Hermann Jacobs:
Im NÖS-Boot nach Kuba … / …eine Hans-Modrow-Initiative
Auf der Grundlage des Berichts in „Sozialismus“ 5/08 informiert uns „offen-siv“ 6/08 über eine Modrow-Reise nach Kuba und insbesondere über seine Rede vor dem Führungs-Gremium des kommunistischen Partei. Kein Problem an sich, aber es enthält eine Hommage an eine längst vergangene Zeit, genauer: An ein ganz bestimmtes ökonomisches System aus längst vergangener Zeit, zu dem sich die DDR-Führung (ein Teil davon) einst bekannt hatte; es sollte DDR-prägend werden: Das „Neue ökonomische System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft der DDR“, NÖSPL oder kurz auch NÖS genannt. In der DDR, sagen wir es offen, ist es gescheitert, für Kuba entwickelt es Hans Modrow im Nachhinein zu einer Offerte für die Zukunft.
Aber zunächst zu dem, was Hans Modrow gesagt hat. Er stellt gegenüber:„Zwischen sowjetischem Sozialismus-Modell und „Neuem ökonomischen System“ („offen-siv“ S. 26).
Es ist interessant, dass Modrow vom NÖS der DDR als einer Alternative zur Planwirtschaft a la SU spricht. Wenn das bei den Initiatoren des NÖS so gedacht/empfunden worden war, spricht Modrow – heute – mehr aus, als das – damals – bekannt war, mindestens gesagt worden ist, denn als eine Alternative zur Sowjetunion wurde das NÖS in den 60er Jahren nicht vorgestellt – auf keinen Fall von Walter Ulbricht. Aber stimmt das, dann hätte der politische Kreis um Breschnew übrigens Recht gehabt mit seiner Intervention.[28]
Wir können das NÖS hier nicht in seiner ganzen Länge vorstellen, und das tut/tat Modrow in seiner Rede in Kuba ja auch nicht. Aber er sagt etwas sehr Gegensätzliches in Bezug auf beide ökonomischen Systeme und worin er ein Wesen ihrer Unterschiedlichkeit sieht – und worin wohl auch der Rat an die kubanischen Genossen besteht: Ich zitiere aus den verschiedenen Stellen seines Textes, die immer den selben Gedanken, von verschiedenen Seiten aus beleuchten: „Als Walter Ulbricht in den 1960er Jahren eigenständige (!, J.) Elemente in Wirtschaft und Gesellschaft entwickeln wollte … Zu den damals angestrebten Erneuerungen gehörten …- hohe Eigenverantwortung (!, J.) der Betriebe, – wachsende (!, J.) Mitbestimmung in den Betrieben… … Das zentralisierte System der volkswirtschaftlichen Planung in der DDR verhinderte (!, J.) Flexibilität und Eigeninitiative (!, J.) der Wirtschaftseinheiten. Die Sozialleistungen (nach dem 8. Parteitag der SED) stellten sich als Geschenk (!, J.) des Staates dar. Sie wirkten nicht (!, J.) als Leistungsansporn in den Betrieben. Als Leistungsansporn wären Faktoren direkt am Arbeitsplatz (!, J.) und größere Autonomie (!, J.) ausschlaggebend gewesen.“
Nur keine „Geschenke“ vom Staat annehmen, Leistung und Ansporn ist nur, was man sich ganz individuell und selber verdient, so Modrows Botschaft vom NÖS.
Ich könnte auch sagen: Immer am alten bürgerlichen Schema festhalten, privat sein, niemals gesellschaftlich sein. Nie sich also Gedanken machen um Initiative in einer auf den Bedarf, den zu produzierenden Gebrauchswert orientierenden Ökonomie – als sei dieser Gedanke Teufelswerk, das es nicht geben könne …
Hier geht es um Grundverständnisse in der Ökonomie. Das Problem Modrows – und all der vielen anderen Interpreten gleichen Geistes – ist nicht nur (ich betone das), dass sie das alte bürgerliche Denken in Politik und Ökonomie verteidigen, sondern dass sie dem neuen kommunistischen Denken in Politik und Ökonomie keinen Raum geben. Ihr Anspruch ist daher inhaltlich rückwärtsgewandt und formal monopolistisch. Dem Kommunismus, dem kommunistische Denken, nehmen sie das Minimum einer Chance, wenigstens ausgesprochen, wenigstens einmal vorgestellt oder überdacht zu werden. Nur was der Kommunismus angeblich „erstickt“ („Eigenverantwortlichkeit“, „Flexibilität“, „direkter Leistungsansporn“, „Autonomie“) wird angesprochen. Die Sicht Modrows und vieler anderer „Marktsozialisten“ ist noch immer geprägt durch Eigenschaften, die das Privateigentum kennzeichnen und die dadurch einen Ewigkeitsstatus übergestreift bekommen, zum Merkmal menschlicher Natur schlechthin erhoben werden.
Der Kapitalismus trennt Eigentum an den Produktionsmitteln als Privateigentum der Kapitalistenklasse von denjenigen, die die lebendige Arbeit verkörpern, der Arbeiterklasse. Akkumulation, Konzentration und Zentralisation, Monopolbildung, Imperialismus, Krise, Krieg – die Katastrophe. Das bringt gesellschaftliche Korrekturgedanken auf den Plan.[29] Wie Arbeit und Eigentum wieder vereinigen?
Die kleinbürgerliche (Modrow-)Variante sieht so aus: Mir hat einer etwas weggenommen, und nun ist das, was ich besaß, bei einem einzigen nur noch konzentriert: Dem werde ich es wieder wegnehmen – Korrektur der Geschichte; aber nun in der Form des Eigentumstitels, nicht in der Form der Veränderung des Eigentums selbst (vgl. Jugoslawien und die vielen Reformkonzepte vom Prager Frühling über die Gorbatschow-Illusionen bis zum „modernen Sozialismus“ der Brie und anderer). In dieser Form ist der geschichtliche Korrekturgedanke ein auf die Person des Einzeleigentümers gerichteter. Betriebe mögen neue Eigentümer finden, aber damit sind sie noch nicht neue Verhältnisse. D.h. die Produktion der Güter als Formen des Privateigentums, der Geltendmachung von einzelnem Eigentum geht weiter. Auch die Produkte des kollektiven Privateigentums sind Waren. Dieser kleinbürgerlich-antikapitalistische Korrekturgedanke, dieses rückwärtsgewandte Verständnis von Geschichte will nur einen Enteignungsprozess[30] rückgängig machen, sie will noch nicht einen neuen Aneignungsprozess konstituieren.
Damit ist aber die Geschichte nicht objektiv begriffen. Solange ich immer folgende Schere im Kopf habe: die Arbeit … leiste ich ja, sie ist meine Arbeit, sie bzw. ihr Ergebnis will ich haben unter allen Umständen, in allen Formen, die mir möglich sind, – werde ich nie begreifen, dass man nicht nur seine eigene Arbeit, sondern jede Arbeit, darunter auch seine, aber seine Arbeit nur gemeinsam mit jedem anderen Arbeiter aneignen kann, dass das das andere Aneignungsprinzip gesellschaftlicher Art ist; dass es dazu aber einer Voraussetzung bedarf: Ich muss in der Tat das private Eigentums-/Aneignungsverhältnis zu „meiner“ Arbeit aufgeben, ich muss aufhören, mich zu mir als Eigentümer zu verhalten, etwas Besonderes gegenüber der Gesellschaft, der Arbeit anderer zu sein.
Damit, dass ich die bürgerlichen Eigentumsformen aufgebe, gewinne ich etwas: Unmittelbares Eigentumsrecht, das ich vorher ja gerade dadurch, dass ich unmittelbar nur mich besitzen konnte, nicht besaß. Die Aufgabe des Eigentums dem Objekt nach, d.h. dem Wertverhältnis nach, ist die Voraussetzung dafür, dass ein neues gesellschaftliches Aneignungsverhältnis dem Subjekt nach begonnen werden kann. Sonst kann man das nicht! Die Menschen/Arbeiter im Kommunismus sind nur kommunistisch, wenn die Arbeit aufhört, in den Verhältnissen des Privateigentums gefasst zu sein.
Dass die Arbeit aber in ein Eigentumsverhältnis gemeinschaftlicher Art gefasst ist, schließt ein, dass sie einem Wandel ihrer ökonomischen Kategorien unterliegt. „Danach“ ist nichts mehr so, wie es „vorher“ war. Die Auffassung, kommunistische Aneignung komme als ein „Geschenk“ (s.o.) auf das Individuum, wenn sie von der Gesellschaft ausgeht – und dass das ein Problem sein soll -, zeigt nur die tiefe Verwurzelung derjenigen, die so etwas von sich geben, im bürgerlichen Denken, im Denken nach den Kategorien des Wertgesetzes. Aber im Kommunismus setzt sich das Individuum ganz anders in Bewegung – und es sieht für den bürgerlichen Geist so aus, als gäbe es alles weg und behielte nichts, aber: siehe da, es kommt etwas zurück, die Gesellschaft spendet auch. Dass das nicht „der Staat“ ist, sondern ich selber, nur in einer gemeinsamen Form des Selber, das muss erst begriffen werden, dazu ist Aufklärung notwendig. Und die will man oder will man nicht, je nachdem, wie man zum Kommunismus steht.
Hans Modrow meint, diese neue Form der Aneignung seien Geschenke vom Staat, und das sei auch nicht leistungsfördernd. Das nehme der Bürger eben nur so hin. Ja, wenn ich nicht klarmache, dass hier ein Aneignungsrecht besteht, dann mag ich so denken. Aber wir tun ja ein Übriges, dass nicht so gedacht wird, sondern dass jeder, der im Kommunismus arbeitet, begreift, dass er das Recht besitzt, die Arbeit aller anzueignen. Da kommt nicht etwas vom Staat, sondern das bin ich, dass ist meine Arbeit in einem gesellschaftlichen Zusammenhang. Was da scheinbar von außen kommt, das bin ich, das bin ich in meinem neuen Recht. Und was da verteilt wird, sind keine Geschenke, sondern ist meine Arbeit, allgemein verteilt. Es ist klar, dass allgemeine Verteilung einer Voraussetzung bedarf: Allgemeiner Aneignung. Man muss nur bereit sein, in dem, der da allgemein aneignet, nicht den „bürokratischen“ Staat, sondern das Individuum in seinem gemeinsamen Status, also die Gesellschaft zu sehen.
In den wenigen Tagen einer vom „bürokratischen Zentralismus befreiten DDR“ hatte Hans Modrow wohl die Hoffnung, dem NÖS noch einmal eine Chance geben zu können. Einiges in seinem Handeln deutet darauf hin; auch, was von den plötzlich auftauchenden Reformern bis in das Frühjahr 1990 als Offerte an die Regierung Modrow geschrieben wurde, geht in die gleiche Richtung. Es ist nichts daraus geworden. Den Reformer von einst ficht es nicht an, er fühlt sich nicht verraten. Nun wünscht er sich also „NÖS in Kuba“.
Kann Kuba das/ein NÖS machen? Selbstverständlich. Man sollte nicht unbedingt und sofort sagen, dass es sich um einen bürgerlichen Restaurationsversuch durch Kuba handeln würde. Da sind noch viele Übergänge möglich. Weil nicht Kapitalisten es sind, die einen solchen Versuch starten, sondern es Kommunisten durchführen, würde ein wirklich praktiziertes NÖS zunächst mit einer Übergangsphase beginnen, in der sozialistische Betriebe auf Wertökonomie umgestellt würden. Ob sich daraus rein subjektiv gesehen ein Verhältnis von Menschen ergäbe, die Privateigentümer der Betriebe der Realität nach werden wollen und sich damit zu Konterrevolutionären wenden würden, könnte nur ein zweiter Schritt nach dem ersten werden. Es ist eine an sich bürgerliche Reform, aber noch immer erst eine Reform unter kommunistischer Macht. Von dieser hängt alles ab.
Wird/soll uns Kuba (ein erneuertes, versteht sich) endlich Klarheit über das NÖS, seiner Alternativfähigkeit zur „orthodoxen“ sowjetischen Planwirtschaft bringen? Ich bekenne hier: Vom Standpunkt all jener Politiker, Ökonomen und Gesellschaftswissenschaftler, die noch irgendwo in ihrem Hinterkopf haben, das NÖS der DDR wäre wohl doch einen Versuch in der Praxis wert gewesen, wäre es wünschenswert, dass Kuba endlich die Wahrheit über die Möglichkeit eines „alternativen Sozialismus“ ans Licht der Welt bringen würde. Auch wenn Kuba dabei – als sozialistisches Land – draufginge. Einmal angefangen, wäre ja kein Ende abzusehen. Wünschen kann man real so etwas aber nicht – die Gefahren sind unauslotbar, der Verlust wäre unwiederbringlich und das Elend von Millionen Menschen schrie zum Himmel.
Hermann Jacobs, Berlin
- [28] Die Sowjetunion hat ihr ökonomisches System der Planwirtschaft immer als allgemeines System des Sozialismus/Kommunismus empfunden, und das entsprach auch der Marxschen Vorgabe.
- [29] Logisch, dass sie die Gedanke der unterdrückten Klasse, in diesem Fall der Arbeiterklasse, sind. Als außerhalb des Eigentums steht sie ja außerhalb eines Verhältnisses zur Arbeit bzw. steht sie nur innerhalb eines negativen Verhältnisses zur Arbeit. Anders der Kapitalist: Für ihn könnte die Geschichte nun ewig so weitergehen, mit immer neuen Varianten der Konzentration des Eigentums auf Wenige.
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[30] Denjenigen des Monopolkapitals am Rest der Gesellschaft