Samy Yildirim:
Antwort an meine Kritiker, 2. Teil
Antwort auf Hansi Oehme, Berlin, und Gerald Hoffmann, Berlin. (Offensiv Nr. 7/2004)
1) Allgemeines zu den beiden Kritiken aus Berlin
Den beiden Zuschriften aus Berlin ist ungewollt deutlich anzumerken, wie sehr ich ins Schwarze getroffen habe: getroffener Hund bellt. Mir wird “Trotzkismus” genauso unterstellt wie “Freudianismus”, “Idealismus”, “Humorlosigkeit” und noch einiges andere mehr. Ich bedanke mich insbesondere bei Hansi Oehme für seinen unfreiwilligen Seelenstriptease: genau so wie er über mich herzieht, genau so ist er selbst zu sehen. Vielen Dank für den weitgehenden Einblick in sein geistiges Intimleben.
Um nun zur Sache selbst etwas zu bemerken, werde ich einige Punkte anführen, über die unbedingt eine Diskussion lohnt, die aber Hansi Oehme vermutlich allesamt “gestohlen” bleiben können. Vorab ein Tip an Hansi Oehme: die Anathematisierung des Häretikers befreit die kirchliche Lehrmeinung n i c h t von ihren Aporien. Umgangssprachlich ausgedrückt: aus den Augen, aus dem Sinn, deshalb aber n i c h t aus der Welt. Es ist ein untrügliches Zeichen von Solipsismus (= extremer subjektiver Idealismus), zu meinen, etwas sei deshalb belanglos, weil man selber es für belanglos hält. Vogel-Strauß-Politik ist weder Synonym für noch Ausdruck von Prinzipienhaftigkeit.
Im Folgenden werde ich einige Punkte erörtern, die wichtig genug sind, um sich mit ihnen dauerhaft und ernstlich zu beschäftigen. Diese dann mitgeteilten Erkenntnis im Hinterkopf behaltend, kann sich dann jeder selber davon ein Bild machen, was von den beiden Kritiken aus Berlin zu halten ist. Diese Punkte bilden nämlich den Hintergrund für den Disput, den Oehme und Hoffmann letztlich verweigern wollen, was aber schon einmal deshalb kontraproduktiv ist, weil sie zwar Motiv, nicht aber Mittel und Möglichkeiten haben, diese Disputverweigerung Anderen aufzuzwingen.
2) Denken und Handeln
Die Totalitätswissenschaft Philosophie (= Liebe zur Weisheit) wird in der Regel eingeteilt in reine theoretische Philosophie (die sich mit der Anatomie des menschlichen Denkens befaßt: Logik), angewandte theoretische Philosophie (die sich mit den Gesetzen der objektiv-real existierenden Außenwelt befaßt: Naturphilosophie) und praktische Philosophie (die sich mit dem menschlichen Handeln in der objektiv-real existierenden Außenwelt befaßt; vor allem: Ethik, Politik, Ökonomie).
Unter “Handeln” versteht Aristoteles eine “zweckmäßige Tätigkeit”, deren Zweck “zum Grund für das Bezweckte” wurde.
Dass überhaupt von Handeln und Handlung(en) zu sprechen ist, liegt letztlich daran, dass die objektiv-real existierende Außenwelt kausal ist, aber nicht deterministisch. Wäre sie a-kausal, so würde es keine Ursache-Wirkung-Beziehung geben, und alles Tun und Lassen stünde in keiner Beziehung zueinander und zu etwaigen Vorkommnissen jedweder Art. Wäre die objektiv-real existierende Auenwelt deterministisch, so würde sie “durchgängig bestimmt” (Immanuel Kant, 1724 – 1804) sein, und es gäbe keinen “Platz für Kausalität aus Freiheit” (Kant), also für “Willensfreiheit” (Kant).
Insbesondere würden dann alle Strafgesetzbücher dieser Welt (also auch das der ehemaligen UdSSR) sinnlos und daher berflüssig sein, und es könnte niemals einem Menschen ein Vorwurf gemacht werden, weder im Hinblick auf sein Tun noch im Hinblick auf sein Lassen (insbesondere auch nicht den Angeklagten der Moskauer Prozesse).
Nun ergibt sich aber folgendes Problem der Erkenntnistheorie (diese philosophische Disziplin liegt auf der Grenze zwischen Logik und Naturphilosophie): zwar ist die Welt als solche objektiv-real existierend, existiert also außerhalb jeglichen menschlichen Bewußtseins und daher unabhängig davon, doch können wir nur über unsere jeweils individuellen Sinnesorgane von der objektiv-real existierenden Außenwelt Kunde erlangen, und diese Kunde mittels des jeweils subjektiven Bewußtseins verstehen, uns “ein Bild der Welt” machen, ein “Abbild” (Friedrich Engels, 1820 – 1895) des “Urbildes” (Engels), welche die Welt selber ist.
Der erste Philosoph, der dies erkannte, war Petrus Abaelardus (eigentlich: Pierre Abaelard de le Pallet, 1079-1142): er sprach zu Recht von einer “konstitutiven Leistung der menschlichen Subjektivität bei der Erkenntnis des Objektiven”. Seitdem sind wir gezwungen zu fragen: “Wie können wir den Gegenstand, der unabhängig ist vom Subjekt, als wahren Gegenstand begreifen, wenn uns doch nur ein jeder Gegenstand mittels der subjektiven Vermögen der Sinnlichkeit und des Verstandes gegeben ist?” Seitdem haben wir zwischen Modus Subsistendi (= Weise des Seins) und Modus Intelligendi (= Weise des Erkennens) sowie zwischen Res Cogitans (= erkennendes Ding = Subjekt des Erkenntnisproze) und Res Cogitandum (= zu erkennendes Ding = Objekt des Erkenntnisprozesses) zu unterscheiden.
Damit war der naive erkenntnistheoretische Realismus widerlegt, welcher Abbild und Urbild miteinander identifiziert; damit aber auch der Plato’sche Universalienrealismus. Die Folge war zunächst ein Prozess gegen Petrus Abaelardus wegen Häresie (Sens, 1140) und ein lebenslanges Publikationsverbot; im weiteren aber wandten sich die mittelalterlichen Philosophen, Theologen allesamt, dem Platonismus ab und dem Aristotelismus zu, der von Albertus Magnus (eigentlich: Graf Albert von Lauenfeld, 1193 – 1280) re-formuliert und von seinem Meisterschüler Thomas von Aquin (1225 – 1274) vollendet wurde.
Der tiefere Grund für die heftige Reaktion der Kirche gegen die Erkenntnisse von Petrus Abaelardus war der, dass dann ja auch Gott, der Gegenstand des Glaubens, sich immer nur dem je einzelnen Menschen offenbare, und die über Gott gemachten Mitteilungen (die Dogmen der Kirche) dann immer als subjektiv gefärbt anzusehen seien (sogar dann, wenn der Papst oder ein Konzil über Gott sprechen), mithin von allgemein-gültigen und allein-seligmachenden Auslegung der Heiligen Schriften keine Rede sein konnte.
Nun schauen wir uns das Bewußtsein des Menschen etwas genauer an. Für Materialisten ist die von dem US-amerikanischen Arzt und Naturforscher Benjamin Rush in seinem Buch “Medical Injuries and Observations upon the Diseases of the Mind” (Philadelphia/Pennsylvania, USA, 1812) gemachte Feststellung bindend: “Das Gehirn ist das Organ des geistigen Lebens.”
Das Bewußtsein des Menschen ist also nichts Immaterielles (wäre dem so, so würde in der Tat eine jede Beschäftigung mit diesen Fragen von Idealismus des sich damit Beschäftigenden zeugen, wie Hansi Oehme und Gerald Hoffmann weismachen wollen); vielmehr hat das Bewußtsein ein materielles Substrat, was von Lenin folgendermaßen formuliert wurde: “Das menschliche Denken ist eine – wenngleich sehr komplexe – Funktion des menschlichen Gehirns, das seinerseits das komplexeste uns bekannte Stück Materie ist.”
An der Entschlüsselung von Aufbau und Funktionsweise dieses komplexesten uns bekannten Stückes Materie wird auch heute noch gearbeitet; einer der wichtigsten Vertreter der sog. Neurophysiologie war der russische Militärarzt Iwan Petrowitsch Pawlow (1849 – 1936, Nobelpreis 1904 für Medizin oder Physiologie). über diesen bürgerlichen Wissenschaftler und die Notwendigkeit einer Beschäftigung mit seinen Erkenntnissen bemerkte Lenin, dass die “ganz auerordentlichen wissenschaftlichen Verdienste Iwan Petrowitsch Pawlows von ungeheurer Bedeutung für die Werktätigen der ganzen Welt” sind. Diesem Urteil schließe ich mich an.
Ich empfehle – nicht nur Hansi Oehme und Gerald Hoffmann – die Lektüre des 2-bändigen Buches “Pawlow und Freud” des US-amerikanischen Philosophen Harry K(ohlsaat) Wells, vor 50 Jahren in den USA erschienen und kurz darauf auch in den Ländern des Warschauer Vertrages, dann dort aber nicht mehr aufgelegt. (Warum wohl nicht?) Der Band 1 ist “Iwan Petrowitsch Pawlow – Auf dem Wege zu einer wissenschaftlichen Psychologie und Psychiatrie” betitelt, und Band 2 “Sigmund Freud – Kritik auf der Grundlage der Erkenntnis von Iwan Petrowitsch Pawlow”.
Es ist also keineswegs idealistisch, sich mit Denken und Handeln der Menschen zu befassen. Dies sollte insbesondere Gerald Hoffmann wissen, der zur Zeit an der Freien Universität Berlin Soziologie, Publizistik und Psychologie (sic!) studiert, was wir dem “Streitbaren Materialismus” Nr. 26 vom Mai 2004 entnehmen können.
Im “Streitbaren Materialismus” Nr. 26 vom Mai 2004, Seiten 165 bis 199, erschien ein Artikel “Zur Logik Luhmann’schen Systemdenkens” von Gerald Hoffmann. In derselben Ausgabe des “Streitbaren Materialismus” Nr. 26 vom Mai 2004, Seiten 15 bis 96, erschien auch ein Artikel “Deutscher Jihad (I)” von Philipp Emanuel Nassauer, der eines Antideutschen würdig gewesen wäre. Eine Distanzierung Hoffmanns vom Nassauer-Artikel ist mir nicht bekannt.
3) Wissenschaftliches Argumentieren und Zitieren.
Ausgangspunkt jeglichen wissenschaftlichen Argumentierens und Zitierens ist die Tatsache, dass die objektiv-real existierende Außenwelt nicht eo ipso erkannt ist, sondern erst durch einen Prozess der sinnlichen Wahrnehmung und der intellektuellen Verarbeitung der Sinneswahrnehmungen erkannt werden muss. Es gilt die Erkenntnis, dass kein Teil der Wahrheit irgendeinen anderen Teil der Wahrheit auszuschliessen vermag: “veritas veritatis n o n e s t adversa” (= “Die Wahrheit ist der Wahrheit k e i n Entgegenstehendes.”). Daraus ergibt sich sofort, dass zuerst die Aristoteles’sche Frage “Stimmt das?” gestellt werden muss, bevor wir das in Rede stehende Urteil nun seinerseits zu beurteilen vermögen.
Jegliches Fragen nach etwaigen Motiven des Mitteilenden ist in Abhängigkeit vom Wahrheitswert des von ihm Mitgeteilten zu sehen, und kein Faktum ist aufgrund der Person des Mitteilenden abzulehnen, was schon in der Bibel steht (5. Mose 16,19): “Du sollst das Recht nicht beugen, d u s o l l s t d i e P e r s o n n i c h t a n s e h e n und kein Geschenk nehmen, denn das Geschenk blendet die Augen der Weisen und verkehrt die Worte der Gerechten.” Es stellt einen enormen zivilisatorischen Fortschritt dar, dass im Judentum zu JHWH gebetet wird, JHWH möge sich anhören, was der Betende JHWH zu Gehöre bringt, nicht aber, JHWH möge sich ansehen, was der Betende JHWH zu Gesichte bringt.
Auch der Volksmund ist schlauer als Hansi Ohme und Gerald Hoffmann zu sein vorgeben: “Auch ein blindes Huhn findet mitunter ein Korn.” Dies gilt ohne Ansehen der Person, also auch dann, wenn der ideologische Gegner sich mitteilt, etwa in Gestalt eines “imperialistischen Demokraten”, er heiße Simon Wiesenthal, Arthur Koestler oder sonstwie.
Auch ist zwischen Zitat und Bewertung des Zitats zu unterscheiden. Wenn jemand etwas mitgeteilt hat, dann folgert daraus weder, dass es wahr ist noch dass es falsch ist, wir mögen vom Mitteilenden halten, was wir wollen. Schließlich ist niemand unfehlbar, was in der Philosphie folgendermaßen formuliert wird: “errare humanum est.” (= “Irren ist menschlich.”) Wenn Hansi Oehme und Gerald Hoffmann mir nicht Glauben schenken, dann vielleicht Karl Marx (“De omninus est disputantum.” = “An allem ist zu zweifeln.”) oder Kurt Gossweiler (“Tatsachen stehen höher als jede autoritative Äußerung.”).
Der Irrtum macht vor niemandem Halt und spricht daher jeglichem Autoritätsglauben Hohn. Die Autoritätsgläubigkeit aber verleitet zum Nichtdenken, und der Nichtdenkende begibt sich selbst in die Hand seiner Feinde. Dies mögen nicht nur Hansi Oehme und Gerald Hoffmann bedenken, wenn sie sich die Frage stellen, wie es Chrustschow, Mikojan et alii in den Fünfzigern und Sechzigern und Gorbatschow, Jelzin et alii in den Achtzigern schafften, so viele an der Nase herumzuführen, und fortan nicht mehr so leichtfertig wie bisher von “Idealismus” sprechen, wenn jemand auf Fragen des Umgangs miteinander (und damit auf Fragen des Überbaus) zu sprechen kommt.
Selbstverständlich kann es sein, dass jemand etwas mitteilt, um damit das Publikum zu einer bestimmten Handlung zu veranlassen, um dem Publikum gewisse Schlüsse nahezulegen, um seine Sicht der Dinge zu “beweisen”. Es kann aber auch schlicht sein, dass jemand die Wahrheit erkennen und mitteilen will, und das spricht – oder spräche – für ihn, denn (Johannes 8, 32): “Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird Euch frei machen.”
Es ist immer kontraproduktiv, wenn jemand den Anspruch erhebt, die Wahrheit suchen und dann mitteilen zu wollen, dann aber selektiv an die Sache herangeht – nicht zuletzt deshalb, weil dies den Eindruck vermittelt, er beabsichtige eine Weißwaschung und habe etwas zu verbergen. Jedweder “index librorum prohibitorum” ist mit demokratisch-rechtsstaatlichen Verhältnissen prinzipiell unvereinbar. Dies festzuhalten ist deshalb so wichtig, weil die “offen-siv” von einer Organisation getragen wird, die sich “Verein zur Förderung demokratischer Publizistik” nennt. Oder wollen Hansi Oehme und Gerald Hoffmann etwa darauf hinaus, dass die zivilisatorischen Errungenschaften der bürgerlich-demokratischen Revolution nach dem Sieg der proletarisch-sozialistischen Revolution obsolet sein würden? Dies würde der denkbar negativsten Auslegung des Programms der Kommunisten Vorschub leisten.
4) Was kaum einer wissen will.
> Beispiel Nr. 1: Simon Wiesenthal.
Diese Überlegungen gelten natürlich auch für die “Die gleiche Sprache: Erst für Hitler – Jetzt für Ulbricht” betitelte Pressekonferenz von Simon Wiesenthal am 6. September 1968 in Wien, auf der die Namen und Lebensläufe von 39 hochrangigen Nazis mitgeteilt wurden, die auch nach dem Krieg Karriere machten, allerdings nicht im Westen, sondern in der SBZ/DDR, zumeist im Journalismus und im Erziehungsbereich. Simon Wiesenthal wollte damit im Stile der Totalitarismustheorie die “Gleichheit” von “Rot” und “Braun” “beweisen”. Mit dem Verweis auf die Person des Mitteilenden und seine Motive verwerfen Hansi Oehme und Gerald Hoffmann die Mitteilung als irrelevant, wenngleich immerhin nicht als falsch.
Selbstverständlich will ich in keinster Weise in der Manier der Antideutschen behaupten, dass die nicht-jüdische Mehrheit der damaligen Deutschen etwa von der Shoa gewußt und diese gebilligt hätte. Da die nicht-jüdische Mehrheit der damaligen Deutschen nicht von der Shoa Kenntnis hatte und sie nicht billigte, und auch nicht gebilligt haben würde: zu diesem Ergebnis kommt jeder, der sich diesem Thema seris nähert, so auch der US-amerikanische Historiker jüdischen Glaubens Bryan Mark Rigg, Professor für Militärgeschichte an der American Military University in Manassas/Virginia, gegen Ende seines Buches “Hitlers jüdische Soldaten” (Schningh, 2003, ISBN 3-506-70115-0,). Das Buch entstand als Ergebnis mehrjähriger Recherchen, unter anderem von während der Jahre 1994 bis 1999 geführten Interviews mit über 100 von Hitlers jüdischen Soldaten; unter diesen befanden sich auch die SPD-Politiker Helmut Schmidt und Egon Bahr. Für diese Leistung erhielt er den William E. Colby Award 2003.
Wohl aber war die nicht-jüdische Mehrheit der damaligen Deutschen dem Versprechen der Nazis keineswegs abgeneigt gewesen, nach dem lange für sicher geglaubten Endsieg das Herrenvolk in Europa zu sein, und dies stellte eine schwere Belastung für die DDR dar. Ist es das, was meine Berliner Kritiker meinen, wenn sie erklären, die SED hätte halt eben mit den Menschen vorlieb nehmen müssen, die da waren? Wollen sie gar insgeheim den Antideutschen Recht geben, denen zufolge “die Deutschen” halt eben allesamt Nazis gewesen wären und dies auch immer bleiben würden?
Selbstverständlich ist jedem die Möglichkeit einzuräumen, sich weiterzuentwickeln. Aber soll das bedeuten, dass jeder genommen werden soll, der sich bewirbt? Ist hier keine Grenze zu ziehen, etwa im Hinblick auf das Ausmaß der jeweiligen Beteiligung am Dritten Reich, auf die Bedeutung des zu besetzenden Postens und die Glaubwürdigkeit der Reuebekundungen? Hatte Lenin sich nicht skeptisch geäußert über den Zustrom an bürgerlichen Spezialisten, die sich der neuen russischen Führung nach Ende des Interventionskrieges andienten? Hatten die Bolschewiki etwa keine schlechten Erfahrungen gemacht mit diesen Leuten, als deren Fürsprecher sich etwa Ordschinikidse betätigte? Ludo Martens kommt auch auf diese Sache zu sprechen in dem Buch, das Hansi Oehme mir zu lesen empfiehlt: “Stalin anders betrachtet”. Hatte Stalin etwa nicht erklärt, je weiter man in der Sowjetischen Besatzungszone bzw. Deutschen Demokratischen Republik mit der Entnazifizierung gehe, desto besser werde es sein?
Ich greife den Fall von Gustav Just heraus. Dieser nahm als Leutnant der NS-Wehrmacht am Krieg gegen die UdSSR teil und war als Mitglied der Panzerjägerabteilung 156, 1 Kompanie, 2. Zug, beteiligt an der Erschiessung von 6 jüdischen Zivilisten am 15. Juli 1941 in der Nähe von Masilowka bei Cholm. Er erhielt unter anderem das Eiserne Kreuz I. Klasse, das Infanterie-Sturmabzeichen, die Ost-Medaille und das Verwundetenabzeichen in Schwarz.
Nach dem Krieg trat er in die SED ein, wobei er die vielen braunen Flecken seiner Vita verschwieg; es überprüfte auch niemand seine Story. In den Fünfzigern avancierte er zum stellvertretenden Chefredakteur der Wochenzeitung “Sonntag” und nutzte seine Stellung aus, um gegen “Personenkult” und “Stalinismus” zu wettern. Er unterstzte die parteifeindliche Gruppe um Janka und Harich aktiv und wurde 1957 verhaftet; dabei wurden seine Tagebücher aus dem II. Weltkrieg gefunden, und seine Vergangenheit als Nazi wurde bekannt. Verurteilt wurde er aber nur wegen staatsfeindlicher und konterrevolutionärer Aktivitäten, nicht aber wegen seiner Kriegsverbrechen, die als “unerheblich” (!) eingestuft wurden. Nach der “Wende” trat er in die SPD ein und fungierte 1990/91 als Alterspräsident des Brandenburgischen Landtages. Die Verfolgung seiner Kriegsverbrechen wurde wegen “Verjährung” eingestellt.
Nun stellen Hansi Oehme und Gerald Hoffmann die Frage, warum ich mich nicht für Nazis in der BRD interessiere. Ich weise diese geradezu Goebbel’sche Form des Nicht-verstehen-wollens zurück. Ich interessiere mich natürlich auch für die Karrieren von Nazis in der BRD; doch sprechen wir hier über den Revisionismus, und damit etwa über UdSSR und DDR, nicht aber über USA und BRD. Es missfällt mir, wenn Linke auf die Handlungen anderer Menschen zu sprechen kommen, nicht aber auf ihre eigenen Handlungen, und womöglich noch diese mit jenen entschuldigen wollen.
Des Weiteren ist jegliche Nachricht von Karrieren von Nazis in der BRD vom Typus “Hund beißt Mann”: der Nazismus war eine Form des Faschismus, und dieser war (und ist) eine mögliche Variante der Sicherung bürgerlicher Klassenherrschaft. Die BRD aber ist ein bürgerlicher Staat. Wir dürfen uns also über die Karrieren von Nazis in der BRD nicht wundern: es ist dieselbe Sache.
Die DDR aber erhob einen kommunistischen Anspruch; also sollten wir hier erwarten, dass hochrangige Nazis und Kriegsverbrecher besser ausgesiebt worden wären. Ich betone ausdrücklich, dass ich nicht alle Deutschen zu Nazis stempele und sehr wohl zu differenzieren weiß zwischen kleinen und großen Fischen; ich habe mir daher die einzige seriöse westliche Stellungnahme zu diesem Thema herausgesucht. Im Großen und Ganzen war es schon so, dass die DDR die Kriegsverbrecher konsequenter verfolgte als die BRD dies tat; aber es gab eben auch Fälle, wo über die braune Vergangenheit hinweggesehen wurde, und dies nicht nur bei “kleinen Fischen”. Jeder der 39 von Simon Wiesenthal seinerzeit präsentierten Fälle ist einer zuviel für einen Staat wie die DDR.
> Beispiel Nr. 2: Arthur Koestler.
Ein anderer damals bekannter Antikommunist war Arthur Koestler (1905 – 1983). Ein bezeichnenderweise weithin unbekanntes Buch von ihm erschien 1976 im New Yorker Verlag Random House: “The Thirteenth Tribe – The Khazar Empire and its Heritage” (ISBN 0-394-40284-7). In diesem Buch blätterte er die Ergebnisse der Khazarenforschung auf.
Demzufolge sind die meisten der heutigen Juden – inklusive er selber – gar keine Semiten, weder im Sinne der Bibel noch im Sinne der modernen Sprachwissenschaft. Vielmehr stammen die aschkenazischen Juden, welche den “bulk of modern jewry” (Koestler) stellen, von den Khazaren ab, einem Turkvolk, das nach dem Ende der spät-antiken Völkerwanderungszeit in der Don-Wolga-Kaukasus-Region (also da, wo der biblischen Völkerliste gem. Genesis 10 bzw. Jubilen 8-9 der Jafet-Nachfahre Aschkenaz sich niederließ) ein Reich gründete, das vom 6. bis zum 10. Jahrhundert n. Chr. hielt.
Dieses Reich spielte damals eine wichtige Rolle. Seine Herrscher heirateten sogar in die kaiserliche Familie zu Byzanz ein. Sie leisteten den entscheidenden Beitrag zur Abwehr des arabischen Angriffs auf Europa im Jahre 732 n. Chr. an der östlichen Flanke; an der westlichen Flanke bereitete ein fränkisches Ritterheer unter dem Kommando von Karl Martell im selben Jahre 732 n. Chr. den Arabern die entscheidende Niederlage, welche den Angriff auf Europa abwehrte. Des Weiteren brachten die Khazaren byzantinische Kultur nach Osteuropa.
Dieses Turkvolk der Khazaren bekehrte sich dann ab dem Jahre 740 n. Chr. zum Judentum, und blieb diesem Glauben auch dann noch treu, als es der erstarkenden “Alten oder Kiewer Rus” gegen Ende des 10. Jahrhunderts n. Chr. gelang, das Khazarenreich zum Einsturz zu bringen. Mit anderen Worten: die meisten der heutigen Juden sind gar keine Nachfahren des antiken Volkes der Bibel, sondern Verwandte etwa der Baschkiren, Mongolen und Uiguren. In der Turkologie spricht man denn auch konsequent von “musevi türkler” (= “Moses-Türken”), wenn man auf die heutigen ashkenazischen Juden zu sprechen kommt.
Da dies dem Mythos vom “auserwählten Volk” und vom “außerhalb der Geschichte stehenden Judentum” widerspricht, wurde und wird dieses Buch von den Zionisten gerne totgeschwiegen. Wenn ein Nichtjude sich erdreistet, auf diese Dinge hinzuweisen, dann wird er gerne des “Antisemitismus” geziehen, und es beginnt ein Autodafe, in dem es ausschlielich um Person und (mitunter diesem angedichteten) Motive des die Mitteilung machenden Nichtjuden geht; um die Sache selbst geht es dann nicht mehr, und das ist auch so gewollt. Beispiel: die Tirade “Moses und die Hamas” des Antideutschen Justus Wertmüller in der “konkret” vom September 1997, Seiten 42 bis 43, als kurz zuvor Werner Pirker in der “junge Welt” etwas über die Khazaren geschrieben hatte. Erkennen Hansi Oehme und Gerald Hoffmann sich hier wieder? Ich hoffe doch sehr, dass sie dies tun.
Nun enthält dieses Buch von Arthur Koestler eine Spitze gegen Stalin, die Kommunisten, die UdSSR und Rußland, weswegen wahrscheinlich auch viele Linke dieses Buch nicht kennen. Es hat etwas zu tun mit der russischen Mentalität und also abermals etwas mit Überbau. “Oblomowtum” ist die sprichwörtliche großrussische Trägheit, personifiziert durch den Romanhelden Oblomow, der erst gegen Mittag sich entschließen kann, aufzustehen, was ihn aber so ermüdet, dass er sich davon am Nachmittag erholen muss, sodass der Tag zu Ende geht, und Oblomow kriegt nichts erledigt. “Derschimordatum” ist der sprichwörtliche großrussische Chauvinismus, personifiziert durch den genauso korrupten wie brutalen und rassistischen Polizisten Derschimorda.
Wer sich kritisch mit der Geschichte der UdSSR auseinandersetzt, der wird feststellen, dass die Bolschewiki es versäumten, energisch gegen das Derschimordatum vorzugehen. Schlimmer noch: dieses wurde sogar noch gefördert. So steht das Jahr 1943 nicht nur für großartige Siege über die NS-deutsche Wehrmacht und die Wende im Krieg, sondern auch für den großrussischen Chauvinismus. Dies erkennen wir schon am Namen, der diesem Krieg von Seiten der Führung der UdSSR gegeben wurde: “Großer Vaterländischer Krieg”; nicht aber: “Großer Krieg zur Verteidigung des Sozialismus”.
Im selben Jahr 1943 machte die Führung der UdSSR Frieden mit der russisch-orthodoxen Kirche, und das Patriarchat derselben – einstmals von Zar Peter I. aufgelöst – wurde wiedererrichtet. Im selben Jahr 1943 wurde die Internationale als Nationalhymne der UdSSR abgelöst durch ein Lied, das mit dieser Strophe begann: “Einen unzerstörbaren Bund freier Republiken hat auf ewig das große Ruland zusammengefügt. Es lebe die durch den Willen der Völker gebildete einige mächtige Sowjet-Union.”
Wir sehen also, dass der Kampf insbesondere gegen den großrussischen Chauvinismus, das Derschimordatum, nicht zu den Stärken der Sowjetmacht gehört. Das war schon zu Zeiten Lenins und Stalins so, und später wurde es eher noch schlechter.
Nun ist der Zusammenhang zwischen Khazaren und Derschimordatum der, dass die Ergebnisse der Khazarenforschung eine Beleidigung darstellen, jedenfalls aus Sicht eines jeden Derschimordaisten. Es ergibt sich unter anderem, dass die Khazaren ein mächtiges Reich hatten zu einem Zeitpunkt, als die Vorfahren der Ostslawen noch als Analphabeten in den Pripjet-Sümpfen nomadisierten. Das Khazarenreich hatte in seinen besten Jahren mehr Einfluss auf Byzanz als später die Ostslawen, und diese wurden erst dann von Byzanz als Juniorpartner “entdeckt”, als Byzanz sich die Khazaren vom Halse schaffen wollte.
Wir verstehen also schon, warum die Khazarenforschung in der UdSSR behindert wurde; Einzelheiten darüber breitet Arthur Koestler denn auch genüßlich aus in seinem Buch. Die anti-russische, anti-kommunistische, anti-sowjetische und anti-Stalin’sche Stoßrichtung ist klar erkennbar. Aber heißt das, dass wir Koestlers Buch mit Schweigen zu übergehen hätten, weil uns der Autor und seine Motive nicht passen? An den Fakten änderte dies nichts.
> Beispiel Nr. 3: Maximilien Rubel.
Dieser Antikommunist war Professor an der Centre d’Etudes Sociologiques in Paris. In dem von ihm herausgegebenen Buch “Karl Marx und Friedrich Engels zur russischen Revolution – Kritik eines Mythos” (Ullstein Materialien, ISBN 3-548-35187-5) bietet er uns viele Stellen aus dem Schriftgut von Marx und Engels an, aus denen unter anderem hervorgeht, dass diese entschiedene Gegner des großrussischen Chauvinismus waren und diesen als die reaktionärste mögliche Opposition zur bürgerlichen Gesellschaft, welcher ihnen damals bekannt war, geißelten. Die Präsentation ist so, dass der naive Leser glauben gemacht werden soll, Stalin wäre der Nachfolger des asiatischen Despotismus a la russe, den Engels in seinem Artikel “Zur auswärtigen Politik des russischen Zartums” (1890) beschrieb.
Wenn Hansi Oehme und Gerald Hoffmann ihre Kritik an mir ernst nehmen, dann müssen sie uns vorschlagen, jeden als “Trotzkisten” zu bezeichnen, der es wagt, zu diesen Thesen sich zu artikulieren. Dann aber wäre auch Stalin als “Trotzkist” zu bezeichnen, denn als auf Betreiben von Bucharin, Rykow et alii 1934 in der Prawda dieser Engels-Artikel abgedruckt wurde, setzte sich Stalin kritisch mit eben diesem Engels-Artikel auseinander.
Mehr noch: Hansi Oehme und Gerald Hoffmann müssten dann auch über Karl Marx den Stab brechen, denn dieser publizierte viele Artikel, in denen er sich ausführlich mit der “asiatischen Despotie a la russe” (wie Marx das russische Zartum nannte) auseinandersetzte, etwa in dem von dem schottischen Lord Urquhart in London herausgegebenen Periodikum “The Free Press”; und was war dieser Lord Urquhart anderes als ein “imperialistischer Demokrat” im Sinne von Hansi Oehme und Gerald Hoffmann?
> Beispiel Nr. 4: Leo Trepp.
Leo Trepp wurde 1913 in Mainz geboren und studierte dort jüdische Theologie; 1936 wurde er orthodoxer Rabbiner in Mainz. 1939 wanderte er nach England aus; nach dem Zweiten Weltkrieg zog es ihn in die USA, wo er auch heute noch lebt. Er ist auch heute noch als Vertreter der zionistischen Extremrechten aktiv. In seinem 1997 erschienenen Buch “Die Juden – Volk, Geschichte, Religion” (Rowohlt, ISBN 3-499-60618-6) stellt er die jüdische Geschichte und Gegenwart aus Sicht der zionistischen Extremrechten dar, was rassistische Ausfälle gegen die Araber unvermeidlich macht. Bemerkenswert für uns ist seine Behandlung der Ereignisse in Palästina in den Jahren 1945 bis 1948. Ich werde daher diese Ereignisse zuerst zusammenfassen und dann seine Sicht der Dinge vorstellen.
Nach dem Offenbarwerden der NS-Verbrechen an den Juden war die Verweigerung einer von den Zionisten angestrebten nationalen Heimstätte für die Juden schwer zu rechtfertigen gewesen. Tatsächlich kam es dann am 29. November 1947 zum Teilungsbeschluss der UNO-Vollversammlung und zum Abzug der Briten bis zum 15. Mai 1948. Weniger bekannt ist, dass die UdSSR den Zionisten sehr behilflich war. So bewertet Trepp die Rede des UdSSR-Außenministers Molotow vor der UNO-Vollversammlung als “zionistisch” und schreibt ihr großen Anteil am Zustandekommen der von den Zionisten angestrebten Entscheidung zu.
Die UdSSR liefert in großem Stil heimlich Waffen an die Zionisten, was diesen ermöglichte, den grösten Teil vormaligen britischen Treuhandgebietes Palstina zu erobern und die meisten Palstinenser zu ermorden oder zu vertreiben. Als die Regierung der UdSSR sich diesen Erkenntnissen nicht mehr entziehen konnte, stoppte sie im September 1948 diese illegalen Waffenlieferungen an die Zionisten, so dass David Ben Gurion im März 1949 einem Waffenstillstand zustimmen musste, ohne ganz Palästina erobert und alle Palstinenser “losgeworden” zu sein.
Die Geschehnisse in Palästina fanden ihren propagandistischen Widerhallt in der UdSSR. Etliche Prominente nahmen Stellung zu diesen Geschehnissen; viele so, wie etwa Nassauer in seinem Artikel “Deutscher Jihad (I)” im “Streitbaren Materialismus” Nr. 26 vom Mai 2004. Nun setzte eine Welle von Pseudonym-Enthüllungen ein; es stellte sich heraus, dass viele der Befürworter der anti-palästinensischen Verbrechen Juden waren, die allerdings seit vielen Jahren unter nicht-jüdischen Pseudonymen schrieben. Auf der Tagung des Schriftstellerverbandes der UdSSR im März 1949 nahm auch Stalin (als geladener Gast) teil und ergriff hierzu das Wort.
Stalin verurteilte energisch – die Pseudonym-Enthüllungen. Stalin ging gar nicht ein auf die illegalen Waffenlieferungen der UdSSR an die Zionisten und die von diesen damit an den Palästinensern begangenen Verbrechen. Auch die anti-arabischen rassistischen Ausfälle zahlreicher jüdischer Prominenter der UdSSR thematisierte Stalin nicht. (Zu den übelsten Hetzern gehörte Ilja Ehrenburg, der schon während des II. Weltkrieges eine rassistische Propagandakampagne zur Vernichtung aller Deutscher initiiert hatte, bis er dann seines Postens enthoben wurde.) Stattdessen verteidigte Stalin einseitig das Recht von Menschen, sich Pseudonyme zuzulegen und diese auch zu benutzen. Die Pseudonym-Enthüllungen bezeichnete Stalin wörtlich als “Antisemitismus”.
Trepp seinerseits spricht von “Antisemitismus” – und meint damit die Einstellung der illegalen Waffenlieferungen der UdSSR an die Zionisten im September 1948! Die Waffenlieferungen selbst und ihr Gebrauch durch die Zionisten sind demnach völlig in Ordnung gewesen. Das Auftreten Stalins auf dem Schriftstellerkongress im März 1949 bezeichnet Trepp als “Heuchelei” Stalins, mit dem dieser seinen “Antisemitismus” kaschieren wollte. Erinnern diese Argumentationsmuster nicht sehr an die gegenwärtige Debatte über Antisemitismus, die von den Antideutschen mit gewissen Zielsetzungen geführt wird? Und erinnern Trepps selektiver Umgang mit Fakten und seine Bewertung derselben nicht sehr an Hansi Oehme und Gerald Hoffmann?
Wir wollen nicht verschweigen, dass es damals tatsächlich von Seiten gewisser arabischer Politiker, inklusive des Großmuftis von Jerusalem, Amin el-Husseini, Vernichtungsdrohungen gegen die Juden – und sogar Zusammenarbeit mit einigen Nazis – gab. Aber heißt das, dass an der Politik der damaligen UdSSR nichts falsch war und also nichts daran zu kritisieren sei? Und dürfen wir dann nicht Stellungnahmen von “imperialistischen Demokraten” hören? Wie aber wollen wir uns dann selber ein Urteil bilden?
> Beispiel Nr. 5: Arno Lustiger.
Arno Lustiger ist ein bürgerlicher jüdischer Industrieller, ein “imperialistischer Demokrat”, der mit seinem Geld zahlreicher Froschungsarbeiten finanziert hat, insbesondere zum Thema NS-Verbrechen an den Juden; die Roma und Sinti, die die Nazis ebenfalls alle ermorden wollten, interessieren ihn weniger. In seinem Buch “Rotbuch: Stalin und die Juden. Die tragische Geschichte des Jüdischen Antifaschistischen Komitees (JAK) und der sowjetischen Juden.” (Aufbau Taschenbuch Verlag, 1998, ISBN 3-7466-8049-2) legt er dem naiven Leser die Schlussfolgerung nahe, Stalin wäre ein zweiter Hitler gewesen und mit den Juden ähnlich umgegangen wie dieser. Lustiger zufolge sind die Juden gar nicht fähig, irgend etwas Böses zu tun und also immer die unschuldigen Opfer. Dies kennen wir von den Antideutschen, doch argumentiert Lustiger subtiler als diese.
Lustiger will darauf hinaus, dass ausnahmslos alle Juden, die im Sowjetland seit 1917 zu Schaden kamen, unschuldige Opfer von Antisemitismus geworden wären, und dass die Bolschewiki dies organisiert hätten, wobei Stalin der oberste Judenfeind gewesen wäre. Natürlich stellt Lustiger etwa Trotzki als unschuldig dar, und sogar die Kandidatur Stalins auf dem 13. Parteitag (Mai 1924) erscheint bei Lustiger als Ausdruck von Stalins “Antisemitismus”; schließlich hatte sich mit Trotzki (eigentlich: Lew Davidowitsch Bronstein, 1879 – 1940) ja schon ein Jude für das höchste Parteiamt beworben.
Ich weise diese Unterstellungen natürlich zurück. Aber soll das etwa heißen, es wäre mit der tatsächlich historisch anzutreffenden Judeophobie – speziell in Rußland, der Ukraine und dem Baltikum – nach der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution 1917 völlig Schluss gewesen und hier nichts weiter vorgefallen? Sollen wir, wenn wir uns von der Schuld der Angeklagten der Moskauer Prozesse überzeugt haben, annehmen, dass auch die nicht-prominenten Angeklagten aller anderen Prozesse allesamt zu Recht verurteilt wurden und es berhaupt keine Justizirrtümer gab, die auf welche Weise auch immer zustande kamen? Wenn dem so war: warum wurden dann die Säuberungen im November 1938 eingestellt, und warum kamen dann insbesondere Malenkow und Schdanow auf dem 18. Parteitag der KPdSU(B) im März 1939 so ausgiebig auf “Fehler”, “Irrtümer” und “Überspitzungen” zu sprechen? Und warum halten es dann Ludo Martens (“Stalin anders betrachtet”, Epo, 1994, ISBN 90-6445-728-X) und Kurt Gossweiler für nötig, wiederholt dazu Stellung zu nehmen?
(Der 3. Teil folgt im nächsten Heft; d. Red.) Samy Yildirim, Zaandam, Niederlande