Heinz W. Hammer:
Die jeweils für einen günstigen Moment vorgesehenen Maßnahmen
In einem Themenschwerpunkt der Ausgabe Mai-Juni 2008 beschäftigt sich »offen-siv« mit aktuellen Entwicklungen auf Cuba und äußert Sorge. Im Kern geht es um die ökonomische Entwicklung, die Wühlarbeit der bundesdeutschen Stiftungen sowie den Umstand, das Hans Modrow in Havanna eine Rede gehalten hat. Hierzu folgende Anmerkungen:
1. Vorweg: Die Tatsache, dass konterrevolutionäre Stiftungen in ihrem Sinne flexibel auf aktuelle Entwicklungen im Zielgebiet reagieren und für ihre Interessen zu nutzen suchen, liegt in der Natur der Sache. Aussagen über die tatsächlichen Entwicklungen des revolutionären Cuba stehen auf einem ganz anderen Blatt.
2. Zur Ökonomie: »offen-siv« meint, mit den »neuen Entwicklungen … verbundene Probleme« auszumachen, für deren »eingehende Analysen und/oder Einschätzungen … es noch zu früh« sei. Damit wird jedoch bereits deutlich, dass die Redaktion der Meinung ist, dass eine (Neu-?) Bewertung demnächst anstehe.
Die Richtung wird klar, wenn man die diesbezügliche Fußnote heranzieht. Hier wird bemängelt, dass andernorts (also jenseits der »offen-siv«) Bagatellisierung betrieben würde und als Beleg wird ein Zitat aus dem UZ-Artikel von Günter Pohl vom 09.05.08 herangezogen, in welchem dieser nicht explizit auf »die Landvergabe an Privatbauern« eingegangen sei. Nun gibt es an diesem UZ-Beitrag sicherlich einiges Kritisierenswertes, doch gerade der von »offen-siv« gewählte Auszug trifft exakt den Kern, wenn Pohl schreibt: »(…) Dabei werden nicht mehr und nicht weniger als die jeweils für einen günstigen Moment vorgesehenen Maßnahmen durchgeführt.« Eine völlig korrekte Einschätzung! »offen-siv« dagegen verhält sich wie der berühmte alte Weise auf dem Berg, der von dort alles genau im Blick und damit quasi das Interpretationsmonopol hat, wenn sie – bezugnehmend auf die kritisierte Landvergabe – schreibt: »Da sind wir anderer Meinung – denn wir haben bitter erfahren müssen, wohin die innere Aufweichung führen kann« und damit ganz nebenbei eine ökonomische Maßnahme aus einem ganzen Katalog herausnimmt und ideologisch verortet. Doch tatsächlich ist es ja so, dass solche Maßnahmen nicht losgelöst von Raum und Zeit stattfinden (wie Pohl korrekt feststellt): Beim 6. Plenum des ZK der PCC am 28.04.08, das zugleich den nächsten Parteitag einberief, verwies Präsident Raúl Castro auf einen dramatischen Umstand, nämlich den, dass die Produktion von Nahrungsmitteln eine der wichtigsten Aufgaben der Führungskräfte der Partei sei, denn »sie ist eine Angelegenheit der nationalen Sicherheit (…)«[24]! Wie sich die durch den Imperialismus verursachte globale Nahrungsmittelkrise direkt in Cuba auswirkt schildert der »ND«-Korrespondent in Havanna, Leo Burghardt, in der Ausgabe vom 30.06.08: »Auf der Provinzversammlung der Kommunistischen Partei, auf der die neue KP-Leitung der Hauptstadt gewählt wurde, wiederholte Maria Del Carmen Concepción, Mitglied des Sekretariats des Zentralkomitees, was Fidel Castro schon im November 2005 in der Universität Havanna deutlicher und düsterer als je zuvor prophezeit hatte. Sinngemäß: Wenn die kubanische Wirtschaft nicht kräftig zulegt und ein großer Teil der Importe durch eigene Produkte ersetzt, laufe die Revolution Gefahr, sich selbst zu zerstören. (…)2007 hat Kuba beispielsweise für Lebensmittelimporte 1,47 Milliarden Dollar bezahlen müssen. Die gleiche Menge an Nahrungsgütern, 3,4 Millionen Tonnen, würden in diesem Jahr 2,55 Milliarden Dollar kosten. Kuba investiert nur noch, wo Not am Mann ist. Trotzdem beträgt die dafür vorgesehene (und nicht veröffentlichte) Summe das 2,4-fache von der im Jahr 2000 und macht 29 Prozent mehr aus als im Vorjahr.«[25]
Wenn sich die revolutionäre Führung Cubas in dieser Situation u.a. (!) dazu entschließt, eine begrenzte Landvergabe für den Lebensmittelanbau an Privatbauern durchzuführen, da die Substituierungswirtschaft strategische Priorität erhalten hat, so halte ich eine Interpretation der »Aufweichung« für unangebracht und schlicht falsch. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang gut daran, welche Aufregung es 1993 gab, als der US-Dollar als offizielles Zahlungsmittel neben dem Peso legalisiert wurde. Auf dem Höhepunkt der durch die doppelte Blockade bedingten ökonomischen Krise ging es damals um’s tatsächliche Überleben der Revolution und um den – im Wortsinne – schnellen Dollar.
Ein entscheidender Aspekt war damals, dass Fidel – wie üblich – diesen Schritt ausführlich vor dem Volk begründete, hierbei keinesfalls Schönfärberei betrieb, sonder diese – zu dieser Zeit in diesem Raum – ökonomische Notwendigkeit als einen durchaus politischen Rückschritt definierte und an die PCC-Kader als Vorbilder in der anstehenden Phase appellierte. Am 08.11.2004 konnte diese abgeschlossen und der US-Dollar als nationales Zahlungsmittel wieder abgeschafft werden (siehe Fidel-Rede vom 25.10.04 auf www.cubafreundschaft.de[26]). Präsident Raúl Castro ordnete beim o.g. 6. Plenum die aktuellen Maßnahmen ebenfalls eindeutig politisch ein: »Die Partei müsse ihre Arbeit und Autorität den Massen gegenüber weiter verbessern, sagte er und versicherte: „Heute ist ein wichtiger Schritt in der Richtung getan worden, die Rolle der Partei als organisierte Avantgarde der kubanischen Nation zu festigen, damit sie den Herausforderungen der Zukunft besser gewachsen ist, und, wie Genosse Fidel gesagt hat, um die Kontinuität der Revolution zu gewährleisten, wenn ihre historischen Führer nicht mehr da sind.«[27]
3. Zu Hans Modrow in Havanna dokumentiert »offen-siv« Auszüge aus dessen Rede, die er am 23.03.96 vor dem ZK der PCC gehalten hat. Hierbei sollte man sich darüber im klaren sein, wie die (nebenbei gesagt äußerst erfolgreiche!) internationale Politik der PCC aussieht. Die PCC pflegt auf internationaler Ebene – jetzt mal jenseits der ebenfalls exzellenten Politik auf bi-, multilateraler staatlicher bzw. UN-Ebene – Beziehungen, die nicht nur über das Spektrum der marxistisch-leninistischen KPs, sondern auch weit über das kommunistisch-sozialistische Spektrum hinausgehen. Aus diesem weitgespannten Beziehungsnetz kann man jedoch eben nicht schlussfolgern, dass sie (die PCC) sich nun auch die ideologischen Positionen ihrer Gesprächspartner zu eigen machen würde. »offen-siv« schreibt in der redaktionellen Vorbemerkung: »(…) Danach lest Ihr, was Raúl Castro vor 12 Jahren dazu sagte. Warum er es heute nicht mehr sagt, sondern statt dessen der Staatsrat den Gorbatschowisten Modrow offiziell dazu einlädt, seine zersetzenden Thesen vor der cubanischen Führung auszubreiten? Wir wissen es nicht.«
Korrekterweise sei darauf hingewiesen, dass Modrow nicht vom Staatsrat, sondern vom Zk eingeladen worden war, wie auch »offen-siv« etwas weiter richtig schreibt. Und der Vollständigkeit halber sei zusätzlich darauf hingewiesen, dass die komplette Rede, die Raúl am 23.03.1996 vor dem 5. ZK-Plenum gehalten hat, unter www.cubafreundschaft.de nachgelesen werden kann.
Ansonsten ist die insinuierte Botschaft – bei aller Freundschaft – unseriös, denn hier wird suggeriert, dass Rául Castro, der sich in dieser Rede u.a. für den ideologischen Kampf gegen die Geschäftemacherei einer Minderheit von Privatbauern sowie gegen die Diversion durch bestimmte sog. NGOs ausgesprochen hat, diese Haltung heute nicht mehr hätte – was allerdings an keiner Stelle nachgewiesen wird oder werden kann.
Es gibt zahllose gute Argumente gegen die Interpretationen von Modrow über die Liquidierung der DDR. »offen-siv« dokumentiert ja im selben Heft auch einige davon in dem abgedruckten Auszug aus »Das Komplott«. Es stünde der »offen-siv«-Redaktion doch gut zu Gesicht, wenn sie – bezugnehmend auf seine dokumentierten Ausführungen in Havanna – sich ihrerseits mit einem freundschaftlichen Brief und der Darlegung der eigenen Analysen, bspw. mit Verweis auf das selbst herausgegebene Buch »Niederlagenanalyse – Die Ursachen für den Sieg der Konterrevolution in Europa«, an das ZK der PCC wenden würde.
Ein offener Dialog unter Freunden ist m.E. auf jeden Fall »cubanologischen« (Fehl-) Interpretationen vorzuziehen.
Mit internationalistischem Gruß, Heinz-W. Hammer, Essen, 09.07.08