Polemik gegen die Verballhornung der marxistischen Wissenschaftstheorie im neuen Programm der DKP

Frank Flegel:

Polemik gegen die Verballhornung der marxistischen Wissenschaftstheorie im neuen Programm der DKP

Es geht mir um die grundsätzlichen Fundamente unserer Weltanschauung, vor allem um die Fragen des Materialismus und des Systemdenkens – und was man davon im neuen DKP-Programm wiederfindet oder nicht bzw. was daran verdreht wird.

Kurz vorweg: Materialistische Gesellschaftsauffassung bedeutet – das kennt Ihr alle – als wesentliches Moment das Basis-Überbau-Modell, d.h. beispielsweise, dass kein Kommunist auf die Idee käme zu sagen: das Recht kommt vom lieben Gott oder von der Natur oder woher auch immer und ist einfach da, sondern wir würden immer darauf bestehen, das geltende Recht aus der jeweiligen Gesellschaftsformation abzuleiten, weil ja jede Gesellschaftsformation die Rechtsformen ausbildet, die zu ihr und ihren Eigentumsverhältnissen gehören. Recht ist so historisch wie die Gesellschaftsformation, die ihm zu Grunde liegt.

Ähnlich verhält es sich mit dem Staat. Es gab Gesellschaftsformationen, die brauchten kein Staatswesen und es gab und gibt Gesellschaftsformationen, die eine staatliche Organisation brauchten und brauchen. Wir vergessen bei der Analyse der unterschiedlichen Staatsformen nie, dass es sich dabei grundsätzlich um die organisierte Macht der einen Klasse zur Unterdrückung der anderen handelt. Wir haben also immer im Kopf, aus der ökonomischen Grundlage und der Frage der Produktion des Mehrprodukts und dessen Aneignung, also aus der jeweiligen Klassenstruktur der Gesellschaft die politische Herrschaftsform abzuleiten – und niemals anders herum aus der staatlichen Struktur die ökonomischen Verhältnisse erklären zu wollen. Und wenn man das jetzt weiterführt, gilt der Materialismus natürlich auch bei noch höher angesiedelten Überbauphänomenen wie etwa der Moral, der Pädagogik, der Kunst, der Ästhetik usw.

Und unverzichtbar für die materialistische Analyse einer Gesellschaftsformation ist die Klassen-analyse. Wenn man verkehrt herum, also idealistisch, an die Analyse von Gesellschaften heran-geht, verliert man die Klassenstruktur sofort aus dem Blick.

Der Revisionismus setzt häufig an diesen Grundlagen an. Meistens ist das erste, was kommt: man ist gegen streng wissenschaftliche Gesellschaftsanalyse überhaupt, und derjenige, der sie betreiben will, wird dann als einer hingestellt, der so tue, als habe er die „ewige Wahrheit gepachtet“. Demgegenüber wird dann behauptet, dass es in der Gesellschaft sowieso keine Wahrheiten – oder mindestens keine „einfachen“ Wahrheiten – gäbe, stattdessen wird in die Erkenntnis der Begriff „Pluralismus“ eingeführt. Das ist auch viel schöner und praktischer, denn dann kann jeder von der Gesellschaft halten, was er will, dann natürlich auch denken, reden, tun und lassen, was er will bzw. was ihm gerade in den Kopf kommt. Das alles kennen wir von der PDS.

Das nächste, was dann kommt, ist, genau die oben dargelegte Erkenntnis aufzuweichen, die besagt: die Rechtsformen und die Formen der politischen Herrschaft sind abhängig von der zu Grunde liegenden Gesellschaftsformation. Es wird dann so getan, als könne man mittels bestimmter Rechtsformen und bestimmter politischer Organe der alten Gesellschaft in einer Weise gesellschaftsverändernd wirken, dass die neue Gesellschaft, der Sozialismus, daraus entsteht. D.h. es wird behauptet, dass die aktuellen Rechts- und Staatsformen nicht nur zur Regulation des Kapitalismus/Imperialismus da sind, sondern dass man mit ihnen die Grundlage des Systems selbst verändern und die Gesellschaft grundsätzlich umstrukturieren könnte. Das ist ungefähr genauso, als hätte man mittels des Römischen Rechts, welches die Rechte der freien Römer und den rechtlosen Status der Sklaven regelt, die Sklaverei abschaffen wollen.

Hier muss ich den Begriff Fetisch bzw. Fetischismus einführen. Ein Fetisch ist ein Ding, was für ein soziales Verhältnis steht. Das, was die Revisionisten mit dem Recht und mit dem Staat veranstalten, kann man getrost Rechtsfetischismus bzw. Staatsfetischismus nennen, denn sie nehmen das Recht bzw. den Staat und tun so, als wenn das den revolutionären Kampf ersetzen könnte. Die Rechtsformen und die Herrschaftsformen der bürgerlichen Gesellschaft sind aber nicht dazu da, den Kapitalismus abzuschaffen, sondern vielmehr dazu, ihn am Funktionieren zu halten. Darüber muss man sich grundsätzlich klar sein. Revisionisten aber behaupten sehr schnell das Gegenteil, denn sie wollen ja über die Parlamente die schönen Dinge, die – in ihren Worten – für „die Menschen“ (die Arbeiterklasse verschwindet hier meistens sofort aus dem Vokabular) irgendwie gut sind, durchsetzten; wohlgemerkt: mittels bürgerlicher Macht-instrumente.

So weit die Vorrede. Nun gucken wir mal, was das neue Programm der DKP dazu sagt. Dabei werde ich mich auf eine in gewisser Weise einseitige Zitateauswahl stützen. Das mache ich bewusst. Ich mache den Sport nämlich nicht mit, mittels gegenteiliger Formulierungen, die man durchaus auch im neuen Programm finden kann, die Probleme zu bagatellisieren nach dem Motto: „aber auf Seite 5 steht es doch viel richtiger…“.

Zunächst zu Fragen des Rechts: Da finden wir im DKP-Programm die Aussage, ich zitiere: „Das Grundrecht auf existenzsichernde, menschenwürde Arbeit könnte verwirklicht werden.“ Von was für einem „Grundrecht“ phantasiert man hier? Im Kapitalismus gibt es dieses Grundrecht nicht. Wenn man es haben will, muss man zuvor die kapitalistische Ökonomie in eine sozialistische umwandeln, dazu muss man die Bourgeoisie entmachten und die Macht der Arbeiterklasse errichten. Und um das tun zu können, braucht man eine Partei, die genau diesen Weg anzeigt.

Aber sehen wir weiter: „Die Durchsetzung der elementaren Menschenrechte für alle Bewohner dieser Erde ist nur in einer Gesellschaft zu verwirklichen, die auf dem Gemeineigentum an Produktionsmittel beruht…“ Ich wiederhole nochmal: „…elementare Menschenrechte für alle Bewohner dieser Erde!“ Darin ist ja alles verschwunden. Wo kommt denn das Menschenrecht her? Hat es irgend etwas mit den Klassen zu tun? Und welcher Klasse gehören die genannten „Bewohner diese Erde“ an? Nichts davon steht im DKP-Programm.

Nun geht es um die Frage, wie man denn im Sozialismus das Recht des Kapitalismus aufheben will. Da steht im DKP-Programm: „Der Sozialismus (wird) den demokratischen Rechten und Freiheiten, die bereits im Kapitalismus erkämpft worden sind, (…) eine reale soziale Grundlage geben“. Sprich: das, was wir als bürgerliche Demokratie und so genannte demokratische Verfassung heute hier bei uns vorfinden, sind nach Auffassung der DKP Rechte, die „bereits im Kapitalismus erkämpft worden sind“, die die DKP, ihrem neuen Programm nach zu urteilen, beibehalten will, allerdings inklusive realer Grundlage. Wenn ich richtig informiert bin, hat die demokratische Verfassung der bürgerlichen Herrschaft, also die Formulierung der allgemeinen Freiheits- und Menschenrechte, etwas zu tun mit dem Kampf der noch jungen Bourgeoisie gegen die Feudalherrschaft, ist von ihr als Kampfprogramm gegen den Feudaladel formuliert worden, stammt also aus einer ganz anderen historischen Epoche und diente dort nicht der Emanzipation der Arbeiterklasse, sondern der der Bourgeoisie. Natürlich kann die Arbeiter-klasse diese Rechte nutzen. Aber es ist schließlich nicht so, dass die Menschenrechte zum Wohl die Arbeiterklasse formuliert worden wären, – nein, es sind die Menschenrechte der Bourgeoisie.

Das Problem ist nun, dass gemäß des neuen Programms der DKP die bürgerlichen Rechtsverhältnisse, denen die DKP mit ihrer Formulierung „demokratische Rechte und Freiheiten, die bereits erkämpft wurden“, einen grundsätzlich fortschrittlich Charakter zubilligt, unbesehen in den Sozialismus verlängert werden sollen – nur mit einer veränderten materiellen Grundlage versehen, so als existierten die „guten“, eigentlich schon sozialistischen Freiheits- und Menschenrechte bereits im Kapitalismus und müssten im Sozialismus nur noch gesichert werden. Eine abenteuerliche Konstruktion!

So weit, so schlecht. Auf Grundlage dieses ganzen Konglomerat von Rechtsfetischismen formuliert die DKP in ihrem neuen Programm: „Sie (die DKP, d.Red,) tritt dafür ein, die UNO und das Völkerrecht zu stärken“. Nun, hätte das Erfolg, wird dagegen niemand etwas haben. Nur: wer wird das denn durchsetzen können? Recht ist unter Klassenverhältnissen eine Machtfrage. Und Recht ohne Macht führt nur zu verdummenden Illusionen. Kein Wort bei der DKP, wer der Träger der Macht sein könnte. Man will eben nur „das Völkerrecht stärken“ – durch welches Subjekt, bleibt unklar. Ich komme auf diese Passage später noch einmal zu sprechen, weil diese Vorstellungen mit der Rolle der UNO, wie sie sich die DKP erträumt, etwas zu tun hat.

Was die Rolle des Staates angeht, gibt es leider ähnliche Probleme im neuen Programm, einen Staatsfetischismus ähnlich dem eben aufgezeigten Rechtsfetischismus. Über den Staat, über zwischenstaatliche bzw. staatsähnliche Institutionen wie der EU oder der UNO will man Einfluss nehmen auf den Lauf der Dinge und sie zum Fortschritt bewegen. Wir alle wissen: der Staat ist die organisierte Macht der einen Klasse zur Unterdrückung der anderen. Was ist er bei der DKP? Da ist er „Herrschaftsinstrument und Feld des Klassenkampfes zugleich“. Wie bitte? Was ist der Staat den nun? Wenn der Staat ein „Feld des Klassenkampfes“ ist, dann ist er – bildlich gesprochen – ein leere Raum, und es kommt darauf an, wer sich darin breit machen kann, die Bourgeoisie oder die Arbeiterklasse. Die Frage ist: Ist der Staat das Feld des Klassenkampfes, also ein an sich klassenneutrales Etwas, oder ist er die organisierte Macht der Bourgeoisie? Hier muss man sich entscheiden, denn beides gleichzeitig, so wie es im DKP-Programm zum Ausdruck kommt, kann er nicht sein. Da lohnt es sich doch, bei den Klassikern über die Staatstheorie nachzulesen.

Und weiter geht’s: „Der Staat wird zum Verwalter einer Politik, die weitgehend außerhalb seiner Souveränität beschlossen wird“. Nun wird auch noch eine „Souveränität“ des Staates postuliert, wobei unklar bleibt, wo die Souveränität herkommt und wem gegenüber der Staat souverän sein soll: Jedenfalls kommen nun – in der Vorstellung des DKP-Programms – die bösen Monopol-kapitalisten bzw. die transnationalen Konzerne daher und sagen zum Staat: „Du machst jetzt aber, was ich will“. Und das greife die Souveränität des Staates an, schreibt die DKP in ihr Programm. Satirisch zugespitzt formuliert verhält es sich nach Ansicht der DKP etwa so: Der arme kleine Staat, der sonst gar nichts dafür kann, wird bösartig von der Bourgeoisie für deren Zwecke instrumentalisiert. So ein wirres Zeug steht in diesem Programm, das muss man sich mal vorstellen!

Genau so geht es dem armen kleinen Europa. Das wird nämlich „den Profit- und Macht-interessen des transnationalen Kapitals unterworfen…“. Als wären EU-Institutionen nicht originäre Bourgeoisinstitutionen, sondern eigentlich wertfrei und klassenneutral. Aber das will ich jetzt nicht weiter kommentieren, das ist der gleiche Quatsch wie der, den die DKP in ihrem Programm über den Staat fabriziert hat – nur auf der Ebene der EU.

Ich komme jetzt zur politischen Perspektive. Schauen wir uns an, wie es nach Auffassung der, DKP besser werden könnte: Es müsse um „…die demokratische Einflussnahme auf den staatsmonopolistischen Regulierungsmechanismus im nationalen Rahmen wie im Rahmen der Europäischen Union… (gehen)“. „Staatsmonopolistischer Regulierungsmechanismus“, und der soll (obwohl „staatsmonopolitisch“!!!) offen für „demokratische Einflussnahme“ sein, „demokratische“ wohlgemerkt, nicht etwas gezwungen werden, auf klassenkämpferischen, auf Streik gestützten, außerparlamentarischen Druck zu reagieren.  Früher nannte man so etwas: „Parlamentarismusillusion“. Denn es ist die alte Frage: kann ein Herrschaftsapparat der Bourgeoisie benutzt werden, um mit ihm Schritte in Richtung Sozialismus zu gehen? Marx und Engels waren dieser Meinung nicht.

Und mit dem Staatsfetischismus geht es munter weiter so im Programm der DKP. Da steht dann zum Beispiel: „Die weitere Entwicklung der Europäischen Union wird davon abhängen, inwieweit es … gelingt, im gemeinsamen Handeln die Beherrschung der EU-Institutionen durch das Monopolkapital einzuschränken, diese Institutionen zu demokratisieren und selbst Einfluss auf deren Entscheidungen zu gewinnen.“ Auch hier also wieder das gleiche Bild: Es gibt die mehr oder weniger inhaltslose und richtungsfreie Institution (der EU) und dann den Kampf darum, wer diese Institution benutzen kann, um seine Interessen durchzusetzen.

Wer A sagt, muss auch B sagen. Deshalb tritt die DKP auch dafür ein, „die UNO zu demokratisieren“, ähnlich, wie sie ja auch das „Völkerrecht stärken“ wollte. Auch hier wieder die Frage: wo soll die Macht herkommen, die das durchsetzen könnte? Aber genau diese Frage stellt sich für die DKP nicht, denn für sie ist ja die UNO, die EU-Institution, der Staat eben diejenige Macht, die, wäre sie von der DKP demokratisiert, unsere Interessen durchsetzen würde. Und die Tatsache, dass die UNO nur Ausdruck der klassenbedingten Kräfteverhältnisse dieser Welt ist, kommt in einer solchen Konstruktion nicht vor.

So weit zu den Rechts- und Staatsfragen. Was die Ökonomie angeht, will ich mich so kurz wie möglich fassen, allerdings sind einige Punkte dringend anzusprechen.

Da gibt es im DKP-Programm beispielsweise die Rede vom „kapitalistische(n) Profitprinzip“. Das ist der Abschied vom Systemgedanken, denn nun muss man nicht mehr den Kapitalismus bekämpfen, sondern nur dessen „Profitprinzip“. Wenn man von der Wissenschaftlichkeit der Analyse weg will, ist eine solche Formulierung natürlich notwendig. Wenn man nicht mehr vom Kapitalismus als System, als Gesellschaftsformation reden will, dann redet man eben von solchem Unsinn wie dem „Profitprinzip“ oder dem „neoliberale(n) Konzept…“, also nicht vom Kapitalismus, sondern von falschen Prinzipien und Konzepten.

Aber schauen wir genauer hin, und zwar auf das, was „zerstört“ wird durch das „neoliberale Konzept“ nämlich: „der humane Charakter von Arbeit“. Ich hatte immer gedacht, dass es im Kapitalismus um Lohnarbeit geht – und Lohnarbeit ist grundsätzlich inhuman. Oder soll an dieser Stelle der allgemein-philosophischen Begriff der Arbeit als menschliche Potenz bemüht werden? Aber warum? Wir (und das DKP-Programm) reden doch gerade vom Kapitalismus und damit von Lohnarbeit, oder? Aber egal: gesagt wird jedenfalls, dass dieser humane Charakter der Arbeit (worin er im Kapitalismus auch immer bestehen möge) vom bösen „neoliberalen Konzept“ zerstört werde. Als hätte es im Kapitalismus vor dem Entstehen seines „neoliberalen Konzeptes“ einen „humanen Charakter von Arbeit“ gegeben!?

Noch viel schlimmer wird es in diesem Zusammenhang aber, wenn das DKP-Programm konkrete Schritte angibt, wie das Problem denn zu lösen sei. Man stellt sich Reformen vor, die die Tür zum Sozialismus öffnen bzw. den Weg zum Sozialismus möglich machen (unter: „Unser Weg zum Sozialismus“) – was an sich schon eine durchaus diskussionswürdige These ist. Im DKP-Programm wird dann als Reform vorgestellt, die Massenarbeitslosigkeit zu beseitigen. „Ohne real erscheinenden Alternativen wird kein gesellschaftlich wirksamer Widerstand entstehen … Deshalb muss mit den Ansätzen von Widerstand die Perspektive von Verän-derungen und Reformen verknüpft werden: Reformen, die sich … auf die Beseitigung von Massenarbeitslosigkeit, die Eindämmung prekärer Beschäftigung … ausrichten“.

Wer behauptet, dass man mittels Reformen im Kapitalismus die Massenarbeitslosigkeit be-seitigen kann, der ist im günstigsten Falle ein Idiot oder ein Schwätzer, wahrscheinlich aber ein bewusster Lügner. Solche Äußerungen, getätigt durch eine kommunistische Partei, vernebeln das Bewusstsein in einem unerträglichen Ausmaß und nehmen uns einen der wichtigsten Hebel der Propaganda. Statt zu vernebeln müssen wir herausstellen, dass Kapitalismus zwangsläufig und systembedingt zur Herausbildung von Massenarbeitslosigkeit führt, und dann folgern: wer ein realisiertes Recht auf Arbeit, soziale Sicherheit und eine gesicherte Zukunftsperspektive für alle will, der braucht den Sozialismus, denn innerhalb des Kapitalismus gibt es keine Lösung für dieses Problem! Wer etwas anderes erzählt, lügt – und betrügt die Menschen. Es ist unerträglich, dass eine kommunistische Partei so etwas in ihr Programm schreibt!

Und noch widerliches wird es – und das ist das letzte, was ich heute noch zur Ökonomie sage – wenn die DKP in ihrem Programm  formuliert: „Obwohl heute die Arbeitsproduktivität so stark wie nie zunimmt, wird der gesellschaftliche Reichtum immer mehr dem Verteilungskampf entzogen.“ Gestattet mir, den Begriff „Verteilungskampf“ kurz zu erläutern. In der BRD-Volkswirtschaftslehre gab es in den 50er und 60er Jahren die so genannte „Produktions-faktorentheorie“. Ich weiß nicht, ob Ihr diesen damals verbreiteten Unsinn kennt, deshalb hier ein ganz kurzer Abriss: die Produktionsfaktorentheorie besagt, dass zur Herstellung von Gütern Kapital, Arbeit und Boden zusammenkommen müssen. Die drei braucht man nun mal. Es gibt keine weiteren Strukturen, Verhältnisse, Abhängigkeiten oder ähnliches zwischen diesen drei „Produktionsfaktoren“. Dann produzieren sie ein Produkt. Und das verkaufen sie  – und das ergibt einen Gewinn. Und jetzt kommt der Verteilungskampf: die Produktionsfaktoren streiten sich um den jeweiligen Anteil am „Kuchen“. Natürlich spielen Eigentums- und Machtverhältnisse keine Rolle. Das ist – kurz karikiert – diese „Produktionsfaktorentheorie“. Da kommt der Begriff „Verteilungskampf“ her, und auf den rekurriert nun die DKP in ihrem neuen Programm. Man muss es sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen: so etwas steht im Programm einer sich kommunistisch nennenden Partei!

Genauso wird dann nach Ansicht der DKP „der wissenschaftlich-technische Fortschritt … missbraucht, um immer größere Profite…zu erzielen“. Die DKP tut so, als gebe es den wissenschaftlich-technischen Fortschritt „an sich“, (wie es in ihrem Programm ja auch schon das Recht „an sich“ und den Staat „an sich“ gibt), also ohne gesellschaftliche Klassenbindung und Funktion, und da es ihn nun einmal gibt, könne man ihn unterschiedlich gebrauchen. Hier und heute „missbraucht“ ihn das Großkapital. Dass der wissenschaftlich-technische Fortschritt im Kapitalismus nur dem Erlangen von Extraprofiten dient und allein zu diesem Zweck stattfindet, scheint den Autoren des DKP-Programmes leider unbekannt zu sein.

Wenn man (als Kommunist!!!) so weit ist, die Welt in isolierte, unabhängige Kategorien zu zerteilen (Staat, Recht, EU-Institutionen, UNO, wissenschaftlich-technischer Fortschritt usw.)  und dies alles als eigenständige Institutionen fasst, statt das Ganze als System zu begreifen und dessen „inneres Band“ (Marx) herauszuarbeiten, dann ist man auch schnell bei der Moral. Die kommt dementsprechend im DKP-Programm auch zum Zuge: „Effektivität der Wirtschaft darf nicht in der Rentabilität des Kapitals und in den Kennziffern der internationalen Konkurrenz-fähigkeit gemessen werden, sondern muss sich auch an der Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Mehrheit der Bevölkerung orientieren.“ Es „darf nicht nur“, sondern „muss auch“. Wer muss, wer darf, wem gehört was, wer muss enteignet werden, wie sieht die Lösung aus, was hat sie mit Klassen zu tun? Nichts, nur Nebel. Was ist das für eine Argumentation?!

Und noch eine weitere Anmerkung zum Moralisieren: Bei den „Verbrechen“ (wessen wohl: natürlich Stalins, obwohl er namentlich nicht genannt – und nebenbei: die Gorbatschows kommen nicht vor) heißt es dann, das hätte dem „humanistischen Wesen des Sozialismus“ bzw. „dem humanistischen Anspruch unserer Idee und Weltanschauung“ widersprochen. Auch hier wieder das übliche Problem des DKP-Programms: es schwebt etwas sozusagen über den Wassern, ist „an sich“ da, hier jetzt das „humanistische Wesen unserer Idee“, das ist ein ideeller Anspruch, den wir haben, und – ich wiederhole mich – ökonomische Grundlagen, Klassenkampf, Kräfteverhältnisse, alles das spielt keine Rolle mehr. Es stellt sich die Frage: ist die ökonomische und gesellschaftliche Wirklichkeit Motor der Prozesse – oder irgendeine „Idee“ mit einem ganz bestimmten „Wesen“? Und diese Frage ist die grundsätzliche Frage nach Materialismus oder Idealismus!

Natürlich ist es für die rechten Kräfte in der DKP noch nicht möglich, offiziell vom Marxismus Abschied zu nehmen, man sieht das Bemühen aber an den genannten (kleinen) Beispielen. Sie weichen den Materialismus auf, sie weichen die Wissenschaftlichkeit auf und – das zeige ich im folgenden – sie verwischen den Unterschied zwischen Wesen und Erscheinung, d.h. sie zerstören die Marxsche Methode.

 „Die DKP gründet … auf den wissenschaftlichen Sozialismus, der von Marx, Engels und Lenin begründet wurde und ständig weiterentwickelt werden muss, damit er nicht hinter den Realitäten zurückbleibt.“ (Hervorhebung: F.F.) Jetzt wird es interessant, denn die Frage ist: Was sind denn die „Realitäten“? Und was an den „Realitäten“ ist Wesen, was ist Erscheinung? Diese Debatte wird leider nicht ausreichend geführt, so dass beispielsweise Leo Mayer neue Erschei-nungsweisen des gleichen Wesens als eine Veränderung des Wesens selbst ausgeben kann.

 „…hinter den Realitäten zurückbleibt.“ Man muss sich wirklich genauer überlegen, was das bedeuten soll. Irgendwelche Realitäten entwickeln sich – und unsere Theorie bleibt hinter denen zurück. Welche Realitäten gemeint sind, könne wir nur erraten, denn sie werden ja nicht genannt. Nehmen wir (wegen Leo Mayer) mal den Imperialismus: demnach ist die Globalisierung etwas Neues, hinter dem wir, also Lenins Imperialismustheorie zurückbleibt, also müssen wir Lenin über Bord werfen (Leo Mayer:„Wir müssen weg von Lenin“) und eine Theorie der Globalisierung entwerfen. Auch hierzu noch ein Beispiel aus der Volkswirtschafslehre der 50er und 60er Jahre in der BRD. Während des so genannten „Wirtschaftswunders“ in der BRD kam die Theorie vom „Kapitalismus ohne Krisen“ auf, der Vollbeschäftigung garantiere und keine zyklischen Krisen mehr zeitige. Die Ursache dafür sei die keynesianische Wirtschaftslenkung durch den bürgerlichen Staat. Das ist ein typischer Fall der Verwechselung von Wesen (Kapitalismus) und Erscheinung (Sonderperiode im Nachkriegsdeutschland). Mit dem Kapitalismus ohne Krisen hat es sich dann ziemlich bald gehabt, und nach dem Ende der DDR fielen Erscheinung und Wesen des bundesdeutschen Kapitalismus dann auch unangenehmer Weise wieder zusammen. Aber solcher wissen-schaftlicher Unsinn wie der „Kapitalismus ohne Krisen“ oder die „neoliberale Globalisierung“ droht, wenn man meint, dass jede kleine neue Erscheinung an der Oberfläche des Kapitals das Wesen der Marxschen Kapitalanalyse und der Leninschen Imperialismustheorie ungültig mache. Es reden ganz aktuell ja manche „Theoretiker“ der DKP davon, dass die Theorie vom tendenziellen Fall der Profitrate, die Marx im 3. Band des Kapitals entwickelt hat, nicht mehr gelte, weil das Monopolkapital weltweit in den letzten 10 Jahren steigende Profite zu verbuchen konnte. Nicht die konkret Frage gestellt, warum das so ist (Arbeitszeitverlängerung, Lohnsenkung, Steuerlastsenkung, sinkende Umverteilung), sondern flugs die kurzfristige neue Erscheinung genommen und damit das Wesen (und den Marxismus) totgeschlagen – das ist der Revisionismus in Aktion! Und gerade die Tatsache, dass die „Realitäten“, hinter denen unsere Theorie droht zurückzubleiben, im DKP-Programm ausgesprochen unscharf formuliert werden, dass nicht genannt wird, was sich wie und wo und weshalb in welche Richtung weiter entwickelt und was das für unsere Theorie (oder die Einschätzung der Realität) bedeutet, sollte uns sehr misstrauisch machen, denn dadurch ist die Tür für alles offen.

Aus meiner mittlerweile mehr als 35-jährigen Erfahrung in der kommunistischen Bewegung kann ich nur sagen, dass ich all diejenigen, die meinten, sie müssten den Marxismus „weiter-entwickeln“, früher oder später im Revisionismus habe untergehen sehen, und das Ende war dann sozialdemokratischer Reformismus und – Antikommunismus.

Frank Flegel,
Hannover