Vortrag auf der Lesereise in der BRD vom 1. bis 22. März 2002

Harpal Brar: Vortrag auf der Lesereise in der BRD vom 1. bis 22. März 2002

In meinem Buch „Imperialismus im 21. Jahrhundert – Sozialismus oder Barbarei” habe ich anhand unzweifelhafter Statistiken aus renommierten bürgerlichen Quellen die Richtigkeit von Lenins Imperialismustheorie und ihre heutige Aktualität nachgewiesen. Ich konnte in diesem Datenmaterial eine umfassende Bestätigung für die Hauptkriterien von Lenins Imperialismus-begriff finden:

– den Prozeß der Monopolisierung

– zunehmenden Kapitalexport

– die Verschmelzung von Bank- und Industriekapital zum Finanzkapital

– die Aufteilung der Weltwirtschaft durch internationale Kartelle

– das Bestreben nach territorialer Neuaufteilung einer bereits abgeschlossenen Aufteilung der Erde unter den kapitalistischen Großmächten.

In meinem Vortrag möchte ich Bezug nehmen auf die jüngsten Entwicklungen in diesen Bereichen:

1. Prozeß der Monopolisierung

a) weltweit: In der kurzen Zeit nach Veröffentlichung meines Buches beschleunigte sich die Monopolisierung der Weltwirtschaft in nie dagewesenem Ausmaß. Fusionen und Übernahmen erreichten 1997 weltweit einen Wert von 1,6 Billionen US-Dollar und 2,4 Billionen US-Dollar im Jahre 1998 (siehe Financial Times [im folgenden abgekürzt: FT] vom 29.12.1998, deren Zahlen auf Wertpapierdaten basieren). Diese Unsummen wurden in den beiden folgenden Jahren noch erheblich in den Schatten gestellt. Das Fusions- und Übernahmefieber führte 1999 zu einem Höhepunkt, in dem die Gesamtsumme einen bisher undenkbaren Wert von 3,4 Billionen US-Dollar erreichte (FT vom 28.1.2000). Allein in den Vereinigten Staaten erreichte der Umfang der Fusionen und Übernahmen 1999 1,7 Billionen US-Dollar – gegenüber 1,6 Billionen im Jahre 1998. Im Jahr 2000 schließlich stieg das Volumen in den USA sogar auf 1,8 Billionen.

Die folgende Tabelle gibt einige Beispiele für den Wert einzelner zufällig herausgegriffener Fusionen in den letzten drei Jahren:

Vodafone Mannesmann US$ 203 Mrd.

AOL Time Warner US$ 182 Mrd.

MCI Sprint US$ 115 Mrd.

BP Amoco US$ 94 Mrd.

Pfizer Warner-Lambert US$ 85 Mrd.

Glaxo Wellcome SmithKline Beecham US$ 78 Mrd.

Exxon Mobil US$ 77 Mrd.

Olivetti Telecom Italia US$ 66 Mrd.

Daimler-Benz Chrysler US$ 40 Mrd.

Nicht umsonst meint Herr Irwin Stelzer in der Sunday Times vom 22.8.1999: „Es gab einmal eine Zeit, in der ein Milliarden-Dollar-Deal eine Nachricht war, eine echte Nachricht, die Sonderberichte und stundenlange Expertenrunden im Fernsehen nach sich zog. Das ist heute nicht mehr so – aus gutem Grund … Zum einen sind Fusionen in der Milliarden-Dollar-Liga heute so gewöhnlich, dass sie praktisch kaum noch erwähnenswert sind. Zum anderen kann eine Wettbewerbsbedrohung leicht ausgeräumt werden, indem man so lange an den Ecken und Kanten eines Deals herumfeilt, bis die Kartellbehörden zufrieden sind. Als John D. Rockefeller seine Standard Oil zusammenschob, gab es einen riesigen Aufschrei unter sensationsgierigen Journalisten, so daß die Monopolbrecher schließlich das Ganze zerteilten; als Exxon mit dem Kauf von Mobil seine zwei größten Bestandteile wieder zusammenflickte, widmete dem niemand viel Aufmerksamkeit.” („Unwiderstehliche Kräfte treiben die Welt ins Fusionsfieber”).

Und gerade im Bereich der Mineralölindustrie können wir eine atemberaubende Monopolisierung feststellen: Von dem ehemaligen 7 Schwestern-Kartell sind heute mal gerade drei Schwestern und ein „armer Cousin” übrig geblieben: ExxonMobil, BP-Amoco, Royal Dutch-Shell und – etwas abgeschlagen auf Rang 4 – TotalFinaElf.

b) Europa: Werfen wir einen Blick nach Europa. So schrieb die FT am 14.10.1997: „Übernahmen sind in Frankreich, Deutschland, Italien und anderen Staaten des Kontinents, die einst mit Hohn auf den ‘angelsächsischen’ Kapitalmarkt blickten, inzwischen gang und gäbe. Fusionen und Übernahmen haben in Europa gemäß dem Fachmagazin ‘Acquisitions Monthly’ bereits in diesem Jahr einen Wert von mehr als 280 Milliarden US-Dollar (einschließlich beabsichtigter Transaktionen) im Vergleich zum Vorjahreswert von 253 Milliarden und zum in den achtziger Jahren erreichten Spitzenwert von 148 Milliarden. Fast die Hälfte davon waren grenzüberschreitende Transaktionen”. So atemberaubend diese Werte damals erschienen, so wirken sie doch recht kümmerlich im Vergleich zu den Zahlen für 1999 und 2000. Wenn die 1999 verkündeten Fusionen und Übernahmen einen Wert von 1,2 Billionen US-Dollar erreichten, so waren es im Jahr 2000 1,5 Billionen, was im übrigen dem Gesamtwert in den USA von 1,8 Billionen US-Dollar recht nahe kommt. Fusionsaktivitäten werden in Europa insbesondere durch die Umstrukturierung im Bereich Telekommunikation, Medien und Technologie sowie im Bereich Chemie und Pharmazie vorangetrieben. Unter den Aufsehen erregenden Transaktionen war z.B. die 78 Milliarden US-Dollar-Fusion von Glaxo Wellcome und Smith-Kline Beecham.

Die britische Wirtschaft ist eine der hochkonzentriertesten der Welt. Die einzig noch übrigen Bereiche für weitere Zusammenschlüsse sind Medien und Telekommunikation, Chemie, Öl, Freizeitprodukte und Finanzdienstleistungen. In den kleineren Bereichen, z.B. in der Lebensmittelproduktion, ist die Konsolidierung im wesentlichen abgeschlossen. Aus diesem Grund halten die größeren Firmen im Ausland Ausschau nach Mega-Deals. Im Jahre 1999 war Großbritannien „das weltweit agilste Land bei grenzüberschreitenden Akquisitionen, angespornt von Transaktionen wie Zenecas Übernahme von Astra, dem schwedischen Pharmakonzern” (FT, 30.6.2000). Die Einführung des Euro im Januar 1999 hat einen paneuropäischen Markt geschaffen, und ungeachtet der Tatsache, daß Großbritannien kein Mitglied der Einheitswährung ist, „betrachten Finanzunternehmen zunehmend die paneuropäische Konsolidierung als die größte Geschäftsquelle”.

c) Deutschland: Laßt uns noch einen kurzen Blick auf Deutschland werfen: Hinter der Welle der Zusammenschlüsse – Fusionen, Übernahmen, Umstrukturierungen, Aufspaltungen und Allianzen –, die durch Europa fegt, liegt die beschleunigte industrielle Transformation von Europas größtem Wirtschaftsraum: Deutschland. Diese Transformation ist sowohl getrieben von und treibt ihrerseits an: die weltweite Konkurrenz, Deregulierung, Druck auf das Management in Sachen „Shareholder Value” (d.h. Profitmaximierung), durch Größe erlangte Möglichkeit zur Kostenreduktion, die Notwendigkeit zur Größe, um lauernde Raubtiere ebenso abzuwehren wie fallende Preise durch Konkurrenz, schließlich die Einführung des Euro und die Schaffung eines paneuropäischen Marktes. Deutsche Vorstände wie Ron Sommer von der Deutschen Telekom und Ulrich Hartmann vom (ehemaligen) Energiegiganten VEBA, Repräsentanten einer im Aufstieg befindlichen Generation rücksichtsloser Manager, haben sich auf den Weg gegen ihre europäischen und amerikanischen Rivalen gemacht mit einer Mischung aus Zusammenschlüssen im Heimatmarkt und Übernahmen im Ausland. „Allein in diesem Jahr”, schreibt die Sunday Times am 28.8.1999, „haben die Giganten der deutschen Geschäftswelt sieben Fusionen und Übernahmen angekündigt. Die Deutschen sind Spätzünder in Sachen Globalisierung, aber sie legen einen unbändigen Aufholeifer an den Tag.” (Michael Wood, „Deutschland auf dem Vormarsch”)

Die Übernahme der britischen One2One durch die Deutsche Telekom, der Griff der Deutschen Bank nach der amerikanischen Bankers Trust, die ihr einen Platz unter dem ersten halben Dutzend der weltweit größten Banken verschaffte, die Fusion von Daimler mit Chrysler (tatsächlich eine Übernahme seitens Daimler) zum weltweit drittgrößten Automobilhersteller sowie die erfolgreiche Kampagne von Hoechst zur Überredung der französischen Rhône-Poulenc, „Bestandteil eines deutsch dominierten Life-Science-Giganten [Pharma- und Agrarprodukte – d.Ü.] mit dem freundlich klingenden Namen Aventis zu werden” (ebd.), all diese Transaktionen verdeutlichen den Erfolg des deutschen Monopolkapitals im Bereich internationaler Fusionsaktivitäten. Zu Hause fusionierte VEBA mit der bayerischen VIAG zu E.ON, um Europas größtes Energiekonglomerat mit einer Marktkapitalisierung von 90 Milliarden DM zu schaffen [sowie den weltweit größten privaten Energiedienstleister, der derzeit die Übernahme der Ruhrgas AG mit ihrem Ferngas-Marktanteil von 60% in Deutschland ansteuert – Anm. d.Ü.]

Die beiden jüngst zusammengeschobenen Banken- und Versicherungskonzerne Dresdner-Allianz und Bayerische HypoVereinsbank (letztere schuf mit der Übernahme der Bank Austria Europas drittgrößten Konzern nach Vermögenswerten und die Nr. 12 nach Marktkapitalisierung und besitzt das größte Banknetzwerk in Zentraleuropa – Deutschland, Österreich, Polen, Ungarn, die Tschechische Republik, die Slowakische Republik und Kroatien) haben zusammen mit der Deutschen Bank, die bereits zur internationalen Bank mit einem starken Investmentarm [der Deutschen Morgan Grenfell – d.Ü.] wurde, das deutsche Finanzkapital in eine außerordentlich starke Position katapultiert, um ihren imperialistischen Rivalen zu begegnen, und letztere zur Überdenkung ihrer Strategien bewogen.

Mit entwaffnender Offenheit und beinahe leninistischer Terminologie meint DaimlerChryslers Finanzdirektor Dieter Zetsche: „Es gibt nun keine neuen Märkte mehr in der Industrie zu entdecken. Wir bekämpfen einander um zu siegen. Das macht das Ganze so unterhaltsam.” (zit. in Sunday Times, 29.8.1999).

Der Boden für die wahnsinnigen Fusionen im In- und Ausland wurde mit einem Angriff des deutschen Monopolkapitals auf die Arbeiterklasse mit dem Ziel gestartet, um endlich das abzuschaffen, was die Bourgeoisie und ihre intellektuellen Zuträger „traditionelle, unflexible Arbeitsbedingungen” nennen – mit Aussicht auf Kostenreduzierung und Erhöhung der Arbeitsproduktivität (zur verstärkten Abpressung von Mehrwert). Man lasse die FT vom 21.11.1998 zu diesem Thema zu Wort kommen: „Mit einer solchen Transformation hat das korporative Deutschland die traditionell zärtlichen Beziehungen zwischen Arbeit und Kapital erschüttert. Und es unternimmt einiges, um sich des Images einer konservativen Nation zu entledigen, die sich mehr um die Überreste ihrer sozialen Nachkriegsökonomie sorgt als um eine durch Modernisierung erzielte Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt.

Um das Ausmaß der Transformation zu erfassen, ist es notwendig zu verstehen, was dahinter liegt. Möglicherweise hat die größte Revolution in Deutschlands Fabriken stattgefunden, wo Unternehmer ein ganzes Arsenal flexibler Arbeitsmethoden eingeführt haben, die ein Jahrzehnt zuvor undenkbar gewesen wären. Arbeiter, insbesondere im Maschinenbau und der Autoindustrie, haben längere Arbeitszeiten sowie flexiblere Schichten akzeptiert. Verschiedene Firmen verwenden nun sogenannte Arbeitszeitkonten, die es Managern erlauben, in Zeiten großer Nachfrage die Arbeitszeit zu erhöhen gegen Freizeitausgleich in ruhigeren Zeiten. ‘Sechs Jahre zuvor war die japanische Autoindustrie die Richtschnur, danach strukturierte die US-Autoindustrie um, und nun sind wir oben auf der Liste’, sagt der Chefökonom eines deutschen Autokonzerns.” (Graham Bowley, „Deutschlands neues Schaufenster”).

d) Monopolisierung im Bankensektor: Wenn wir uns kurz die Entwicklung im Bankensektor anschauen, so lassen sich im Zuge des Fusionsprozesses folgende Entwicklungen feststellen: Von den einstmals ersten sechs japanischen Banken sind heute vier übrig geblieben, gefolgt von einer französischen, zwei US-Banken, einer deutschen, einer schweizerischen und einer britischen Bank:

Top 10 der Weltbanken (nach Vermögenswerten in Mrd. US$), September 2000

Fuji-IBJ-DKB 1999, Fusion aus Fuji Bank, Industrial Bank of Japan (IBJ) und Dai-Ichi Kangyo Bank (DKB) Japan: 1.481Mrd US$

Sanwa-Asahi-Tokai 1999, Fusion von Asahi Bank und Tokai Bank, 2000 Fusion mit Sanwa Japan: 1.056 Mrd. US$

Sumitomo-Sakura 2000, Fusion von Sumitomo und Sakura Japan: 960 Mrd. US$

Bank of Tokyo-Mitsubishi Japan: 691 Mrd. US$

BNP-Paribas 1999, Übernahme von Paribas durch Banque Nationale de Paris Frankreich: 674 Mrd. US$

Citigroup USA: 669 Mrd. US$

Bank of America 1998, Fusion mit NationsBank USA: 618 Mrd. US$

Deutsche Bank 1998, Fusion mit Bankers Trust Deutschland: 600 Mrd. US$

Union Bank of Switzerland (UBS) 1998; Fusion mit Schweizerische Bankgesellschaft (SBC) Schweiz: 564 Mrd. US$

Hongkong Shanghai Banking Corp. Holdings (HSBC) Großbritannien: 483 Mrd. US$

(Quelle: Reuters Securities 3000, zit. n. Financial Times vom 28.9.2000)

In diesem Zusammenhang einige Worte zur sogenannten Globalisierung: So fühlt sich Peter Martin in der FT vom 22.12.1998, wenn auch widerstrebend, zu folgender „konventionellen Weisheit” verpflichtet: „Nach konventioneller Weisheit spiegeln die heutigen Mega-Mergers die unwiderstehliche Kraft der Globalisierung wider. So wie die vergangene Jahrhundertwende Zeuge der Entstehung beherrschender Unternehmen auf nationaler Ebene wurde, gebären die heutigen Fusionen Konzerne mit globaler Dominanz … Die ehrgeizigsten großen Firmenbosse ergreifen die Gelegenheit, noch größer zu werden, um ein Ausmaß zu erreichen, das ihre kleineren Rivalen für immer abhängt. Nach dem Motto: Jetzt fusionieren oder in ultimative Vergessenheit geraten.” („Vollfressen mit Fusionen”). So nehmen die meisten bürgerlichen Kommentatoren die irrsinnige Monopolisierung der Weltwirtschaft wahr – in Begriffen der globalen Beherrschung. Und, angesehene Bourgeois, die sie sind, erklären sie zugleich den Marxismus-Leninismus für tot und begraben. Aber was unterscheidet diese Wahrnehmung von der in folgenden Worten Lenins formulierten: „Die Monopolverbände der Kapitalisten – die Kartelle, Syndikate und Trusts – teilen vor allem den ganzen Binnenmarkt unter sich auf, indem sie die Produktion des betreffenden Landes mehr oder weniger vollständig an sich reißen. Aber der Binnenmarkt hängt unter dem Kapitalismus untrennbar mit dem Außenmarkt zusammen. Der Kapitalismus hat längst den Weltmarkt geschaffen. Und in dem Maße, wie der Kapitalexport wuchs und die ausländischen und kolonialen Verbindungen und ‘Einflußsphären’ der riesigen Monopolverbände sich in jeder Weise erweitern, kam es ‘natürlicherweise’ unter ihnen zu Abmachungen im Weltmaßstab, zur Bildung von internationalen Kartellen. Das ist eine neue Stufe der Weltkonzentration des Kapitals und der Produktion, eine unvergleichlich höhere Stufe als die vorangegangenen.” (Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, LW Bd. 22, S. 250)

Die Bildung dieser internationalen Supermonopole, bereits eine Tatsache zu Lenins Zeiten, ist seit damals unerbittlich fortgeschritten, wie sich an den obigen Zahlen unschwer nachweisen ließ, und führte zur Monopolisierung und Konzentration in allen Bereichen der Wirtschaft im Weltmaßstab. Die Kapitalisten der imperialistischen Zentren sind eifrigst dabei, die Welt unter sich aufzuteilen. Und sie tun dies „… nicht etwa aus Bosheit …, sondern weil die erreichte Stufe der Konzentration sie zwingt, diesen Weg zu beschreiten, um Profite zu erzielen; dabei wird die Teilung ‘nach dem Kapital’, ‘nach der Macht’ vorgenommen – eine andere Methode der Teilung kann es im System der Warenproduktion und des Kapitalismus nicht geben.” (ebd., S. 257)

In welcher Erscheinungsform auch immer, das Wesen, das Ziel des ökonomischen Kampfs zwischen internationalen Monopolen ist die Aufteilung der Welt. Und da diese Aufteilung auf der relativen Stärke der Parteien beruht, proportional zur Kapitalgröße, ist es nur natürlich, daß Verschiebungen in der Stärke, die immer wieder infolge des ökonomischen und politischen Entwicklungsgrades auftauchen, eine Neuaufteilung erforderlich machen und zu entsprechenden Anstrengungen führen – mit friedlichen oder anderen Mitteln.

Die ganze Epoche des Monopolkapitalismus/Imperialismus legt beredtes Zeugnis für die Tatsache ab, daß sich „daneben und im Zusammenhang” mit bestimmten Beziehungen, die sich zwischen kapitalistischen Monopolen „auf dem Boden der ökonomischen Aufteilung der Welt” entwickelt haben, solche „zwischen den politischen Verbänden, den Staaten, … herausbilden auf dem Boden der territorialen Aufteilung der Welt, des Kampfes um die Kolonien, ‘des Kampfes um das Wirtschaftsgebiet’”.(ebd., S. 258) Genau aus diesem Grund kann die Außenpolitik des Finanzkapitals nichts anderes sein als der Kampf der imperialistischen Mächte um die wirtschaftliche und politische Aufteilung der Welt. Hilferding hatte hundertmal Recht, wenn er sagte: „Das Finanzkapital will keine Freiheit, sondern Herrschaft.” Und das aus dem einfachen Grund, daß unter den Bedingungen des Privateigentums Monopole in der Wirtschaft inkompatibel sind mit einem „nicht monopolistischen, nicht gewalttätigen, nicht annexionistischen Vorgehen in der Politik”. Anders zu denken, kommt dem Versuch gleich, „die Politik des Imperialismus von seiner Ökonomik” zu trennen. „Das Resultat ist eine Vertuschung, eine Abstumpfung der fundamentalsten Widersprüche des jüngsten Stadiums des Kapitalismus statt einer Enthüllung ihrer Tiefe, das Resultat ist bürgerlicher Reformismus statt Marxismus.” (ebd., S.274)

2. Rolle des Kapitalexports

Einige Worte zum Kapitalexport: „Für den alten Kapitalismus, mit der vollen Herrschaft der freien Konkurrenz, war der Export von Waren kennzeichnend. Für den neuesten Kapitalismus, mit der Herrschaft der Monopole, ist der Export von Kapital kennzeichnend geworden.” (ebd., S. 244) Die Trennung des Eigentums an Kapital von der Anwendung des Kapitals auf die Produktion, von Geldkapital und Industriekapital (und folglich die Trennung von Rentier und Unternehmer), die für den Kapitalismus charakteristisch ist, führt zu völlig neuen Proportionen im Stadium des Imperialismus – dem Stadium der Dominanz des Finanzkapitals mit seiner Vorherrschaft des Rentiers und der Finanzoligarchie.

Das jüngste Stadium des Kapitalismus ist nicht nur durch das Entstehen monopolistischer Kapitalistenverbände in allen entwickelten kapitalistischen Ländern gekennzeichnet, sondern auch durch die „Monopolstellung der wenigen überaus reichen Länder, in denen die Akkumulation des Kapitals gewaltige Ausmaße erreicht hat”, deren Folge ein „ungeheurer ‘Kapitalüberschuß’” ist. (ebd., S.245) Und diese kleine Anzahl finanziell mächtiger Staaten beherrscht den Rest der Welt. „Fast die ganze übrige Welt spielt so oder anders die Rolle des Schuldners und Tributpflichtigen dieser Länder – der internationalen Bankiers, dieser … ‘Säulen’ des Weltfinanzkapitals.” (ebd., S. 244)

Die Notwendigkeit des Kapitalexports entsteht, weil „in einigen Ländern der Kapitalismus ‘überreif’ geworden ist und dem Kapital … ein Spielraum für ‘rentable’ Betätigung fehlt.” Schließlich die Notwendigkeit, diesen „Kapitalüberschuß” zu exportieren. (ebd., S. 245) Selbstverständlich gäbe es die Frage des Kapitalüberschusses nicht, wenn der Kapitalismus den Lebensstandard der Massen anheben würde – ein Argument, zu dem kleinbürgerliche Kapitalismuskritiker allzu gerne Zuflucht nehmen. Kapitalismus wäre aber nicht Kapitalismus, wenn solche Dinge möglich wären. Der Kapitalismus ist zum Profitmachen da. Daher wird „Kapitalüberschuß” dahin exportiert, wo immer sich die Gelegenheit zum Profitmachen ergibt.

3. Die Aufteilung der Welt unter den imperialistischen Ländern

„Unzweifelhaft ist daher die Tatsache, daß der Übergang des Kapitalismus zum Stadium des Monopolkapitalismus, zum Finanzkapital, mit einer Verschärfung des Kampfes um die Aufteilung der Welt verknüpft ist.” (ebd., S. 260) Es ist zweifellos der Fall, daß das Ende des 19. Jahrhunderts und der Beginn des 20. (genau jene Periode, die den Übergang des vormonopolistischen Kapitalismus zum monopolistischen Stadium seiner Entwicklung markiert) eine ungeheure Intensivierung des Kampfes zwischen den imperialistischen Mächten um die Eroberung jener Teile des Globus erlebten, die bisher noch nicht von jenen Mächten besetzt waren. Sobald diese Aufteilung der Welt abgeschlossen war, konnte lediglich eine Neuaufteilung stattfinden – als Folge einer veränderten relativen Stärke der imperialistischen Länder infolge ungleicher Entwicklung: Das allein erklärt den Ersten wie den Zweiten Weltkrieg.

Infolge des Zweiten Weltkriegs konnten die meisten Kolonien die politische Unabhängigkeit erreichen, wobei der Imperialismus durchaus in der Lage war, Mechanismen zu entwickeln, die die formal unabhängigen Länder vollständig in ein Netz finanzieller, diplomatischer und militärischer Abhängigkeit verstrickten. Mit anderen Worten, der Kolonialismus ebnete den Weg zum Neokolonialismus.

Tatsächlich findet derzeit, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, eine Entwicklung von der politischen Unabhängigkeit zurück zu einem halbkolonialen Status statt – z.B. Südkorea, Saudi-Arabien, die Golfstaaten, viele afrikanische und lateinamerikanische Länder und, last not least, der Balkan. Durch ein System von Allianzen, ein Netzwerk von Militärbasen, die Einrichtung von einer Reihe von Marionettenregimes und mit seiner wirtschaftlichen Macht kann das Finanzkapital beinahe die gesamte Welt in ein Netz von Abhängigkeiten binden. Tatsächlich kann man sagen, daß kaum noch ein Zentimeter der Erdoberfläche übrig ist, wo es nicht seinen schweren Stiefel plaziert. Das heißt, obwohl es nicht mehr viele formale Kolonien gibt und die meisten Länder mit den formalen Insignien politischer Unabhängigkeit ausgestattet sind, ist das charakteristische Merkmal der heutigen Welt dennoch in seinem Wesen dasselbe wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts, nämlich die Aufteilung in hegemoniale Einflußsphären unter den rivalisierenden imperialistischen Mächten.

Tatsächlich ist ein irrsinniger Kampf um die Neuaufteilung der Welt bereits im Gange, und zwar zwischen den imperialistischen Zentren der USA, der EU und Japan. Der Krieg in Jugoslawien, die Besetzung des Golf, die tägliche Bombardierung des Irak seitens anglo-amerikanischer imperialistischer Kräfte, die Kriegsprovokationen auf der koreanischen Halbinsel, die Erweiterung der kriegstreiberischen NATO an die Grenzen Rußlands, die amerikanische Bombardierung der chinesischen Botschaft während des Jugoslawienkriegs, der Zwischenfall des amerikanischen Spionageflugzeugs an der chinesischen Küste, der Verkauf intelligenter Waffen an die Renegatenprovinz Taiwan, die europäischen Versuche, eine Interventionsarmee zu bilden sowie die amerikanische Entscheidung, ihr NMD-Programm (Nuclear Missile Defence – nukleare Abwehrraketen à la Sternenkriegsprogramm– d.Ü.) in offener Verletzung des ABM-Vertrags von 1972, die Stellvertreterkriege in Afrika, die Versuche zur Bildung dreier Wirtschaftsblocks (in Amerika, Europa und im asiatisch-pazifischen Raum) und – last not least – der Krieg in Afghanistan mit den sich abzeichnenden Folgekriegen der sogenannten Antiterror-Allianz, all das kann lediglich im Kontext eines komplizierten, wilden Kampfes zur Neuaufteilung der Welt verstanden werden, der sich direkt vor unseren Augen abspielt. Früher oder später, wenn nicht durch proletarische Revolutionen verhindert, müssen die imperialistischen Blöcke, oder eine Kombination von ihnen, unweigerlich aneinander geraten. Ein dritter Weltkrieg erscheint unausweichlich.

4. Parasitismus und zunehmender Opportunismus

Lenin folgend, müssen wir am Ende „noch auf eine sehr wichtige Seite des Imperialismus eingehen, die bei den meisten Betrachtungen über dieses Thema nicht genügend beachtet wird”, nämlich den Parasitismus, der einer der wesentlichen Merkmale des Imperialismus darstellt. Da der Imperialismus eine enorme Akkumulation von Geldkapital in einigen wenigen Ländern bedeutet, entsteht daraus „das außergewöhnliche Anwachsen der Klasse oder, richtiger, der Schicht der Rentner, d.h. Personen, die vom ‘Kuponschneiden’ leben, Personen, die von der Beteiligung an irgendeinem Unternehmen völlig losgelöst sind, Personen, deren Beruf der Müßiggang ist. Die Kapitalausfuhr, eine der wesentlichsten ökonomischen Grundlagen des Imperialismus, verstärkt diese völlige Isolierung der Rentnerschicht von der Produktion noch mehr und drückt dem ganzen Land, das von der Ausbeutung der Arbeit einiger überseeischer Länder und Kolonien lebt, den Stempel des Parasitismus auf.” (ebd., S. 281)

Daraus schließt Lenin, daß der Opportunismus der Arbeiterklasse in den imperialistischen Ländern kein zufälliges Phänomen darstellt; daß er im Gegenteil tief verwurzelt ist in den Extraprofiten, die die Bourgeoisie der imperialistischen Länder aus der Plünderung der ganzen Welt herausholt und die sie teilweise einsetzt zur Bestechung einer Oberschicht der Arbeiter – der Arbeiteraristokratie – und damit eine Spaltung der Arbeiterklasse herbeiführt; daß diese Schicht „verbürgerter Arbeiter”, durch und durch kleinbürgerlich in ihrem Lebensstil, nach ihrem Einkommen und in ihrer Weltsicht, als „soziale … Hauptstütze der Bourgeoisie” dient, als „wirkliche Agenten der Bourgeoisie innerhalb der Arbeiterbewegung, Arbeiterkommis der Kapitalistenklasse …, wirkliche Schrittmacher des Reformismus und Chauvinismus. Im Bürgerkrieg zwischen Proletariat und Bourgeoisie stellen sie sich in nicht geringer Zahl unweigerlich auf die Seite der Bourgeoisie, auf die Seite der ‘Versailler’ gegen die ‘Kommunarden’”. (ebd., S. 198) Lenin fügt hinzu: „Ohne die ökonomischen Wurzeln dieser Erscheinung begriffen zu haben, ohne ihre politische und soziale Bedeutung abgewogen zu haben, ist es unmöglich, auch nur einen Schritt zur Lösung der praktischen Aufgaben der kommunistischen Bewegung und der kommenden sozialen Revolution zu machen.” (ebd.)

Die Haltung der Opportunisten – von Gewerkschaftsführern bis zu Führern der Sozialdemokratie – angesichts der Golf- und Balkankriege liefern ein beredtes Zeugnis von der Richtigkeit dieser Beobachtung Lenins. In unserem eigenen Land, in Großbritannien, hat mit Ausnahme von Arthur Scargill und ein oder zwei seiner Genossen kein einziger nennenswerter Gewerkschafter den imperialistischen Krieg gegen Jugoslawien oder die tägliche Bombardierung des Irak verurteilt.

Schlußfolgerung

Angesichts des Gesagten ist klar, daß der Kapitalismus in seinem imperialistischen Stadium verrottet ist bis in die Knochen – er ist dekadent, parasitär, und er ist sterbender Kapitalismus, der für vier Fünftel der Menschheit nichts zu bieten hat; er ist ein System, in dem spekulative Operationen, die täglich drei Billionen US-Dollar betragen, das Leben von Milliarden von Menschen zerstören und die Wirtschaft Dutzender Länder rund um die Welt erschüttern. Eine solche Architektur ist unrettbar baufällig; sie muß abgerissen werden und ersetzt werden durch ein System, in dem die Produktion zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse im Mittelpunkt steht. Für eine winzige Minderheit der Weltbevölkerung bietet das System Reichtum und Annehmlichkeiten, aber die überaus große Mehrheit belohnt es mit Arbeitslosigkeit, Entbehrung, Qual und Plagen, Sklaverei, Ignoranz, Brutalität, mentaler Degradierung und Krieg.

Das bedeutet, dass der Imperialismus die Menschheit vor die Wahl stellt: entweder Revolution oder Krieg und Barbarei. Es ist unsere Pflicht, im Proletariat folgende „harte Wahrheit” zu verbreiten: „Man kann dem imperialistischen Krieg und der ihn unvermeidlich erzeugenden imperialistischen Welt … nicht anders entrinnen, man kann dieser Hölle nicht anders entrinnen als durch den bolschewistischen Kampf und durch die bolschewistische Revolution” (Lenin, „Zum vierten Jahrestag der Oktoberrevolution”, LW Bd. 33, S. 36)

Die leninistische Revolutionstheorie und die leninistische Taktik und Organisationsmethode bieten den einzigen Ausweg für das Proletariat, das mit folgender unausweichlicher Entscheidung konfrontiert ist: „Entweder du ergibst dich dem Kapital auf Gnade und Ungnade, vegetierst in alter Weise weiter und sinkst immer tiefer, oder du greifst zu einer neuen Waffe – so stellt der Imperialismus die Frage vor den Millionenmassen des Proletariats. Der Imperialismus führt die Arbeiterklasse an die Revolution heran.” (Stalin, Werke Bd. 6, S. 65)

In seinem Streben nach Profiterhaltung konfrontiert der Imperialismus die Menschheit mit dem Dilemma: „Entweder wird die ganze Kultur geopfert, oder es muß auf revolutionärem Wege das kapitalistische Joch abgeschüttelt, die Herrschaft der Bourgeoisie beseitigt, die sozialistische Gesellschaft und der dauernde Friede erobert werden.” (Lenin, „Um Brot und Frieden”, Bd. 26, S. 387) Zugleich verschärft der Imperialismus all seine Widersprüche bis ins Extrem – den zwischen Arbeit und Kapital, zwischen den imperialistischen und den unterdrückten Ländern, zwischen den verschiedenen imperialistischen Ländern sowie den Widerspruch zwischen den imperialistischen und den sozialistischen Ländern. Durch seine Rücksichtslosigkeit spornt er unweigerlich die Arbeiterklasse und die unterdrückten Menschen zu dessen revolutionärer Überwindung an.

Ungeachtet der kolossalen Rückschläge, die der Sozialismus im vergangenen Jahrzehnt erlitten hat, ungeachtet des Zickzacks und des umständlichen Verlaufs der Ereignisse, kann nichts auf der Welt den Sieg der proletarischen Revolution im Weltmaßstab verhindern. „Der Imperialismus ist der Vorabend der sozialen Revolution des Proletariats.” (Lenin, Vorwort zur französischen und deutschen Ausgabe „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus”, 6. Juli 1920).

Harpal Brar, London

Das alles ausführlicher in:

Harpal Brar: Imperialismus im 21. Jahrhundert. Sozialismus oder Barbarei.

208 S., brosch., ISBN 3-89144-293-9, Pahl-Rugenstein-Verlag Bonn, Breite Str. 52,

53111 Bonn, Tel: 0228 – 632306, Fax: 0228 – 63 49 68.