Peter Hacks: Verehrter Kollege. Briefe an Schriftsteller

F. Flegel:

Peter Hacks: Verehrter Kollege. Briefe an Schriftsteller

Es ist wie immer: was Peter Hacks schreibt, ist klar, präzise, parteilich – und exzellent in der Formulierung. Dass ich diese Vorzüge, die seine Dichtung so außergewöhnlich machen, auch in den Briefen wiederfinden würde, hatte ich vielleicht gehofft, aber eigentlich nicht erwartet. Ich wurde eines Besseren belehrt: Dieser Mann hat so wie die Dichtung auch die Wahrheit gelebt. Erkenntnisse zu gewinnen bereitet dem Menschen Vergnügen – und in diesem Sinne ist der Band „Verehrter Kollege. Briefe an Schriftsteller“ von Peter Hacks ein ausgesprochen großes Vergnügen. Um die Qualitäten deutlich zu machen, zitiere ich hier recht ausführlich aus zwei Briefen von ihm an Hans Magnus Enzensberger, bei denen es zunächst um dessen Gedicht „Verteidigung der Wölfe gegen die Lämmer“ und dann um die grundsätzliche Weltsicht geht.

„Sehr geehrter Herr enzensberger, ich habe mir Ihre Gedichte gekauft, ich habe sie alle gelesen, sie haben ihre Vorzüge. Sie sind weitgehend kontrollierbar, von menschenfreundlicher Absicht und auch von der Absicht der Tapferkeit. Ich kann mich da irren, aber ich halte sie für die besten Gedichte, die in Westdeutschland gemacht worden sind. Es ist aber leider, was sie schreiben, dummes Zeug (ich werfe Ihnen Unkenntnis vor). Und es verhält sich ja nicht so, daß Artistik Unkenntnis entschuldigt; sie macht diese vollends unentschuldbar. Was nützt poetisches Vermögen, ohne Kenntnis, im zwanzigsten Jahrhundert, wo, und Sie werden mir da beipflichten, Poesie ohne Kenntnis nicht mehr gedacht werden kann? Sie tadeln bestimmte Mißstände. Sie nennen ihre Urheber, nicht besonders genau, Wölfe, aber auch Angler oder Henker. Sie haben schon entdeckt, daß zur Unterdrückung zwei gehören, die Unterdrücker und die sich unterdrücken lassen. Sie verurteilen die letzteren, die Lämmer; Ohnmacht ist ein Charakterfehler.

„wer näht dem general
den blutstreif an seine hose? wer
zerlegt vor dem wucherer den kapaun?
wer hängt sich stolz das blechkreuz
vor den knurrenden nabel? wer
nimmt das trinkgeld, den silberling,
den schweigepfennig? Es gibt
viel bestohlene, wenig diebe, wer
applaudiert ihnen denn, wer
steckt die abzeichen an, wer
lechzt nach der lüge?
seht in den speigel: feig,
scheuend die mühsal der wahrheit,
dem lernen abgeneigt, das denken
überantwortend den wölfen…“

Wer sind die Wölfe?

„gelobt sein die räuber: ihr,
einladend zur vergewaltigung,
werft euch aufs faule bett
des gehorsams. winselnd noch
lügt ihr. zerrissen
wollt ihr werden. ihr
ändert die welt nicht.“

Wer ändert sie?

Kurz, rund, Sie wissen es nicht. Und ich werde mit Ihnen handeln. Ich werde mit Ihnen handeln; ohne Kenntnisse vorauszusetzen (also nicht auf dem vortrefflichsten Weg), simpel, bürgerlich, sozusagen mittels des gesunden Menschenverstandes (also nicht auf dem vortrefflichsten Weg). Ich werde mit Ihnen handeln, mit der Geduld, die Leuten ziemt, denen das endliche Ergebnis am Herz liegt, nicht die Selbstzufriedenheit des besseren Arguments. Wer sind die Wölfe? „belsen und hilde benjamin“? Das ist eine Nazisauerei, Herr, und wenn ich mich nicht eben meiner Geduld gerühmt…, also: ich werde mit Ihnen handeln.

Die Politik bürgerlicher Regierungen, eingeschlossen die der faschistischen, wird besorgt von den Inhabern einer bestimmten Eigentumsform, welche die Ökonomie Finanzkapital nennt. Der Kapitalismus in seinem heutigen Zustand produziert notwendig Unterdrückung und, aus Marktgründen, Kriege. Sie bestreiten beide Sätze nicht, kein ernster Mensch bestreitet sie. Aber aus ihnen folgt, daß, will man die einzige (und nota bene letzte) bestehende notwendige Ursache übler und kriegerischer Politik beseitigen, man diese Eigentumsform abschaffen muss. Das Finanzkapital, wie wir gesagt haben, verfügt über politische Gewalt. Nicht die Gewalt als solche also muß abgeschafft werden, vielmehr die Gewalt der monopolistischen Kapitalisten; es muß, um diese besondere Gewalt abzuschaffen, Gewalt angewendet werden, Revolution gemacht werden. Revolutionär ist der mit Flinten und Mitrailleusen bewaffnete Aufstand, ist der Bürgerkrieg. Revolutionär ist die demokratische Justiz, die Justiz der Arbeiterklasse, die Justiz, an der Hilde Benjamin maßgeblich mitgearbeitet hat und mitarbeitet.

Ist es schwer zu begreifen, daß die DDR ohne diese revolutionäre Justiz jetzt nicht wäre, was sie ist: ein friedfertiger Staat, ein Staat ohne Nazis, ein Staat, der heute von seiner Justiz um drei Viertel weniger Gebrauch macht als das vormals so großmütige Westdeutschland? Sehen Sie das denn nicht, daß Frau Benjamin, wäre sie in Westdeutschland zu Werke gewesen, Ihnen den Josef Strauß erspart hätte, und seinen Putzfleck, den Erler?

Sie haben was gegen die „konjunktur“

„ihr glaubt zu essen
aber das ist kein fleisch
womit sie euch füttern
das ist köder, das schmeckt süß
(vielleicht vergessen die angler
die schnur, vielleicht
haben sie ein gelübde getan,
in zukunft zu fasten?)“

Wer sind die Angler?

„sorgt euch nicht! gutes gedächtnis
ziert die angler, alte erfahrung,
sie tragen zu euch die liebe
des metzgers zu seiner sau.
sie sitzen geduldig am rhein,
am pontiac, an der beresina…“

Wo? An der Beresina? Wieso ist an der Beresina Konjunktur? Sehr viel Zeit lang war da Armut, schwere Armut; von jenen Armen wurde unlängst der Wolf (Angler, Henker) Hitler erwürgt. Heute ist da keine Armut, aber da ist keine Konjunktur. Das Wort Konjunktur hat keinen Sinn, wo es keine Krise gibt. Konjunktur ohne Krise, Unkenntnis, dummes Zeug.

Man bekommt es langsam heraus: Ihre Angler, Henker, Wölfe, das sind einfach die Ausüber staatlicher Exekutive. Ihre gefallen Ihnen nicht, mir auch nicht, sie unterdrücken die Wahrheit, sie bestehlen die Arbeiter, sie üben Gewalt aus gegen solche, die die Wahrheit über das Bestehlen der Arbeiter zu sagen und überhaupt diese Sache zu unterbinden wünschen. Aber was haben Sie gegen meine? Sie verbreiten (mit so viel Geschick als Ihnen zur Verfügung steht) die Wahrheit, sie sind außerstande, die Arbeiter zu bestehlen, denn sie besitzen keine Produktionsmittel, sie sind eingesetzt von den Arbeitern, um Gewalt auszuüben, gegen niemanden außer gegen solche, die sind wie Ihre. Es gibt keinen Topf, in den meine und Ihre hineinpassen. Was sie da also abdrehen, ist die alte spießbürgerliche Macht-verdirbt-den-Charakter-Leier, man ist sie von den nie mächtigen Spießbürgern gewohnt. Aber von Ihnen, der sie Ohnmacht als Charakterfehler erkannt haben? „ihr“, brummen Sie die Leut an, „ändert die welt nicht“. Wissen Sie, enzensberger, Sie auch nicht. (…)

Das Volk Frankreichs hat, ehe es seinen Garten kultiviern ging, es für nötig befunden, einige agrarische Besitzverhältnisse zu klären; zum entschiedenen und wirklichen Schaden einer nicht kleinen Anzahl von Wölfen (Anglern, Henkern – ich gäbe ein Königreich darum, oder doch mindestens ein Pferd, ließen Sie mich einmal ein Gedicht von Ihnen sehen, wo diese Leute schlichtweg: Großgrundbesitzer heißen.) So das Volk Russlands. So das Volk Chinas. So das Volk in einem Teil von Deutschland (Hilde Benjamin). Was schlagen Sie dem Volk des anderen Teils vor? (…)

                     Offener Brief an Hans Magnus Enzensberger, erschienen in „junge Welt“, August 1958

„Sehr geehrter Herr Enzensberger, (…) Ich finde als Ihre Hauptargumente: Es ist feiner, Fragen zu stellen, als Antworten zu geben. Es ist realistischer, ein schlechtes Gewissen zu haben als ein gutes. (…) Ich beantworte Ihre Sätze ausführlich. Ich liefere Ihnen drei für einen (und in der Gewissheit, daß der eine keinen halben wert war). Dabei sind Sie nicht auf eine meiner Fragen eingegangen. Bei allem Bestreben, Ihre Abneigung gegen Antworten zu ehren, bitte ich Sie nun doch um ein paar davon.

Frage 1: Glauben Sie, daß man die verbesserungsbedürftigen Zustände verbessern kann ohne Sturz der Bourgeoisie?  2. Glauben Sie, daß eine solche Revolution in den wichtigeren Ländern gewaltlos (durch Wahl o.ä.) durchgeführt werden kann?  3. Glauben Sie, daß jemand anderes die nötige Gewalt zu einer Revolution aufbringen kann oder wird als das mit armen Bauern verbündete und in einer nichtliberalen Partei organisierte Proletariat?  4. Halten Sie es für ausgeschlossen, daß eine Revolution, die (unter den Bedingungen des internationalen Klassenkampfes) in einigen Hinsichten die Lebensumstände verschlechtert, trotzdem die Menschheit voranbringt?   5. Glauben Sie, daß auf die Diktatur des Proletariats in dem Zeitraum bis zur erreichten klassenlosen Gesellschaft verzichtet werden kann?   Sie wissen, daß Marx und Lenin diese Fragen verneinten. Falls Sie es auch tun, worüber zanken Sie? Falls Sie eine bejahen, erwarte ich geduldig Ihre Entwürfe. Eine sechste Frage zu Ungarn: Wie, glauben Sie, sähe Ungarn heute aus, wenn die Sowjetunion nicht eingegriffen hätte? (…)

Sehen Sie, unsere Maurerlehrlinge studieren die politische Ökonomie des Kapitalismus. Warum kennen Sie nicht Marx, Lenin, Mao? Ich möchte sagen, das ist, wenn es schon nicht eine Frage des Erkenntnistriebs ist, auch eine Frage der Höflichkeit. Und es ist eine politische Stellung-nahme.

Sie teilen der Welt, nicht ohne Stolz, mit, daß sie auf keinem der beiden Stühle säßen, vielmehr zwischen denselben. Ich habe diese Behauptung von vielen Leuten gehört. Aber alle, die ich bisher traf, saßen nur mit dem halben Arsch auf dem rechten.

Peter Hacks.“                                                                Brief an Hans Magnus Enzensberger, 3. 2. 1959

So weit die Zitate. Mir bleibt nur noch zu sagen: ich empfehle dringend, dieses Buch zu lesen. Es gibt Vieles für heute. Und das Lesen macht Freude!

Peter Hacks: Verehrter Kollege. Briefe an Schriftsteller. ISBN-10: 3-359-01639-4. Eulenspiegel-Verlag, Neue Grünstraße 18, 10179 Berlin.

Frank Flegel,
Hannover