Lag es am Wertgesetz?

Dieter Hainke:
Lag es am Wertgesetz?

In letzter Zeit wurden wiederholt sowohl in Offensiv als auch im Rotfuchs Veröffentlichungen zu ökonomischen Fragen des Sozialismus gebracht. Dabei war eines der Themen, wirkt im Sozialismus das Wertgesetz oder nicht.

Offensichtlich ist die Frage nach Wesen und Wirken des Wertgesetzes und den damit zusammenhängenden Begriffen Ware und Markt  im Sozialismus ein philosophisches Problem, das sich mit Problemen auf dem Gebiet der politischen Ökonomie beschäftigt.

Während philosophische Fragen zumeist hauptsächlich in den Studierstuben behandelt werden,  geht die Diskussion um das Wertgesetz weit über diesen Kreis hinaus und ist von direkter praktischer politischer Bedeutung für das richtige herangehen beim Aufbau des Sozialismus. Wenn auch für uns in Europa dieses Thema ein rein theoretisches ist, denn wir haben in Europa nirgends einen Staat, der sich auf dem Weg zum Sozialismus befindet, so scheint doch ein weit verbreitetes Interesse zu dieser Thematik zu bestehen. Dabei gehen die Meinungen weit aus-einander, was die bisherige Diskussion zeigt.

Was macht nun eigentlich die Diskussion so kompliziert. Ich meine, es ist die Tatsache, dass die Gesellschaften, auf deren Erfahrungen die heutigen Überlegungen fußen, – das sind die ehemaligen Volksdemokratien und die SU  und die noch heute sich auf dem Weg zum Sozialismus befindenden Staaten wie Vietnam,  Cuba, China, Korea -, dass diese Gesellschaften Übergangsgesellschaften sind. Sie sind kein reiner Kapitalismus mehr, sie sind aber auch noch kein reiner Kommunismus. Das bedeutet doch aber, dass  Elemente beider Gesellschaften wirken, ob uns das passt oder nicht, allerdings weder in der reinen Form der einen noch in der reinen Form der anderen. Dabei kann man heute die Probleme nicht mehr vom nationalen Standpunkt betrachten, sondern muß sie im globalen Rahmen sehen. Und da verfügt der Kapitalismus z.Zt. noch in Bezug auf die materiellen Resourcen über ein Übergewicht. Aber die Produk-tivkräfte in der Welt verändern sich ständig. Und  dieser Prozess ist durchaus kein harmonischer, kontinuierlicher Prozess, sondern ein sehr widersprüchlicher , diskontinuierlicher Prozess, bei dem es durchaus auch Rückschläge geben kann, wie die jüngste Geschichte zeigt, genauso wie auch plötzliche positive Wendungen möglich sind.

Die Philosophen haben die Welt schon immer interpretiert. Nicht immer hielten ihre Deutungen einer Überprüfung in der Praxis stand. Andere, oft unter Anfeindungen und auch Opfern gemachte Aussagen, gehören heute zum gesicherten Wissensschatz der Menschheit. Die Entdeckung des Wertgesetzes und des Mehrwertes durch Karl Marx gehören sicher dazu. Karl Marx hat seine Entdeckungen auf der Basis einer Analyse des kapitalistischen Gesell-schaftssystems gemacht und dabei auch bereits seine inneren dialektischen Widersprüche herausgearbeitet und die Notwendigkeit ihrer Überwindung nachgewiesen. Er sah dies in der Errichtung einer kommunistischen Gesellschaft. Seine Erkenntnisse waren keine plötzliche Erleuchtung, sondern das Ergebnis lebenslanger harter und opferreicher Arbeit. Eine Analyse  des Kommunismus konnte er uns nicht liefern. Es gab ihn damals noch nicht. Und auch heute gibt es nirgends in der Welt schon einen entwickelten Kommunismus. Aber Karl Marx gab uns das Rüstzeug dazu, den richtigen Weg dorthin zu finden. Das ist der dialektische Materialismus. Und er nannte auch den Akteur, der diesen Prozess gestalten muß, die Arbeiterklasse. Und Lenin schuf  die Organisation, die diese Arbeiterklasse führen muß, die Kommunistische Partei.

Nun gibt es unter Sozialisten in der BRD, und sicher nicht nur in der BRD, einen Streit darüber, ob die Wirtschaftspolitik der Ostblockstaaten richtig war, ob das Wertgesetz gewirkt habe und wir es nicht genügend beachtet hätten. Manche versteigen sich sogar zu der Aussage, in seiner Missachtung läge das Scheitern des sozialistischen Wirtschaftssystems in Europa begründet. Und überhaupt, der Sozialismus kann mit dem Kapitalismus bezüglich der Kreativität nicht  mithalten. Solche und ähnliche skeptizistische Auffassungen sind weit verbreitet. Sie resultieren aus der unbestrittenen Tatsache, dass zur Zeit des Bestehens der SU und des sozialistischen Lagers die Produktivität in den führenden kapitalistischen Staaten, verglichen mit den sozialis-tischen Staaten, höher war. Zumindest ist dies dem Anschein nach so. Und nehmen wir die bekannte Losung: „ausschlaggebend für den Sieg einer neuen Gesellschaftsordnung ist die höhere Arbeitsproduktivität“, so scheint das für den Kapitalismus zu sprechen. Hier aber liegt ein entscheidender Gedankenfehler vor. Eine solche Betrachtungsweise missachtet den historischen Zusammenhang. Kapitalismus herrscht nicht nur in den USA oder in der BRD oder in den westeuropäischen Industriestaaten sondern (leider) noch auf dem größeren Teil unserer Erde. Die enorme Akkumulationskraft der führenden Industriestaaten ist nicht ein Nachweis seiner höheren Produktivität, sondern ein Ergebnis der ungleichmäßigen Entwicklung der einzelnen Wirtschaftsgebiete und der brutalen Ausplünderung der schwächeren Nationen, bzw. Völkerschaften, wie es dem Wesen des Kapitalismus eigen ist. Sie beruht also auf Raub und brutaler Ausbeutung  des größeren Teils der Bevölkerung unserer Erde. Dabei werden nicht nur die Naturreichtümer der schwächeren Völker hemmungslos ausgeplündert, sondern auch ihr Arbeitskräftepotential, indem die Mehrheit der Bevölkerung dieser Völker systematisch durch Niedrigstlöhne am Existenzminimum gehalten wird. Noch niederträchtiger ist der Intelligenz-transfer von diesen Ländern in die führenden Industriestaaten, indem unter dem Deckmantel angeblicher Wirtschaftshilfe oder wirtschaftlicher Zusammenarbeit ausgespäht wird, wo intelligente Kader vorhanden sind und diese dann durch günstige Angebote in die industriellen Zentren gelockt. Die Mehrzahl kann diesen Lockungen nicht widerstehen und wandert ab, was die Entwicklung einer eigenen nationalen Intelligenz erschwert. Bei diesem Sachverhalt den Kapitalismus als die bessere Gesellschaftsordnung zu sehen, heißt sein menschenverachtendes Wesen zu legitimieren.

Wie soll man nun den  Streit um das Wertgesetz werten. Ich bin der Meinung, er ist sicher wichtig, aber man soll ihn auch nicht überbewerten. Vordergründig steht vor uns in Europa die Aufgabe, die organisatorischen Voraussetzungen zu schaffen, um einen neuen Anlauf zum Sturz des Kapitalismus wagen zu können. Die Politik steht im Vordergrund, nicht die Ökonomie. Wir haben z. Zt. keine Wirtschaft, die wir zu steuern hätten. Zur gegebenen Zeit werden wir auf das Studium der Erfahrungen der SU, der Volksdemokratien, auf die Erfahrungen der noch heute sich auf dem Weg zum Sozialismus befindlichen Staaten, wie Vietnam, Cuba, China, Korea, und andere, die möglicherweise noch hinzukommen, zurückgreifen, dabei sicher auch auf die der DDR, und sicher auch auf neue Erkenntnisse der Wissenschaft. Eine der dabei ganz wichtigen Fragen ist, wie kann man  menschliche Leistung messen, als Voraussetzung für die gerechte Anwendung des Prinzips “jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung“. Und selbst hier muß man Einschränkungen machen. Es darf nicht zu einem von Egoismus geprägten Konkurrenzkampf unter den Produzenten kommen. Auch der, dessen Fähigkeiten nicht so hoch entwickelt sind, hat einen Anspruch auf ein menschenwürdiges Dasein. Das ist durch die Gesellschaft zu sichern. Der Kapitalismus kann das nicht. Selbst das reiche Europa kann es nicht (unübersehbar ist die Entwicklung zu einer Zweiklassengesellschaft), von den armen Regionen der Welt ganz zu schweigen. Die Wissenschaft hat noch viel zu leisten.

Bisher kennen wir zwei Wirtschaftsmodelle aus Staaten, die unter kommunistischer Führung stehen, bzw. gestanden haben , und die eine weltpolitische Bedeutung hatten, bzw. haben. Das ist die Sowjetunion unter Stalins Führung und das ist das chinesische Modell, das wir heute beobachten können. Wenn man bedenkt, dass die Sowjetunion nach der Eroberung der politischen Macht infolge der ausländischen Intervention und infolge eines jahrelangen Bürgerkriegs enorm geschwächt war und erst gegen Ende der 20-er Jahre die Vorkriegs-produktivität überschritt, so sind das ganze 15 Jahre bis zum Überfall durch Hitler. In diesen wenigen Jahren wurde eine leistungsfähige Schwerindustrie aufgebaut, ganze industrielle Zen-tren neu geschaffen, der Übergang zur genossenschaftlichen Großproduktion in der Land-wirtschaft organisiert, die Arbeiter und Bauern auf die Universitäten geschickt und eine neue Intelligenz herangebildet. Das alles war nur möglich, weil die kommunistische Partei der Sowjetunion sich damals von den wissenschaftlichen Erkenntnissen des Marxismus-Leninismus leiten ließ. Und das alles unter den Bedingungen kapitalistischer Umkreisung und ständiger Gefahr einer militärischen Intervention, die ja schließlich auch stattgefunden hat. Ohne die von der Partei beschlossenen und umgesetzten 5-Jahrpläne hätte die Sowjetunion dem Ansturm der faschistischen Kriegsmaschine nicht  widerstehen können. Wäre die Partei den revisionistischen Auffassungen eines Bucharin und seiner Anhänger gefolgt, so hätte die materialtechnische Versorgung der Sowjetarmee nicht gesichert werden können. Der Sieg der Sowjetunion über die faschistische Militärmaschinerie war ein Beweis für die Überlegenheit einer sozialistischen Planwirtschaft. Diese wurde geleitet nach dem Prinzip der planmäßigen proportionalen Entwicklung der Volkswirtschaft und wurde in Form von 5-Jahrplänen durchgeführt, wobei in jedem Plan die nächsten für die Volkswirtschaft wichtigsten Schwerpunkte festgelegt wurden. Man kann von der Wirtschaft in der SU wohl kaum von einer Marktwirtschaft sprechen. Denn wo sollte der anonyme Markt sein, auf dem die Waren im Durchschnitt ihrer Werte ausgetauscht werden sollten? Wo war der auf dem Markt stattfindende Eigentumswechsel, da doch auf industriellem Gebiet alles Volkseigentum war?  Man könnte sagen, aber zwischen dem Staat und den Kollektivwirtschaften erfolgte doch ein Eigentumswechsel. Das stimmt nur bedingt, denn die Kollektivwirtschaften produzierten auf einem ihnen nicht gehörenden Boden, denn dieser war Staatseigentum, d.h. gesamtgesellschaftliches Eigentum. Und auch die eingesetzte Technik, die Maschinentraktorenstationen, gehörte ihnen nicht, sie waren gesamtgesell-schaftliches Eigentum (zumindest bis zum Ende der Ära Stalins).  Genau genommen gehörte ihnen nur das Ergebnis ihrer direkten Arbeit, d.h. die erzeugten Produkte. Aber in diesen war schon ein erheblicher gesamtgesellschaftlicher Anteil enthalten. Wenn die Genossenschaften ihre Produkte an den Staat „verkauften“, was war das eigentlich für ein seltsamer Eigentums-wechsel. Er erfolgte ja nicht nach den Prinzipien  von Angebot und Nachfrage, sondern planmäßig, nach staatlich festgelegten Festpreisen. Ist das Marktwirtschaft? Nein, das ist Plan-wirtschaft. Bleibt der Außenhandel. Er erfolgte wirklich nach marktwirtschaftlichen Prinzipien, nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage (lassen wir mal die vom Imperialismus betrie-bene Embargopolitik weg). Aber auch dieser erfolgte unter strenger staatlicher Führung, wobei es eine lebenswichtige Bedingung ist., keine ökonomische Abhängigkeit von kapitalistischen Konzernen oder Staaten zuzulassen, weil ihr unweigerlich die politische Abhängigkeit folgt. Die SU konnte aufgrund der Größe ihres Territoriums und der Tatsache, über nahezu alle Natur-schätze zu verfügen, sich die Aufgabe stellen, den Aufbau des Sozialismus in Angriff zu nehmen und erfolgreich durchzuführen, und das trotz imperialistischer Umkreisung und dem erklärten Ziel des Imperialismus, die SU zu vernichten.

Es ist kein Geheimnis, dass es in der SU wiederholt Versuche von Gruppierungen gab, die vor der Größe der Aufgabe erschraken und in kleinmütige Zweifel verfielen und begannen, der Führung der Partei entgegenzuarbeiten. Unter der Führung Stalins war die Partei jedoch so gefestigt, dass diese Kräfte nie einen nennenswerten Einfluß gewannen, wohl aber die Partei mit unnötigen Diskussionen belasteten.

Abschließend komme ich zu der Schlussfolgerung, dass es im entwickelten Sozialismus keine Marktwirtschaft geben kann. Marktwirtschaft ist unweigerlich mit unterschiedlichen Eigentümern verbunden. Gleichzeitig hat die Entwicklung der SU unter Stalins Führung den Nachweis erbracht, dass eine richtig geführte Planwirtschaft der kapitalistischen Marktwirtschaft überlegen ist.

Nach Stalins Tod begann die Kommunistische Partei der SU unter dem Einfluß solcher revisionistischer Führer wie Chrustschow diesen bewährten Weg zu verlassen und suchte die Zusammenarbeit mit dem Kapitalismus. Zu diesem Zweck musste zunächst die Autorität Stalins demontiert werden. Das erfolgte unter völliger Missachtung des Tatbestandes, dass die Sowjetunion sich in einem lebensgefährlichen Abwehrkampf gegen die nie aufgegeben Ver-suche der Imperialisten befand, den Sozialismus in der SU zu vernichten. Unter diesen Bedin-gungen eine innere Opposition zuzulassen, wäre für die Existenz der SU tödlich gewesen. Wie wahr das ist, beweist das Ergebnis des Wirkens seiner Kritiker, es gibt sie nicht mehr, die SU.

Die sogenannte Geheimrede Chrustschows  auf dem XX. Parteitag löste eine verheerende Ver-wirrung in den Reihen der Partei und der internationalen kommunistischen Bewegung aus. Nur so war es möglich, dass die subjektivistische Abenteuerpolitik Chrustschows sich durchsetzen konnte.

In der Industrie wurde der Schwerpunkt von der Abteilung I, der Produktionsmittelindustrie, auf die Abteilung II, die Kosumgüterindustrie, verlagert. Das brachte zwar eine kurzfristige Verbes-serung  der Versorgung mit Konsumgütern, entzog aber der Wirtschaft die erforderliche Basis für die notwendige planmäßige erweiterte Reproduktion. Schon in wenigen Jahren traten Dis-proportionen in der Wirtschaft auf. Die Produktionsmittelindustrie konnte den Bedarf nicht mehr sortimentsgerecht und schließlich allgemein abdecken.

Ähnlich abenteuerlich war die Landwirtschaftspolitik. Statt auf die Intensivierung der Land-wirtschaft, insbesondere in den fruchtbaren Regionen, auf die weitere Industrialisierung der landwirtschaftlichen Prozesse, auf die Verbesserung der Infrastruktur, auf die bessere Versorgung mit Düngemitteln, auf moderne Lagerwirtschaft, auf die allmähliche Hinführung zu staatlichen Agrargroßbetrieben hinzuarbeiten, wurden große Investitionen in die Erschließung von Neuland gesteckt, und das in Regionen, die meteorologisch sehr unsicher waren. Also wurde wieder investiert, um eine Bewässerung zu ermöglichen. Flüsse wurden angezapft oder ganz umgelenkt, das Wasser durch Trockengebiete geführt, wo schon ein Teil verdunstete und sich der Salzgehalt bereits erhöhte, um schließlich auf den Feldern weiter in Größenordnungen zu verdunsten und den Boden allmählich immer mehr mit Salz anzureichern. Nach wenigen Jahren guter Ernten folgte Missernte auf Missernte. Weitere Abenteuer waren die „Wurst am Stengel“ und  die „Rinderoffenställe“. Auch die Übergabe der Maschinentraktorenstationen an die Kollektivwirtschaften war ein Schritt zurück.

Auf außenpolitischem Gebiet war sein Wirken nicht weniger zerstörerisch. Statt sich auf die eigenen Kräfte zu stützen und den Kurs der planmäßigen sozialistischen Industriealisierung fortzusetzen, suchte er die Zusammenarbeit mit dem Imperialismus. Statt darum zu ringen, die Wirtschaftskraft des sozialistischen Lagers zu bündeln und ein einheitliches, unabhängiges sozialistisches Wirtschaftsgebiet aufzubauen, mit klaren Verantwortlichkeiten gegenüber der Staatengemeinschaft, löste er das Kominform-Büro auf, jenes Organ, in dem gemeinsam interessierende Fragen der sozialistischen Staatengemeinschaft und der kommunistischen Parteien  beraten und beschlossen wurden.

Das sozialistische Lager verfügte über alle Resourcen, um ein stabiles eigenes Wirtschaftsgebiet aufzubauen. Wenn die SU als allein existierender sozialistischer Staat in der Lage war, ein stürmisches Wirtschaftswachstum zu entwickeln und dem faschistischen Ansturm zu wider-stehen, warum sollte die viel größere und über weitaus größere Resourcen verfügende sozia-listische Staatengemeinschaft dies nicht auch vermögen, zumal das zahlenmäßig stärkste Land der Erde, China, aus dem Hinterhof des Imperialismus inzwischen ausgebrochen war und die ersten Schritte in Richtung Sozialismus machte. Nein, nicht nur dass er die Einstellung der Tätigkeit des Kominfor-Büros veranlasste, er brach auch mit der jungen Volksrepublik China, weil sie Kritik an seiner revisionistischen Politik übte. Fast wäre es sogar zum Krieg gekommen. Anstelle des konsequenten ideologischen Kampfes wurden Auffassungen von der Friedens-fähigkeit des Imperialismus verbreitet, wurden Auffassungen verbreitet, dass jedes Land den Aufbau des Sozialismus nach seinen eigenen nationalen Bedingungen durchführen muß. Das hört sich gut an, ist aber eine Absage an den Wissenschaftlichen Sozialismus, wonach sich der Aufbau des Sozialismus nach allgemein gültigen Kriterien vollzieht.. Ja, er räumte sogar die Möglichkeit ein, auf parlamentarischem Weg zum Sozialismus zu gelangen. Das missachtet völlig die Tatsache, daß der Imperialismus niemals bereit sein wird, freiwillig von der Welttribüne abzutreten, dass er um so verbissener und brutaler um den Erhalt seiner Macht kämpfen wird, je mehr er Gefahr läuft, in die Defensive zu geraten. Die Erfahrungen der Spanischen Republik oder Chile legen davon beredtes Zeugnis ab.

Natürlich traten Kräfte in den verschiedenen Ebenen der Leitungsstruktur gegen diese chrustschowsche Politik auf. Sie wurden jedoch als Stalinisten diffamiert und systematisch Schritt für Schritt aus den Leitungsgremien verdrängt. Der Kampfbegriff des Stalinismus, dieser wichtigsten ideologischen Waffe des Kapitalismus, verbunden mit scheinmarxistischen Phrasen und demagogischen Versprechungen vom baldigen Aufbau der  kommunistischen Gesellschaft, brachten es mit sich, dass sich Chrustschow immerhin  11 Jahre an der Macht halten konnte.  1964 wurde er wegen der verheerenden Folgen seiner Politik vom ZK abgelöst. Aber es war schon zu spät. Die Verbreitung des Revisionismus war schon zu weit fortgeschritten. Nach einer Zwischenperiode, über die es nicht lohnt nähere Ausführungen zu machen, vollendete Gorbatschow das von Chrustschow begonnene Werk.

Daß die Sowjetunion untergegangen ist, das ist nicht dem Verstoß gegen das Wirken eines Wertgesetzes zu verdanken oder einer dem System innewohnenden Folgerichtigkeit,- dann hätte seine Entwicklung gar nicht erst stattfinden können, – sondern dem Verlassen des bewährten marxistisch- leninistischen Kurses, wie er bis zum Tode Stalins angewandt wurde.

Wenden wir uns einem zweiten Beispiel sozialistischer Wirtschaftspolitik zu, dem Beispiel China. Richtiger wäre es allerdings zu sagen, der Wirtschaftspolitik eines unter der Leitung einer kommunistischen Partei stehenden Staates. Die Entwicklung der Volksrepublik Chine wird in der ganzen Welt mit großer Aufmerksam verfolgt, von den Kommunisten mit großen Hoffnungen, aber untermischt mit gewissen Sorgen, von den Imperialisten mit großen Sorgen, aber untermischt mit gewissen Hoffnungen.

Dabei kann man die Entwicklung in China nicht schematisch mit der Entwicklung der Sowjetunion vergleichen. Entstanden unter der weltpolischen Situation einer stabilen SU, natür-lich in hartem Klassenkampf, konnte sie einer sofortigen imperialistischen Invasion entgehen. Weiter verfügt auch China über sehr große natürliche Resourcen.

Weiterhin verfügte die Kommunistische Partei über eine große Anzahl im Kampf erprobter Kommunisten. So konnten Irrungen und  Wirrungen, wie z. Bsp. in der Kulturrevolution, über-wunden werden.

Gesellschaftlich steht China sehr am Anfang einer sozialistischen Entwicklung. Man könnte diese Phase vergleichen mit der NÖP in der SU, aber unter ganz anderen Voraussetzungen. Es ist unstrittig, dass das Wertgesetz in China noch starken Einfluß auf die Ökonomie ausübt, unterschwellig, wie es seinem Wesen entspricht. Es gibt starke Elemente kapitalistischer Wirtschaftsweise. Solche sind z. Bsp. die gemischten Aktiengesellschaften des Staates mit ausländischen imperialistischen Gruppierungen. Auch viele privatkapitalistische Betriebe ein-heimischer Bürger gehören dazu.  Hinzu kommt die riesige Menge privatwirtschaftlich arbeitender Bauern. Sie möchten, obwohl das perspektivisch völlig illusorisch ist, aufsteigen in den Mittelstand. Im Gegensatz zur SU gibt es dagegen kein so ausgeprägtes Kulakentum. Und auch der Handel ist noch stark in privater Hand. Hinzu kommt weiter ein sehr starkes soziales Gefälle, in dem viel Zündstoff schlummert und außerdem noch einer weiteren Differenzierung unterliegt, indem es inzwischen sehr reiche Bevölkerungsschichten gibt, während es nach wie vor noch viel Armut gibt.. Eine Fülle von Problemen, die für unseren Erfahrungsschatz neu sind. Man kann meiner Meinung nach noch nicht davon ausgehen, dass der Sozialismus in China schon gesiegt hat, dass es nur darauf ankommt, ihn zur vollen Entfaltung zu bringen. Die Erfahrung lehrt, dass die Gefahr einer Restauration des Alten solange besteht, solange das Neue noch nicht seine allumfassende Vollendung erreicht hat. Deshalb bedeutet die Erringung der politischen Macht noch nicht den endgültigen Sieg. Vielmehr beginnt jetzt erst die noch schwierigere Phase, der umfassende Aufbau der neuen, der sozialistischen Gesellschaft. Die kapitalistischen Elemente werden nie aufhören, sich der Führung durch eine kommunistische Partei entziehen zu wollen und dabei jede Schwäche und jeden Fehler der Führung nutzen, unterstützt vom ausländischen Imperialismus. Diesen Kampf führen sie mit den verschiedensten Formen, im Suchen einer direkten Konfrontation, wie damals auf dem Platz des himmlischen Friedens, im Anheizen sozialer und auch nationaler Unterschiede, wie auch im Erschleichen wichtiger politischer Positionen, so wie Gorbatschow und eigentlich auch schon Chrustschow. Das Verwirrende ist dabei, dass das Kapital seine Ziele, nämlich die Absicherung seiner Kapitalverwertungsinteressen, nicht  öffentlich macht, sondern mit demagogischen Parolen von Demokratie, Menschenrechten, Freiheit  (sie meinen ihre eigene als Klasse) und ähnlichen wohlklingenden Losungen verschleiert. Was das wert ist, kann man am Beispiel der USA studieren, die gleichzeitig unverblümt erklärt, und das auch als Staatsdoktrin verkündet, dass die USA  für sich das Recht in Anspruch nehmen, den ungehinderten Zugang zu den Rohstoffreserven der Welt durchzusetzen. Die Rede des USA-Staatssekretärs Pickering vor Absolventen der USA-Militärakademie West Point ist noch nicht vergessen. Solche Infor-mationen findet man in der gesteuerten kapitalistischen Medienlandschaft natürlich höchstens irgendwo versteckt.

Zum Abschluß meiner Darlegungen möchte ich betonen, dass ich nicht den Anspruch erhebe, dass meine Auffassungen die absolut richtigen sein müssen. Ich möchte sie einfach als Diskussionsbeitrag zu der Frage verstanden wissen, wie kann man das parasitäre System des Kapitalismus überwinden und eine wirklich humanitäre Gesellschaft aufbauen. Dazu gehört als erstes die Überwindung des kapitalistischen Machtapparates.  Danach wird es noch eine nicht endende Vielzahl von zu lösenden Problemen geben. In diesem Zusammenhang heute über ökonomische Probleme zu diskutieren, ist sicher nicht unwichtig, aber nicht das Wichtigste. Vor uns steht vor allem die Aufgabe, das politische Wissen in breiten Kreisen der Gesellschaft zu verbessern, natürlich auch das Wissen über ökonomische Fragen. Dabei müssen wir in Europa leider wieder sehr weit vorn ansetzen, und zwar mit einer massiven Kritik des Kapitalismus. Wir müssen den Menschen verständlich machen, wie der kapitalistische Machtapparat aufgebaut ist und mit welchen Strukturen und Methoden er funktioniert. Und wir müssen auch darauf hinweisen, dass das Kapital sich in großem Umfang der Methode der Unterwanderung sozialistischer Organisationen bedient. Nicht jeder, der sich sozialistisch gibt, muß es ehrlich meinen. Das soll keine Aufforderung sein, dass wir Sozialisten uns gegenseitig misstrauen. Das wäre schlimm. Aber man muß schon gut hinsehen, wem man sein Vertrauen schenkt. Und wir müssen wieder dahin kommen, dass die Menschen sich ihrer realen Stellung in der Gesellschaft bewusst werden. Wer nur sein Arbeitsvermögen besitzt, um seinen Lebensstandard zu sichern, muß sich bewusst werden, dass er ausgebeutet wird, dass er nur Arbeit findet, wenn andere aus seinem Arbeitsvermögen Nutzen ziehen können, dass er nicht seine Leistung bezahlt bekomm, sondern nur das, was er erkämpft. Das Klassenbewußtsein muß wieder geschärft werden. Und das gelingt nur , wenn wir wieder und wieder  die ganze Verlogenheit kapitalistischer Propaganda entlarven, wenn wir das innere Wesen des Kapitalismus offen legen, wenn wir ständig bemüht sind, politisches Wissen zu verbreiten. In den Köpfen muß  Klarheit geschaffen werden. Dann wird auch wieder die Möglichkeit bestehen, eine im Volk verwurzelte marxis-tische Partei zu schaffen. Das wichtigste dabei scheint mir z.Zt. die Auseinandersetzung mit weit verbreiteten revisionistischen Auffassungen innerhalb der sozialistischen Bewegung zu sein. Sie finden ihren Ausdruck in der Übernahme imperialistischer Ideologien, dabei insbesondere in der Verbreitung des Antistalinismus. Man muß schon mal darüber nachdenken, wieso Stalin der vom Imperialismus am meisten gehasste kommunistische Politiker war und bis zum heutigen Tag noch ist.. Daß sich viele sich als Sozialisten empfindende Genossen dabei  in trauter Einheit mit den Imperialisten befinden, stimmt schon sehr bedenklich. Es ist schon eine Tragik, dass im Prozess der Auseinandersetzung mit parteifeindlichen Gruppierungen in der KPdSU unschuldig aufrechte Genossen in die Kritik geraten sind und verurteilt wurden. Das schmerzt jeden ehrlichen Kommunisten. In diesem Schmerz finden wir uns aber in keiner Weise in Gemein-schaft mit jenen Heuchlern, denen das Wohlergehen eines Kommunisten völlig uninteressant erscheint, die vielmehr in persönlichen Schicksalen ein gefundenes Fressen für ihre anti-sozialistische Propaganda sehen.

Wir dürfen nie vergessen, dass der mainstream, die vorherrschende politische Meinung , von der Bourgeoisie bestimmt wird. Wer dieser Meinung hinterherläuft, wird immer im Kapitalismus landen. Die Medien haben sich in den letzten 50 Jahren zu einer politischen Macht entwickelt, die mindestens gleichen Stellenwert haben wie die traditionellen Machtapparate Polizei und Justiz. Und diese Medien sind fest in der Hand des Kapitals. Was ist da schon eine Ver-sammlung gegen ein Fernsehprogramm. Und auch das geschriebene Wort ist in einer erdrücken-den Mehrzahl in der Hand des Kapitals. Aber das darf uns nicht dazu verleiten, kleinmütig zu sein. Im Sozialismus liegt die höhere Moral. Das Kapital kann nur deshalb seine Herrschaft aufrecht erhalten, weil die Mehrheit der werktätigen Menschen nicht an die Möglichkeit seiner Überwindung glaubt, oder glaubt, ihn mit Appellen zu besserem Verhalten bewegen zu können. Den Kapitalismus kann man nicht verbessern, den kann man nur abschaffen.

Dieter Hainke,
Magdeburg