Zum Briefwechsel Steigerwald – Gossweiler, Offensiv Ausgabe 7/2006

Fritz Dittmar:

Zum Briefwechsel Steigerwald – Gossweiler, Offensiv Ausgabe 7/2006

Schön, dass die Genossen Robert S. und Kurt G. ihre Kontroverse ausgetragen haben und trotz unversöhnlicher Positionen die Achtung vor und die Zuneigung zu einander bewahrt haben. Keiner hat den anderen als Agenten des Klassenfeinds dargestellt, beide haben sich auf höfliche Art auf die Unversöhnlichkeit ihrer Positionen geeinigt.

Dennoch sind die Leser aufgefordert, zu den beiden Positionen ihren Platz zu bestimmen. Deshalb hier ein paar Anmerkungen, warum mein Platz auf der Seite von Kurt ist:

Robert, für Dich ist letztlich entscheidend, dass Stalin, im Gegensatz zu Chruschtschow, Blut an den Händen hatte, „…dass Stalin seine wirklichen oder vermeintlichen Kontrahenten umbringen ließ, und das hat Chruschtschow nicht getan…“ Entschuldige schon, Robert: Das ist kein marxistisches Herangehen an die Frage, das ist Moralismus, scheinbar klassenneutral und deshalb bürgerlich. Das haben wir, die wir in den Siebzigern den Marxismus studiert haben, anders gelernt, auch bei Lehrern wie Dir! Wenn ich heute jungen GenossInnen meine Sicht des Problems darlege, würde ich sagen: Wer Drachen tötet, hat hinterher blutige Hände!

Aber gab es Drachen? Du vermeidest es, Dich festzulegen. “Selbst wenn ich die Maßnahmen hinnehmen könnte, die mit dem Kampf gegen die fünfte Kolonne für nötig erachtet wurden,…“ Das Problem selber erkennst Du an: „Ich stimme Dir zu, dass es vielfache Aktivitäten gegeben hat, fünfte Kolonnen aufzubauen…“ Und was hätten Stalin und die Partei mit dieser Erkenntnis tun sollen? Ich finde es nicht nützlich, aus heutiger Sicht zu erörtern, wie groß die Gefahr durch die fünften Kolonnen war, ob es Drachen waren oder nur Tiger.  Am Vorabend der imperialistischen Aggression musste die Führung der SU die fünften Kolonnen zerschlagen, und zwar so, dass die Feinde der Sowjetmacht vor weiteren Versuchen abgeschreckt wurden. Das ist ihr damals gelungen, und das wäre nicht gelungen, wenn die Säuberung überwiegend die Falschen getroffen hätte, nämlich die eigenen treuen Genossen. Es kann nicht darum gehen, im Konjunktiv „Maßnahmen hinzunehmen“, die „für nötig erachtet wurden“. Wenn Du hier nicht zu einer klaren Position kommst, sehe ich nicht, wie Du an Lenin festhalten willst, unter dessen Führung die Konterrevolution auch mit Terror bekämpft wurde. Auch Lenin hatte Blut an den Händen. Peter Hacks hat schon Recht: „Als sie Stalin kippten, das war klar/ war auch Lenin nicht mehr lang zu haben.“ (Denkmal für ein Denkmal II).

Du räumst auch ein, „dass es stets auch Versuche gegeben haben dürfte, Stalin zu entmachten“. Aber „Da haben sicher andere Motive gewirkt (als die Absicht den Kapitalismus wieder herzustellen)“ Und wie war das mit Gorbatschow? Ich will hier nicht auf die Kontroverse eingehen, ob er ein Verräter ist oder im „guten Glauben“ die Sowjetunion ruiniert hat. Ich sage nur: Es hätte der Menschheit viel Elend und Blut ersparen können, wenn es gelungen wäre, ihn und seine Leute rechtzeitig zu entmachten oder noch besser, ihn an der Machtübernahme zu hindern.

Zurück zu Chruschtschow: Ebenso wie Kurt  halte ich ihn für einen Verräter, aber selbst wenn er für die SU das Gute gewollt hätte, kann sich ein marxistisches Urteil über ihn doch nicht darauf beschränken, dass er „saubere Hände“ hatte. Die Phase der tödlichen Stagnation in der SU nahm ihren Anfang mit seinen Maßnahmen. Ganz richtig hat Kurt hierzu die Bibel zitiert: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.“

(Nebenbei: Es stimmt nicht einmal, das Chruschtschow saubere Hände hatte. Die Erschießung von Berija war ein Akt der „Säuberung“ wie zu Stalins Zeiten, nur dass es Chruschtschow dabei nicht um die Abwehr von Gefahr für den Sozialismus ging, sondern nur um die Ausschaltung eines anderen Revisionisten im Kampf um die eigene Macht.)

Besonders gestört hat mich Deine Aufzählung unschuldiger deutscher Opfer der Säuberung wie Eberlein u.a.. Kurt hatte in der „besseren Rede zum XX. Parteitag“ ausdrücklich besagt, „dass auch Unschuldige…in erheblichem Umfang von den Maßnahmen“ betroffen waren. Das hast Du ja wohl auch gelesen! Dann macht Deine Aufzählung nur einen möglichen Sinn: Wenn so viele unschuldige gute Genossen unter den Opfern waren, dann war die Säuberung wohl doch insgesamt unnötig und verwerflich.

Zusammenfassung: Robert, ich bin enttäuscht! Willst Du nach einem vorbildlichen Leben als Kommunist, den keine Verfolgung durch den Klassenfeind abgeschreckt hat, wirklich als Gutmensch enden? Noch einmal Hacks: „Gutsein ist wenig, richtig Handeln mehr/ Zerschmettert das Infame, rät Voltaire.“  (Praxis der Sittlichkeit)

Fritz Dittmar,
Hamburg