Michael Opperskalski:
Wider die linke Besoffenheit
Die „Linkspartei“. Einige Thesen zur Taktik und Strategie der Kommunisten in der BRD heute.
Die Formierung und Entwicklung der im Wesentlichen von WASG und PDS getragenen „Linkspartei“ hat rasante Züge eingenommen und bei der zersplitterten Linken – auch bei solchen, die sich als Kommunisten verstehen – nahezu euphorische Zuckungen ausgelöst.
Auf die einzelnen Schritte dieser Entwicklung soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden, aber das gemeinsame Credo, das sich herausschält, scheint die Hoffnung zu sein, „die Linke“ werde endlich zu einer gestaltenden Kraft mit Masseneinfluss. Obwohl bis zur Verfassung dieser Thesen (13.8.05) noch keinerlei geschlossenes Wahlprogramm der „Linkspartei“ vorlag und vorab geäußerte Positionierungen ihrer Führungszirkel hierzu höchst widersprüchlich sind (Beispiel hierfür u.a.: Forderung zum Mindestlohn), haben sich die wesentlichen kommunistischen Formationen bereits eindeutig und unterstützend für die „Linkspartei“ positioniert, was faktisch die Ausstellung eines Blankoschecks für Gysi und Lafontaine bedeutet…
Als Beispiele seien DKP und KPD angeführt. Auf ihrer 3. Tagung des Parteivorstands am 9./10. Juli 2005 diskutierte die DKP ihr Herangehen an die damals noch im Entstehen begriffene „Linkspartei“. Die Partei fasste dementsprechend zwei Beschlüsse, die einen durchaus unterschiedlichen Charakter haben: 1) „Zum Herangehen an die Bundestagswahl 2005“ sowie 2) „Position der DKP zur Bundestagswahl 2005“. Die in dem Beschluss „Position der DKP zur Bundestagswahl 2005“ entwickelten „Vorschläge der DKP für einen Politikwechsel“ sind durchaus diskussionswürdig und böten entweder eine Basis für ein eigenständiges Wahlprogramm oder zumindest eigenständige Wahlprüfsteine an die bei den Bundestagswahlen antretenden Parteien und Gruppierungen. Der erste Beschluss des DKP-PV hebt diese Positionen sowie ein mögliches eigenständiges Herangehen an die Bundestagswahlen 2005 wieder auf. Noch bevor inhaltliche Positionierungen der sich formierenden „Linkspartei“ auf dem Tisch lagen oder gar nähere Gespräche oder Verhandlungen zwischen beiden Parteivorständen stattgefunden hatten, beschloss der DKP-Parteivorstand: „Die DKP wird zur Wahl eines linken Wahlbündnisses aufrufen. (…) Die DKP wird keine Landeslisten in Konkurrenz zu dem Wahlbündnis aufstellen (…).“[3] Einen deutlicheren Blankoscheck unter Aufgabe der eigenen Eigenständigkeit kann man sich nur noch sehr schwer vorstellen. Gekoppelt ist dies mit schon fast krampfhaft anmutenden Versuchen von DKP-Mitgliedern, auf Landes- und Kandidatenlisten der „Linkspartei“ zu rutschen oder über individuelle Mitgliedschaften in dieser Partei Einfluss zu gewinnen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass in manchen Städten DKP-Mitglieder Initiatoren von Wahlinitiativen zu Gunsten der „Linkspartei“ sind.
Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen. Der DKP-Parteivorstand lehnt – ganz offiziell per Beschluss – eine Zusammenarbeit mir der KPD ab, obwohl das ZK der KPD nicht müde wird, mit Briefen an den DKP-PV diesen irgendwie zum Zusammengehen bringen zu wollen; lediglich lokale oder regionale Bündnisse werden von der DKP-Führung toleriert. Hinsichtlich der „Linkspartei“ scheinen DKP und KPD jedoch an einem Strang zu ziehen. Das ZK der KPD veröffentlichte „Wahlforderungen der KPD für die bevorstehenden Bundestagswahlen 2005“, in der es u.a. heißt: „Die Alternative für die bevorstehenden Bundestagswahlen 2005 kann nach unserer Auffassung nur eine neue Wahlpartei bzw. ein starkes Linksbündnis mit offener Liste sein. Ihr sollten angehören: die PDS, die WASG (Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit“), die DKP, die KPD sowie Sozialisten, Gewerkschafter, Demokraten und Humanisten, die sich gegen Kriegspolitik und Sozialabbau einsetzen.“ In diesem Zusammenhang schrieb der KPD-Vorsitzende Werner Schleese einen Brief an den PDS-Chef Lothar Bisky, in dem dieser die Unterstützung der KPD für die „Linkspartei“ bei den kommenden Bundestagswahlen signalisierte.
Die Forderung der KPD nach Schaffung eines breiten Linksbündnisses aus Parteien (PDS, WASG, DKP, KPD) und anderen politischen Kräften ist vor dem Hintergrund der derzeitigen gesellschaftlichen Situation, der Verfasstheit der Kommunisten sowie des Formierungsprozesses der „Linkspartei“ nichts anderes als eine Illusion. Daher bleibt also auch bei der KPD nichts anderes übrig als eine fast bedingungslose Unterstützung für die „Linkspartei“.
Weder DKP noch KPD bieten ihren Mitgliedern und Sympathisanten eine Analyse des Charakters der „Linkspartei“ sowie ihres Wirkens im Rahmen des derzeitigen gesellschaftlichen Kontext.
Dies gilt auch für das Monatsmagazin „RotFuchs“, das sich als „Tribüne für Sozialisten und Kommunisten in Deutschland“ versteht und daher zugleich deren Sammlung zum Ziel gesetzt hat. So fordert der „RotFuchs“ in seiner Juli-Ausgabe – ähnlich wie die KPD – „die Zusammenführung der verschiedensten Linken aus Parteien, Gewerkschaften, Bewegungen und Vereinen. Nur in deren zunächst heterogener und möglicherweise auch zeitlich begrenzter Allianz besteht eine Möglichkeit, verlässlich als Fraktion in den nächsten Bundestag einzuziehen.“ Was dann folgt, sind in Konjunktive gehüllte, sehr vorsichtig gehaltene Formulierungen, die davor warnen, dass möglicherweise „Kräfte, die zur Unterstützung einer solchen Liste bereit sind, aus antikommunistischen Vorbehalten zurückgewiesen würden.“ Verhalten beschworen wird auch die Gefahr, dass es sich „nicht minder negativ“ auswirken würde, „wenn die PDS (…) ihr eigenes Gesicht verlöre und irgendwann im Bett einer neuen sozialdemokratischen Partei aufwachte.“ Als ob die PDS nicht schon im Kern eine sozialdemokratische Formation ist und Antikommunisten in WASG und „Linkspartei“ keine Rolle spielten… Im Nebel der Konjunktive und der „hyperdiplomatisch“ ausgewogenen Formulierungen verliert sich nicht die PDS, sondern verlieren sich die durchaus richtigen Forderungen des „RotFuchs“ nach einem Linksbündnis. Was letztlich auch hier übrig bleibt, ist die Unterstützung der „Linkspartei“.
Es scheint so, als ob bei Sozialisten und Kommunisten in der BRD ein Wettbewerb bei der Ausstellung von Blankoschecks ausgebrochen sei…
Kein Linksbündnis, sondern eine sozialdemokratische Partei
„Von Gelassenheit ist in den Zentralen der etablierten Parteien gegenwärtig nichts zu spüren. . Dort geistert das Linksbündnis als Gespenst umher und hinterlässt Angst und Schrecken. Existentielle Sorgen plagen vor allem die Sozialdemokraten, die um den Charakter der SPD als Volkspartei fürchten. (…) Das neue Bündnis ist Fleisch von ihrem Fleisch. (…) Doch gerade auf lange Sicht könnte die neue Konkurrenz sogar positive Auswirkungen für die SPD haben. ‚Eigentlich müsste die SPD die Linkspartei heimlich finanzieren’, sagt Parteienforscher Walter. In einem Fünf-Parteien-Parlament sei es nicht so wichtig, ob die SPD auf 28 oder 31 Prozent komme. Zwischen den Konservativen und einer starken Linkspartei rutsche die SPD automatisch in die Mitte. Dort habe sie mehr Koalitionsmöglichkeiten als heute, weil sie zwischen der Großen Koalition und einer Regierung mit Grünen und Linkspartei wählen könne. Theoretisch könnte es in der Tat zu einer produktiven Arbeitsteilung zwischen Roten und Tiefroten kommen: Während die Sozialdemokraten versuchen, weit in die politische Mitte vorzudringen, würde die Linkspartei jene Wähler am linken Rand binden, die für die SPD nicht mehr erreichbar sind. Doch an solchen Aussichten kann sich die amtierende Generation der Genossen nicht erwärmen. Wenn sie abgetreten ist, scheint hingegen vieles möglich. Der SPD-Vordenker Erhard Eppler will sogar eine Wiedervereinigung zwischen SPD und Linkspartei in ein paar Jahren nicht ausschließen. Anders als zwischen SPD und der KPD in der Weimarer Republik bestünden zwischen der Sozialdemokratie und Lafontaines Truppe heute keine wirklich, ideologischen Differenzen’. Damals traten die Kommunisten für die Revolution ein, die Sozialdemokraten für die Republik. Heute kreist der Konflikt eher um die Höhe des Arbeitslosengeld II oder um Sinn und Unsinn von Ein-Euro-Jobs.“[4]
Dass dies keine wilden Spekulationen des „Spiegel“ sind, bestätigen die Frontleute der „Linkspartei“; „Gysi: 2009 vielleicht Rot-rot. Die voraussichtlichen Spitzenkandidaten der Linkspartei, Gysi und Lafontaine, haben eine Zusammenarbeit mit der SPD nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Gysi sagte, derzeit habe eine Koalition keine Chance. Bis 2009 könne die SPD in einem Zustand sein, dass man neu nachdenken müsse.“[5] Vor allem aus der SPD (und über die WASG) kommen eine Reihe von Führungsfiguren der neuen „Linkspartei“, nicht nur Oskar Lafontaine. Sie haben zwar mit ihrer alten Partei, der SPD, gebrochen, ihr ideologisch-politisches Gedankengebäude der Sozialdemokratie jedoch nicht verlassen; das schließt bei manchen von ihnen offenen Antikommunismus mit ein. Hinzu kommt eine gut organisierte konterrevolutionäre, trotzkistische Strömung aus SAV und Linksruck, die ebenfalls über das Ticket WASG in die „Linkspartei“ eingefahren sind.
Komplementär wurde die PDS, trotz ihrer diametral entgegengesetzten Geschichte, für die WASG nicht nur aus machtpolitischen und wahltaktischen Gesichtspunkten, sondern vor allem auch deshalb, weil die „demokratischen Sozialisten“ auf ihrem Weg von der SED zur heutigen PDS eine große und weite Wegstrecke in Richtung Sozialdemokratie bereits hinter sich gelegt haben.
Fakt ist also: bei der „Linkspartei“ handelt es sich NICHT um ein offenes, linkes Wahlbündnis, sondern um eine im Entstehen begriffene, voller Dynamik steckende sozialdemokratische Formation.
Einige Überlegungen zur Strategie und Taktik der Kommunisten in der derzeitigen Etappe des gesellschaftlichen Entwicklung der BRD:
- Das Entstehen der „Linkspartei“ ist trotz ihres sozialdemokratischen Charakters auch Ausdruck von der wachsenden Schwäche und Integrationsfähigkeit des bürgerlich-parlamentarischen Systems des BRD-Imperialismus. Angesichts der anhaltenden ökonomischen, politischen und sozialen Krise des Imperialismus der BRD, rasant wachsendem Soziabbau, Massenarbeitslosigkeit, Demokratieabbau und Ausbau der Repressionsorgane, sind immer mehr Menschen auf der Suche nach einer Alternative zur Barbarei des Imperialismus. Viele von ihnen setzen Hoffnungen in die „Linkspartei“, auch, weil die Schwäche, Verfasstheit und Zersplitterung der Kommunisten diese derzeit nicht als wirkliche Alternative erscheinen lassen und weil bei den Unzufriedenen und Suchenden vor allem (noch) die Einsicht in die Notwenigkeit einer sozialistischen Revolution fehlt. Trotz wachsender Unzufriedenheit mit den gesellschaftlichen Zuständen des Imperialismus sind die Klassenkämpfe in der BRD immer noch sehr unterentwickelt. Auch dies schafft eine Basis für die Bündelung von Protest und Unzufriedenheit bei der „Linkspartei“, die Veränderungen vor allem über parlamentarische Repräsentanz verspricht und keinen revolutionären Bruch mit dem imperialistischen System anstrebt;
- Kommunisten sollten sich keinerlei Illusionen über den Charakter der „Linkspartei“ machen. Also stellt sich letztlich die Frage, ob und in welcher Frage Kommunisten in der derzeitigen Situation eine sozialdemokratische politische Formation unterstützen sollten. Vor allem der sozialdemokratische Charakter der „Linkspartei“ als auch die ideologisch-politische Verfasstheit der Kommunisten, ihre Schwäche und Zersplitterung, lassen es als mehr als illusorisch erscheinen, dass Kommunisten innerhalb der „Linkspartei“ oder von ihr dominierter Strukturen eine einflussreiche Rolle spielen könnten und dürften;
- Bestimmend für das Herangehen von Kommunisten an die „Linkspartei“ sollte nicht nur eine Klarheit über deren Charakter sein. Dreh- und Angelpunkt ist – ganz im Sinne des „Manifests der Kommunistischen Partei“ – die „soziale Frage“, also die Beurteilung der Positionen und des Handelns der „Linkspartei“ und ihrer politischen Repräsentanten vor allem in Bezug auf die soziale und politische Lage der Arbeiterklasse in der BRD, die Entwicklung und Politisierung von Klassenkämpfen, die Formierung konsequent antifaschistischer Kräfte gegen wie wachsende faschistische Gefahr, die Entwicklung einer tatsächlichen und militanten Friedensbewegung gegen die militärischen Aggressionspläne des deutschen Imperialismus wie auch die US-Kriege im Rahmen der so genannten „Neuen Weltordnung“. Dabei spielt es letztlich keine Rolle, ob und wie sich Kommunisten im Wahlkampf für die „Linkspartei“ einsetzen, sondern wie es ihnen gelingt, gemeinsam mit Mitgliedern der „Linkspartei“ die Klassenkämpfe in der BRD zu entwickeln. Zu beachten ist dabei, dass jede Aufgabe kommunistischer Identität und Eigenständigkeit zu Gunsten der „Linkspartei“ die Kommunisten noch weiter politisch, organisatorisch und ideologisch schwächen wird. Folgendes muss im Blick bleiben: Die Erfahrungen eines wie eben beschriebenen gemeinsamen Handelns jenseits von Wahlen können Elemente eines Fundaments für eine noch zu erkämpfende breite, demokratische, antiimperialistische Volksfront werden; diese wiederum kann die Basis bilden für die Vorbereitung der proletarischen, sozialistischen Revolution in der BRD;
- Die Herausforderung, die – nicht nur – die Formierung der „Linkspartei“ an die Kommunisten in der BRD stellt, belegt anschaulich, wie brennend und aktuell die Forderung nach Schaffung einer einheitlichen Kommunistischen Partei in der BRD ist, die fest auf dem Boden des Marxismus-Leninismus steht. Hierauf sollten sich jene Kommunisten gerade jetzt konzentrieren, die aufrichtig an solch einer Kommunistischen Partei, die derzeit in der BRD nicht existiert, haben. Nur eine einheitliche Kommunistische Partei, deren Richtschnur der Marxismus-Leninismus ist, wird in der Lage sein, auf die Formierung von politischen Kräften des Widerstandes und der Unzufriedenheit (wie dies auch von der „Linkspartei“ ausgedrückt wird) nachhaltigen Einfluss zu nehmen, aktiv in die Klassenkämpfe der BRD einzugreifen und spürbar an ihrer Entwicklung teilzuhaben, ihnen Richtung geben zu können. Es kann jedoch keinen Aufbau einer einheitlichen Kommunistischen Partei auf Basis des Marxismus-Leninismus ohne Auseinandersetzung mit und Sieg über den Revisionismus, den rechten und „linken“ Opportunismus und den konterrevolutionären, reaktionären Trotzkismus geben.
Michael Opperskalski, Köln