruhende Produktionsweise im Süden kollidierte mit der kapitalistischen Produktionsweise des Nordens. Der frühere Vorsitzende der KPUSA, William Z. Foster, schrieb über die Sklavenwirtschaft in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts: „Aber als 1793 die Baumwollentkörnungsmaschine von Eli Whitney, einem Schullehrer aus dem Norden, der den Süden bereiste, erfunden und dazu noch 1795 der Anbau von Rohrzucker in Louisiana eingeführt wurde, änderten sich die Aussichten für die Sklaverei schnell und radikal. Mit dem neuen Verfahren konnte Baumwolle ohne weiteres profitbringend von Sklaven produziert werden. Infolgedessen verbreitete sich die Anwendung der Sklavenarbeit mit unglaublicher Schnelligkeit, und diese Verbreitung der Sklaverei wurde schnell zu einem gefährlichen politischen Problem für das ganze Land. Die Baumwollentkörnungsmaschine wirkte insofern revolutionierend, als sie eine gewaltige Ersparnis an Sklavenarbeit herbeiführte. Außerdem regte sie in England und den Vereinigten Staaten die Entwicklung der baumwollverarbeitenden Maschinen an. Bisher hatte ein Sklave nahezu einen ganzen Tag gebraucht, um aus einem einzigen Pfund Rohfaser den Baumwollsamen zu verlesen. Diese mühselige und kostspielige Arbeit bildete den Engpaß der Baumwollproduktion und behinderte ihre Entwicklung außerordentlich. Die Baumwollentkörnungsmaschine jedoch ermöglichte es einem Sklaven, anfangs etwa 150 Pfund täglich und später, als Dampfkraft zur Anwendung gelangte, 1000 Pfund täglich zu entkörnen. Diese Verbesserung wirkte elektrisierend. Die Baumwollproduktion verbreitete sich rapide über den ganzen Süden. Baumwolle wurde Trumpf. Kirkland berichtet: „Im Jahre 1792, ein Jahr vor der Erfindung der Baumwollentkörnungsmaschine, betrug die jährliche Produktion des Landes etwas mehr als 6000 Ballen (auf den Ballen kommen fünfhundert Pfund); 1794, in dem Jahr nach der Erfindung, war die Produktion um 10.000 Ballen gestiegen. Von da an ging das Wachstum rapide weiter, bis die Produktion 1859 ihren höchsten Vorkriegsstand (gemeint ist der Bürgerkrieg) von 4.309.642 Ballen erreichte.“

Die Zahl der Sklaven schnellte mit der rasenden Verbreitung der Baumwollproduktion und der etwas geringeren der Zuckerproduktion steil in die Höhe. Im Jahre 1772 gab es 462.000 Negersklaven; von da an stieg ihre Zahl rasch an: Sie betrug 697.624 im Jahre 1790, 1.191. 362 im Jahre 1810, 2.204.313 im Jahre 1840 und etwa vier Millionen im Jahre 1860. In dem Maße, wie sich die Sklavenwirtschaft ausdehnte, zogen auch die Preise für Sklaven an. Je nach den Schwankungen der Depressions- und Konjunkturperioden stieg der Preis eines ungelernten Negersklaven für Plantagenarbeit von rund 400 Dollar 1795 auf rund 2000 Dollar 1860. Auch die Profite der großen Sklavenhalter hielten mit der anwachsenden Produktion und dem Ansteigen der Zahl der Sklaven Schritt. Kirkland schätzt, daß es einen Plantagenbesitzer rund 20 Dollar jährlich kostete, einen Sklaven zu unterhalten, und daß der jährliche Durchschnittsprofit je Sklave, wie typische Beispiele bezeugen, rund 83 Dollar betrug. Ein Sklave kostete in Afrika rund 20 Dollar und wurde für 300 Dollar in Kuba verkauft. ( Edward C. Kirkland, „A History of American Economic Life“, S. 176. / S. 188. William Z. Foster: Abriß der politischen Geschichte beider Amerika. Berlin 1957. S. 419 f.)

Der mit Sklaven betriebene Anbau von Baumwolle führte zu rascher Erschöpfung des Bodens und zum Bestreben der Sklavenhalter, sich die westlichen Gebiete Nordamerikas, die sogenannten „freien Territorien“ (Gebiete, die noch nicht den Status eines Unionsstaates hatten), anzueignen und die Sklavenwirtschaft weiter auszudehnen. Marx schrieb in seinem ersten Artikel für die Wiener Zeitung „Die Presse“ vom 25. Oktober 1861 über den nordamerikanischen Bürgerkrieg, daß die „fortwährende Ausdehnung des Territoriums und fortwährende Verbreitung der Sklaverei über ihre alten Grenzen hinaus … ein Lebensgesetz für die Sklavenstaaten der Union“ sei. „Die durch Sklaven betriebene Kultur der südlichen Ausfuhrartikel, Baumwolle, Tabak, Zucker usw. ist nur ergiebig, solange sie mit großen Gängen von Sklaven, auf massenhafter Stufenleiter und auf weiten Flächen eines natürlich fruchtbaren Bodens, der nur einfache Arbeit erheischt, ausgeführt wird.“ (MEW 15/335f)

Diese Bestrebungen stießen auf den Widerstand der Industrie-Bourgeoisie, der kapitalistisch wirtschaftenden Farmer und der Masse der Lohnarbeiter der Nordstaaten. Die Beherrschung der ausgedehnten Territorien des Westens war gleichbedeutend mit der ökonomischen und politischen Herrschaft über die gesamten Vereinigten Staaten. Die auf Sklaverei beruhende Wirtschaft behinderte ernsthaft die Entwicklung des Kapitalismus der freien Konkurrenz und der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie als der höchstmöglichen Form des Fortschritts in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Entscheidungsfrage, Wer – Wen? Sklaverei oder freie Lohnarbeit, war herangereift. „Die ganze Bewegung beruhte und beruht“, schrieb Marx, „auf der Sklavenfrage. Nicht in dem Sinne, ob die Sklaven innerhalb der bestehenden Sklavenstaaten direkt emanzipiert werden sollten oder nicht, sondern ob die 20 Millionen Freien des Nordens sich länger einer Oligarchie von 300.000 Sklavenhaltern unterordnen sollten; ob die ungeheuren Territorien der Republik Pflanzstätten freier Staaten oder der Sklaverei werden sollten; endlich, ob die nationale Politik der Union bewaffnete Propaganda der Sklaverei über Mexiko, Zentral- und Südamerika zu ihrem Wahlspruch machen sollte.“ (Ebd. S. 338)

In seinem Artikel „Der Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten“ für „Die Presse“ vom 7. November 1861 charakterisierte Marx den Krieg von Seiten der südlichen Konföderation als einen „Eroberungskrieg zur Ausbreitung und Verewigung der Sklaverei.“ (MEW 15/344) Bei einem Sieg der Konföderation würde das Sklavensystem „die ganze Union verpesten. In den nördlichen Staaten, wo Negersklaverei praktisch unausführbar, würde die weiße Arbeiterklasse nach und nach auf das Niveau des Helotentums niedergedrückt werden. Es entspräche dies völlig dem laut verkündeten Grundsatz, daß nur gewisse Rassen der Freiheit fähig sind, und wie die eigentliche Arbeit im Süden das Los des Negers, so im Norden das des Deutschen und Irländers, oder ihrer unmittelbaren Nachkommen. Der gegenwärtige Kampf zwischen Süd und Nord ist also nichts als ein Kampf zweier sozialer Systeme, des Systems der Sklaverei und des Systems der freien Arbeit. Weil beide Systeme nicht länger friedlich auf dem nordamerikanischen Kontinent nebeneinander hausen können, ist der Kampf ausgebrochen. Er kann nur beendet werden durch den Sieg des einen oder andern Systems.“ (MEW 15/345f)

Der wesentliche Unterschied des amerikanischen Bürgerkriegs gegenüber den Befreiungskriegen der kolonial unterdrückten Völker Asiens und Afrikas bestand darin, daß sich im Norden der USA bereits kapitalistische Produktionsverhältnisse herausgebildet hatten, daß eine moderne Arbeiterklasse mit einem Kern von Industriearbeitern bestand, es Klubs von Kommunisten und Arbeitervereinen gab, sich die Arbeiterbewegung entfaltete. Im Zusammenstoß zweier nicht zu vereinbarender Gesellschaftsordnungen wurden die Zusammenhänge zwischen antikolonialen Befreiungskriegen und dem proletarischen Emanzipationskampf besonders deutlich. Diesen Zusammenhang hatte Marx schon frühzeitig erkannt, ohne jedoch ein Junktim zwischen beiden herzustellen. In seiner Polenrede am 29. November 1847 anläßlich des 17. Jahrestages des polnischen Aufstandes von 1830 erklärte er: „Damit die Völker sich wirklich vereinigen können, muß ihr Interesse ein gemeinschaftliches sein. Damit ihr Interesse gemeinschaftlich sein könne, müssen die jetzigen Eigentumsverhältnisse abgeschafft sein, denn die jetzigen Eigentumsverhältnisse bedingen die Exploitation der Völker unter sich: die jetzigen Eigentumsverhältnisse abzuschaffen, das ist nur das Interesse der arbeitenden Klasse. Sie allein hat auch die Mittel dazu. Der Sieg des Proletariats über die Bourgeoisie ist zugleich der Sieg über die nationalen und industriellen Konflikte, die heutzutage die verschiedenen Völker feindlich einander gegenüberstellen. Der Sieg des Proletariats über die Bourgeoisie ist darum zugleich das Befreiungssignal aller unterdrückten Nationen.“ (MEW 4/416)

Die Eigenart der amerikanischen Verhältnisse bestand darin, daß sich die Schwarzafrikaner als unterdrückte „Nation“ innerhalb der Vereinigten Staaten befanden. So unterschiedlich sie sind, zwischen dem amerikanischen Sezessionskrieg, der Gründung der Internationalen Arbeiterassoziation (1864) und dem Erscheinen des ersten Bandes des „Kapitals“ (1867) besteht ein unübersehbarer Zusammenhang. In seinem Hauptwerk, „Das Kapital“, konnte Marx die für die Arbeiterklasse wichtigen Ergebnisse des Sezessionskrieges theoretisch verallgemeinern. „In den Vereinigten Staaten blieb jede selbständige Arbeiterbewegung gelähmt, solange die Sklaverei einen Teil der Republik verunstaltete. Die Arbeit in weißer Haut kann sich nicht dort emanzipieren, wo sie in schwarzer Haut gebrandmarkt wird. Aber aus dem Tod der Sklaverei entsproß sofort ein neu verjüngtes Leben. Die erste Frucht des Bürgerkrieges war die Achtstundenagitation, mit den Siebenmeilenstiefeln der Lokomotive vom Atlantischen bis zum Stillen Ozean ausschreitend, von Neuengland bis nach Kalifornien.“ (MEW 23/318)

Wie der „amerikanische Unabhängigkeitskrieg (1775 – 1783, UH) eine neue Epoche der Machtentfaltung für die Mittelklasse einweihte“, so wird „der amerikanische Krieg gegen die Sklaverei eine neue Epoche der Machtentfaltung für die Arbeiterklasse“ einleiten. „Und tatsächlich hat die siegreiche Beendigung des Krieges gegen die Sklaverei eine neue Epoche in den Annalen der Arbeiterklasse eröffnet.“ (MEW 16/356)

Mit dem amerikanischen Bürgerkrieg und der Gründung der Internationalen Arbeiter-Assoziation entwickelte sich ein objektiver wechselseitiger Zusammenhang zwischen nationalen Befreiungsbewegungen kolonial unterdrückter Völker und dem Emanzipationskampf der Arbeiterklasse, eine Interdepenz zwischen revolutionärer Arbeiterbewegung und nationalen Befreiungsbewegungen. Die Stellung zu den nationalen Befreiungsbewegungen fand seit dieser Zeit Eingang in die Programmatik der internationalen Arbeiterbewegung, wurde zu einem Kriterium für revolutionäre Politik der Arbeiterparteien. In der von Marx verfaßten Inauguraladresse der Internationalen Arbeiter-Assoziation wies er die Arbeiterklasse darauf hin, eine konsequente internationalistische Haltung gegenüber dem Befreiungskampf der unterdrückten Völker (nicht nur der Negersklaven in Amerika) einzunehmen. „Wenn die Emanzipation der Arbeiterklassen das Zusammenwirken verschiedener Nationen erheischt, wie jenes große Ziel erreichen mit einer auswärtigen Politik, die frevelhafte Zwecke verfolgt, mit Nationalvorurteilen ihr Spiel treibt und in piratischen Kriegen des Volkes Blut und Gut vergeudet? Nicht die Weisheit der herrschenden Klassen, sondern der heroische Widerstand der englischen Arbeiterklasse gegen die verbrecherische Torheit bewahrte den Westen Europas vor einer transatlantischen Kreuzfahrt für die Verewigung und Propaganda der Sklaverei. Der schamlos Beifall, die Scheinsympathie oder idiotische Gleichgültigkeit, womit die höheren Klassen dem Meuchelmord des heroischen Polen und der Erbeutung der Bergveste des Kaukasus durch Rußland zusahen; die ungeheuren und ohne Widerstand erlaubten Übergriffe einer barbarischen Macht, deren Kopf zu St.Petersburg und deren Hand in jedem Kabinett von Europa, haben den Arbeiterklassen die Pflicht gelehrt, in die Geheimnisse der internationalen Politik einzudringen, die diplomatischen Akte ihrer respektiven Regierungen zu überwachen, ihnen wenn nötig entgegenzuwirken; wenn unfähig zuvorzukommen, sich zu vereinen in gleichzeitigen Denunziationen und die einfachen Gesetze der Moral und des Rechts, welche die Beziehungen von Privatpersonen regeln sollten, als die obersten Gesetze des Verkehrs von Nationen geltend zu machen. Der Kampf für solch eine auswärtige Politik ist eingeschlossen im allgemeinen Kampf für die Emanzipation der Arbeiterklasse.“ (MEW 16/13)

Der amerikanische Sezessionskrieg bildet zugleich auch eine Zäsur in der Militärgeschichte. Erstmalig standen sich Massenarmeen auf einem ausgedehnten Territorium (USA gegenwärtig: 9.809.378 km2) gegenüber. Wenn auch die Kampfhandlungen nicht das gesamte Territorium der Vereinigten Staaten erfassten, sie stellten bisher unbekannte, hohe Anforderungen an die Militärkommandos, an Strategie und Taktik, Logistik und Versorgung der Armeen und Zivilbevölkerung in den Kampfgebieten. Nach amerikanischen Quellen läßt sich die Stärke der sich gegenüberstehenden Armeen nur noch annähernd schätzen. Genaue Zahlenangaben gab es nicht und würden auch niemals bekannt werden. Nach Schätzungen der amerikanischen Historiographie hätten die Nordstaaten während des Krieges zwei Millionen Soldaten einberufen. Am Ende des Krieges standen 500.000 Mann der Unionsarmee im Felde. Die Konföderierten hätten weniger als eine Million Mann im Feld gehabt. (A Pocket History of the United Staates. Ninth Revised Edition of the Acclaimed Classic Allan Nevins and Henry Steele Commager with Jeffrey Morris. New York 1992. S.219) Marx und Engels konnten also nur geschätzte Zahlen über Armeestärken in ihren Publikationen verwenden. „Von welchem Standpunkt man ihn betrachtet“, schrieben Marx und Engels, „bietet der Amerikanische Bürgerkrieg ein Schauspiel ohne Parallele in den Annalen der Kriegsgeschichte. Die ungeheure Ausdehnung des streitigen Territoriums; die weitgestreckten Fronten der Operationslinien; die numerische Masse der feindlichen Armeen, deren Schöpfung sich kaum an eine frühere Organisationsbasis anlehnte; die fabelhaften Kosten dieser Armeen, die Art ihrer Leitung und die allgemeinen taktischen und strategischen Prinzipien, nach denen der Krieg geführt wird, sind alle neu in den Augen des europäischen Zuschauers.“ („Die Presse“, 26. März 1862. MEW 15/486)

Die Unionsarmee stellte in ihrer sozialen und politischen Zusammensetzung eine neue Qualität dar. Zehntausende europäischer Proletarier gingen nach Übersee und kämpften in der Unionsarmee. Sie brachten eine „beträchtliche Masse militärischer Erfahrung“ aus der europäischen Revolution 1848/49 mit, die sich in der Organisation der Unionsarmee auswirkte. Bezüglich dieser Organisation bemerkten Marx und Engels: „Ohne die beträchtliche Masse militärischer Erfahrung, die infolge der europäischen Revolutionsunruhen von 1848/49 in Amerika einwanderte, würde die Organisation der Unionsarmee noch viel längere Frist erheischt haben.“ (Ebd. S. 488)

Deutsche Kommunisten und bürgerliche Demokraten, die nach der Niederlage der Revolution 1849 in die USA ausgewandert waren, stellten einen bedeutenden Teil an Soldaten und Offizieren der Unionsarmee. August Willich, ehemaliger Leutnant der preußischen Armee, der Kommandeur des Willichen Freikorps im badisch-pfälzischen Krieg, an dessen Seite Friedrich Engels als Adjutant stand, war General der Unionsarmee, desgleichen der bürgerliche Demokrat Karl Schurz. Der Kommunist Joseph Weydemeyer, Freund und Briefpartner von Marx und Engels, war Oberst in der Unionsarmee. Friedrich Anneke, Alexander Schimmelpfennig, Robert Rosa, Fritz Jacobi dienten in der Unionsarmee als Offiziere. Die Unionsarmee war in der Weltgeschichte die erste große „Arbeiter- und Bauernarmee.“ Von 1.000 Soldaten der Unionsarmee gehörten 421 der Arbeiterklasse an, 487 waren Bauern. (Philip S. Foner: History of the Labor Movement in the United States. New York.1917. S. 307) Aus Kommunistenklubs und Arbeitervereinen gingen mehr als die Hälfte ihrer Mitglieder in die Unionsarmee. Die w.o. genannten Offiziere der Unionsarmee waren Mitglieder des Communist Club von New York. (William S. Foster: Geschichte der Kommunistischen Partei der Vereinigten Staaten. Berlin 1956. S. 53.) Von der weißen Bevölkerung Texas’ waren ein Fünftel „48er“ europaischer Herkunft, die in der Unionsarmee kämpften (Ebd. S. 41.)

Unter internationalistischem Aspekt ist es bemerkenswert, daß die Revolutionäre der europäischen Revolution von 1848/49, die den Heeren der feudal-fürstlichen Reaktion unterlagen, den Sklavenhaltern in Übersee eine vernichtende Niederlage bereiteten. Wüteten die königlich-preußischen Standgerichte vor Rastatt gegen die gefangenen Revolutionäre mit Erschießungen und Verurteilungen zu einem langsamen, qualvollen Tod in den feuchten Kasematten der Festung Rastatt, so erlitten die amerikanischen Sklavenhalter nicht zuletzt von den 48er Revolutionären in der Entscheidungsschlacht von Gettysburg (1.-3. Juli 1863) eine vernichtende Niederlage. Gettysburg war die „Wende“ des Bürgerkrieges, in der sich nach anfänglichen Siegen der Konföderierten die Gunst des „Kriegsgottes“ endgültig den Unionsarmeen zuwandte. Gettysburg für Rastatt! Erstmalig wurden im Amerikanischen Bürgerkrieg bisher unbekannte technische Kampfmittel eingesetzt, darunter gepanzerte, dampfgetriebene Kriegsschiffe, Flußflottillen, die ersten Torpedos, Waffen, die die Kriegführung revolutionieren sollten.

Am 4. September 1862 eröffneten die Konföderierten eine Offensive in Maryland, die mit einer Niederlage endete. Am 22. September erließ Lincoln eine Proklamation, wonach die Negerskla-ven in denjenigen Staaten, die sich noch im Aufstand gegen die Union befanden, ab 1. Januar 1863 die Freiheit erhielten. Diese Proklamation ist als die „Emanzipationsakte“ in die Geschichte eingegangen. Die Neger erhielten das Recht, in der Armee und Flotte zu kämpfen. Das war eine sehr wirksame, revolutionäre Maßnahme, die nicht wenig zum Sieg der Union über die Konföderierten beigetragen hat. Etwa 200.000 Neger dienten in der Armee und Flotte. Schätzungsweise sind über 36.000 Negersoldaten im Krieg gefallen. 250.000 Neger haben verschiedene Funktionen in Armee und Flotte ausgeübt. Die Sterblichkeit der in Armee und Flotte dienenden Neger lag mehr als 35 % über derjenigen der anderen Truppenteilen, obwohl sie erst ab Januar 1863 rekrutiert werden konnten. Der Anteil von Farbigen unter den Matrosen der Flotte betrug etwa 25 %. Die Tapferkeit und Einsatzbereitschaft der farbigen Soldaten setzte die weißen Soldaten und Offiziere in Erstaunen. (…)

Mit der eingeleiteten Aufhebung der Sklaverei nahm der Krieg offen revolutionären Charakter an. Marx betrachtete die Niederlage der Konföderierten in Maryland als „entscheidend“ für den Ausgang des Krieges zugunsten des Nordens. (Die Wende des Krieges erfolgte nach der Schlacht bei Gettysburg, 1.-3. Juli 1863. Siehe w.o.) Trotz aller Halbheiten und dem „Widerliche(n) an der Form der Bewegung der Yankees“, die „aus der Natur einer ‘bürgerlichen’ Demokratie erklärlich“ seien, bezeichnete Marx „die dortigen Ereignisse“ als „weltumwälzend.“ (MEW 30/292) (…)

In dem von Marx und Engels in „Die Presse“, 26. und 27. März 1862 veröffentlichten Artikel „Der Amerikanische Bürgerkrieg“ untersuchten sie die Kriegsaussichten der verfeindeten Staaten und äußerten Gedanken über eine wirksame Strategie für die Unionsarmee, wie diese die Streitkräfte der Konföderierten zerschlagen könnte. In diesen Vorstellungen vom März 1862 nahmen sie die später getroffenen strategischen Entscheidungen der Generale der Unionsarmeen ideell vorweg. Es ist unwahrscheinlich, daß die Generale diesen Artikel von Marx und Engels gekannt haben. Der Kern der Marx/Engels’schen Strategie bestand in der Aufteilung des Territoriums der Südstaaten durch einen energischen Vorstoß der Unionstruppen von Nord nach Süd um die Konföderierten nacheinander zu schlagen. Die Umsetzung dieser Planvorstellungen sah so aus: Im Frühjahr 1863 gelang General Farragut die Einnahme von New Orleans. Am 4. Juli 1863 nahm General Grant Vicksburg. Damit befand sich der Mississippi in der Hand der Unionstruppen und trennte das Territorium der Konföderation in einen West- und Ostteil. Für die Konföderierten war es so gut wie unmöglich Nachschub aus den reicheren Gebieten Texas und Arkansas über den Mississippi zu bringen.(Pocket History; a.a.O. S. 222) Die Hauptkräfte der Konföderierten standen im Ostteil, zwischen dem Gebirge der Appalachian und der Küste des Atlantischen Ozeans. General Sherman gelang es in seinem legendären „Streifzug zum Meer“ im Mai 1864 das Territorium der Konföderierten in der Nord-Süd Richtung zu spalten. Er schuf damit die Voraussetzungen für die Zerschlagung der Armee der Konföderierten durch die Truppen von General Grant. Am 9. April 1865 kapitulierte General Lee, der Oberbefehlshaber der Armee der Konföderierten bei Appomatox, womit der Krieg sein Ende gefunden hatte. (Pocket History, a.a.O. S. 224 f)

Vergleicht man den „Streifzug“ von Sherman und die Operationen von Grant mit den strategischen Vorstellungen von Marx und Engels – wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir diese Vorstellungen Engels zuschreiben – so zeigt sich eine verblüffende Übereinstimmung zwischen den Vorstellungen mit dem späteren Verlauf. Vorstellungen von Marx und Engels: „Man werfe einen Blick auf die geographische Gestalt Sezessias mit seinem langen Küstenstrich am Atlantischen Ozean und seinem langen Küstenstrich am Meerbusen von Mexiko. Solange die Konföderierten Kentucky und Tennessee hielten, bildete das Ganze eine große, kompakte Masse. Der Verlust dieser beiden Staaten treibt einen ungeheuren Keil in ihr Territorium, der die Staaten am nördlichen Atlantischen Ozean von den Staaten am Meerbusen von Mexiko trennt. Die direkte Straße von Virginia und den beiden Carolinas nach Texas, Louisiana, Mississippi und teilweise selbst nach Alabama führt über Tennessee, das jetzt von den Unionisten eingenommen ist. Die einzige Straße, die nach völliger Eroberung Tennessees durch die Union, die beiden Sektionen der Sklavenstaaten verbindet, geht über Georgia. Dies beweist, daß Georgia der Schlüssel zu Sezessia ist. Mit dem Verlust Georgias wäre die Konföderation in zwei Sektionen zerschnitten, die alle Verbindung untereinander verlören hätten. An eine Wiedereroberung Georgias durch die Sezessionisten wäre aber kaum zu denken, denn die unionistischen Streitkräfte wären in einer zentralen Position konzentriert, während ihre Gegner, in zwei Lager getrennt, kaum hinreichende Kräfte zu einem gemeinsamen Angriff aufzubieten hätten. Wäre die Eroberung von ganz Georgia mit der Seeküste von Florida zu einer solchen Operation erheischt? Keineswegs. In einem Land, wo die Kommunikation, namentlich zwischen entfernten Punkten, viel mehr von den Eisenbahnen als von den Landstraßen abhängt, genügt die Wegnahme der Eisenbahnen. Die südlichste Eisenbahnlinie zwischen den Staaten am Meerbusen von Mexiko und der atlantischen Küste geht über Macon und Gordon bei Milledgeville. Die Besetzung dieser beiden Punkte würde daher Sezessia entzweischneiden und die Unionisten befähigen, einen Teil nach dem andern zu schlagen. Man ersieht aus dem Obigen zugleich, dass keine Südrepublik ohne den Besitz von Tennessee lebensfähig ist.“ (MEW 15/494) (…)

In der bisherigen Kriegführung hatten die Nordstaaten die Sklaverei im Süden unangetastet gelassen. Darin lagen die Gründe für die militärische Krise der Unionsarmeen; sie war politischer Natur. Aus Rücksicht auf die sogenannten „loyalen“ Sklavenhalter der Grenzstaaten, die sich der Sezession nicht angeschlossen hatten, hatte Lincoln lange Zeit auf die Emanzipation der Sklaven verzichtet. Neuengland und der Nordosten, die die Hauptkräfte der Unionsarmeen stellten, setzten Lincoln unter Druck, die Sklaverei aufzuheben. Lincoln gab diesem „pressure from without“ (Druck von außen) nach, wenn auch nur zögernd.

Eine der bedeutendsten Maßnahmen war die „Homestead-Bill“ vom 20. Mai 1862. Jeder Bürger der USA konnte für 10 $ aus dem Staatsfonds 160 acres (65 ha) Land erhalten. Wenn der Farmer innerhalb von fünf Jahren mit der Bearbeitung des Bodens begann, ging das Land gegen eine Bezahlung von 1,25 $ pro acre in sein Eigentum über. Diese revolutionäre Maßnahme trug zum Sieg der Armeen der Nordstaaten erheblich bei.

Die w.o. bereits genannte Proklamation über die Aufhebung der Negersklaverei vom 22. September 1862 war die andere entscheidende, revolutionäre Maßnahme, wenn diese auch durch die einzelnen Paragraphen ungleichmäßig, schrittweise erfolgte. Mit dem Eintritt von 200.000 Negern in die Unionsarmeen erhielten diese Armeen endgültig revolutionären Charakter. Im Juni 1862 nahm die Lincoln-Regierung diplomatische Beziehungen zu den Negerrepubliken Liberia und Haiti auf. Mit Großbritannien schlossen die USA einen Vertrag über die Abschaffung des Negerhandels ab. Marx war sich sicher, daß mit diesen Maßnahmen „die Negerslaverei den Bürgerkrieg nicht lange überleben“ würde, unabhängig davon, „wie immer die Würfel des Kriegsglücks fallen mögen.“ (MEW 15/526).

Marx bezeichnete in seinem Artikel „Zu den Ereignissen in Nordamerika“ für die „Die Presse“ vom 12. Oktober 1862 (MEW 15/551 – 554) die Emanzipations-Proklamation „als das bedeutendste Aktenstück der amerikanischen Geschichte seit Begründung der Union…“ (15/553) Über die Persöhnlichkeit Lincolns hatte Marx keine Illusionen. In einem Artikel für „Die Presse“ vom 30. August zitierte er ausführlich aus einer Rede Wendell Philips, einem der Führer des radikalen Flügels der Abolitionisten, der Lincoln als „eine Mittelmäßigkeit erster Klasse“ bezeichnete. (15/532) (Wendell Philips wurde 1871 Mitglied der Internationalen Arbeiterassoziation.) „Und dennoch“, schrieb Marx, „wird Lincoln in der Geschichte der Vereinigten Staaten und der Menschheit unmittelbar Platz nehmen nach Washington… Lincoln ist nicht die Ausgeburt einer Volksrevolution….“ Das „gewöhnliche Spiel des allgemeinen Stimmrechts“ habe ihn an die Spitze geworfen, „einen Plebejer, der sich vom Steinklopfer bis zum Senator in Illinois hinaufgearbeitet, ohne intellektuellen Glanz, ohne besondere Größe des Charakters, ohne ausnahmsweise Bedeutung – eine Durchschnittsnatur von gutem Willen…“ (15/553)

Marx wies auch auf die Grenzen der Emanzipation der Negersklaven hin. Mit der Aufhebung der Sklaverei verschwand auch in den Nordstaaten nicht der Negerhaß. In seinem Artikel für „Die Presse“ vom 23. November 1862 schrieb er über „Die Wahlresultate in den Nordstaaten.“ (15/565 f) Der Ire sah „im Neger einen gefährlichen Konkurrenten“. In der Stadt New York wäre der „irische Pöbel“ in letzter Zeit „aktiv im Sklavenhandel beteiligt“ gewesen. Die „tüchtigen Bauern in Indiana und Ohio hassen den Neger in zweiter Linie nach dem Sklavenhalter“. Die Presse der „Demokratischen Partei“ drohte den Farmern „täglich mit einer Überschwemmung ihrer Territorien durch den ‘nigger’“ (15/566) Das kapitalistische System hatte der Emanzipation der Negersklaven sehr enge Grenzen gezogen.

Im Kapitalismus unterliegt die Arbeitskraft wie jede andere Ware auch dem Gesetz der Konkurrenz. Diesen objektiv gegebenen Sachverhalt konnten – und können! – reaktionäre Kräfte mit Erfolg für rassistische Agitation ausnutzen. Die Emanzipation der Negersklaven, so fortschrittlich sie war, ohne Zuteilung von Land – die Homestead-Bill galt offenbar nicht für emanzipierte Negersklaven – war die Lage der Neger teilweise noch schlechter als vorher:

Der Sklavenhalter war an der Erhaltung der Sklaven als Arbeitskraft interessiert – wie an der Erhaltung seines Arbeitsviehs – und mußte daher wenigstens ein Mindestmaß an notwendigen Lebensmitteln ihnen zukommen lassen. Ein kranker, schwacher Sklave ließ sich auch nicht mehr verkaufen. Für den Unterhalt der Sklaven galten etwa die üblichen Normen wie für den Unterhalt des Arbeitsviehs. Die Herrschaft der großen Plantagenbesitzer wurde durch die Emanzipationsakte nicht angetastet. Sie wurden nicht enteignet, der Grund und Boden, Arbeitsvieh und Geräte wurden nicht unter den befreiten Negern aufgeteilt. Eine solche Maßnahme wäre immer noch eine Aufgabe der „bürgerlich-demokratischen“ Revolution. So blieb die Ausbeutung der Neger erhalten, nur die Formen der Ausbeutung hatten sich geändert, wurden für einen Teil der Neger leichter, was ja auch schon etwas war. Der Neger als nunmehr „doppelt freier Lohnarbeiter“ unterlag weiterhin den schändlichen Machenschaften der Rassendiskriminierung – bis auf den heutigen Tag.

Trotz dieser notwendigen Einschränkung der historischen Bedeutung der Emanzipationsakte – sie war ein bedeutender historischer Schritt auf dem langen und dornigen Weg der Emanzipation des Menschen, die noch immer ungelöste Aufgabe der revolutionären Arbeiterbewegung bleibt.

Es wäre unvollständig, in der Reflexion des amerikanischen Bürgerkrieges in den Schriften von Marx und Engels die Rolle der englischen Arbeiterklasse in diesem Konflikt auszulassen. Die englische Arbeiterklasse hat, trotz harter Entbehrungen durch das Ausbleiben der Baumwollimporte mit ihren Kampfaktionen „Frieden geboten“, anders ausgedrückt, den besitzenden Klassen des United Kingdom den Krieg gegen die Union verboten. Diese Haltung der englischen Arbeiter dokumentiert den Zusammenhang zwischen revolutionären Befreiungskriegen und proletarischem Emanzipationskampf. Der Klassenkampf der englischen Arbeiter gegen die Bourgeoisie im eigenen Land zur Unterstützung der amerikanischen Union gegen die Sklavenhalter, die Erfahrungen dieses Kampfes sind auch unter den gänzlich veränderten Klassenkampfbedingungen des 21. Jahrhunderts noch immer von Bedeutung.

In mehreren Artikeln für „Die Presse“ und für die „New York Daily Tribune“ Anfang 1862 (MEW 15/436 ff/439 ff, 454 ff, 458 ff) würdigte Marx den Kampf der englischen Arbeiter. Sie brachten ihren Protest gegen die Kriegsabsichten der Regierung in machtvollen Meetings (wir würden heute Kundgebungen sagen) zum Ausdruck. „Die antikriegerische Bewegung im englischen Volke“ gewann nach Marx bereits Ende 1861/Anfang 1862 an „Energie und Umfang“. Marx zitierte ausführlich aus der Rede eines Arbeiters, Herrn Woods, „daß ein Krieg mit Amerika unter den vorliegenden Umständen nicht zu rechtfertigen“ sei, sondern „vielmehr die Verdammung des englischen Volkes verdiene“. (MEW 15/436) Der liberale englische Parlamentarier William Conningham rief die Arbeiter zu außerparlamentarischen Aktionen auf. Die „Times“ und die Partei, die hinter ihr stehe, wollten die „freigeborenen Engländer“ in einen „antirepublikanischen Krieg“ verwickeln. „Ich appelliere an die Arbeiter von England, die das größte Interesse an der Erhaltung des Friedens haben, ihre Stimmen und nötigenfalls ihre Hände zur Verhinderung eines so großen Verbrechens zu erheben.“ (MEW 15/437)

Der Arbeiterklasse war es „zu verdanken“, schrieb Marx, „daß während der ganzen Zeit, da der Frieden auf Messers Schneide stand, trotz der von der feilen und verantwortungslosen Presse täglich verabfolgten Giftspritzen im Vereinigten Königreich nicht ein einziges öffentliches Kriegsmeeting abgehalten werden konnte.“ (MEW 15/439)

Die Haltung der englischen Arbeiter ließe sich nicht ausschließlich auf die „natürliche Sympathie zurückführen…, welche die Volksmassen der ganzen Welt der einzigen Volksregierung der Welt entgegenbringen sollten. „Unter den gegenwärtigen Umständen jedoch, da ein großer Teil der britischen Arbeiterklasse direkt und schwer unter den Folgen der Blockade des Südens leidet, da ein anderer Teil indirekt durch die Beschränkung des amerikanischen Handels getroffen wird, … erfordert die bloße Gerechtigkeit, daß man der festen Haltung der britischen Arbeiterklasse Achtung zollt, um so mehr, wenn man diese Haltung dem heuchlerischen, prahlenden, feigen und dummen Verhalten des offiziellen und wohlsituierten John Bull entgegenhält.“ In aller Öffentlichkeit brandmarkten die englischen Arbeiter „die freiheitsmörderischen Pläne und die Sympathien der Regierung für die Sklaverei…“ (MEW 15/ 440)

In England hatte die Arbeiterklasse keine parlamentarische Vertretung. „Dennoch“ sei „sie nicht ohne politischen Einfluß. Keine bedeutende Neuerung, keine entscheidende Maßregel ist hierzulande je durchgeführt worden ohne pressure from without (Druck von außen),…„ (MEW 15/454) Die Arbeiterklasse kann also, auch wenn sie keine parlamentarische Repräsentanz hat, politischen Einfluß ausüben, vorausgesetzt, daß sie sich ihrer Klasseninteressen bewußt, daß sie eine Klasse „für sich“ ist. Den englischen Arbeitern war bewußt, daß die Unionstruppen auf den Schlachtfeldern Amerikas auch ihre Klasseninteressen verteidigten. „Das Elend, welches die durch die Blockade der Sklavenstaaten motivierte Stillsetzung der Fabriken und Verkürzung der Arbeitszeit in den nördlichen Manufatur-Distrikten unter den Arbeitern erzeugt hat, ist unglaublich und täglich im Wachsen begriffen“. Andere Teile der Arbeiterklasse litten zwar nicht in demselben Maße, aber litten „empfindlich unter der Rückwirkung der Krise der Baumwollindustrie auf die übrigen Industriezweige… Englische Einmischung in Amerika ist daher in diesem Augenblick zur Messer- und Gabelfrage für die arbeitende Klasse geworden… Unter diesen Umständen ist die Hartnäckigkeit bewundernswert“ wie „die Arbeiterklasse …ihre Stimme gegen die Intervention für die Vereinigten Staaten erheben.“(MEW 15/454 f)

Nach Gettysburg hielt es die Regierung ihrer britischen Majestät nicht mehr für ratsam, noch weiter an ihren Interventionsabsichten festzuhalten.

Literaturverzeichnis

  • Marx – Engels Werke, 42bändige Ausgabe des Dietz Verlages Berlin. (MEW genannt) Die Bände 4, 9, 10, 12, 13, 14, 15, 16, 23, 29, 30, 35.
  • Asien, Kleines Nachschlagewerk. Berlin 1985.
  • Clausewitz von, Carl: Vom Kriege. Jubiläumsausgabe Januar 2003. Ullstein Verlag München.
  • Deutsche Geschichte in drei Bänden. Bd. 2. 1789 – 1917. Berlin 1965.
  • Foner, Philip S.: History of the Labor Movement in the United States. New York 1917.
  • Foster, William Z.: Abriß der politischen Geschichte beider Amerika. Berlin 1957.
  • Dergleiche: Geschichte der Kommunistischen Partei der Vereinigten Staaten. Berlin 1956.
  • A Pocket History of the United States. Ninth Revised Edition New York 1992.
  • Huar, Ulrich: Dem königlich preußischen Bombardier Friedrich Engels zum 110. Todestag am 5. August 2005. In: Marxistisch-leninistische Schriftenreihe für Geschichte, Politik, Ökonomie und Philosophie. Heft 3, Ernst Thälmann Verlag, Berlin o.J. und in: offen-siv, Zeitschrift für Sozialismus und Frieden. Hannover, Heft 7/2005.
  • Weltgeschichte. Kleine Enzyklopädie. Bd. 1, Leipzig 1979.

Lenin

Ulrich Huar:
Lenin über die sozialistische Revolution in Russland und die Völker des Ostens

Die Schriften von Lenin sind die logische Fortsetzung der Auffassungen von Marx und Engels zu dieser speziellen Seite des Emanzipationskampfes der Arbeiterklasse. Ohne diesen Bezug auf die Leninschen Schriften blieben die Erkenntnisse von Marx und Engels unvollständig, historisch auf das 19. Jahrhundert begrenzt[1].

In der vorliegenden Studie sind die Schriften Stalins zur nationalen Frage nur soweit tangiert, wie sie zum Verständnis der Problematik der Gründung der UdSSR und deren politisch-theoretischer Reflektion unverzichtbar sind. Dies um so mehr, als Lenin bereits auf Grund seiner Krankheit faktisch aus dem Gründungsprozeß der UdSSR ausgeschieden war. Er war auf dem Gründungskongreß im Dezember 1922 nicht einmal mehr anwesend.

Vor der Oktoberrevolution

Lenin entwickelte seine Auffassungen über die Rolle der kolonisierten Völker unter den neuen Bedingungen des Imperialismus vorwiegend im Zusammenhang mit der Ausarbeitung seiner Imperialismustheorie, der Theorie der nationalen und kolonialen Frage und der Revolutions-theorie. Wie Marx und Engels nahm auch Lenin als Kriterium für die Einschätzung und Beurteilung diesbezüglicher Erscheinungen die revolutionäre Demokratie, aber auch schon die Erfordernisse der proletarischen Revolution, die nach der Oktoberrevolution als dem epoche-bestimmenden Ereignis zum dominierenden Kriterium revolutionärer Politik wurde. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts trat die proletarische Revolution auf die Tagesordnung, was auch die kolonial unterdrückten Völker revolutionieren mußte.

Zunächst an Erkenntnisse von Marx und Engels über die Einbeziehung der Kolonien in den Weltmarkt anknüpfend, wies Lenin in einer seiner frühen Arbeiten ebenfalls nach, daß sich die Notwendigkeit des äußeren Marktes aus der bereits entwickelten Warenzirkulation ergibt, die den Kapitalismus zwingt, die Grenzen seines Staatsgebietes zu überschreiten.

In diesem Zusammenhang beantwortete Lenin unter direktem Bezug auf Marx die Frage, was unter einer Kolonie im Sinne der politischen Ökonomie zu verstehen ist und faßte die von Marx ge­nannten Hauptmerkmale zusammen: „1. Vorhandensein von unbesetzten, freien, Siedlern leicht zugänglichen Ländereien; 2. Bestehen einer ausgebildeten Arbeitsteilung im Welt-maßstab, eines Weltmarktes, der es den Kolonien ermöglicht, sich auf Massenproduktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse zu spezialisieren und im Austausch für sie fertige Industrie-artikel zu erhalten, die sie unter anderen Umständen selbst schaffen müßten’…“ (Die Entwicklung des Kapitalismus in Rußland. In: LW 3/612 f)

Den Marxschen Gedanken fortsetzend schrieb Lenin: „Wichtig ist, daß der Kapitalismus nicht bestehen und sich nicht entwickeln kann ohne ständige Erweiterung seiner Herrschaftssphäre, ohne Kolonisa­tion neuer Länder und Einbeziehung nichtkapitalistischer Länder in den Strudel der Weltwirtschaft.“ (Ebd. S. 615)

Damit ging Lenin noch nicht über Marxsche Erkenntnisse hinaus. Neue Gedanken äußerte er im Zusammenhang mit der Ausarbeitung seiner Imperialismustheorie: „Der ökonomische Unter-schied zwischen den Kolonien und den europäischen Völkern … bestand früher darin, daß die Kolonien wohl in den Warenaustausch, aber noch nicht in die kapitalistische Produktion einbezogen wurden. … Imperialismus bedeutet unter anderem auch Kapitalexport. Die kapi-talistische Produktion wird in immer beschleunigterem Tempo auch in die Kolonien verpflanzt.“ (Lenin: Die Ergebnisse der Diskussion über die Selbstbestimmung. In: LW 22/344 f)

Daraus zog Lenin die Schlußfolgerung, daß „die Lostrennung der Kolonien in der Regel erst zusammen mit dem Sozialismus“ erfolgen kann. Im Kapitalismus ist dies entweder nur als Ausnahme möglich oder durch eine Reihe von Revolutionen und Aufständen sowohl in den Kolonien als auch in den Metropolen. (Ebd.)

Diese Schlußfolgerung Lenins fand ihre Verifizierung im Zusammenbruch des klassischen Kolonialsystems mit der Herausbildung des sozialistischen Weltsystems nach dem Zweiten Weltkrieg. In seinem Artikel „Zündstoff in der Weltpolitik“, geschrieben 1908, ging Lenin ausführlich auf den Zusammenhang von sozialistischen Bewegungen in Europa und dem Kampf um Demokratie asiatischer Völker ein, den er am Verhalten der englischen und französischen Bourgeoi­sie und des Zarismus gegenüber den demokratischen Revolutionen in Persien, der Türkei und Indien darlegte. Die jahrhundertelange Ausplünderung Indiens, der Kampf der europäischen Bourgeoisie gegen die persische und indische Demokratie werde Millionen asiatischer Proletarier für einen siegreichen Kampf gegen ihre Unterdrücker stählen. „Der klassenbewusste europäische Arbeiter findet jetzt auch in Asien seine Genossen, und die Zahl dieser Genossen wächst täglich und stündlich“. In Bezug auf China erkannte Lenin den bedeutsamen Unterschied zwischen den früheren spontanen Bewegungen und den revolutionär-demokratischen Bewegungen am Anfang des 20. Jahrhunderts. „…folglich ist auch die Verwandlung der alten chinesischen Revolten in eine bewußte demokratische Bewegung unvermeidlich.“ (LW 15/179)

Der Zusammenhang zwischen den nationalrevolutionären Bewegungen kolonisierter Völker und der sozialistischen Revolution in den Metropolen nahm im Denken Lenins eine Schlüssel-stellung ein.

Im Registerband zur deutschsprachigen Werksausgabe des Dietz­Verlages, Berlin/DDR, sind rund 90 Stichworte zur nationalen Frage angegeben, darunter vier Stichworte zum Selbst-bestimmungsrecht der Nationen, acht Stichworte zu nationalen Befreiungsbewegungen und -revolutionen, drei Stichworte, zu nationalen Befreiungskriegen, vierzehn Stichworte zu Kolonialkriegen, Kolonien und der kolonialen Frage in einzelnen Ländern.

Der russisch-japanische Krieg und die russische Revolution von 1905 bis 1907 waren wichtige Ereignisse, die das „Erwachen der asiatischen Völker zum politischen Leben“ beschleunigten. (Lenin: Die Ereignisse auf dem Balkan und in Persien. In: LW 15/216) Bezüglich der chinesischen Revolution von 1911 bemerkte Lenin, daß „keine Kraft in der Welt die alte Fronherrschaft in Asien wiederherstellen wird“. (Lenin: Die historischen Schicksale der Lehre von Karl Marx. In: LW 18/578)

Ein Jahr vor Ausbruch des ersten Weltkrieges schrieb er: „Das Erwachen Asiens und der Beginn des Kampfes des fortgeschrittenen Proletariats Europas um die Macht kennzeichnen die neue Ära der Weltgeschichte, die Anfang des 20. Jahrhunderts angebrochen ist.“ (Lenin: Das Erwachen Asiens. In: LW 19/69)

Es war das Verdienst von Marx, mit Hilfe der materialistischen Dialektik die nationale und koloniale Frage aus dem Himmelreich politischer Abstraktionen auf die profane Erde sozialer Klassenkämpfe heruntergeholt, die nationale Frage in Beziehung zur Klassenfrage gesetzt zu haben. Wie jede politische Erscheinung – und darum handelt es sich ja – hat auch die nationale und koloniale Frage einen sozialen Inhalt.

Eine grundlegende These der nationalen Frage ist das Recht der Nationen auf Selbst-bestimmung, das in der Untersuchung im Zusammenhang mit der Lösung dieser Problematik in Osteuropa und in Asien unter den neuen Bedingungen des Imperialismus zu untersuchen war und auch heute noch ist. Bei Lenin nahm die Analyse des Klasseninhalts des Selbst-bestimmungsrechts einen höheren Stellenwert ein als bei Marx, weil die Verschärfung des „Klassenantagonismus die nationalen Fragen … weit in den Hintergrund gedrängt“ hat. Solche Äußerungen hat Lenin jedoch nicht als Dogma, gültig für alle Zeiten, verkündet. Er betonte, „daß diese oder jene nationale Frage vorübergehend in den Vordergrund des politischen Geschehens“ treten kann. (Lenin: Die nationale Frage in unserem Programm. In: LW 6/457) Die russische Sozialdemokratie binde sich nicht die Hände, sie rechne mit allen möglichen und sogar mit allen überhaupt denkbaren Wechselfällen. (Ebd. S.458)

Lenin hat sich in vielen Schriften unter unterschiedlichen Aspekten über die Kategorie der Selbstbestimmung der Nationen geäu­ßert, die im folgenden zusammengefaßt seien.

Er wandte sich entschieden gegen jede abstrakte Behandlung des Rechts auf nationale Selbst-bestimmung. Die Forderung nach Selbstbestimmung ist den Erfordernissen des proletarischen Klassenkampfes unterzuordnen. (Ebd. S. 452 – 458) Der Begriff „Selbstbestimmung“ kann nur als politische Kategorie verstanden werden, das heißt als Recht auf „Lostrennung und Bildung eines selbständigen Staates“. (Lenin: Thesen zur nationalen Frage. In: LW 19/233) Dabei ist die Zweckmäßigkeit einer Lostrennung dieser oder jener Nation zu erwägen. Als Kriterium dafür bezeichnete Lenin die Interessen der ganzen gesellschaftlichen Entwicklung und die Interessen des pro­letarischen Klassenkampfes für den Sozialismus. (Ebd. S. 234. Lenin: Resolutionen der Sommerberatung des Zentralkomitees der SDAPR mit Parteifunktionären. In: LW 19/421)

Lenin hob zwei Tendenzen in der nationalen Frage hervor: zum einen die Herausbildung von Nationen, zum anderen die Herausbildung der internationalen Einheit des Wirtschaftslebens, der Politik, der Wissenschaft usw. als Weltgesetz des Kapitalismus und die Assimilation der Nationen als welthistorische Tendenz. Lenin unterstützte jede Assimilation bei Ausschluß von Gewalt und Privilegien, verfocht die Idee des demokratischen Zentralismus unter Einschluß lokaler Selbstverwaltung mit Autonomie für Gebiete mit besonderen ökonomischen und Lebensbedingungen, mit besonderer nationaler Zusammensetzung der Bevölkerung. (Lenin: Kritische Bemerkungen zur nationalen Frage. In: LW 20/12 ff, 31 f.)

Wiederholt betonte er, nicht von abstrakten juristischen Definitionen, von allgemeinen Rechtsbegriffen, sondern stets von den konkret-historischen Bedingungen der nationalen Bewegungen auszugehen, die konkreten Besonderheiten zu berücksichtigen. (Lenin: Über das Selbstbestimmungsrecht der Nationen, a.a.O. S. 398 f)

Bezüglich Asiens bemerkte Lenin, daß wir nicht wissen, „ob es Asien gelingen wird, bis zum Zusammenbruch des Kapitalismus ein System selbständiger Nationalstaaten herauszubilden, wie es Europa aufweist. Aber es bleibt unbestreitbar, daß der Kapitalismus, der Asien zum Erwachen gebracht hat, auch dort überall nationale Bewegungen ins Leben gerufen hat, daß es die Tendenz dieser Bewegun­gen ist, Nationalstaaten in Asien zu schaffen, daß die günstigsten Bedingungen für die Entwicklung des Kapitalismus gerade durch solche Staaten gewährleistet werden.“ (Ebd. S. 402)

„Nicht zuletzt aus den Entwicklungstendenzen zur Bildung neuer Nationalstaaten in Asien begründete Lenin den Gedanken vom Epochencharakter der sozialistischen Revolution, die keineswegs als einzelne Schlacht, sondern aus einer ganzen Reihe von Schlachten um alle Fragen der ökonomischen und politischen Umgestaltungen bestehen wird.“ (Lenin: Die sozialistische Revolution und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen (Thesen) In: LW 22/145)

Die Entwicklungstendenzen in Asien waren eine der Erscheinungsformen der ungleichen Entwicklung des Kapitalismus, die unter imperialistischen Bedingungen einen sprunghaften, explosiven, katastrophenartigen Charakter angenommen hatte. Unter Berufung auf den Brief Engels an Kautsky vom 12. September 1882 meinte Lenin, daß der Traum von der „vereinten Aktion der Proletarier aller Länder“ gleichbedeutend mit der Vertagung des Sozialismus auf den Sankt-Nimmerleins-Tag sei. (Lenin: Über eine Karikatur auf den Marxismus und über den „imperialistischen Ökonomismus.“ In: LW 23/52; der Brief Engels an Kautsky vom 12. September 1882 in MEW 35/356-358) Der Sozialismus wird, schrieb Lenin weiter, durch die vereinten Aktionen der Proletarier „einer Minderheit von Ländern verwirklicht werden“, in denen „die Entwicklungsstufe des fortgeschrittenen Kapitalismus“ erreicht ist. In den Kolonien und Halbkolonien seien noch gesamtnationale und zwar demokratische Aufgaben zu lösen. Die Völker der Kolonien werden den Kampf des Proletariats für eigene Aktionen nutzen.

So schrieb Lenin im Herbst 1916. Wie Marx und Engels im 19. Jahrhundert erwartete auch er, daß die sozialistische Revolution in den kapitalistisch am weitesten fortgeschrittenen Ländern begin­nen müsse. Die Geschichte verlief bekanntlich anders. Nach der Niederschlagung der Novemberrevolution in Deutschland hat Lenin 1920/21 die Möglichkeit des Sieges des Sozialismus auch in einem Land – im rückständigen, kapitalistisch noch ungenügend entwickelten Rußland – erkannt. Diese These mußten er und Stalin gegen die trotzkistische Opposition in harten Auseinandersetzungen in die Praxis umsetzen. (Siehe hierzu: Ulrich Huar: Stalin als Theoretiker des Marxismus-Leninismus. Beiträge zur Parteitheorie. Zum 50. Todes­tag Stalins am 5. März 2003. In: Marxistisch-leninistische Schriftenreihe für Geschichte, Politik, Ökonomie und Philosophie der Kom­munistischen Partei Deutschlands (Bolschewiki), Heft 17/4, Teil III-1, S. 7 -38, oder in: offen-siv, Zeitschrift für Sozialismus und Frieden, Heft 4/03, gleicher Titel, S. 6 – 28)

Die Ungleichmäßigkeit der Entwicklung im Imperialismus bringe zwangsweise eine große Mannigfaltigkeit der politischen Er­scheinungen mit sich, die sich auch in den sozialistischen Revolutionen und nationalen Befreiungsbewegungen zeigen würden. Lenin meinte 1916, daß alle Völker unvermeidlich zum Sozialismus gelangen werden, aber auf sehr unterschiedlichem Wege. (Lenin: Über eine Karikatur auf den Marxismus und über den „Imperialistischen Ökonomismus“. In: LW 23/64)

Es war dies eine sehr kühne These Lenins, die nach dem vorläufigen Sieg der Konterrevolution widerlegt erscheinen könnte. Die Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus ist noch nicht beendet, wie es in der kapitalistischen Restaurationsperiode in Mittel- und Osteuropa scheinen mag. Die Geschichte ist eben noch nicht zu Ende, wie der amerikanische Historiker Fukuyama nach der Zerstörung des Sozialismus in der Sowjetunion meinte.

Lenin waren Spekulationen über Art und Weise zukünftiger Revolutionen fremd. In Wirklichkeit „wissen wir nicht und können wir nicht wissen, wie viele unterdrückte Nationen in der Praxis die Lostrennung brauchen werden, um ihr Scherflein zur Mannigfaltigkeit der Formen der Demokratie und der Formen des Übergangs zum Sozialismus beizutragen.“ (Ebd. S. 65)

Da der Sozialismus „nicht gleichzeitig in allen Ländern siegen“ kann, wird es für eine „gewisse Zeit“ sozialistische, bürgerliche und vorbürgerliche Länder geben. (Lenin: Das Militärprogramm der pro­letarischen Revolution. In: LW 23/74)

Während des ersten Weltkrieges sah Lenin bereits die Existenz dieser drei Ländergruppen voraus, wobei er sich vor einer Terminisierung der „gewissen Zeit“ hütete. Deutlich zeichnete sich zugleich die zunehmende Interdependenz der Staaten und der Beginn eines revolutionären Weltprozesses ab, in dem sich sozialistische, demo­kratische und nationale Revolutionen miteinander verflochten. Es reifte die schon von Marx 1859 antizipierte „Epoche sozialer Revolu­tion“ heran. (Karl Marx: Zur Kritik der Politischen Ökonomie. Vorwort. In: MEW 13/9)

Lenin hatte sich vor und während des ersten Weltkrieges mit Auffassungen in der inter-nationalen Arbeiterbewegung auseinanderzusetzen, wonach die Selbstbestimmung der Nationen im Rah­men des Imperialismus undurchführbar sei. Erst im Sozialismus könne das Recht auf Selbstbestimmung realisiert werden. Zugleich wurde behauptet, daß es im Imperialismus auch keine nationalen Befreiungskriege geben könne. Vertreter dieser Auffassungen waren vor allem die Austromarxisten Otto Bauer und Rudolf Springer (Pseudonym von Karl Renner, den sowjetische Truppen auf persönliche Anweisung Stalins im Zuge der Befreiung Österreichs suchen sollten. Mit anderen Häftlingen wurde Renner von sowjetischen Truppen aus dem Konzentrationslager befreit. Im April 1945 bildete Renner die erste bürgerlich-demokratische Nachkriegsregierung in Österreich.).

Die nationale Frage war „in der gesamten Politik der Konterrevolution, im Klassenbewußtsein der Bourgeoisie und in der proletarischen sozialdemokratischen Partei Russlands“ in den Vordergrund gerückt, schrieb Lenin im Dezember 1913. (Lenin: Das nationale Programm der SDAPR. In: LW 19/535)

Stalin hatte sich in seinem Artikel „Marxismus und nationale Frage“ (SW 2/233 – 266) kritisch mit der bürgerlichen Theorie der „national-kulturellen Autonomie“ auseinandergesetzt, die vor allem von den Austromarxisten Bauer und Springer (Renner) vertreten wurde. Auf diesen Artikel hat Lenin ausdrücklich verwiesen, der in der „theoretischen marxistischen Literatur“ „in erster Linie“ hervorgeho­ben werden müsse. (Ebd.)

In seinem Brief an Gorki vom Februar 1913 meinte Lenin, daß man sich mit dem Nationalismus „ernsthaft befassen“ müsse, wobei er auf den genannten Artikel von Stalin hinwies: „Hier hat sich ein prächtiger Georgier an die Arbeit gemacht und schreibt für das ‘Prosweschtschenije’ einen großen Artikel, für das er sämtliche österreichische und andere Materialien zusammengetragen hat.“ (LW 35/66)

Wer sich mit theoretischen und historischen Problemen der nationalen Frage ernsthaft beschäftigen will, kommt um die einschlägigen Arbeiten von Stalin nicht herum.

In der deutschen Sozialdemokratie war es Rosa Luxemburg, die das Selbstbestimmungsrecht der Nationen im Imperialismus für undurchführbar hielt und die Möglichkeit nationaler Befreiungskriege bestritt. Sehr ausführlich ging sie auf diese Problematik in ihrer Broschüre „Die Krise der Sozialdemokratie“ ein. Sie hatte sie 1915 im Frauengefängnis in der Barnimstraße in Berlin geschrieben und unter dem Pseudonym „Junius“ 1916 veröffentlicht. Unter diesem Pseudonym ist sie als „Junius-Broschüre“ in die Theoriegeschichte des Marxismus eingegangen. Sie leugnete sehr entschieden die Möglichkeit freier Selbstbestimmung unter imperialistischen Bedingungen. Sie existiere weder für die Nationen der imperialistischen Staaten noch für die kolonisierten Völker. Mit Recht kritisierte sie die Lüge der herrschenden Klasse und des Parteivorstandes der Sozialdemokratie vom „nationalen Verteidigungskrieg“, entlarvte deren Demagogie.

Nur der internationale Sozialismus könne „das Selbstbestimmungsrecht der Völker verwirklichen.“ (Rosa Luxemburg: Die Krise der Sozialdemokratie. In: Rosa Luxemburg. Ausgewählte Reden und Schriften, I. Band. Berlin 1951, S. 358)

„Solange kapitalistische Staaten bestehen, namentlich solange die imperialistische Weltpolitik das innere und äußere Leben der Staaten bestimmt und gestaltet, hat das nationale Selbstbestimmungsrecht mit ihrer Praxis im Krieg wie im Frieden nicht das geringste gemein. Noch mehr: in dem heutigen imperialistischen Milieu kann es überhaupt keine nationalem Verteidigungskriege mehr geben, …“ (Ebd. S.358 f)

Auch Kleinstaaten könnten keine nationalen Befreiungskriege gegen eine imperialistische Invasion mehr führen, selbst für Serbien, der „klassischen Probe“ aufs Exempel, schloß sie das Recht auf nationale Verteidigung aus. „Wenn irgend ein Staat nach allen äußeren formalen Merkmalen das Recht der nationalen Verteidigung auf seiner Seite hat, so ist es Serbien.“ Formell sei Serbien im „nationalen Verteidigungskrieg“. ABER! Die herrschenden Klassen und die Monarchie in Serbien gingen auf Expansion aus, „unbekümmert um nationale Grenzen“, bekämen dadurch einen „aggressiven Charakter“. Die Hauptsache sei jedoch, daß hinter dem serbischen Nationalismus der russische Imperialismus stehe. Serbien sei nur eine Schachfigur im großem Spiel der Weltpolitik. (Ebd. S. 365) Ihre Schlussfolgerung: „Auf diese Weise ist es immer wieder das historische Milieu des heutigen Imperialismus, das den Charakter der Kriege in den einzelnen Ländern bestimmt; und dieses Milieu macht es, daß heutzutage nationale Verteidigungskriege überhaupt nicht mehr möglich sind.“ (Ebd. S. 367)

Lenin hielt die „Junius-Broschüre“ für so bedeutsam, daß er 1916 einen speziellen Artikel „Über die Junius-Broschüre“ schrieb. (LW 22/310 – 325) Sie sei „im großen und ganzen eine ausgezeichnete marxistische Arbeit“. Es wäre möglich, daß die in der Broschüre enthaltenen Mängel und Fehler „bis zu einem gewissen Grade zufälligen Charakters“ sind. (Ebd. S. 311) Ob Lenin wusste, wer hinter dem Pseudonym „Junius“ stand, muß ich offen lassen. Jedenfalls hielt er sich – schon aus konspirativen Gründen – in seinem Artikel an diesen Namen. Wahrscheinlich hat er an Stil, Ausdruck der Broschüre sowie aus der Kenntnis der schon 1908 von Rosa Luxemburg verfaßten Schrift „Die nationale Frage und die Autonomie“ die Verfasserin hinter dem Pseudonym erkannt.

Lenin setzte sich mit der These von „Junius“, daß es im „entfesselten Imperialismus … keine nationalen Kriege mehr geben“ kann, auseinander. Es sei „möglich, daß die Verneinung nationaler Kriege …entweder ein Versehen oder aber eine zufällige Übertreibung“ ist, „bei der Betonung des völlig richtigen Gedankens…, daß der jetzige Krieg ein imperialistischer und kein nationaler Krieg ist.“ Es könne aber auch „die irrige Verneinung aller nationalen Kriege als Reaktion auf die fälschliche Darstellung des jetzigen Krieges als eines nationalen Krieges bei verschiedenen Sozialdemokraten“ sein. (Ebd. S.313) Wenn auch die Aussagen von „Junius“ zum nationalen Krieg im jetzigen Krieg richtig seien, so dürfe man diese Einschätzung nicht auf „alle im Imperialismus möglichen Kriege übertragen und die nationalen Bewegungen gegen den Imperialismus vergessen.“ Es sei ein Grundsatz der marxistischen Dialektik, daß alle Grenzen in der Natur und in der Gesellschaft bedingt und beweglich sind, daß es keine einzige Erscheinung gibt, die unter gewissen Bedingungen in ihr Gegenteil umschlagen können. Ein nationaler Krieg kann in einen imperialistischen umschlagen und umgekehrt.“ Als Beispiel führte Lenin die Kriege der Großen Französischen Revolution an. Sie waren anfangs nationale Kriege gegen die feudal-restaurative Koalition. Unter Napoleon wandelten sich diese nationalen Befreiungskriege in „imperialistische Kriege“. Nunmehr führten die von Napoleon unterjochten Völker ihrerseits nationale Befreiungskriege gegen den Imperialismus Napoleons. (Ebd. S. 314)

Es sei unwahrscheinlich, daß der bisherige imperialistische Krieg von 1914 bis 1916 in einen nationalen Krieg umschlage. „Aber man kann ein solches Umschlagen nicht für unmöglich erklären; …“

Dies hatte Lenin im Juli 1916 geschrieben, im Oktober des gleichen Jahres wurde die Broschüre veröffentlicht. Ein Jahr später, nach der Oktoberrevolution wandelte sich der imperialistische Krieg von Seiten Rußlands in einen nationalen Befreiungskrieg Sowjetrusslands gegen die Annexionsgelüste des deutschen Imperialismus und der konterrevolutionären Ententemächte.

Weiter bei Lenin: „Nationale Kriege der Kolonien und Halbkolonien sind in der Epoche des Imperialismus nicht nur wahrscheinlich, sondern unvermeidlich. In den Kolonien und Halbkolonien (China, Türkei, Persien) leben annähernd 1.000 Millionen Menschen, d.h. über die Hälfte der gesamten Bevölkerung der Erde. Nationale Befreiungsbewegungen sind hier entweder schon sehr stark, oder sie wachsen und reifen heran. Jeder Krieg ist eine Fortsetzung der Politik mit andern Mitteln. Die Fortsetzung der Politik der nationalen Befreiung in den Kolonien werden zwangsläufig nationale Kriege der Kolonien gegen den Imperialismus sein.“ (Ebd. S. 315)

Aber auch in Europa seien nationale Kriege in der Epoche des Imperialismus nicht auszuschließen. Das gelte vor allem für den Balkan. Über Österreich habe „Junius“ ein „sehr gesundes Urteil“, da er nicht nur das Ökonomische, sondern auch „das eigentümlich Politische in Betracht“ ziehe, die „innere Lebensunfähigkeit“ hervorhebe und feststellt; daß „die Habs-burgische Monarchie nicht die politische Organisation eines bürgerlichen Staates, sondern bloß ein lockeres Syndikat einiger Cliquen gesellschaftlicher Parasiten“ darstelle und daß die „Liquidierung Österreich-Ungarns historisch nur die Fortsetzung des Zerfalls der Türkei und zusammen mit ihm ein Erfordernis des geschichtlichen Entwicklungsprozesses“ sei. (Ebd. S. 316 f)

Auf das Argument, daß ein Krieg eines kleinen Staates gegen einen Giganten aussichtslos sei, meinte Lenin, daß auch ein aus­sichtsloser Krieg ein Krieg sei. Die Einmischung imperialistischer Mächte ist in der Praxis nicht unter allen Umständen durchführbar. Gewisse Erscheinungen wie der Ausbruch einer Revolution können einen „aussichtslosen“ Krieg in einen „sehr aussichtsreichen“ um­wandeln. (Ebd. S. 316 f)

„Nationale Kriege gegen imperialistische Mächte sind nicht nur möglich und wahrscheinlich, sie sind fortschrittlich und revolutionär, obgleich natürlich zu ihrem Erfolg entweder die Verei-nigung der Anstrengungen einer ungeheuren Zahl von Bewohnern unterdrückter Länder … erforderlich ist oder eine besonders günstige Konstellation der internationalen Lage … oder der gleichzeitige Aufstand des Proletariats einer der Großmächte gegen die Bourgeoisie …“ (Ebd. S. 318)

Lenin bemerkt noch ausdrücklich, daß es „ungerecht wäre, Junius der Gleichgültigkeit den nationalen Bewegungen gegenüber zu bezichtigen.“ „Junius“ erkläre mit voller Bestimmtheit, daß „der Sozialismus jedem Volke das Recht auf Unabhängigkeit und Freiheit, auf selbständige Verfügung über die eigenen Geschicke“ zugestehe. Nur der Sozialismus könne „das Selbst-bestimmungsrecht der Völker verwirklichen.“ (Ebd. S. 318, R. Luxemburg, a.a.O. S. 358)

Dennoch war es ein theoretischer Fehler von Rosa Luxemburg, daß im Rahmen des Kapitalismus das Selbstbestimmungsrecht undurchführbar sei. Das Selbstbestimmungsrecht gehört in den Be­reich der politischen Demokratie. Die Herrschaft des Monopolkapitals hebt nicht die Bedeutung der politischen Demokratie als einer ihrer Formen auf. Ist die politische Demokratie für die Arbeiter in kapitalistischen Ländern in der Regel begrenzt, unvollständig und deformiert, bietet sie dennoch bestimmte Möglichkeiten, auch auf dem Gebiet des Selbstbestimmungsrechts, die genutzt werden können, wie empirisch nachweisbar. Es sei daher „theoretisch grundfalsch“, von der „Undurchführbarkeit“ einer der Formen und einer der Forderungen der politischen Demokratie zu sprechen. (Lenin: Die Ergebnisse der Diskussion über die Selbstbestimmung. In: LW 22/ 332.) Danach ist auch die Erringung der politischen Unabhängigkeit in Form der Gründung eines eigenen, selbständigen Staates noch innerhalb des Kapitalismus möglich. Diese Aussage von Lenin erfuhr nach der Oktoberrevolution noch eine wesentliche Präzisierung.

Nach der Oktoberrevolution

Als weltgeschichtliche Zäsur veränderte die Oktoberrevolution auch wesentlich die Stellung der kolonial unterdrückten Völker. Die Bedingungen für ihren Befreiungskampf waren günstiger geworden. Mit der Gründung Sowjetrußlands und ab Dezember 1922 der UdSSR war ein großer Staat entstanden, auf den sich die nationalen Befreiungsbewegungen stützen konnten, der bedeutende Kräfte des Imperialismus band, die nicht mehr gegen die Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas eingesetzt werden konnten. Die Auswirkungen der Oktoberrevolution auf diese Völker war gewaltig. Allein schon der geopolitische Sachverhalt, daß Sowjetrußland sowohl ein europäi­scher als auch asiatischer Staat war, ein ehemaliger Kolonialstaat, verlieh der Oktoberrevolution ein spezifisches Gewicht. Der Sieg der Sowjetmacht im Fernen Osten und in den mittelasiatischen Emiraten hatte gewaltige Ausstrahlungskraft auf die asiatischen Völker.

Jawaharlal Nehru schrieb in seinem Artikel für „The Hindu“ in Madras vom 3. April 1928: „Es ist schwer, Rußland gleichgültig gegen­überzustehen, und es ist noch schwerer, unparteiisch über seine Leistungen und Mißerfolge zu urteilen. Es gleicht derzeit zu sehr einem elektrischen Draht, den man nicht berühren kann, ohne da eine gewaltige Reaktion geschieht, und wer über Rußland schreibt, vermag kaum lobende oder ablehnende Superlartive zu vermeiden. Viel hängt vom Blickwinkel und der Lebensauffassung des Beobachters ab, viel auch von den Vorurteilen und vorgefaßten Vorstellungen, mit denen er an seine Aufgabe herangeht. Aber welche Auffassung auch die richtige sein mag, die Faszination, die von diesem fremdar­tigen eurasischen Land des Hammers und der Sichel ausgeht, in dem die Arbeiter und Bauern auf den Thronen der Mächtigen sitzen und perfekt geschmiedete Komplotte mit Mann und Maus zerschlagen, kann keiner leugnen.

Für uns in Indien ist die Faszination um so größer, als unsere ureigensten Interessen gebieten, daß wir die gewaltigen Kräfte begreifen, die die alte Ordnung der Dinge zerschlagen und eine neue Welt erschaffen haben, in der die Werte sich gänzlich wandelten und wo die alten Normen neuen gewichen sind…

Und so interessiert uns Rußland, weil es uns helfen kann, eine Lösung für die großen Probleme zu finden, mit denen die Welt heute konfrontiert ist. Es interessiert uns besonders, weil die Verhältnisse dort den Verhältnissen in Indien gar nicht so unähnlich waren, ja, sogar noch immer sind. Beide sind im wesentlichen Agrarländer, und die Industrialisierung steckt noch in den Anfängen, und beide sind mit Armut und Analphabetentum konfrontiert. Wenn Rußland hier eine zufriedenstellende Lösung findet, erleichtert das uns in Indien die Arbeit.“ (Jawaharlal Nehru: Anmerkungen zur Zeitgeschichte, 1927 – 1947. Leipzig und Weimar 1985, S. 22 f)

So schrieb eine der bedeutenden Persönlichkeiten der bürgerlichen nationalen Befreiungs-bewegung Indiens, der spätere Ministerpräsident nach der Proklamierung der Republik Indien 1950.

Mit der Oktoberrevolution war praktisch die Möglichkeit der Befreiung kolonial unterdrückter Völker und mit der Gründung der UdSSR die freiwillige Vereinigung mehrerer Nationen, Völker und ethnischer Gruppen in einem großen Staatsverband als Realität bewiesen. Die Dialektik von Recht auf Selbstbestimmung, dem Recht auf Lostrennung und Gründung eines eigenen Staates sowie dem freiwilligen Zusammenschluß dieser Staaten in einer Föderation hatte ihre praktische Bestätigung gefunden.

Die nationalen Befreiungsbewegungen nahmen mit und nach der Oktoberrevolution einen gewaltigen Aufschwung. In vielen Kolonien und abhängigen Staaten bildeten die fortge-schrittensten Kräfte kommunistische Parteien. Die Idee der Sowjets als mögliche politische Form für Bauernbewegungen in Asien griff um sich.

Diese neuen Bedingungen für die nationalen Befreiungsbewegungen führten auch zu Präzisierungen vorhandener Erkenntnisse und zu neuen Erkenntnissen in der Theorie der nationalen und kolonialen Frage.

Der erste Weltkrieg zog die Völker der Kolonien in einem bis dahin unbekannten Maße in die internationale Politik hinein. Die neue Qualität in der Stellung der kolonialisierten Völker gegenüber der vorangegangenen Periode kennzeichnete Lenin wie folgt: „Auf die Periode des Erwachens des Ostens folgt in der gegenwärtigen Revolution die Periode, in der alle Völker des Ostens die Geschicke der ganzen Welt mitentscheiden, in der sie aufhören, nur ein Objekt der Bereicherung zu sein. Die Völker des Ostens erwachen, um praktisch zu handeln und damit jedes Volk das Schicksal der ganzen Menschheit mitbestimmt.“ (Lenin: Referat auf dem II. Gesamtrussischen Kongreß der Kommunistischen Organisationen der Völker des Ostens. 22. November 1919. In: LW 30/145)

Den gleichen Gedanken wiederholte Lenin in einem Interview für eine amerikanische Zeitung im Februar 1920, wobei er noch hinzufügte, daß der imperialistische Krieg 1914 bis 1918 das Streben Asiens „nach Freiheit, nach friedlicher Arbeit, nach der Verhinderung von Kriegen“ gestärkt hat. (Lenin: Antwort auf die Fragen des Korrespondenten der amerikanischen Zeitung „New York Evening Journal“. In: LW 30/357)

In den einschlägigen Schriften von Marx, Engels und Lenin bezüglich des Erwachens Asiens werden bestimmte Etappen im Befreiungskampf der Völker Asiens deutlich sichtbar, die man etwa wie folgt gliedern kann:

Erstens: die Einbeziehung der Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas in den Weltmarkt, in die Weltgeschichte – erste Äußerungen des Widerstandes, Beginn des Erwachens Asiens, etwa bis Ende des 19. Jahrhunderts.

Zweitens: der Prozeß des Erwachens Asiens, Einbeziehung in den weltgeschichtlichen Prozeß, Vorbereitung und Herausbildung einer weltgeschichtlichen Periode, in der sozialistische, kapi-talistische und vorkapitalistische Staaten nebeneinander existieren werden, etwa ab Ende des 19. Jahrhunderts bis zum ersten Weltkrieg.

Drittens: Die Völker Asiens sind „zum politischen Leben erwacht“, entscheiden die Geschicke der Welt mit, hören auf, lediglich Objekt zu sein, werden endgültig zu einem „aktiven Faktor der Weltpolitik“.

(III. Kongreß der Kommunistischen Internationale, 22. Juni – 12. Juli 1921. Thesen zum Referat auf dem III. Kongreß der Kommunistischen Internationale über die Taktik der KPR. In: LW 32/476 f) „Von der Einbeziehung der werktätigen Massen des Ostens in das politische Leben hängt jetzt in hohem Maße das Schicksal der gesamten westlichen Zivilisation ab“. (Lenin: Brief an den Propaganda- und Aktionsrat der Völker des Ostens. In: LW Ergänzungsband, Oktober 1917 bis März 1923, S. 385)

Zäsuren werden in der Regel willkürlich nach besonderen Ereignissen bestimmt. Es ist nicht so einfach, zu bestimmen, ob die dritte Periode noch anhält oder ob nach der konterrevolutionären Zerstö­rung des Sozialismus in der Sowjetunion und in den europäischen sozialistischen Staaten eine neue, die „vierte“ Periode 1989/90 begonnen hat. Wie weit sind die VR China, die KDVR, Vietnam, Kuba betroffen worden? Gehen die nächsten sozialistischen Revolutionen von Asien oder von Lateinamerika aus? Es ist zumindest fraglich, ob bei Existenz eines stabilen sozialistischen Weltsystems die militäri­sche Zerschlagung Jugoslawiens oder der Irak-Krieg möglich gewesen wäre. Spekulationen sind der marxistisch-leninistischen Geschichtswissen-schaft fremd. Die Frage nach einer neuen Zäsur muß ich offen lassen.

Mit der Gründung des Sowjetstaates und der III. Kommunistischen Internationale (KI) arbeitete Lenin die Strategie der KPR (B) und des Sowjetstaates in der nationalen und kolonialen Frage aus und beeinflußte durch seine theoretische Arbeit maßgeblich diesbezügliche Beschlüsse der Kongresse der KI. Dabei knüpfte er an bisherige Erkenntnisse an, die er unter den neuen ver-änderten Bedingungen präzisierte und zum Teil durch neue Erkenntnisse bereichern konnte. Die bereits vor der Oktoberrevolution vertretene Forderung nach völliger Befreiung der kolonialen und anderen bisher unterdrückten und nicht gleichberechtigten Nationen einschließlich des Rechts auf Lostrennung gehörte zu den programmatischen Forderungen der KPR (B).

Auf dem II. Weltkongreß der KI (19. Juli bis 7. August 1920) nahm die neue Stellung der kolonial unterdrückten Völker im revolutionären Weltprozeß und die Ausarbeitung der Strategie und Taktik der Parteien der KI bezüglich der nationalen und kolonialen Frage einen zentralen Platz ein. Im „Ursprünglichen Entwurf der Thesen zur nationalen und kolonialen Frage“ (In: LW 31/132 – 139) begründete Lenin eine Reihe neuer strategischer Zielstellungen, die nach wie vor von Bedeutung sind. An erster Stelle stand die Forderung nach einer Politik, „die das engste Bündnis aller nationalen und kolonialen Befreiungsbewegungen mit Sowjetrußland“ ver-wirklicht. Das lag im Interesse beider Seiten. Der Kampf der – in dieser Frage – vereinten internationalen Bourgeoisie gegen die Sowjetmacht war in den Mittelpunkt der Weltpolitik gerückt. Der Grundwiderspruch zwischen Kapital und Lohnarbeit trat jetzt international auch auf außenpolitischem Gebiet, auf der Ebene der zwischenstaatlichen Beziehungen in Erscheinung. Das Schicksal der nationalen und kolonialen Befreiungsbewegungen hing von der Erhaltung des Sowjetstaates ab. Es gab für diese Völker „keine andere Rettung … als den Sieg der Sowjetmacht über den Weltimperialismus.“

Diese Leninsche These fand 70 Jahre später ihre negative Bestä­tigung. Mit der Restauration des Kapitalismus in Rußland verloren die sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vom alten Kolonialjoch befreiten Völker ihren wichtigsten Bündnispartner. Dies erleichterte den imperia-listischen Metropolen eine neokolonialisti­sche Wiederherstellung ihrer alten Herrschaft unter der fadenschei­nigen Losung von „Demokratisierung“ über einige dieser Völker in Asien, Afrika und Lateinamerika.

Das Bündnis zwischen Sowjetrußland und der nationalen Befreiungsbewegung war zu einem Grundpfeiler revolutionärer Politik geworden. Die Formen dieses Bündnisses waren ent-sprechend dem konkret-historisch bedingten Entwicklungsstand der jeweiligen Län­der und dem Reifegrad der jeweiligen kommunistischen bzw. der bürgerlich-demokratischen Bewegungen zu gestalten. Allgemein verbindliche, abstrakte Schablonen gab und gibt es dafür nicht. Des-gleichen forderte Lenin ein möglichst enges Bündnis zwischen dem kommunistischen Proletariat Westeuropas und den revolutionären Befreiungsbewegungen in Asien wie in den Kolonien überhaupt.

Die Betonung der Notwendigkeit des Bündnisses zwischen den Kommunisten des Westens mit den nationalen Befreiungsbewegungen im Osten führte bei einigen Genossen auf dem II. Kongreß der KI zu der überspitzten Behauptung, „daß das Schicksal des Westens ausschließlich von der Entwicklungsstufe und der Kraft der revolutionären Bewegung in den östlichen Ländern“ abhinge (Die Kommunistische Internationale. Berlin 1970, S. 104.) Lenin wies eine solche Behauptung als unbegründet zurück.

Für die Bündnisbeziehungen zwischen bürgerlich-demokrati­schen Befreiungsbewegungen, Sowjetrußland und den Parteien der KI unterbreitete Lenin eine Reihe von Kriterien, die dem Differenzierungsprozeß in der Bewegung der kolonial unterdrückten Länder entsprach. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung der kolonial unterdrückten Länder bestand aus analphabetischen Bauern, die zum Teil noch unter archaischen Verhältnissen lebten. (In einigen Ländern Afrikas sind Formen des Tribalismus heute noch zu verzeichnen.)

Die Unterstützung der bürgerlich-demokratischen Befreiungsbewegungen erforderte darüber hinaus, „reaktionäre und mittelalterliche Elemente“ in diesen Ländern zu bekämpfen, den Panislamismus, der die Befreiungsbewegungen mit einer Stärkung der Positionen der Khane, Gutsbesitzer, Mullahs und anderer Kräfte der feudalen Reaktion verbinden wollte, zurück-zuweisen. (Lenin: Ursprünglicher Entwurf der Thesen …, a.a.O. S. 137)

In seinen „Notizen für die Kommission für die nationale und koloniale Frage“ vom Juli 1920 bemerkte Lenin in aller Kürze: „Den mittelalterlichen Partikularismus ausnutzen? Zu gefährlich; nicht marxistisch. Man muß unterscheiden zwischen den modernen nationalen Bewegungen und den Bewegungen (sogenannten Bewegun­gen) mittelalterlichen Charakters.“ (In: Lenin: Ergänzungsband …, a.a.O. S. 195)

Speziell galt es, die Bauernbewegungen gegen die Gutsbesitzer, gegen alle feudalen Überreste zu unterstützen, zu helfen, daß diese Bauerbewegungen revolutionären Charakter annahmen. Zugleich warnte Lenin davor, den bürgerlich-demokratischen Befreiungsbewegungen in den zurückgebliebenen Ländern einen „kommunistischen Anstrich“ zu geben. Die KI ging ein zeitweiliges Bündnis mit der bürgerlichen Demokratie in den Kolonien und anderen zurückgebliebenen Ländern ein, ohne mit ihr zu verschmelzen. Die Selbständigkeit der prole-tarischen Bewegung war zu wahren. Einige Delegierte auf dem II. Weltkongreß, darunter der unter deutschen Kom­munisten wenig bekannte indische marxistische Theoretiker Manabendra Nath Roy, meinten, daß ein solches Bündnis mit nationalen Bewegungen, an denen die Bourgeoisie teilnimmt, nicht „revolutionär“ sei und lehnten es ab. Roy wies dabei noch auf die besonders komplizierten Bedingungen Indiens hin.

Die Parteien der KI hätten die Aufgabe, das betrügerische Bestreben imperialistischer Mächte zu enthüllen, scheinbar politisch unabhängige Staaten zu schaffen, die jedoch wirtschaftlich, finanziell und militärisch vollständig von ihnen abhängig blieben. Letzteres gehörte zu den neuen Erscheinungen nach dem ersten Weltkrieg im Sinne einer Anpassung imperialistischer Mächte an die veränderten Bedingungen in den Kolonien im Gefolge der Oktoberrevolution. Zugleich enthielt dieser Satz die Erkenntnis, daß die formelle politische Unabhängigkeit von ehemaligen Kolonien oder Halbkolonien noch keine reale Unabhängigkeit bedeutet, daß diese Staaten innerhalb des imperialistischen Weltsystems ökonomisch eingebunden und damit abhängig bleiben.

Zu den neuen Erscheinungen gehörte auch, daß die Bourgeoisie versuchte, unter den unterdrückten Völkern reformistische Bewe­gungen zu konstituieren. Bereits bei der Unter-suchung der chinesischen Revolution 1911 wies Lenin auf das „Bündnis“ zwischen der europäischen Bourgeoisie und der chinesischen Reaktion hin. Zwischen der Bourgeoisie der imperialistischen Metropolen und der Bourgeoisie der kolonialen Länder vollzog sich eine „gewisse Annäherung“. Es bildete sich eine von den imperialistischen Mächten abhängige Bourgeoise in einigen Ländern Asiens heraus, die später mit dem Terminus „Kompradoren-Bourgeoise“ bezeichnet worden ist.

Diese „Kompradoren-Bourgeoisie“ unterstützte zwar in einigen Ländern die nationalen Befreiungsbewegungen, wobei sie zugleich gemeinsam mit der imperialistischen Bourgeoisie die revolutionären Bewegungen unterdrückte. Dieser Sachverhalt führte nach längeren Dis-kussionen auf dem II. Kongreß der KI zu dem Vorschlag, den Terminus „bürgerlich-demokratische“ Bewegung durch den Terminus „national-revolutionäre“ zu ersetzen. Hieß es in den „Thesen“ noch, die „bürgerlich-demokratische“ Bewegung zu unterstützen, so erfolgte – nur wenige Tage später – eine Einschränkung dahingehend, daß die Parteien der KI „die bürger-lichen Befreiungsbewegungen in den kolonialen Ländern nur dann unterstützen müssen und werden, wenn diese Bewegungen wirklich revolutionär sind.“ (Lenin: II. Kongreß der Kommu-nistischen Internationale. In: LW 31/230)

Anknüpfend an Marx und Engels stellte auch Lenin die Frage, ob die vom Kolonialismus befreiten Staaten das kapitalistische Entwicklungsstadium durchlaufen müssen. Er begründete die These, wonach mit Unterstützung des Proletariats der fortgeschrittenen Länder die zurückgebliebenen Länder zur Sowjetordnung und über bestimmte Entwicklungsstufen zum Kommunismus gelangen können, ohne das kapitalistische Entwicklungsstadium durchlaufen zu müssen. Aber: „Welche Mittel hierzu erforderlich sind, läßt sich nicht voraussagen. Das wird uns die praktische Erfahrung lehren.“ (Ebd. S. 232 f)

Der bereits w.o. erwähnte indische Genosse M.N. Roy vertrat mit Nachdruck seine These, wonach „ohne Triumph der Revolution im Osten die Kommunistische Bewegung im Westen nichts erreichen würde. Der Weltkapitalismus bezöge die meisten Rohstoffe und Profite aus den Kolonien, besonders aus denen in Asien. Als eine letzte Reserve könne der europäische Kapitalismus alle seine Extra­profite an die Arbeiter geben und diese für sich gewinnen, alle ihre revolutionären Ambitionen abtöten. Dadurch könnten diese Kapitalisten ihre Ausbeutung mit Hilfe des Proletariats fortsetzen. Solch ein Ergebnis wäre sehr vorteilhaft für die Kapitalisten. Darum sei es erforderlich, vor allem die revolutionäre Bewegung im Osten zu fördern, sie zu verstärken. Es müsse diese unsere Grundthese akzeptiert werden, daß das Schicksal des Weltkommunismus vom Triumph des Kommunismus im Osten abhänge“. (Kai Schmidt-Soltau; Eine Welt zu gewinnen! Bonn 1994, S. 73)

Der Fehler von Roy bestand darin, daß er die Bestechung eines Teiles der Arbeiterklasse aus den Extraprofiten der Kapitalisten, die Bildung einer Arbeiteraristokratie auf die gesamte Arbeiter-klasse des Westens extrapolierte. Die Mehrheit der Delegierten schloß sich der These Lenins an, daß der „wirkliche Kommunismus vorerst nur im Westen Erfolg haben“ könne…, die er gegenüber dem japanischen Korrespondenten K. Fusse am 4. Juni 1920 geäußert hatte. (In: Lenin: Ergänzungsband…, a.a.O. S. 188) Die Betonung in dieser These sollte man heute auf „vorerst“ legen. Es ist nicht völlig auszuschließen, daß nach der Niederlage des europäischen Sozialismus die Initiative für die Fortsetzung des kommunistischen Revolutionszyklus von Asien oder Lateinamerika ausgeht und damit die These von Roy noch nachträglich verifiziert wird. Unerwartete Ereignisse sind in der Weltgeschichte nicht so selten.

Marx, Engels, Lenin und Stalin war ein schablonenhaftes Herange­hen an Erscheinungen des Weltprozesses fremd. Allgemeine Gesetzmäßigkeiten des Geschichtsverlaufs wirken unter konkret-historischen Bedingungen im Handeln von Völkern, Klassen, Nationen und Persönlichkeiten stets modifiziert. Darauf verwies Lenin in aller Eindeutigkeit in einer Notiz vom Januar 1923. Bei „allgemeiner Gesetzmäßigkeit der Entwicklung in der gesamten Weltgeschichte“ sind „einzelne Etappen der Entwicklung, die eine Eigentümlichkeit entweder der Form oder der Aufeinanderfolge der Entwicklung darstellen, keineswegs auszuschließen, sondern im Gegenteil anzunehmen.“ (Lenin: Über unsere Revolution. In: LW 33/463)

Dies trifft nicht nur, aber im besonderen Maße heute auf die noch abhängigen Länder Asiens, Afrikas und Lateinamerikas zu. Während und nach der Oktoberrevolution, noch bis Anfang der dreißiger Jahre, gab es in der Sowjetunion und in der internationalen Arbeiterbewegung Dis-kussionen über die Möglichkeit der Errichtung des Sozialismus in einem Land, über die notwendige „Reife“, die erforderlichen „objektiven ökonomischen Voraussetzungen für den Sozialismus“. Fehlten sie nicht für Rußland? Wortführer solcher „Theorien“ war bekanntlich Trotzki, der ideologische und politische Führer der antileninistischen Opposition. Die Antwort, die Lenin 1923 auf diese Fragen gab, kann analog auf die komplizierten, ja aussichtslos erscheinenden Bedingungen in nicht wenigen Staaten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas bezogen werden, wobei ich an die Palästinenser, die Widerstandskräfte im Irak und anderen arabischen Staaten denke, unabhängig davon, ob sie unter der Flagge des Islams oder unter anderen politischen Ideologien kämpfen, an die revolutionären Bewegungen in Venezuela, in Bolivien oder in der Demokratischen Republik Kongo. (Stand Dezember 2005) Wo morgen? Wer ist der nächste?

„Könnte nicht ein Volk“, schrieb Lenin, „das auf eine revolutionäre Situation gestoßen ist, wie sie sich im ersten imperialistischen Kriege ergeben hat, könnte nicht dieses Volk, infolge der Aussichtslosigkeit seiner Lage, sich in einen Kampf stürzen, der ihm wenigstens irgenwelche Aussichten eröffnete, sich nicht ganz gewöhnliche Bedingungen für eine Weiterentwicklung der Zivilisation zu erringen?“ (Ebd. S. 464) In welcher Art? Darüber kann man keine müßigen Spekulationen anstellen. Marx, Engels, Lenin, Stalin haben das Fortschrittskriterium keineswegs nur abstrakt an den Sozialismus gebunden. Für die einzelnen Völker, Nationen, ethnischen Gemeinschaften gibt es eine Vielfalt von konkreten Schritten, die im Vergleich zu dem vorigen Zustand einen realen Fortschritt darstellen, Schritte, die im einzelnen statistisch kaum zu erfassen und auch theoretisch wohl nicht zu beschreiben sind, aber trotzdem existieren. Die politischen „Eliten“ und Generalstäbe der größten imperialistischen Mächte werden im 21. Jahrhundert wohl noch so manche unangenehme Überraschung erleben.

Theorie und Praxis

Nach der Oktoberrevolution begann der Prozeß der Realisierung der marxistisch-leninistischen Theorie der nationalen Frage in Sowjetrußland, ab Dezember 1922 in der der UdSSR. „Sowjet-rußland unternimmt den in der Welt noch nicht dagewesenen Versuch, die Zusammenarbeit einer ganzen Reihe von Nationen und Volksstämmen im Rahmen eines einheitlichen proletarischen Staates auf der Grundlage des gegenseitigen Vertrauens, auf der Grundlage des freiwilligen, brüderlichen Einvernehmens zu organisieren.“ So schrieb Stalin in einem Prawda-Artikel vom 10. Oktober 1920. (Stalin: Die Politik der Sowjetmacht in der nationalen Frage in Rußland. In: SW 4/ 319)

Die Schwierigkeiten, die die Bolschewiki in diesem historischen Prozeß zu überwinden hatten, schienen unüberwindbar.

Der Zarismus hatte alle Ansätze zu einem eigenen Staatswesen in den nationalen Gebieten unterdrückt. Er hatte die Kultur der nicht­russischen Völker und Völkerschaften verstümmelt, ihrer Sprache Beschränkungen auferlegt, sie in Unwissenheit gehalten. Über 95 % der Bevöl-kerung der nationalen Randgebiete waren Analphabeten. Diese Völker waren durch die zum Teil jahrhundertelange Unterdrückung und Fremdherrschaft in nationalistischen Vorurteilen befangen. Der Zarismus, aber auch die einheimischen Feudalherren, Gutsbesitzer und Bourgeois hetzten die Völker gegeneinander und organisierten blutige Pogrome gegen nationale Minder-heiten. Der Zarismus versuchte, viele Völkerschaften gewaltsam zu russifizieren. Lenin schrieb, daß die Selbstherrschaft „alles getan hat, um die … Völker einander zu entfremden.“ (Lenin: Die Ukraine. In: LW 25/82)

Das Ergebnis dieser zaristischen Politik war ein äußerst niedriges Entwicklungsniveau vieler Völkerschaften und politische Rückständigkeit. Die schwere Erbschaft des Zarismus zeigte sich auch in den starken Überresten des russischen Großmachtchauvinismus, einer Widerspiegelung der ehemals privilegierten Stellung der Großrussen. Solche Überreste befanden sich auch noch im Bewußtsein eines Teiles von Sowjetfunktionären. Es gab Erscheinungen der Überheblichkeit, des Bürokratismus, der Bevormundung und von Arroganz russischer Sowjetfunktionäre gegen-über den Nöten und Bedürfnissen der Völker in den gerade vom Zarismus befreiten nationalen Republiken und Gebieten. Solche Erscheinungen zeigten sich in dem Bestreben einiger Funktionäre in Behörden der RSFSR, sich die selbständigen Kommissariate der autonomen Republiken zu unterwerfen und damit ihre Liquidierung vorzubereiten. Solche Handlungen hatten ihre Ursache in der falschen Auffassung, daß die Sowjetrepubliken und autonomen Republiken und Gebiete keine gleichberechtigten staatlichen Einheiten seien, sondern lediglich Schritte zu ihrer Liquidierung als Auftakt zur Bildung eines sogenannten sowjetischen „Einheitsstaates“.

Auf dem XII. Parteitag der KPR (B) (17. – 25. April 1923) wurden derartige Praktiken „als ein Resultat des Erbes der Vergangenheit“ scharf verurteilt: „Der Parteitag verurteilt eine solche Auffassung als antiproletarisch und reaktionär, er verkündet die absolute Notwendigkeit der Existenz und weiteren Entwicklung der nationalen Republiken und fordert die Parteimitglieder auf, scharf darauf zu achten, daß die Vereinigung der Republiken und die Verschmelzung der Kommissariate nicht von chauvinistisch gesinnten Sowjetbürokraten als Deckmantel für ihre Versuche ausgenutzt werden, die wirtschaftlichen und kulturellen Bedürfnisse der nationalen Republiken zu ignorieren …“ (Die Kommunistische Partei der Sowjetunion in Resolutionen und Beschlüssen der Parteitage, Konferenzen und Ple­nen des ZK. Bd. IV. Berlin 1957, S. 164 – 165)

Lenin führte einen scharfen und unversöhnlichen Kampf gegen diese schwere Hinterlassenschaft des Zarismus, die geeignet war, den Vereinigungsprozeß der Völker Sowjetrußlands ernsthaft zu gefährden. Als Angehörige einer großen Nation, schrieb Lenin, haben wir uns „in der geschichtlichen Praxis fast immer einer Unzahl von Gewalttaten schuldig gemacht, ja mehr als das, unmerklich für uns selbst fügen wir den anderen eine Unzahl von Gewalttaten und Belei-digungen zu… Deshalb muß der Internationalismus seitens der unterdrückenden oder sogenannten ‘großen’ Nation (obzwar groß nur durch ihre Gewalttaten, groß nur in dem Sinne, wie ein Dershimorda (Polizist in Gogols „Revisor“. Sinngemäß auf deutsch: Halt-die-Schnauze) groß ist) darin bestehen, nicht nur die formelle Gleichheit der Nationen zu beachten, sondern auch solch eine Ungleichheit anzuerkennen, die seitens der unterdrückenden Nation, der großen Nation, jene Ungleichheit aufwiegt, die sich faktisch im Leben ergibt. Wer das nicht begriffen hat, der hat die wirklich proletarische Einstellung zur nationalen Frage nicht begriffen, der ist im Grunde auf dem Standpunkt des Kleinbürgers stehengeblieben und muß deshalb unweigerlich ständig zum bürgerlichen Standpunkt abgleiten… Für den Proletarier ist … geradezu lebensnotwendig, sich seitens der Nichtrussen ein Maximum von Vertrauen im proletarischen Klassenkampf zu sichern… Dazu ist nötig, durch sein Verhalten oder durch seine Zugeständnisse gegenüber dem Nichtrussen so oder anders das Mißtrauen, den Argwohn zu beseitigen, jene Kränkungen aufzuwiegen, die ihm in der geschichtlichen Vergangenheit von der Regie­rung der ‘Großmacht’nation zugefügt worden sind.“ (Lenin: Zur Frage der Nationalitäten oder der „Autonomie“. In: LW 36/593)

Ein anderes Erbe der Vergangenheit waren die Überreste des Nationalismus bei einer Reihe von Völkern, auf denen das schwere Joch der nationalen Unterdrückung gelastet hat und die noch nicht vermocht hatten, sich von den Erinnerungen an die alten nationalen Kränkungen freizumachen.

Dieser Nationalismus kam in einer gewissen nationalen Entfremdung zum Ausdruck, in der Tatsache, daß solchen ehemals unter­drückten Völkern das volle Vertrauen zu den von Russen ausgehenden Maßnahmen noch fehlte.

Lenin wies darauf hin, daß die jahrhundertelange Unterdrückung der kolonisierten und schwachen Völker durch die herrschenden Klassen der Großrussen „bei den werktätigen Massen nicht nur Erbitterung, sondern auch Mißtrauen gegen die Unterdrückernationen überhaupt und auch gegen das Proletariat dieser Nationen hinterlassen“ hat. Das Absterben dieser Vorurteile gehe notwendigerweise nur sehr langsam vor sich. Dem klassenbewußten Proletariat erwächst daraus die Pflicht, „sich besonders behutsam und besonders aufmerksam zu den überlebenden nationalen Gefühlen in den am längsten unterdrückten Ländern und Völkern zu verhalten, wie auch die Pflicht, gewisse Zugeständnisse zu machen, damit dieses Mißtrauen und diese Vorurteile rascher überwunden werden.“ (Lenin: Ursprünglicher Entwurf der Thesen zur nationalen und kolonialen Frage. In: LW 31/138 f)

Dieser Nationalismus war in gewisser Hinsicht eine Reaktion auf den russischen Groß-machtchauvinismus und trug defensiven Charakter. Die Hauptmethode zu seiner Überwindung war der Kampf gegen dessen Überreste.

Die örtlichen Feudalherren, die nationale Bourgeoisie und die reaktionäre mohammedanische Geistlichkeit hatten in ihrem Klassen- und Gruppeninteresse in einigen Gebieten diesen defensiven Nationalismus in einen aggressiven Nationalismus, in einen Chauvinismus der stärkeren Nationalität gegen die schwächeren Völkerschaften verwandelt. So richtete sich der georgische Chauvinismus gegen Armenier, Osseten, Adsharen und Abchasen, der aserbaid-shanische Chauvinismus gegen Armenier, der usbekische Chauvinismus gegen Turkmenen und Kirgisen. Alle diese nichtrussischen Chauvinismen waren nicht besser als der großrussische Chauvinismus, wenn auch nicht so mächtig.

Alle diese Arten von Chauvinismus erfuhren eine Förderung durch die Verhältnisse der NÖP (Neuen ökonomischen Politik, ab 1920 als Ablösung vom „Kriegskommunismus“. Sie dauerte etwa bis Ende der 30er Jahre. Offiziell wurde sie nie aufgehoben) und der damit verbundenen Konkurrenz zwischen der russischen und nationalen Bourgeoisie sowie innerhalb der nationalen Bourgeoisie und drohte beständig, die Randgebiete Sowjetrußlands/UdSSR in einen Schauplatz nationaler Feindseligkeiten zu verwandeln.

Eine der übelsten nationalistischen Bewegungen war die sogenannte Basmatschenbewegung in Mittelasien. Sie war der letzte Stützpunkt der ausländischen militärischen Intervention und der inneren Konterrevolution. Ihre Organisatoren stammten aus den einheimischen Feudalherren, Stammesfürsten und turkestanischen bürgerlichen Nationalisten. Ihr ideologisches Banner war ein aus Panislamismus und Panturkismus zusammengebrauter Nationalismus mit ausgesprochen antisowjetischem Charakter. Ende 1921 machte sich der ehemalige General des türkischen Sultanregimes Enver Pascha zum Führer der Basmatschen und setzte sich als Oberkomman-dierender einer „Armee des Islams“ ein. Mit Betrug und nationalistischer Demagogie gelang es den Führern der Basmatschenbewegung, beträchtliche Teile der politisch rückständigen Bauern-schaft Mittelasiens unter ihren Einfluß zu bringen. Die Kommunistische Partei stand vor einer schwierigen und komplizierten Aufgabe. Sie mußte die Basmatschenrevolte zerschlagen, zugleich die Bauern, die ihr gefolgt waren, für sich gewinnen, an die Seite des Proletariats heranziehen. Es gelang den Bolschewiki, die Parteiorganisationen und die Sowjetmacht in Mittelasien zu festigen, schwerwiegende Fehler und Überspitzungen in ihrer nationalen Politik zu beseitigen, die Besonderheiten der sozialökonomischen Entwicklung der Völker Mittelasiens zu berücksichtigen und durch umfassende politische Aufklärungsarbeit unter der Bevölkerung bedeutende Teile der Bauernschaft auf ihre Seite zu ziehen. Diese Politik sicherte den Kommunistischen Parteien Turkestans, Choresms und Bucharas die Unterstützung der Bauern-massen sowie der kleinen Händler und Handwerker. Nach und nach konnten die Bolschewiki den Basmatschen ihre Massenbasis entziehen. Die Sowjetmacht hatte Ende 1922, Anfang 1923 noch weitere Einheiten der Roten Armee nach Mittelasien verlegen müssen, um die Bas-matschenrevolte endgültig zu zerschlagen.

Über die Rolle der Parteiorganisationen der Bolschewiki läßt sich heute leicht schreiben und ist einfach zu lesen. Aber wie sahen denn Parteiorganisationen in Mittelasien aus? Stellvertretend für andere Parteiorganisationen in Mittelasien sei auf die Formierung der Kommunistischen Partei Turkestans verwiesen. Sie verfügte 1918 nur über 2000 Mitglieder. Im Juni 1919 zählte sie aber bereits 22.000 bis 25.000 Mitglieder. Exakte Erfassung der Mitglieder, wie wir sie heute in Europa kennen, gab es nicht. Woher kamen die neuen Mitglieder der KP Turkestans? Es war schon ein bedeutender Fortschritt, daß sich etwa die Hälfte der Parteimitglieder aus Arbeitern und Bauern der einheimischen Nationalitäten zusammensetzte. Diese waren aber politisch unerfahren, hatten keine oder nur eine sehr dürftige theoretische Bildung, zu einem nicht geringen Teil waren sie noch Analphabeten oder hatten ein wenig Schreiben und Lesen in einer islamischen Schule gelernt, arabisch nicht russisch.

Ein Teil der neuen Mitglieder rekrutierte sich aus ehemaligen linken Sozialrevolutionären. Es war unvermeidlich, daß sich auch unbeständige und feindliche Elemente in die KP Turkestans einschlichen. In den staatlichen Sowjetorganen Turkestans hatten bis zum Januar 1919 die Bolschewiki gemeinsam mit linken Sozialrevolutionären die Macht ausgeübt. Wenn auch die Bolschewiki nach Niederschlagung des antisowjetischen Putsches in Taschkent im Januar 1919 die Macht allein übernahmen, verblieben doch noch immer Sozialrevolutionäre im Sowjet-apparat in ihren Funktionen. Ähnlich sah es in den Parteiorganisationen in den sowjetischen Volksrepubliken Buchara und Choresm aus. Für die Aufnahme von Mitgliedern in die KPR (B) in Mittelasien galten auch andere, weniger strenge Bedingungen als in den zentralen russischen Gebieten. „Eine mechanische Übertragung jenes klassenmäßigen revolutionären Kriteriums, das sich auf Grund der Erfahrungen der proletarischen Zentren gebildet hat, auf die genannten Gebiete (Mittelasiens, UH) wäre vollkommen falsch und würde zu direkt entgegengesetzten Ergebnissen führen. Gerade der Umstand, daß den Kern der KPR in ihrer Gesamtheit gestählte Arbeiter der Industriezentren bilden, gestattet der Partei, ohne daß ihr Klassencharakter Gefahr läuft, die … Methode der geduldigen ideologischen Erziehungsarbeit anzuwenden.“ (Vierte Beratung des ZK der KPR (B) mit den verantwortlichen Funktionären der nationalen Repu-bliken und Gebiete. Moskau, 9. – 12. Juni 1923. In: Die Kommunistische Partei der Sowjetunion in Resolutionen und Beschlüssen…, a.a.O. S. 237)

Wenn man alle diese konkreten Verhältnisse in den mittelasiatischen Parteiorganisationen berücksichtigt, dann wird die gewaltige Leistung deutlich, die die Bolschewiki vollbracht haben, daß sie bis Ende 1922 in den mittelasiatischen Gebieten die Sowjetmacht konsolidiert haben, wenn auch noch immer sowjetfeindliche subversive Elemente die Maßnahmen der Sowjetmacht empfindlich behinderten.

Wie sah es nun mit dem Selbstbestimmungsrecht der Nationen, dem Recht auf Lostrennung und Bildung eines eigenen Staates unter sozialistischen Bedingungen in der Praxis aus? Hierbei ist zu berück­sichtigen, daß nach der Oktoberrevolution bis etwa Mitte/Ende der 20er Jahre in Sowjetrußland/UdSSR der Sozialismus sich noch im Anfangsstadium seiner Errichtung befand und man von „sozialistischen Bedingungen“ nur sehr vorsichtig sprechen kann.

In dem w.o. erwähnten Artikel „Marxismus und nationale Frage“ aus dem Jahre 1913 schrieb Stalin bezüglich der Lostrennung Polens von Rußland daß „die Frage der Lostrennung aus einem Gegenstand des praktischen Lebens zu einem Gegenstand akademischer Diskussionen geworden“ sei, „die höchstens die im Ausland lebenden Intellektuellen aufregen“. Es könnten jedoch neue innere und äußere Konjunkturen auftreten, die die Frage der Lostrennung erneut auf die Tagesordnung setzten. Wichtig ist die theoretische Schlussfolgerung, daß es möglich sei, daß für jede Nation eine besondere Lösung der Frage notwendig ist. „Wenn irgendwo eine dialek-tische Stellung der Frage notwendig ist, so eben hier, in der nationalen Frage.“ Stalin wandte sich „entschieden gegen eine sehr verbreitete, aber auch sehr summarische Methode der ‘Lösung’ der nationalen Frage …“ (Stalin: Marxismus und nationale Frage. In: SW 2/286 f)

Wie schwierig es ist, selbst unter sozialistischen Bedingungen das „Selbstbestimmungsrecht“, das „Recht auf Lostrennung“ der Nationen einer Lösung zuzuführen, zeigte sich besonders deutlich im Kaukasus. Dort leben etwa 40 verschiedene Nationen, Nationalitäten und ethnische Gemeinschaften. Neben entwickelten Nationen, Georgiern, Armeniern, Aserbaidshanern leben dort auch Völkerschaften, die vor der Oktoberrevolution nur über eine primitive Kultur verfügten, Mingrelen, Abchasen, Adsharen, Swanen, Lesghier u.a., die verschiedene Sprachen sprechen, aber über keine eigene Literatur verfügten. Die Adsharen sprechen georgisch, haben eine türkische Kultur und bekennen sich zum Islam. Ähnlich verhielt es sich mit den Inguschen, den Ingiloniern u.a. ethnischen Gemeinschaften. Wie nun hier das „Recht auf einen eigenen Staat, auf Lostrennung!“ verwirklichen?

Die nationale Frage im Kaukasus, meinte Stalin 1913, könnte nur „im Geiste der Einbeziehung der zu spät gekommenen Nationen und Völkerschaften in den allgemeinen Strom der höheren Kultur gelöst werden.“ (Ebd. S. 319)

Ein schwierig zu lösendes Problem waren die verschiedenen Sprachen, die in Sowjet-rußland/UdSSR gesprochen wurden. Nach der Enzyklopädie der UdSSR wurden im Lande 200 Sprachen gesprochen, die verschiedenen Sprachsystemen angehörten. (Enzyklopädie der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Bd. II. Berlin 1950. Spalte 1695) Außer den 45 namentlich genannten Nationalitäten in der Enzyklopädie lebten in der RSFSR noch verschiedene Volksstämme und Volksgruppen. (Ebd. Bd. I. Spalte 45)

Die Mehrzahl der Sprachen dieser Volksgruppen besaßen jedoch kein Schrifttum. Bei den Völkern, die über Schrifttum verfügten, zum Beispiel das Arabische, betrug die Zahl der Lese- und Schreibkundigen nur ein bis zwei Prozent. Für die meisten dieser Sprachen mußte erst ein Schrifttum geschaffen werden. (Siehe ebd. Bd. II. Spalte 1702 ff) Mit welchen Buchstaben? Nach welcher Grammatik? Die meisten dieser Sprachen, wie auch das Arabische, kannten keine Begriffe und Termini der modernen Wissenschaft und Technik, ganz zu schweigen vom begriff-lichen Instrumentarium des Marxismus-Leninismus. Einige Sprachen dienten nur der münd-lichen Verständigung in Alltagsfragen. Schulunterricht in der Muttersprache war nur in solchen Republiken und nationalen Gebieten möglich, die über eine entwickelte Sprache verfügten. In vielen Fällen konnte der Unterricht in der Muttersprache nur in der Unterstufe erteilt werden, weil die Terminologie für Wissenschaften in der Muttersprache nicht vorhanden war und auch nicht geschaffen werden konnte. So mußte der Unterricht in den oberen Klassen in russischer Sprache erteilt werden. Es entstand das Problem der Zweisprachigkeit. Zugang zu Wissenschaft und Technik war in Sowjetrußland/UdSSR nur über die russische Sprache möglich. Zuweilen wurden russische Wörter in anderen Sprachen aufgenommen, wie auch umgekehrt, so daß eine Bereicherung des Wortschatzes stattfand, andererseits starben auch Sprachen kleinerer Volks-gruppen aus.

Ein Schrifttum zu schaffen war das eine. Es mußten aber auch Zeitungen, Bücher, Zeitschriften gedruckt, d.h. Verlage für Schriften in der Muttersprache geschaffen, Lehrer ausgebildet wer-den. Dafür mußten erhebliche finanzielle Mittel aufgebracht werden. Die auf Fehlersuche in Stalins nationaler Politik versessenen Kritiker werden in diesem weltgeschichtlich wirklich erst – und bis jetzt ­ Anfang des 21. Jahrhunderts einmaligen grandiosen Unternehmen auch genügend Fehler finden, an denen sie sich berauschen können.

Auf der vierten Beratung des ZK der KPdSU (B) mit Funktionären der nationalen Republiken und Gebiete im Juni 1923 nahm die Frage der allmählichen Einführung der Muttersprache der einheimischen Bevölkerung in den „Geschäftsbereich“ (als Amtssprache, UH) eine Schlüssel-stellung ein. Die verantwortlichen Funktionäre in den nationalen Gebieten, fast ausschließlich Russen, wurden verpflichtet, die Muttersprache der einheimischen Bevölkerung zu lernen. (SW 5/ 261 f) Diese Forderung wurde von Stalin bis an sein Lebensende mehrfach mit Nachdruck wiederholt. Er hatte die Gefahren rechtzeitig erkannt, die aus der Vernachlässigung dieser Forderung erwachsen mußten. In den Schulen sei der Unterricht in der Muttersprache zu erteilen, wobei das Netz der in der Muttersprache tätigen Lehranstalten zu erweitern sei. Die politische Erziehungsarbeit müsse in der Muttersprache erfolgen. Dafür müsse marxistische Literatur in der Muttersprache herausgegeben werden. Ein Netz von Vereinigungen sei zu schaffen, die der einheimischen Bevölkerung Lese- und Schreibunterricht in der Muttersprache erteilen. (Ebd. S. 263)

Die von Stalin verfochtene Forderung nach „Zweisprachigkeit“ wurde von nicht wenigen russischen Funktionären als „Einbahnstraße“ verstanden, wonach sich die Nichtrussen eben die russische Sprache anzueignen hätten.

Stalin war sich der Gefahren eines solchen Verhaltens von Seiten der russischen Sowjetfunktionäre bewußt. Seine mehrfach wiederholten Mahnungen, daß die russischen Sowjetfunktionäre in den nationalen Gebieten die Sprache der Bevölkerung lernen müssen, konnte er bis zu seinem Tode nicht durchsetzen. Desgleichen wurde die Aneignung der russischen Sprache als Zweitsprache für die nichtrussischen Nationalitäten nie voll verwirklicht. Ende der 70er Jahre beherrschten nur 62,2 % der nichtrussischen Bevölkerung frei die russische Sprache. Zum Teil verlief die Entwicklung sogar rückläufig. In einigen Republiken beherrschte die junge Generation die russische Sprache schlechter als die mittlere.

In Parteidokumenten der KPdSU aus den 70er und 80er Jahren fanden sich wiederholt Hinweise auf die Notwendigkeit, Russisch als Zweitsprache zu erlernen, aber, im Unterschied zu Stalin, keine Hinweise, daß die Russen die Sprache derjenigen Nation als Zweitsprache erlernen sollten, in deren Gebiet sie lebten. Gerade die in kleinen Republiken oder autonomen Gebieten lebenden Russen sprachen meistens nicht die Sprache der Stammnation. Das hatte besonders in den baltischen Sowjetrepubliken zur Entfremdung zwischen Russen und den Bürgern der baltischen Nationen geführt, ein Gefühl der „Russifizierung“ erzeugt. In der estnischen Sowjet-republik hatten Esten und Russen ursprünglich gemeinsame Kinderkrippen und Kindergärten, lebten auch in gemeinsamen Wohngebieten. Das hatte sich im Laufe der 70er und 80er Jahre verändert. Estnische und russische Bildungseinrichtungen waren jetzt oftmals getrennt. In Tallin existierten estnische und russische Wohngebiete, zwischen denen es keine Kommunikations-punkte, kaum Kontakte gab.

Gravierende Versäumnisse auf dem Gebiet der Nationalitätenpolitik in der Breshnew-Ära und der Perestroika-Periode im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Problemen, Disproportionen zwischen Bildungs- und Anforderungsniveau, ungleiche Entwicklung der Republiken und nationalen Gebiete, haben Voraussetzungen für Entfremdungsprozesse zwischen den Nationen und Ethnien geschaffen, ließen alte Feindschaften, die zur Regierungszeit Stalins weitgehend überwunden werden konnten, wieder aufleben. Durch die konterrevolutionäre Politik Gorbat-schows wurde der Boden für einen explosiven Nationalismus bereitet, der sich nach der Zerstörung der sowjetischen Staats- und Parteiinstitutionen entladen konnte.

Wenn Hitler als Repräsentant des faschistischen deutschen Imperialismus bei seinem ver-brecherischen Überfall auf die Sowjetunion mit einem Auseinanderbrechen der Nationalitäten gerechnet hat, wurde er bitter enttäuscht. Der Zusammenhalt der Völker der Sowjetunion im Großen Vaterländischen Krieg war Ergebnis Stalinscher Nationalitätenpolitik. Vereinzelte Ausnahmen rückständiger Krim-Tataren und ukrainischer Kollaborateure ändern nichts an diesem Sachverhalt.

In einem Brief an Kaganowitsch und andere Mitglieder des Politbüros des ZK der Kommunistischen Partei Ukraine (B) vom 26. April 1926 wies Stalin auf ernste Probleme bezüglich der nationalen Politik der Partei in der Ukraine hin. Man müsse unterscheiden zwischen der Ukrainisierung der Apparate und der Ukrainisierung des Proletariats. Die Bewegung für eine ukrainische Kultur, für ein ukrainisches öffentliches Leben, habe begonnen, aber sie dürfe „auf keinen Fall fremden Elementen“ überlassen bleiben. Unter russischen Partei- und Sowjetfunktionären gebe es eine Tendenz, die ukrainische Kultur im „Geiste der Ironie und des Skeptizismus“ zu betrachten. So schwierig es sei, Kader auszuwählen und auszubilden, die fähig sind, die neue Bewegung in der Ukraine zu leiten, so müsse man unter Einhaltung eines bestimmten Tempos die Apparate der Partei und des Staates und anderer, die für die Bevölkerung arbeiten, ukrainisieren. Man dürfe aber nicht das Proletariat „von oben her ukrainisieren. Man darf die russischen Arbeiter nicht zwingen, auf die russische Sprache und die russische Kultur zu verzichten und die ukrainische Kultur und Sprache als die ihrige anzuerkennen. Das widerspricht dem Prinzip der freien Entwicklung der Nationalitäten. Das wäre nicht nationale Freiheit, sondern eine eigentümliche Form der nationalen Unterdrückung.

Es steht außer Zweifel, daß die Zusammensetzung des ukrainischen Proletariats sich in dem Maße ändern wird, wie sich die Ukraine industriell entwickeln wird, wie ukrainische Arbeiter aus den umliegenden Dörfern in die Industrie strömen werden. Es steht außer Zweifel, daß das ukrainische Proletariat sich ukrainisieren wird, ebenso wie das Proletariat, sagen wir, in Lettland und in Ungarn, das eine Zeitlang deutschen Charakter hatte, sich später zu lettisieren beziehungsweise zu madjarisieren begann. Das ist aber ein lange währender, elementar verlaufender, natürlicher Prozeß. Diesen ele­mentaren Prozeß durch eine gewaltsame Ukrainisierung des Prole­tariats von oben her ersetzen wollen – heißt eine utopische und schädliche Politik betreiben, die in den nichtukrainischen Schichten des Proletariats der Ukraine einen antiukrainischen Chauvinismus hervorrufen kann.“

Es sei zu beachten, daß diese Bewegung für die ukrainische Kultur und ein ukrainisches öffentliches Leben „meistens von nichtkommunistischen Intellektuellen geleitet wird“ und „manchenorts den Charakter eines Kampfes für die Absonderung der ukrainischen Kultur und des ukrainischen öffentlichen Lebens von der Kultur und des öffentlichen Lebens des gesamten Sowjetlandes, den Charakter eines Kampfes gegen ‘Moskau’ überhaupt, gegen die Russen über­haupt, gegen die russische Kultur und ihre höchste Errungenschaft, den Leninismus, annehmen kann. Ich brauche nicht den Beweis zu führen, daß diese Gefahr in der Ukraine immer realer wird.“

In einem Artikel in der ukrainischen Presse habe der Kommunist Chwilewoi die Forderung nach „unverzüglicher Entrussifizierung des Proletariats in der Ukraine“ erhoben, die „ukrainische Poesie“ so schnell wie möglich von der russischen Literatur… frei zu machen.

Stalin hatte die Gefahren, die für die Sowjetunion von dem nicht­russichen, in diesem Fall dem ukrainischen Nationalismus ausgin­gen, rechtzeitig erkannt. Ihm war bewußt, daß sich diese Probleme nicht mit Gewalt „von oben“ her lösen ließen, sondern nur langfristig durch eine ausgewogene nationale Politik. (Stalin: An Genossen Kaganowitsch und andere Mitglieder des Politbüros des ZK der Kommunistischen Partei der Ukraine (Bolschewiki). In: SW 8/133 – 135)

Eine schwere Hinterlassenschaft des Zarismus war die wirtschaftliche Unterentwicklung der nationalen Gebiete. Eine Reihe von Republiken, die kein oder nur ein schwach entwickeltes Proletariat hatten, da sie die kapitalistische Entwicklung nicht oder nur bedingt durchlaufen hatten, waren allein nicht in der Lage, von ihren durch die Oktoberrevolution gewonnenen politischen Freiheiten, Rechten und Möglichkeiten vollen Gebrauch zu machen.

Eine Reihe von Völkern konnten ihre ökonomische Rückständigkeit nicht ohne Hilfe von außen überwinden. Trotz aller Belastungen durch Krieg, Bürger- und Interventionskrieg leistete die russische Arbeiterklasse den zurückgebliebenen Nationalitäten selbstlose Hilfe, wobei zu beachten ist, daß die russische Industrie auch nicht über die modernste Technik verfügte und selbst Aufholbedarf gegenüber dem Westen hatte.

Zu den ersten, wichtigsten Hilfeleistungen der russischen Arbeiterklasse gehörten der Aufbau von Industriebetrieben in den kaukasischen, mittelasiatischen und östlichen Gebieten der RSFSR, die Entsendung von Ingenieuren Facharbeitern und anderen Spezialisten für Technik und Produktionsorganisation, die Ausbildung von einheimischen Facharbeitern, Ingenieuren, Ökonomen, Brigadieren, Leitungskadern.

Diese solidarische Hilfe begann unmittelbar nach der Oktoberrevolution, während des Bürger- und Interventionskrieges. Sie bezog sich nicht nur auf die ehemaligen Kolonien des Zarismus, sondern erstreckte sich auch auf die rasche Wiederherstellung durch den Krieg zerstörter Industrieanlagen in der Ukraine und Belorußland. So unterstützte die RSFSR die Ukrainische SSR bei der Wiederherstellung ihrer Industrie, insbesondere des Donezbeckens. Der Oberste Volkswirtschaftsrat der RSFSR faßte 1921 den Beschluß, die Industrie der Ukrainischen SSR genauso zu finanzieren wie die der RSFSR. Der Belorussischen SSR stellte die RSFSR 20 Mrd. Rubel für die Wiederherstellung ihrer Industrie zur Verfügung. In den mittelasiatischen und transkaukasischen Republiken bestand die Aufgabe, die schwach entwickelte Industrie zu fördern bzw. eine Industrie überhaupt erst einmal aufzubauen.

Bereits 1921/22 exportierte die RSFSR Textilfabriken, Druckereien und lithographische Anstalten in die transkaukasischen Sowjetrepubliken. Im März 1921 wurde mit Hilfe der RSFSR die Erdölleitung von Baku nach Tiblissi eröffnet, ein Wasserkraftwerk in der Nähe von Tiblissi errichtet. Die selbstlose Hilfe der russischen Arbeiterklasse war ein Ausdruck ihres Internationalismus, ihrer Solidarität zu den ehemals unterdrückten Völkern und um so höher zu bewerten, als die Produktivkräfte ihres eigenen Landes selbst weitgehend zerstört waren.

Die Solidarität der russischen Arbeiter förderte die Vereinigungsbestrebungen in den Sowjetrepubliken. Nach der Konstituierung der UdSSR wurde sie in ständig wachsendem Umfang fortgesetzt. Das war ein Prozeß, der eine Jahrzehnte umfassende historische Periode in Anspruch nahm und auch nicht ohne Rückschläge und Konflikte verlief. Dennoch bleibt die Vereinigung der Sowjetrepubliken zur UdSSR sowie ihre weitere Festigung ein bleibendes Verdienst der nationalen Politik von Lenin und Stalin.

Die Ergebnisse der „nationalen Politik“ von Gorbatschow, Jelzin, Schewardnadse, Jakowlew sind die erneute Entfachung von nationalem Haß, von Kriegen, Gemetzeln und Pogromen. Es mutet zumindest merkwürdig an, wenn diese Herren und ihr publizistischer Anhang geläuterter „Demokraten“ diesen erneut erzeugten militanten Nationalismus als Spätfolge der nationalen Politik Stalins bezeichnen. Es gehört zu den paranoiden Vorstellungen bürgerlicher und auch einiger „linker“ Publizisten, wenn irgendwelche Verbrechen in der Sowjetunion und später nach deren konterrevolutionärer Zerstörung geschahen oder geschehen, diese Stalin anzulasten, sie zumindest als Auswirkungen seiner diabolischen Politik auszugeben.

„Bezeugt nur, ohne viel zu wissen!“ (Der Mephistopheles in Goethes „Faust“)

Prof. Dr. Ulrich Huar, Berlin

Literaturverzeichnis

Karl Marx:

  • Inauguraladresse der Internationalen Arbeiter-Assoziation. In: MEW 16/5 – 13.
  • Der Bürgerkrieg in Frankreich. Adresse des Generalrats der Internationalen Arbeiter-Assoziation. In: MEW 17/315 – 362.

W.I. Lenin:

  • Über die Junius-Broschüre. In: LW 22/310 – 325.
  • Die Ergebnisse der Diskussion über die Selbstbestimmung. In: LW 22/326 – 368.
  • Die sozialistische Revolution und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen. In: LW 22/144 – 159.
  • Über das Selbstbestimmungsrecht der Nationen. In: LW 20/ 395 – 461.
  • Kritische Bemerkungen zur nationalen Frage. In: LW 20/1 – 37.
  • Die Entwicklung des Kapitalismus in Rußland. In: LW 3/7 – 629.
  • Zündstoff in der Weltpolitik. LW 15/176 – 183. – Die Ereignisse auf dem Balkan und in Persien. In: LW 15/216 ­226.
  • Die historischen Schicksale der Lehre von Karl Marx. In: LW 18/ 576 – 579.
  • Das Erwachen Asiens. LW 19/68 – 69.
  • Die nationale Frage in unserem Programm. In: LW 6/452 – 461.
  • Thesen zur nationalen Frage. In: LW 19/233 – 241.
  • Resolutionen der Sommerberatung des Zentralkomitees der SDAPR mit Parteifunktionären. In: LW 19/409 – 423.
  • Das Militärprogramm der proletarischen Revolution. LW 23/ 72 – 82.
  • Über eine Karikatur auf den Marxismus und über den „Impe­rialistischen Ökonomismus“. In: LW 23/ 18 – 71.
  • Das Nationale Programm der SDAPR. In: LW 19/535 – 541.
  • Brief an A.M. Gorki. In: LW 35/65 – 67.
  • Referat auf dem II. Kongreß der kommunistischen Organisati­onen der Völker des Ostens. 22. November 1919. In: LW 30/136 – 151.
  • Antwort auf die Fragen des Korrespondenten der amerikani­schen Zeitung „New York Evening Journal“. In: LW 30/357 – 359.
  • Brief an den Propaganda- und Aktionsrat der Völker des Ostens. In: LW Ergänzungsband, Oktober 1917 – März 1923. S. 385.
  • Unterredung mit dem japanischen Korrespondenten K. Fusse, Vertreter der Zeitungen „Osaka Mainichi“ und „Tokyo Nichini­chi“. In: LW Ergänzungsband Oktober 1917 – März 1923, S. 188.
  • Über unsere Revolution. LW 33/462 – 465.
  • Die Ukraine. In: LW 25/81 – 82.
  • Zur Frage der Nationalitäten oder deren „Autonomisierung“. In: LW 36/590 – 596.
  • Ursprünglicher Entwurf der Thesen zur nationalen und koloni­alen Frage. In: LW 31/132 – 139.

J.W. Stalin:

  • Marxismus und nationale Frage. In. SW 2/266 – 333.
  • Über einige Fragen der Geschichte des Bolschewismus. In: SW 13/76 – 91.
  • Die Politik der Sowjetmacht in der nationalen Frage in Rußland. In: SW 4/309 – 320.
  • Referat über die nationale Frage. In: SW 3/45 – 52.
  • Gegen den Föderalismus. In: SW 3/21 – 28.
  • Die Konterrevolutionäre Transkaukasiens unter der Maske des Sozialismus. In: SW 4/44 – 57.
  • Referat über die nächsten Aufgaben der Partei in der nationa­len Frage. In: SW 5/29 – 38.
  • Über die nächsten Aufgaben der Partei in der nationalen Frage. (Thesen zum 10. Parteitag der KPR (B)) In: SW 5/13 – 25.
  • Vierte Beratung des ZK der KPR (B) mit den verantwortlichen Funktionäre der nationalen Republiken und Gebiete. 9. – 12. Juni 1923. In: SW 5/255 – 298.
  • An Genossen Kaganowitsch und andere Mitglieder des Polit­büros des ZK der Kommunistischen Partei der Ukraine (Bolsche­wiki). In: SW 8/132 – 137.
  • Der Marxismus und die Fragen der Sprachwissenschaft. In: SW 15/163 Verlag Roter Morgen, Dortmund 1979.

Rosa Luxemburg:

  • Die Krise der Sozialdemokratie (Junius-Broschüre) In: Rosa Luxemburg. Ausgewählte Reden und Schriften, Bd. I. Berlin 1951. S. 258 – 399.
  • Um Marokko. Unser Marokko-Flugblatt. In: Ebd. Bd. II. Berlin 1951. S. 377 – 390.
  • Enzyklopädie der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Bd. II. Berlin 1950.

Andere Autoren:

  • Die Kommunistische Internationale. Kurzer historischer Abriß. Hrsg. Institut für Marxismus – Leninismus beim ZK der KPdSU. Moskau 1969. Deutsche Übersetzung Berlin 1970.
  • Die Kommunistische Partei der Sowjetunion in Resolutionen und Beschlüssen der Parteitage, Konferenzen und Plenen des ZK. 1894 ­1954. Bd. IV. Ins Deutsche übertragen nach der siebenten russischen Ausgabe in III Teilen. Hrsg. vom Institut für Gesellschaftswissenschaf­ten beim ZK der SED. Berlin 1957.
  • Kai Schmidt-Soltau: Eine Welt zu gewinnen! Die antikoloniale Stra­tegie-Debatte in der Kommunistischen Internationale zwischen 1917 und 1929 unter besonderer Berücksichtigung der Theorien von Man­abendra Nath Roy. Pahl-Rugenstein Hochschulschriften. Bonn 1994.
  • Jawaharlal Nehru: Anmerkungen zur Zeitgeschichte. 1927 – 1947. Leipzig/Weimar 1985.

Ulrich Huar:

  • Stalin als Theoretiker des Marxismus-Leninismus. Beiträge zur Theorie der nationalen Frage. Zum 50. Todestag Stalins am 5. März 2003. In: Schriftenreihe für marxistisch-leninistische Bildung der Kommunistischen Partei Deutschlands. Heft Nr. 86/1, Berlin, Juni 2002.
  • Proletarische und antikoloniale Revolution. In: Weißenseer Blätter. Hrsg. im Auftrag des Weißenseer Arbeitskreises. (Kirch­liche Bruderschaft in Berlin-Brandenburg) Hefte zu Fragen aus Theologie, Kirche und Gesellschaft. Heft 1, 2, 3, alle 1995.
  • Die Gründung der UdSSR – ein Meilenstein im sozialen Fortschritt der Menschheit. Lehrbrief. Hochschule für Ökonomie „Bruno Leuschner“. Berlin 1972.
  • Stalin als Theoretiker des Marxismus – Leninismus. Beiträge zur Parteitheorie. Zum 50. Todestag Stalins am 5. März 2003. In: Marxistisch-leninistische Schriftenreihe für Geschichte, Politik, Ökonomie und Philosophie der Kommunistischen Partei Deutschlands (Bolschewiki), Heft 17/5, Teil III-2. -oder offen-siv, Zeitschrift für Sozialismus und Frieden. Hrsg.: Verein zur Förderung demokratischer Publizistik (i.G.) Heft 4/03. Gleicher Titel.

ANMERKUNG

  1. Über Stalin hatte ich bereits anläßlich seines 60. Todestages am 5. März 2003 eine Studie verfaßt unter dem Titel „Stalin als Theoretiker des Marxismus-Leninismus – Beiträge zur Theorie der nationalen Frage.“ Unter historischem Aspekt stellt diese Studie über Stalins „Beiträge“ den Abschluß der Arbeiten über Marx, Engels und Lenin dar, auch wenn sie aus aktuellem Anlaß bereits 2002 erschienen ist.