Hans-Ulrich Jörges (Stern):
Wenn die Linke eins wird
„Es macht für gewisse Zeit Sinn – ich sag nicht: für hundert Jahre – dass es eine Kraft links von der SPD gibt“, sagt Gregor Gysi. „Ich wollte immer eine starke linke Volkspartei. An diesem Ziel halte ich auch fest“, sagt Oskar Lafontaine. „Ich gebe die Hoffnung nicht aus, dass die demokratische Linke irgendwann wieder in der SPD zusammenfinden wird“, sagt Kurt Beck. Drei Männer, eine Idee: Vereinigung von SPD und Linkspartei zu einer einzigen großen linken Volkspartei. Anders gesagt: Heimkehr der Linken ins Haus der alten Mutter Sozialdemokratie, ein rundes Jahrhundert nach der Spaltung der Arbeiterbewegung. Die Bekenntnisse von Gysi und Lafontaine sind drei Jahre alt, fielen in einem Stern-Interview, als sie begannen mit ihrem gemeinsamen Projekt „Die Linke“, Becks Statement fiel, als letzter Satz, in einem Bild-Interview vor einem Monat. Niemand hat damals aufgehorcht, obgleich zum ersten Male so etwas wie eine historische Perspektive aufblitzte. … SPD und Linke vereinigt? Nicht morgen, aber vielleicht übermorgen? Das klingt verwegen in diesen Tagen, da sie doch wie Todfeinde miteinander ringen. …
Doch das aktuelle Getümmel darf nicht blind machen für den historischen Prozess, der nun begonnen hat, für das Feuer, das in ihm glimmt, unter der Asche der Rivalität, und gelegentlich aufleuchtet in Sätzen wie den eingangs zitierte. Die Logik dieses Prozesses entfaltet sich in drei Etappen. In der ersten geht es für die Linke darum, zuzulegen – um jeden Preis, um den Lohn der Schwächung, der Linksverschiebung, der Entschröderisierung der Sozialdemokraten. In der zweiten steht die Bündnisfrage an, im nächsten Jahr speziell in Thüringen und im Saarland, wo die Linke in Koalitionen mit der SPD die führende Rolle übernehmen könnte, an der Saar sogar unter dem Ministerpräsidenten Oskar Lafontaine. Solche Bündnisse werden Gemeinsames zum Leuchten bringen bis hin zur programmatischen Verschmelzung – und gewaltige Kräfte freisetzen in der Linken, Pragmatiker nach oben spülen und Gestrige absprengen. Dann kann die dritte Etappe folgen, das Nachdenken darüber, was eigentlich noch trennt und ob es nicht an der Zeit ist für den historischen Schnitt, die Fusion. …
Kommunisten? Welcher Unsinn! Lafontaines Truppe will die alte Rentenformal wieder – die galt in der Bundesrepublik bis in die 90er Jahre. Sie will acht Euro Mindestlohn – die SPD gerade 50 Cent weniger, und die Kanzlerin stimmte einem Post-Mindestlohn von 9,80 Euro zu. Sie will Hartz IV abschaffen – der CDU-Mann Jürgen Rüttgers eine „Generalrevision“. Sie ruft nach Regulierung der Finanzmärkte – wie der Bundespräsident, um das „Monster“ zu zähmen. Sie fordert den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan – das will auch die Mehrheit der Deutschen, und der Grünen-Parteitag hat das beschlossen. Oskars Linke ist nicht kommunistisch, sie ist sozialdemokratisch, links- oder alt-sozialdemokratisch. …
Hans-Ulrich Jörges, Wenn die Linke eins wird, Der Stern, Nr. 22-08, 21.5.08