Wolfgang Hoss:
Stellungnahme zum Beitrag “Ware geht – Markt bleibt?” von H. Jacobs
In seinem Beitrag “Ware geht – Markt bleibt?” Heft 3/08 begrüßt Hermann Jacobs die seit geraumer Zeit in den offen-siv-Heften geführte Debatte zur Aufhebung der Warenökonomie und zur Rolle des Marktes und des Geldes im Sozialismus und formuliert seine Ansichten zum Disput zwischen G. Sandleben und W. Hoss zu diesen Streitpunkten (vgl. offen-siv 4/07, 6/07 und 10/07). Mit der Frage der Aufhebung der Warenproduktion im Sozialismus hat sich H. Jacobs schon zu DDR-Zeiten gründlich auseinandergesetzt und ist damals nicht auf “Gegenliebe” gestoßen. Die ökonomischen Ideen sind zählebig, und es ist an sich nicht verwunderlich, daß die Grundvorstellungen, die durch die uralte und heute die Welt dominierende Warenwirtschaft hervorgebracht wurden, nicht im Handumdrehen durch grundsätzlich neue Ideen ersetzt werden können. Es ist – auch mit gewisser Berechtigung – ein harter Kampf der neuen gegen die konservativen Ideen nötig, der lange Zeit in Anspruch nehmen kann.
In seinem Beitrag behandelt Jacobs folgende drei Grundfragen der Sozialismustheorie, erstens, die Frage welche Rolle die Warenproduktion, zweitens, das Geld, und drittens, der Markt im Sozialismus spielen sollen. Mit Hinsicht auf die Frage der Aufhebung der Warenproduktion stimmen die Positionen von Jacobs, Sandleben und meiner Person überein – wir sind alle der Ansicht, daß Marxens Vorgabe richtig ist, und daß es sich hierbei um eine Grundfrage der Sozialismustheorie handelt. Mit Hinsicht auf die Geldfrage gehen die Meinungen auseinander. Sandleben fordert eine vollständige Abschaffung des Geldes, und er kann sich mit gewisser Berechtigung auf die Forderung nach Ersatz des gewöhnlichen Geldes durch Arbeitszertifikate durch einige der utopischen Sozialisten und auch durch Marx stützen. Jacobs und Hoss hingegen meinen, daß die Abschaffung des Geldes aus heutiger Sicht nicht mehr theoretisch gerechtfertigt werden kann, bzw. daß die Abschaffung des Geldes im 21. Jahrhundert keine realistische Option wäre.
In einem anderen Punkt der Geldfrage gibt es Differenzen zwischen der Ansicht von Hermann Jacobs und meiner Ansicht. Was sind die Unterschiede? Jacobs fragt zunächst: “Warum geht die Ware, und bleibt das Geld? (S.78)
Zweitens, sagt er: “Man muß das Geld von der Ware trennen können, das ist die Kernfrage für die theoretische Arbeit, die wir zu leisten haben.” (S. 78)
Drittens, weist er auf die Praxis der Festpreisbildung in der DDR hin [die in der DDR nicht durchgehend konsequent angewandt wurde, W.H..] und meint in der verallgemeinernden Schlußfolgerung: “Also, feste Preise: Feste Preise sind keine Warenpreise, feste Preise sind die einzige Möglichkeit … unter der das Geld erhalten bleibt und die Wertform der Produkte aufgehoben ist, also die Warenproduktion in der Tat aus der Gesellschaft herausgetreten ist.” (S.82)
Und er resümiert: „Damit aber hätten wir das Geheimnis gelöst, daß einerseits die Warenform des Produkts aufgehoben worden ist, andererseits das Geld noch nicht (!) aufgehoben werden muß.” (S.80)
Jacobs stellt zweifellos richtig fest, daß man das Geld von der Ware trennen muß, wenn man Geldwirtschaft ohne Warenwirtschaft betreiben will. Wäre das Geld auch in der Zukunft eine Ware, dann wäre der Tausch Produkt gegen Geld in jedem Fall ein Warenaustausch.
Aber es ist meines Erachtens keinesfalls richtig, daß das Geld nur durch Einführung von Festpreisen, d.h. nur durch einmal festgelegte und dann nicht mehr veränderbare Preise, seinen Warencharakter verlieren kann. Jacobs hat nicht erkannt, daß das heute in der Welt angewandte Geld seinen Warencharakter längst verloren hat. Seit die US-Regierung in Folge des Vietnamkriegs international zahlungsunfähig wurde und 1971 den Goldstandard, also die Gold-deckung des Geldes, endgültig aufgab, sind edelmetall-gebunden Währungen nur noch Aus-nahmen. Seit 1971 besitzen die international gängigen Währungen keine Golddeckung und auch keine Deckung durch andere Edelmetalle oder einzelne besondere Waren mehr. Damit hat das Geld seinen Warencharakter verloren. Das Geld ist also heute keine Ware mehr, die sich jederzeit gegen beliebige andere Waren gleichen Werts austauschen läßt. Also eine Einführung von Festpreisen zur Trennung von Ware und Geld erübrigt sich, da diese Trennung auf anderem Wege in der Weltwirtschaft bereits realisiert wurde.
In der Regel legte Marx seinen Modellen Edelmetallwährungen zugrunde. Er glaubte, daß das Geld in seinem Wesen, so wie dies zu seiner Zeit in der Realität der Fall war, eine besondere Ware ist, die sich jederzeit gegen beliebige andere Waren austauschen läßt. Heute wissen wir aber, daß das Geld auch gänzlich ohne Warenkörper und auch ohne Deckung durch eine besondere Ware existieren kann. Das Geld ist demnach nicht identisch mit einer als allgemeines Äquivalent dienenden Ware. In seinem Wesen stellt ein Geldbetrag eine Information über den Wert eines Produkts oder eines Gutes dar. Geldbeträge waren auch in der Vergangenheit Informationen über den Wert von Produkten, wobei die Maßeinheit des Werts vor dem 20. Jahrhundert allerdings jeweils durch den Wert einer besonderer Ware, z.B. durch den Wert einer bestimmten Gold- oder Silbermenge, festgelegt war. Die Geldeinheit war aber bereits in ihrer Urform wesentlich eine Information über einen bestimmten Wertbetrag, bzw. eine Maßeinheit des Wertes, diese Information wurde nur ursprünglich durch eine besondere Ware direkt oder als Stellvertreter getragen. In Sonderfällen wurde die Geldinformation bereits vor der Abschaffung des Goldstandards im 20. Jahrhundert nicht durch eine besondere Ware getragen, z.B. bei manchen Ackerbauvölkern wurde in der Vergangenheit die Wertinformation durch kleine stilisierte Spaten und damit gewissermaßen durch Wertsymbole getragen, oder z.B. in China wurden zeitweilig bestimmte kleine Muscheln als Geldsymbole bzw. als Träger der Wert-information benutzt. Und heute wissen wir, daß die Geld- bzw. Wertinformation z.B. auch durch Kombinationen binäre elektrischer Schaltzustände in den Computern der Banken, oder z.B. durch Muster in elektronischen Chipkarten getragen werden kann. In den Computern der Banken werden Informationen, speziell Geldinformationen verarbeitet, aber es werden natürlich keine Waren durch die Computer verarbeitet.
Eine physikalische und technische Analogie zur Wertinformation, die ein Geldbetrag liefert, ist z.B. ein Längenmeßwert, der eine Information über die Lände eines Dings liefert. Und ebenso wie ein Längenmeßwert durch eine auf Papier geschriebene Zahl mit Maßeinheit getragen werden kann, oder z.B. durch einen Lochstreifen in einer numerisch gesteuerten Werk-zeugmaschine, oder durch eine Kombination von binären Schaltzuständen, so kann auch die Geldinformation durch sehr verschiedene materielle Strukturen und Prozesse getragen werden. Das Geld ist also in seinem Wesen keine Ware, sondern eine Wertinformation. So informiert z.B. der Preis einer Streichholzschachtel im Betrag von 0,10€ und der Preis eines Ozeanriesen im Betrag von 200 Mill.€ über den Wert dieser beiden Produkte sowie über das Verhältnis des Werts der beiden Produkte zueinander, und es ist in dieser Hinsicht unwesentlich, wer oder was der materielle Träger dieser Informationen ist.
Es ist, wie gesagt, keineswegs notwendig, wie Jacobs meint, Festpreise in der Zukunft einzuführen, um das Geld von der Ware trennen zu können. Außerdem würden generelle Festpreise die volkswirtschaftliche Arbeitsproduktivität radikal drücken. Der Käufer würde auf Basis von Festpreisen die Information über den Wert der Produkte und seine Veränderungen verlieren. Wenn z.B. in einem Stahlhalbzeugwerk A die Arbeitsproduktivität nicht gesteigert wird, in einem Stahlhalbzeugwerk B hingegen die Arbeitsproduktivität verdoppelt wird, dann verringert sich der Arbeitzeitaufwand für die Herstellung von Halbzeugen im Werk B auf die Hälfte. Aber bei unverändertem Preis würde der Nachfrager nicht über diesen verringerten Aufwand bzw. den ökonomischen Fortschritt informiert werden. Und die Unternehmen, die nicht durch den niedrigeren Preis über den niedrigeren Aufwand informiert werden würden, könnten ihre Produktionsmittelkosten durch Kauf von billigeren Produktionsmitteln nicht senken. Damit müßten sie auf eine sehr wichtige Methode zur Steigerung der Arbeits-produktivität verzichten. Man sollte also auf keinen Fall Festpreise in der sozialistischen Wirt-schaft einführen.
Was in einer zukünftigen sozialistischen Wirtschaft möglich und überaus zweckmäßig wäre, wären konsequent kostenbestimmte Preise nach der Formel Y=CK+ST, d.h. der Preis wäre dann bestimmt durch die individuellen betrieblichen Kosten CK und den Steuer- und Abgabenaufschlag ST und nichts sonst weiter. Ein Gewinnaufschlag für Kapitalbesitzer wäre völlig überflüssig. Kosten für die erweiterte Reproduktion könnten im Steueraufschlag enthalten sein, der Steuersatz müßte hierfür nur um den entsprechenden Prozentsatz vergrößert werden. Ein Gewinnaufschlag als Einkommen von Kapitalbesitzern wäre in einer sozialistischen Gesellschaft, wie gesagt, völlig überflüssig.
Die Information, die der Kostenpreis liefern würde, wäre eine sehr direkte und ökonomisch zweckmäßige. Ein niedrigerer Preis würde direkt über den niedrigen Arbeitszeitaufwand informieren. Und wenn ein sozialistisches Unternehmen billigere Produktionsmittel kauft und verbraucht, dann senkt es seine Produktionsmittelkosten und steigert damit, unter sonst gleichen Umständen, seine Arbeitsproduktivität.
Die Festpreisbürokratie in den ehemaligen Ostblockländern war demnach eine hervorragende Methode zur Senkung der volkswirtschaftlichen Arbeitsproduktivität, z.B. zur Senkung der Arbeitsproduktivität der DDR-Wirtschaft im Vergleich zur Warenwirtschaft der BRD. Es ist erstaunlich, daß die Staatsführungen der ehemaligen sozialistischen Länder und ihre wissenschaftlichen Berater diese Wirkung der Festpreise nicht gesehen haben, und daß sie die Vorteile der Preisbildung durch die betrieblichen Kosten mit einem Steuer- und Abgaben-aufschlag ohne Gewinn nicht erkannt haben. Man hatte nicht erkannt, daß Gewinnproduktion im Sozialismus gar nicht nötig ist – die Vorstellung, daß in der Geldwirtschaft Gewinn realisiert werden muß, war außerordentlich zählebig. Und auch heute noch sträubt sich die Gewohnheit des ökonomischen Denkens gegen die Idee, daß der Gewinn unter sozialistischen Eigentums- bzw. Produktionsverhältnissen nicht nur vollkommen überflüssig, sondern schädlich, wider-sinnig und systemzersetzend ist.
Ein Hauptargument der Befürworter von Festpreisen in der DDR war folgendes: In der DDR (und anderen ehemaligen sozialistischen Ländern) funktionierte die Preisbildung der freien Warenmärkte nicht mehr, es fehlte insbesondere die freie Konkurrenz der Privatunternehmen auf dem Markt. Um aber dennoch das vermeintlich überlegene Gewinnprinzip nutzen zu können, wurden krampfhaft Festpreise eingeführt (nicht für alle Produkte und immer auch mit diesen und jenen Bedenken und Inkonsequenzen), um Anreize zu Kostensenkungen zu geben. Der Gedanke war der, daß bei festen Preisen und sinkenden Kosten der “Gewinn” steigt, wofür die VEB-Betriebe belohnt werden sollten. Damit aber wurde nicht nur die volkswirtschaftliche Arbeitsproduktivität gedrückt, sondern es wurde auch die Rückkehr zum privaten Profitsystem mit allen seinen Widersprüchen und sozialen Brutalitäten und zur natürlichen Preisbildung der Warenmärkte vorprogrammiert. Findet man keine ökonomisch überlegene Alternative zur Wert- und Preisbildung der Warenwirtschaft, dann ist es nur noch konsequent, wenn der Sozialismus-versuch aufgegeben wird.
Hermann Jacobs meint, daß nach der Aufhebung der Warenproduktion zwar das Geld erhalten bleibt, was auch meines Erachtens vollkommen richtig ist, daß aber der Markt zwangsläufig verschwinden würde. Meines Erachtens ist es aber ein klarer Fall, daß in einer Geldwirtschaft der Markt unter allen Umständen erhalten bleibt. Wenn z.B. Nachfrager auf einem Platz mit Verkaufständen einkaufen gehen, warum soll man diesen Platz, nicht so wie seit Jahrhunderten, Marktplatz nennen. Warum soll der Ort an welchen Produkte angeboten und nachgefragt und ge- und verkauft werden, kein Markt sein? Oder wenn Kunden in einer Halle einkaufen gehen, die man früher Markthalle nannte, warum soll diese Halle keine Markthalle mehr sein, wenn die Produkte nicht mehr durch Privatunternehmen produziert werden?
Der Ort, an welchem Anbieter und Nachfrager, Verkäufer und Käufer aufeinandertreffen bleibt ein Markt, was bei Beibehaltung der Geldwirtschaft an sich eine Selbstverständlichkeit ist. Der Markt verschwindet nicht, wenn die Produkte nicht mehr durch Privatunternehmen für den Austausch produziert werden, sondern wenn sie für die Lieferung in einen großen Gemein-schaftsfonds des ganzen Volkes produziert werden. Durch das Volkseigentum an den Produkten und die konsequente Aufgabe des Prinzips des Privateigentums (oder auch des genossen-schaftlichen Eigentums) an den Produkten verliert der Ort, an welchem Anbieter und Nachfrager bzw. Käufer und Verkäufer aufeinandertreffen nicht die Wesensmerkmale des Marktes.
Wenn aber die Produkte nicht mehr für den Austausch produziert werden, sondern für die Lieferung in einen Gemeinschaftsfonds des ganzen Volkes, dann wird die Warenproduktion aufgehoben, obwohl das Geld und der Markt weiter existieren und existieren müssen. Die Übel der heutigen Ökonomie sind nicht bedingt durch den Markt und das Geld, sondern durch die Warenproduktion im allgemeinen und die kapitalistische Warenproduktion im besonderen. Der Markt hat nie eine ökonomische Ordnung konstituiert, weder der Sklavenmarkt, noch der mittelalterliche Markt noch der Markt in der kapitalistischen Wirtschaft. Der Markt ist keine ökonomische und soziale Ordnung, sondern der Ort an welchem Anbieter und Nachfrage, Verkäufer und Käufer seit Jahrtausenden unter den verschiedensten sozialen Verhältnissen und ökonomischen Grundordnungen aufeinander getroffen sind und auch noch weit in der Zukunft aufeinander treffen werden.
Für den Kapitalisten ist es allerdings eine tröstliche Idee, wenn an allen sozialen Übeln im Kapitalismus nicht das System die Schuld tragen soll, sondern der “zeitweilig bösartige Markt”, z.B. dann, wenn der Absatz stockt, oder wenn in einer mittel- oder langwelligen Krise Massenentlassungen vorgenommen werden. Der “Schuldige” in solchen Fällen soll also nicht der “Kapitalist” sondern der Markt sein. Kommt die Konjunktur wieder in Gang und stellt sich Vollbeschäftigung ein, dann sind die Übel überwunden, der Markt verwandelt sich in den “sozialen Markt”. Es gibt für die bürgerliche Gesellschaft und ihre Wirtschaftswissenschaft also einen guten Grund den gehässigen Begriff “Kapitalismus” durch den tröstlichen Begriff “Markt-wirtschaft” zu ersetzen. Den Kapitalismus gibt es damit in der Vorstellung, in der Ideologie, in der Wirtschaftswissenschaft und in der Propaganda der bürgerlichen Medien nicht mehr – die Marktwirtschaft hat gesiegt. Und wenn es dennoch Proteste gegen soziale Übel in der heutigen Gesellschaft gibt, dann sollen sie sich nicht gegen den Kapitalismus, sondern gegen den Markt richten. Die Schuldigen an sozialen Mißständen im Wirtschaftssystem sollen die Verbraucher sein, also hauptsächlich die Arbeiter und Angestellten, weil sie die preiswerten Waren bevorzugen und damit den Kapitalisten zur Rationalisierung und zur unerbittlichen Kosten-senkung zwingen würden. Unnötig und unmöglich für alle Zeiten sei eine Alternative zum kapitalistischen System, von Nöten sei ein richtiges Verhalten der Verbraucher auf dem Markt.
Auch Sandleben setzt den Markt mit dem kapitalistischen System gleich, er glaubt nur, daß der Markt prinzipiell asozial sei. Er glaubt, daß man den Markt abschaffen muß, wenn man die kapitalistische Ausbeuterordnung überwinden will.
Wolfgang Hoss,
Berlin