Hartwig Strohschein:
Gerhard Feldbauer:
Mussolinis Überfall auf Äthiopien. Eine Aggression am Vorabend des Zweiten Weltkrieges
So lautet der Titel der siebten Publikation Gerhard Feldbauers über Italien. Nachdem er vor einem Jahr mit seiner Frau und Journalistenkollegin Irene „Sieg in Saigon“ vorgelegt hat, wendet er sich wieder Italien zu. Wie immer zieht der Autor aktuelle Vergleiche zur Gegenwart. Mit dem Einzug der italienischen Armee am 5. Mai 1936 in die äthiopischen Hauptstadt ging der am 3. Oktober 1935 begonnene Eroberungsfeldzug zu Ende, bei dem 275.000 Äthiopier ums Leben kamen. Der Widerstand hielt an. Bis zum Einmarsch britischer Truppen 1941 fielen insgesamt 750.000 Einwohner dem Kolonialterror zum Opfer. Die Ereignisse, die in den Abgrund des Zweiten Weltkrieges führten, haben in der Gegenwart erstaunlich wenig Aufmerksamkeit gefunden, schreibt Feldbauer. Dabei müssten aktuelle Parallelen dazu geradezu herausfordern. Nach Jugoslawien und Afghanistan ist das der USA-Überfall auf Irak. Die Beschwichtigung der Öffentlichkeit, die Großbritannien und Frankreich 1935 angesichts der Aggressionsvorbereitung betrieben, ging als Appeasement in die Geschichte ein. Heute belügen die deutsche wie andere europäische Regierungen die Bevölkerung über den Charakter des Überfalls auf den Irak als eines völkerrechtswidrigen Aggressionskrieges, verharmlosen oder verschweigen die begangenen Kriegsverbrechen.
Der Autor liefert eine fundierte Recherche mit – wie bei all seinen bisherigen Büchern – vielen nicht oder auch wenig bekannten Fakten. Bereits im Januar 1935 gab Frankreich in einem Geheimvertrag mit Mussolini diesem eine „Carte blanche“ für die Aggression. Als sie im Oktober begann, verhängte der von London und Paris beherrschte Völkerbund nur wirkungslose Sanktionen. Das für den Einsatz der Panzer und der Luftwaffe entscheidende Erdöl durfte weiter an Italien geliefert werden. Der Vorschlag der UdSSR, den Suezkanal für den Nachschub an die italienischen Truppen zu sperren, wurde ignoriert. Der britische Außenminister Lord Simon befürchtete, das könnte zur Niederlage Italiens und zum Sturz Mussolinis führen. Wie im Regime Hitlers sahen die Westmächte auch in dem Mussolinis ein wirksames „Bollwerk gegen den Bolschewismus“. Hitlers Aggressionsdrang wollten sie nach Osten lenken.
In der Tat, so wird belegt, stand die 400.000 Mann starke Aggressionsarmee im November trotz ihrer großen Überlegenheit an Flugzeugen, schwerer Artillerie, Panzern und Fahrzeugen sowie massiver Luftangriffe auf Städte und Dörfer vor dem Scheitern ihrer Offensive. Daraufhin ließ Mussolini 350 Tonnen des Giftgases Yperit abwerfen. Um keine Berichte darüber an die Öffentlichkeit kommen zu lassen, ordnete der „Duce“ persönlich an, gefangen genommene Europäer, die in der äthiopischen Armee gekämpft hatten, zu erschießen. Nach dem Einmarsch in Addis Abeba erschlug Mussolinis SA Tausende Zivilisten auf brutalste Weise. Dazu wird der Bericht des damaligen Korrespondenten des Mailänder „Corriere della Sera“ zitiert, den dieser erst Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges veröffentlichen konnte. Nach einem erfolglosen Attentat gegen den Generalgouverneur Mussolinis, Marschall Graziani, ließ dieser am 19. Februar 1937 zur Vergeltung allein in der Hauptstadt 30.000 Menschen umbringen. Feldbauer, bekannt durch seine Publikation „Damals Vietnam – heute Irak“ (Sonderheft 2005 bei offen-siv) stellt dem Wüten der Sturmabteilungen Mussolinis das der USA-Soldateska in Irak gegenüber.
Nach der Okkupation Äthiopiens schloss der „Duce“ das afrikanische Kaiserreich mit dem bereits früher eroberten Eritrea und italienisch Somaliland zur Kolonie Italienisch Ostafrika zusammen. Sein Ziel war, „die Kolonialkarte Afrikas zu ändern und damit die Frage der Neuaufteilung der Welt praktisch zu stellen“, schätzte Palmiro Togliatti auf dem VII. Weltkongress der Komintern 1935 ein.
König Vittorio Emanuele setzte sich die äthiopische Kaiserkrone auf und der Missionspapst genannte Pius XI. zwang den Äthiopiern auf den Trümmern der koptischen Kirche eine ihnen fremde Religion auf. Der „Duce“ war für den Pontifex der Mann, „mit dem uns die Vorsehung zusammenführte“. Sein Kardinal Ildefonso Schuster feierte im Dom von Mailand in einer Messe die Heldentaten des italienischen Heeres, welches das „Licht der Zivilisation nach Äthiopien getragen“ habe.
Eingebettet in den historischen Ablauf sind die Gegensätze zwischen Hitler und Mussolini. Hatte der deutsche „Führer“ Mussolini einst als sein großes Vorbild gesehen, so änderte sich das nach seinem Machtantritt 1933 schlagartig. Als Hitler bereits 1934 in Österreich ein-marschieren wollte, sah Mussolini seine Einflusssphären auf dem Balkan, einem Sprungbrett nach Afrika und den Nahen Osten, gefährdet. Er sicherte Wien Unterstützung zu und schickte vier Divisionen an die Brennergrenze. Hitler musste den Anschluss vorerst aufschieben. Der Berliner Diktator zahlte es dem römischen heim und lieferte Kaiser Haile Selassie Waffen und Munition: Panzerabwehrkanonen, Maschinengewehre, Mausergewehre, Pistolen, Munition, Handgranaten, Medikamente. Offiziell wurde Italien versichert, dass „die Reichsregierung weder Waffenlieferungen an den Negus noch die Anwerbung deutscher Freiwilliger für Abessinien“ zulasse. Erst als sich die italienische Niederlage und ein möglicher Sturz Mussolinis abzeichneten, stellte Hitler die Hilfe für Adis Abeba ein.
Der rassistischen Losung, von der „zivilisatorischen Mission“ Mussolinis in Äthiopien setzte Togliatti auf dem VII. Weltkongress die der „Vereinigung der Proletarier und unterdrückten Völker“ entgegen. „Das abessinische Volk ist der Verbündete des italienischen Proletariats gegen den Faschismus und wir versichern (… es) unserer Sympathien“. Dazu liefert Feldbauer bisher völlig unbekannte Fakten. 38 italienischen Kommunisten gelang es, nach Äthiopien durchzukommen, wo sie in der Armee Selassies gegen die Truppen Mussolinis kämpften. Unter ihnen befand sich der spätere Kommandeur der internationalen Garibaldi-Brigade in Spanien, Ilio Barontini, der nach dem Sturz Mussolinis 1943 zu den Organisatoren des bewaffneten Widerstandes gegen Hitlerdeutschland gehörte.
Der Autor setzt dass Thema bis zum Sturz Mussolinis 1943 und der Niederlage des Faschismus 1945 fort. Mit der Teilnahme Mussolinis an der Intervention zur Niederschlagung der Spanischen Republik, wähnte sich Italien auf der Siegstraße. In Wirklichkeit befand es sich bereits auf dem Weg in die Niederlage. Bei El Alamein scheiterte der abenteuerliche Feldzug der deutsch-italienischen Afrikaarmee. Deutsche Luftlandetruppen eroberten, als die Niederlage bei Stalingrad sich bereits abzeichnete, im November 1942 Tunis und erweiterten vorgeblich den Aktionsradius des Afrikakorps, um sechs Monate später vor den überlegenen anglo-amerikanischen Truppen im selben Raum zu kapitulieren. Feldbauer fragt: “Sind die USA, die bereits jetzt mit dem irakischen und afghanischen Widerstand nicht fertig werden, heute nicht auch so verblendet, mit weiteren Aggressionskriegen gegen Iran, Syrien und andere unbotmäßige „Schurkenstaaten“ den Sieg erringen zu wollen? Noch mögen die Vergleiche hinken, aber die Lehren der Geschichte des Zweiten Weltkrieges besagen, die Aggressoren befinden sich auf dem Weg in die Niederlage, ganz gleich, wie lange es noch dauern wird.“
Summa summarum, ein sehr zu empfehlendes Buch: Erschienen bei Pahl Rugenstein, Bonn 2006 (Tel. 0228-66 23 06), ISBN 3-89144-372-2, 98 Seiten.
Hartwig Strohschein,
Berlin