In der Bewegung richtig bewegen – Eigentumsfrage, Warenproduktion, Diktatur des Proletariats

Hermann Jacobs:
In der Bewegung richtig bewegen – Eigentumsfrage, Warenproduktion, Diktatur des Proletariats

Im jüngsten Heft von „offen-siv“ (3/2008) gibt es in der Rubrik Resonanz durch Wolfgang Hermann eine Rezension zu unserer letzten größeren Publikation „Niederlagenanalyse“. Ohne pingelig erscheinen zu wollen – es gibt in der Rezension eine Passage, zu der ich noch einmal etwas klarstellen möchte. Es wird, als handele es sich um eine allgemein anerkannte oder anzuerkennende Tatsache, eine Aussage über die Warenproduktion getroffen, die nicht richtig ist und die auch nicht dem entspricht, worauf in „offen-siv“ – und auch in der erwähnten Publikation – in zunehmendem Maße Wert gelegt wird: Klarheit – der grundsätzlichen theoretischen Art – wieder darüber zu schaffen, was eigentlich Warenproduktion ist, wie im Speziellen der Begriff Austausch in ihr erklärt werden soll.

Zur Bedeutung der Frage der Warenproduktion: Sofern eine kommunistische Partei die Frage des Sozialismus, also einer anderen als bürgerlichen Gesellschaft aufwirft, geht es zunächst um die Aufhebung der alten Gesellschaft, und das ist im wesentlichen eine Gesellschaft der Warenproduktion. Folgerichtig muss es dann um die Frage gehen, wie denn eine nicht-bürgerliche Gesellschaft auszusehen habe, im Besonderen in ökonomischer Hinsicht.

Darüber ist der reale Sozialismus in einen Streit geraten, es ging in den Debatten hin und her – und unsere Aufgabe und unser Vorhaben ist es nun, hier im Nachhinein Klarheit zu schaffen, so weit das möglich ist. Deshalb in „offen-siv“ die Konzentration auf das Thema. Und wir haben ein Interesse daran, dass gewisse Fortschritte in der Diskussion, die bei uns erreicht sind, allgemein vermittelt bleiben.

Wolfgang Hermann nun gibt dem typischen Fehler, der sich in den Wissenschaftsbetrieb der politischen Ökonomie des Sozialismus eingeschlichen hat, noch einmal Raum. Er schreibt, wohl wie er meint, die Schrift „Niederlagenanalyse“ wiedergebend:

„Heute wissen wir (vom realen Sozialismus, J.), dass die Eigentumsfrage nicht so angepackt worden ist, wie es nötig gewesen wäre. Marx sprach immer vom gesellschaftlichen Eigentum. Ist staatliches Eigentum eine Form gesellschaftlichen? Hier möchte ich abschweifen und mich kurz mit der Warenproduktion beschäftigen. Gibt es sie im Sozialismus oder gibt es sie nicht? In ‚Niederlagenanalyse’ beschäftigt sich Hermann Jacobs damit. Nun wissen wir, dass ein Produkt zur Ware wird, wenn es für den Tausch bestimmt ist. In der kapitalistischen Produktionsweise wird das Produkt zum Zwecke des Tauschs (Verkaufs) hergestellt: Also Warenproduktion. Aber nicht nur das. Der Warenproduktion, wohnt auch inne, dass die Arbeitskraft als Ware auftaucht. Wenn im Sozialismus die Arbeitskraft auch Ware sein sollte, die der Arbeiter gezwungen wäre zu verkaufen, dann stellt sich die Frage, wie die ihre Arbeitskraft verkaufende Arbeiterklasse herrschende Klasse sein kann. Sie könnte es zwar formell, aber eben nicht ökonomisch und damit politisch [sein]. Im Sozialismus widersprechen sich Warenproduktion und Diktatur des Proletariats“.

Drei Dinge: Eigentumsfrage, Warenproduktion/Austausch, Widerspruch von Warenproduktion und Diktatur des Proletariats.

Zur Eigentums- und Staatsfrage

Ist/war das staatliche Eigentum im Realsozialismus (Sowjetunion, DDR usw.) gesellschaftliches Eigentum, d.h. gehörte es den Arbeitenden? Hier sollten wir es ganz kurz machen: Ja! Das Aufwerfen der Frage, ob staatliches Eigentum im Sozialismus auch gesellschaftliches wäre, ist die beliebteste Infragestellung des Sozialismus durch den Revisionismus.

Dahinter lauert ja, wenn ein Nein herauskommt, dass Vergesellschaftung noch etwas ganz anderes sei. Herauskommen soll bei den Revisionisten das, was sie meinen: „Vergesell-schaftung, die die Individuen erreicht“, und das sind dann im Falle der Industrie die betrieb-lichen Arbeitskollektive, also dort Kollektiv-Eigentum statt gesellschaftlichem Eigentum, und im Falle der Landwirtschaft individuelle Erbpacht-Verträge, also individuelle Bauernwirtschaft statt Kollektivierung der Landwirtschaft.

Wir meinen aber eine Vergesellschaftungsform, in der der Begriff der Einheit der Gesellschaft, des Gesamtkollektivs aller Arbeitenden, das wesentliche ist.

Der fremdelnde Begriff „staatlich“, mit dem die Vergesellschaftung[1] bedacht wird, ist die – heimtückische – Einführung eines falschen Subjekts in den Diskurs. Es klingt ja so, als würde es im Sozialismus einerseits das arbeitende Volk geben und andererseits den Staat, der sich etwas anmaßt. Nicht: Ein Volk entwickelt sich zum Staat, sondern: Ein Staat erhebt sich über das Volk; und sie behaupten: beim sozialistischen Staat wie beim bürgerlichen Staat. („Staat bleibt Staat“.)

Nur wenn man einen anderen Vergesellschaftungsbegriff hat als den im realen Sozialismus realisierten, muss man bei der Staat-gleich-Staat-These bleiben. Statt eines einheitlichen Subjekts, der Arbeiterklasse, das sich entwickelt, wollen die Revisionisten uns von der Existenz zwei Subjekte überzeugen, die sich einander als fremd, jedenfalls als nicht identisch gegen-überstehen: Die Arbeiter arbeiten, der Staat aber „ist Eigentümer, eignet an“!?

Was heißt Vergesellschaftung des Eigentums? Aufhebung des Privateigentümers? Das dürfte nicht reichen. Es heißt, dass alle Verhältnisse der Arbeit, die über die besondere Arbeit, die Arbeit im Einzelnen, die Arbeit des warenproduzierenden Privateigentümers nicht hinausgehen, beendet werden zugunsten eines gesellschaftlichen Gesamtrechts auf die Arbeit in ihrer Einheit.

Allein dieser Satz schließt die Vorstellung von einer betriebskollektiven Form der Waren-ökonomie im Sozialismus aus.

Für das neu entstandene ökonomische Gesamtsubjekt existiert nicht mehr ein vorausgesetztes besonderes ökonomisches Privatrecht, dem man sich, bevor man selbst zum Zuge, d.h. zu seinem Recht kommt, beugen muss. Es ist Bedingung einer wirklichen Vergesellschaftung, dass jedes der privatwirtschaftlichen Sonderrechte liquidiert wird.

Und was den neuen, sozialistischen Staat betrifft: Ein Staat, der die Ökonomie übernimmt (leitend, planend), wächst hinaus über das, was ein Staat im bekannten, herkömmlichen Sinne ist. Der Staat ist nicht mehr nur das Herrschaftsinstrument der einen Klasse (hier: des Proletariats) zur Unterdrückung einer anderen Klasse (hier: der konterrevolutionären Bour-geoisie), der Staat wird Gesellschaft.[2]

Die Ökonomisierung des Staates bringt also eine gesellschaftliche Rolle des Staates hervor. „Verstaatlichung“ der Ökonomie, und zwar völlige, vollkommene, ist die Verwandlung des Staates in ein Produktionsverhältnis.

Die Reihenfolge der Übernahme ist hier folgende: Erst übernimmt die Arbeiterklasse den Staat, zunächst in unmittelbaren, auch lokalen Ebenen (Sowjets), dann in übergeordneten Ebenen, d.h. in seiner Gesamtheit (Unions-Sowjet), und in einem zweiten Schritt übernimmt die Arbeiterklasse per Staat die Ökonomie; sie entwickelt hierbei „staatliche“ Organe, die nicht mehr im klassischen Sinn des Wortes Staatsorgane sind, also Organe der Gewalt und Herrschaft. Als die Ökonomie regulierend sind es Organe der Planung und Leitung der Ökonomie, also gesellschaftliche Organe.[3]

Mit dem alten/bisherigen Staatsbegriff angesichts dieser neuen Entwicklung zu operieren, ist desorientierend und verunglimpfend. Man hat sich im Staatsbegriff festgelegt – anhand der vergangenen Geschichte, und erkennt keine neue mehr. Wolfgang Hermann wirft eine Frage auf, wie sie von Kritikern des realen Sozialismus aufgeworfen wurde (darunter von Anhängern der warenökonomischen Reform im Sozialismus), ohne sie letztlich zu beantworten; die Frage „steht also nur im Raum“. Aber wir wissen um ihre Brisanz.

Zur Frage der Warenproduktion

Gibt es sie oder gibt es sie nicht im Sozialismus? Nun, wir haben geantwortet: Nein, es gibt sie nicht mehr. Es gab sie in einer Übergangsform. Das war unsere Antwort; sie ist aber nur eine passive Form. Die aktive würde lauten: Müssen wir die Warenproduktion aufheben, liquidieren, wenn wir eine kommunistische Produktionsweise wollen? Und: Haben wir sie liquidiert?

Noch einmal die immer selbe Frage:

Wolfgang Hermann: Wir wissen (angeblich), „dass ein Produkt zur Ware wird, wenn es für den Tausch bestimmt ist“. Es hängt also alles davon ab, was Tausch ist. Ist Tausch der „Händewechsel der Produkte als Gebrauchswerte?“ Der Begriff „Händewechsel“ stammt be-kanntlich von Engels. Aber Engels verstand den Händewechsel der Produkte als Ge-brauchswerte gerade nicht als Austausch, als den er dennoch die Warenproduktion charakterisiert. Was also ist Austausch, wenn Händewechsel der Produkte das nicht ist?

Hier sind wir an dem Punkt der allgemeinen Verwirrung. Immer dann, wenn wir unter Austausch nichts als den „Austausch“, d.h. Händewechsel der Produkte als Gebrauchswerte verstehen, machen wir die Warenproduktion zu einer ewigen Produktionsweise, zu einem Allerweltsverhältnis der Ökonomie – sofern sie zur gesellschaftlichen Arbeitsteilung ausgereift ist. Arbeitsteilung wird es immer geben, auch im tiefsten und höchsten Kommunismus. Also wird es immer Warenproduktion geben? Natürlich nicht, denn nicht die Arbeitsteilung, sondern das Privateigentum an den Produktionsmitteln und dementsprechend die Verausgabung der Arbeit als Privatarbeit ist die Ursache der Warenproduktion.

Um in dieser Frage unser historisches Verhältnis zur Warenproduktion (oder unser historisches Verhältnis zur Abfolge von Gesellschaftsformationen) wiederherzustellen, muß der Begriff Aus-tausch seine historisch-konkrete Bedeutung bekommen. In einer bestimmten Gesellschaft gibt es Warenproduktion, und in einer anderen bestimmten nicht. Das gleiche gilt dann für den Austausch: Es gibt ihn und es gibt ihn nicht. Darüber Klarheit (wieder) zu schaffen, haben wir uns in „offen-siv“ bemüht. Leider noch nicht mit durchschlagendem Erfolg.

Was ist Austausch im Sinne der Warenproduktionsweise? Das ist der Wechsel der Ware von ihrer relativen Wertstellung in ihre äquivalente Wertstellung, dieser Wechsel ist einem Warenwechsel identisch – deshalb also Austausch. Austausch vermittelt die Wertform, die das Produkt als bloßer Gebrauchswert nicht hat, und die sie durch einen bloßen Gebrauchswert-wechsel auch nicht bekommen würde. Ein Gebrauchswert ist ein Gebrauchswert, und keine Ware. Damit ein einfaches Produkt eine Ware wird, muss es auch von Wertform sein, muss sich also austauschen.

Ware zu sein, und das heißt von Wertform zu sein (nicht nur Gebrauchswert zu sein), ist der gesellschaftliche Befehl an sie. Deshalb die Prozedur des Austausches. Die Ware muss, um ihre Wertform, die sie nur latent besitzt, auch tatsächlich zu besitzen, wechseln, sich austauschen mit einer anderen Ware, die das Verhältnis des Wertseins unmittelbar besitzt. Das ist das ganze Geheimnis des Tausches in der Warenproduktion. Nix da also von Tausch der Produkte als Ge-brauchswerte.

Und das ist nun so oft, das ist tausendmal gesagt worden und kann immer wieder nachgelesen werden. Und warum trotzdem immer wieder dieser „Lapsus“, wenn gesagt wird, Austausch sei der Austausch der Produkte, sei der Austausch der Gebrauchswerte, sei der Austausch der Gebrauchswerte, der Gebrauchswerte…und immer aufs Neue“?

Weil, wenn man nach den Gründen der Warenform der Produkte fragt, man ausgehend von der Wertform natürlich fragt: Ja, wer braucht denn eine solche vertrackt-verzwickte Form in der Ökonomie? Warum müssen denn Produkte ihre Werte (das sind ihre Arbeitsaufwendungen in der nämlichen, abstrakten Hinsicht, quantitativ, also als Größe gemessen an der Arbeitszeit) aus-drücken, „zu Markte tragen“?

Der Gedankengang von Marx war vielen nachfolgenden Marxisten offensichtlich „zu kom-pliziert“, und so haben sie sich auf die einfache Form geeinigt oder sind zu dieser „über-gegangen“: Dem einfachen Denken steht die Vorstellung eines einfachen Austausches von verschiedenen Gebrauchswerten näher als das Verständnis dieser ganzen vertrackten Wertform. Nichtsdestoweniger ist das scheinbar „Einfachere“ nur ein ökonomischer Populismus, der nicht zur Aufhellung der Geschichte beiträgt, die Analyse der Wertform aber die notwendige wissen-schaftliche Erkenntnis.

Das Niveau der Kenntnisse über die bürgerliche Ökonomie beschränkt sich dann auf den Satz: „Tausch ist dann, wenn man Leinewand gegen Rock tauscht“.

Marx hätte zwei Drittel der ersten hundert Seiten des „Kapitals“ glatt streichen können, wenn das richtig wäre.

Was kommt bei dem eben dargestellten ökonomischen Populismus als Erklärungsgehalt für die Warenproduktion heraus? Eine gegenseitige Befriedigung von Bedürfnissen durch wechsel-seitige Gebrauchswerte, wobei die Geldform, über die mehr oder weniger unmittelbar ge-wechselt wird, nur als Hilfsmittel erscheint, um die Tauschbarkeit von Gebrauchswert zu Ge-brauchswert zu erleichtern. Das ist die verbreitete bürgerliche 0-8-15-Erklärung, wie sie heute noch gang und gäbe ist.

Nur: wo bleibt nun die bekannte Erklärung von Marx: „Nur Produkte privater Arbeit werden zu Waren“? Sie bleibt auf der Strecke! Und dass sie auf der Strecke bleibt, das war beabsichtigt, denn darum geht es.

Das oben skizzierte zeigt einen weit verbreiteten grundsätzlichen Irrtum. An diesen geratend, kann man weder Warenproduktion noch Sozialismus/Kommunismus, also auch nicht den Ge-gensatz des Sozialismus/Kommunismus zur Warenproduktion erklären. Man ist weder in der Lage, klar Front gegen das Privateigentum zu beziehen, noch fähig, Partei für den Kommunismus zu ergreifen. Stattdessen bleibt man in kleinbürgerlichen Vorstellung ökono-mischer Entwicklungen stecken.

Wie einfach dagegen ist der Kommunismus und sein Gegensatz zur Warenökonomie zu ver-stehen, wenn man a priori erklärt, dass nur Produkte privater Arbeit, privaten Eigentums zu Waren werden. Private müssen den Wert, der in ihrer Arbeit anfällt, bei Strafe ihres Untergangs aneignen. Sie haben ja sonst kein anderes Faustpfand in der Hand, das sie noch geltend machen könnten, um gesellschaftlich wirksam zu werden.

Der Wert ist eine Eigentumskategorie! Aber er ist nicht nur statisch: ihm wohnt inne, dass er auch prozessierende Eigentumskategorie (Kapital) werden muss.

Über halbe und ganze Vergesellschaftung

Müssen wir im Sozialismus aber eine Eigentumskategorie – wie die des Wertes – haben? Unter der Bedingung, dass die Aneignungsverhältnisse derjenigen, die produzieren, anderweitig durch die Gesellschaft (oder den Staat) geregelt sind, der Wert also auch im Sinne des Wortes ökonomisch ersetzt ist, brauchen wir eine solche Kategorie nicht. Ist es zu dieser Umstellung aber noch nicht gekommen oder bleibt sie aus (sagen wir heute China und früher Jugoslawien – oder sagen wir allgemein: Betriebskollektive, Betriebe in der Hand nur ihrer Belegschaften), müssten wir selbstverständlich die Warenproduktion beibehalten. D.h. wir müßten in der Ver-gesellschaftung der Ökonomie auf halbem Wege stehen bleiben. Wir müssten dann die je-weiligen Betriebe/Produzenten zu den Mitteln berechtigen, die sie in die Lage versetzen, ihre einfache und erweiterte Reproduktion gesellschaftlich zu realisieren, d.h. wir müßten ihnen min-destens das Recht auf die Aneignung ihrer Arbeits(zeit)leistung geben. Und da die unmittelbare Ware ein Gebrauchswert ist, den die Betriebe ja nicht selbst behalten, den sie weggeben, müßten sie in dem Augenblick, wo sie den Gebrauchswert weggeben, ihren Wert realisieren – in Geld.

Wie man sieht, sprechen wir in diesem Falle, wo die Vergesellschaftung des Privateigentums auf dem Weg über die „Verstaatlichung“ ausbleibt – oder auf der Stufe der bloßen Enteignung des kapitalistischen Privateigentümers verharrt, von einer stecken bleibenden Vergesellschaf-tung, nicht aber davon, dass, weil wir nun in eine Form betrieblicher Verwaltung der Gesell-schaft zurückfallen, die Vergesellschaftung erst beginnt. Die warenökonomische Reform des Sozialismus meint ja, die Ersetzung des einen Kapitalisten durch seine 100 ausgebeuteten Arbeiter fülle schon den Inhalt des Begriffs Vergesellschaftung aus. Wie … simpel, alle Ver-änderung an der Person fest zu machen, – und keine an der Gesellschaft.

Wir teilen nicht den Staatsaffront der so genannten sozialistischen Selbstverwaltung oder waren-ökonomischen Reform des Sozialismus. Um von tatsächlicher Vergesellschaftung zu sprechen, müssen wir das ökonomische Verhältnis der kapitalistischen Betriebe verändern, nicht deren bloßen juristischen, personengebundenen Status.

Damit steigt die Frage der Vergesellschaftung über den vom Kapitalismus gezogenen Rahmen hinaus. Und als solche verlässt sie den Rahmen der besonderen Arbeit und erreicht den Rahmen der Gesamtarbeit, womit der Inhalt des Begriffs Gesellschaft seine Form erreicht.

Deshalb im Sozialismus der Kampf um den Staat. „Um den Staat“? Nun, der erst politisch etablierte Staat interessiert uns an diesem Punkt weniger. Es geht um den ökonomisch regulierenden Staat. Die neue ökonomische Rolle des sozialistischen Staates ist nichts weiter, als den Weg über das Geld zu umgehen (einzusparen), und damit auch zu keinem Individuumsrecht mehr zu erheben – d.h. Geld ist keine Eigentumskategorie im Sozialismus mehr -, und den direkten Weg über den Gebrauchswert zu gehen – womit allerdings ein grundlegender ökonomischer Wechsel verbunden ist. Der ökonomisch regulierende sozialistische Staat teilt den Betrieben die Produkte zu ihrer Produktion und Reproduktion direkt, in der Form der Ge-brauchswerte, zu, und gerade indem er das tut, umgeht er die Waren- oder Wertform der Pro-dukte, hebt er sie auf.

Nun zu sagen, der Staat begehe damit ein Unrecht an den Produzenten, er sei damit in einen Gegensatz zum „sozialistischen Produzenten“ getreten, er maße sich ein „staatliches Recht“ an, auf keinen Fall aber verwirkliche sich über ihn das neue gesellschaftliche Recht, ist ein … Verrat.[4] Diese Aussage bindet den Eigentumsbegriff absolut an das Individuum, aber an das Individuum als einzelnes vereinzeltes (oder an von der Gesellschaft, der Ganzheit Separierte), und damit nicht mehr an Individuen, wie sie die moderne Geschichte entwickelt hat.

Es ist vollkommen klar, dass die Warenproduktion durch die neue Rolle des Staates aufgehoben wird, und die Kritik auf den Staat zu konzentrieren, heißt, die Aufhebung der Warenproduktion verhindern zu wollen. „Heute wissen wir, dass die Eigentumsfrage (im realen Sozialismus) nicht so angepackt worden ist, wie es nötig gewesen wäre.“ Aber sie hätte gar nicht nötiger (richtiger) angepackt werden können. „Marx sprach immer vom gesellschaftlichen Eigentum“. Aber der Staat ist keine Gesellschaft für sich – wenn er von der Gesellschaft übernommen worden ist.[5] Hermann übersieht die Veränderung im Staat und sieht darum keine Veränderung in der Ge-sellschaft bzw. sieht nur deren Nötigung – „durch den Staat“. Eine Nötigung der Gesellschaft durch die Gesellschaft? Man ist irgendwo im Nebel der Voraussetzung stecken geblieben.

Der „Widerspruch von Warenproduktion und Diktatur des Proletariats“

Nun unser dritter Punkt: a) „Der Warenproduktion wohnt auch inne, dass die Arbeitskraft als Ware auftaucht“; b) „Im Sozialismus widersprechen sich Warenproduktion und Diktatur des Proletariats“.

Zu a): Die Ware Arbeitskraft taucht in der kapitalistischen Form der Warenproduktion auf. Kann sie auch im Sozialismus auftauchen? Ja, wenn der Sozialismus dem ökonomischen Verhältnis nach auf die Betriebsebene reduziert ist. Was macht denn ein auf Betriebsebene ver-gesellschafteter Sozialismus mit Arbeitskräften, die aus Betrieben wegrationalisiert werden? Entlohnt der Betrieb sie weiter, oder werden sie an die „Gesellschaft“„lohnseitig“ delegiert, d.h. mit Stütze belegt?. Da taucht der Pferdefuß des ganzen Betriebs“kommunismus“ auf.

Kapitalistisch zu werden ist eine historische – und innere – Bedingung der Warenproduktion, und die Ware Arbeitskraft taucht an ihrem Ende auf, im Zustand ihrer höchsten Entwicklung. D.h. mit dem Auftauchen dieser Bedingung ist ein Ende der Warenproduktion eingeläutet und wir haben überhaupt erst ein historisches Recht, die Frage einer Notwendigkeit der Aufhebung der Warenökonomie aufzuwerfen.

Die partielle Freisetzung, d.h. Herauslösung der lebendigen Arbeiter aus dem organischen Zusammenhang der Arbeit, Umstrukturierungen, Absterben einzelner Produktionszweige, Aufstreben anderer, das wird auch im Kommunismus stattfinden. Das wird dort aber kein Pro-blem sein. Unter den Bedingungen einer von Eigentumsgesetzen unabhängigen gesellschaft-lichen Verfügung über die Gesamtarbeit gibt es unendlich viele andere für die Gesellschaft nütz-liche Möglichkeiten der Arbeit. Nur wenn ein als Warenökonomie etablierter Sozialismus in Schwierigkeit mit der Fortbeschäftigung überschüssiger Arbeitskräfte kommt und damit in Schwierigkeiten mit der Fortzahlung von Löhnen an seine entlassenen Arbeitern gerät – und er gerät gesetzmäßig in Schwierigkeiten -, taumelt dieser Markt-Sozialismus in den Widerspruch zwischen den Interessen der Ware Arbeitskraft, der Warenproduktion und schließlich der politischen Form der Herrschaft.

Man kann sich schwer eine Form von politischer Herrschaft der Arbeiter und ökonomischer Ohnmacht dieser Arbeiter vorstellen, das ist ein nicht vorstellbarer Zustand des Sozialismus. Und doch ist er ein realer – wenn denn die ökonomische Revolution im halben Bereich (einer bloß halben sozialen Verantwortlichkeit) stecken bleibt.

Aber für den sowjetischen und den deutschen  Weg zum Sozialismus oder das sowjetische – oder Stalinsche – „Modell“ des Sozialismus gilt/galt das nicht.

An der Markierung eines solchen Widerspruchs von politischer Macht einerseits und ökonomischer Ohnmacht andererseits durch Hermann ist nur zu kritisieren, dass die reale sozialistische Gesellschaft an einen solchen Zustand nicht geriet; das Fassen der Gesellschaft (der Arbeiter) als eine ökonomische Gesamtheit, als ein Gesamtsubjekt (worin die Peripetien der Arbeit im allgemeinen wie im besonderen) eingeschlossen sind, hat verhindert, dass dieser Widerspruch von Politik und Ökonomie auftreten konnte. Wenn Wolfgang Hermann aber an ihn gemahnt oder von ihm als einem realen spricht, so kann er nur eine andere Form des ökonomischen Verhältnisses, eine andere Form des „Sozialismus“ meinen, oder eben seine unmittelbar erste „Form“, die noch keine sozialistische Form, sondern ein bloßes Festhalten an der bürgerlichen Form war. Die Politik, d.h. die Diktatur des Proletariats, unsere Diktatur des Proletariats war weiter, sie hatte sich ökonomisiert.[6]

Deshalb ist es methodologisch nicht richtig, für die Fassung des Widerspruchs zwischen Sozialismus und Warenproduktion einen lediglich politischen Ausdruck des Widerspruchs zu wählen – die neu erworbene politische Rechtsform, sondern richtig ist es, deren ökonomische Form zu wählen: Aus dem bloßen politisch artikulierten Gegensatz – der sozialistische Staat ist ja von Anfang an Diktatur des Proletariats – kann auch nicht von Anfang an abgeleitet werden, dass er Gegensatz zur Warenökonomie sein kann. Formell müssen erst die institutionellen Grundlagen einer Negierung des ökonomischen Verhältnisses der Warenproduktion hergestellt sein. Man kann einen Krieg nicht erklären, ohne die Waffen zu haben, ihn auch führen zu können. Mit bloßer Moral ist der Warenökonomie jedenfalls nicht beizukommen. Es geht bei der Postulierung eines Widerspruchs von Sozialismus/Kommunismus und Warenproduktion darum, dass er als ein Gegensatz von individualistischer und gesellschaftlicher Ökonomie dargestellt wird.

Das kann theoretisch immer vorausgesagt sein – warum sonst Marx?, faktisch muss sich aber der politische Wille zur Aufhebung der Ausbeutung ca. 10 Jahre nach einer Revolution gedulden, ehe zur Tat geschritten werden kann. Nicht, welches Schicksal die Arbeiter erleiden, sondern dass sie dieses Schicksal nur erleiden, weil noch ein altes ökonomisches Prinzip in der neuen sozialistischen Gesellschaft waltet, dem zunächst auch die Arbeiter unterworfen sind, ist der Kern des zu erkennenden Gegensatzes. Hier bürgerlicher Individualeigentümer, von vorn-herein kein Gesamtsubjekt, dort ökonomischer Gesamtarbeiter und folglich Gesamt-“eigentümer“ oder Gesamtsubjekt, das ist der Kern des „Widerspruchs“ (Antagonismus ist besser), in den das Ende der Warenökonomie eingeht und aus dem der Kommunismus als Lösung des Problems hervorgeht.

Die wichtigste Frage für uns ist nicht, unentwegt den Gegensatz von Sozialismus und Waren-produktion zu betonen, sondern bewußt zu machen, dass der Sozialismus als Planwirtschaft be-reits dieser Gegensatz war. Wir verteidigen doch keine Schimäre!

Ich wollte nicht pingelig sein. Es geht nicht um Meinungen. Derlei gibt es viele. Es geht darum, ob wir in Bezug auf die objektive Realität des Sozialismus bereits von stabilen Momenten des gesellschaftlichen Seins und Denkens sprechen können. Diese dann sind die Basis unseres Rechts, unseres Rechthabens.

Und sie sind auch der Fundus der Debatten in „offen-siv“, an deren Behauptung uns gelegen ist.

Hermann Jacobs,
Berlin

  1. …und die dann schnell zu solchen Schimpfwörtern verdreht wird wie „Staatssozialismus“ oder „administrative Kommandowirtschaft“. In diesen abwertenden Begriffen steckt die gesamte Ablehnung des Sozialismus: er soll weder eine zentral geplante Wirtschaft noch eine gesamtstaatliche Organisationsform haben; sprich: er soll nicht sein.
  2. Um uns den Sinn von Planung und Leitung der Ökonomie zu erschließen, müssen wir im Begriff „Verstaatlichung“ – den ich als solchen schon für falsch, zur Fehlinterpretation verleitend bezeichne – von vornherein von einer Entwicklung des Verhältnisses der Ökonomie ausgehen und nicht von einer Entwicklung allein des Staates.
  3. Es ist hierbei nicht so, dass nicht auch der bürgerliche Staat solche Rechte auf Eingriffe in die Ökonomie entwickelt, aber nur mittels der äußeren, indirekten des Geldes; er greift nicht direkt in die Hoheit der kapitalistischen Unternehmen ein. Er hebt das vom Eigentumsverhältnis ausgehende Hoheitsrecht der Betriebe nicht auf, sondern stützt es über sein investives Verhalten. D.h. der kapitalistische Staat bügelt Schwächen der kapitalistischen Unternehmen mit seiner Hilfe aus.
    Der sozialistische Staat aber kann das ökonomisch Neue schaffen: die arbeitende Klasse wird selbst Subjekt.
  4. Um von einem Unrecht des Staates zu sprechen, müßte ja erst ein ökonomisches Subjekt konstituiert werden, in Bezug auf welches es ein Unrecht wäre. Es wird immer nur behauptet, das seien die Betriebe im Sozialismus, deren Belegschaften. Die sind aber in keiner Eigentümerfunktion gesetzt, nur ihr Kapitalist war es. Arbeiter können gar nicht enteignet werden, ihnen muss erst Eigentum zugeführt werden. Und nun welches, in welcher Form? Die warenökonomische Reform operiert mit einer Voraussetzung, die gar keine ist, die nur eine Bedingung für die Zukunft werden könnte. Während wir natürlich in der vorausgesetzten Eigentumslosigkeit des Arbeiters die historische Chance erkennen, die Eigentumslosigkeit gleich auf dem Boden ihrer höchsten Form aufzuheben – dem Gesamteigentum. D.h. das ist eine Entsprechung – vom ökonomischen Nichts zum ökonomischen Ganzen, aber worin ist die vom Nichts zum ökonomisch Halben/Halbierten/Geteilten/Zersplitterten begründet? Warum wieder von vorne anfangen?
  5. Im bürgerlichen Eigentumsverhältnis steht die kapitalistische Klasse der arbeitenden Klasse als äußere (andere) Klasse gegenüber; vom bürgerlichen Staat ist das selbe zu sagen: Er steht der arbeitenden Klasse als ein äußerer (anderer) Staat gegenüber. Aber nicht gesagt ist damit, dass der bürgerliche Staat auch der bürgerlichen Klasse gegenübersteht. Was in Bezug auf die Klasse (die bürgerliche Klasse stünde der bürgerlichen Klasse gegenüber) direkt absurd wäre, ist in der Staatsfrage indirekt absurd. Aber diese Absurdität vom der herrschenden Klasse gegenüberstehenden Staat zwingt man die Men-schen vom sozialistischen Staat zu glauben.
  6. Es gibt die Position, die Begründung für die Kritik/Aufhebung der Warenproduktion auf die kapitalistische Form, folglich auf die Frage der Aufhebung der Ausbeutung zu beschränken. Das öffnet Freiräume für die Wiederaufnahme der Warenproduktion in deren einfacher Form, von der der Reformsozialismus meint, leben zu können.