Richard Georg Richter
Das Buch zur Krise
Rezension: Schumann/Grefe, »Der globale Countdown«
Harald Schumann und Hans-Peter Martin eroberten ab 1996 mit ihrem entlarvenden Buch „Die Globalisierungsfalle“ sowohl Spitzenplätze in den Ranglisten als auch die Herzen aller Kritiker der sogenannten Globalisierung.
Nun, 2008, liegt mit dem Titel „Der globale Countdown“ (ISBN 978-3-462-03979-5) die Fortsetzung dieses Bestsellers vor, diesmal von Harald Schumann und Christiane Grefe geschrieben. Wenn auch manchmal, dem Thema verpflichtet, etwas „betriebswirtschaftlich“ formuliert, so liest sich das „Gerechtigkeit oder Selbstzerstörung – Die Zukunft der Globalisierung“ untertitelte Sachbuch mindestens streckenweise wie ein guter Krimi. Und es erweist sich auch als ein solcher. Bemängeln könnte man lediglich, dass zu viele Themen in einem Buch untergebracht wurden. Aber mir scheint, dass dahinter sogar Methode stecken könnte, nämlich derart, Wissbegierige bei vorliegenden insgesamt 486 Seiten vom Lesen und Kaufwillige mit dem entsprechend hohen Preis vom Kauf abzuhalten. Auffällig und nennens-wert scheint mir auch, dass in den Auslagen des örtlichen Buchhandels der Titel nicht zu finden war. Ich erfuhr aus einer Fernsehdiskussion mit dem Autor davon und bestellte dann problemlos.
Aber zum Buch. Auf den ersten 200 Seiten las ich zu meiner Überraschung fast alles zu den Hintergründen der aktuellen Finanz- und Systemkrise, ihre Genesis, ihre Akteure und ihre Struktur. Als sei dieser Teil geradewegs geschrieben worden, die Hilflosigkeit und Verantwortungslosigkeit der uns regierenden politischen Kaste anzuprangern. Es ginge zu weit, Einzelheiten aufzuführen. Aber schon der Nachweis, dass die jetzt aufgebrochenen Verwerfungen des Banken- und Finanzsektors ihren Beginn 1973 nahmen und ihre Wirkungen auf unser Land durch Gesetze der Rot/Grünen Bundesregierung unter Gerhard Schröder politisch ermöglicht wurden, sind Grund genug, um nachzulesen. Und in diesem einen Rahmen fügen sich dann beispielsweise der Untergang von NOKIA Bochum, der Ausverkauf der IKB, deutsche Wirtschaftspolitik in Russland und vom Westen erzwungene schlechte Arbeits-bedingungen in China und Indien zu einem bedrückenden Bild der Globalisierung der Profite.
Dabei ist es von großem Wert, dass die Autoren bis in das erste Quartal des Jahres 2008 schauten. Aktueller kann ein Sachbuch nicht sein. Diesem Anspruch genügen auch die quellensicheren Anmerkungen und ein ausführliches Register. Wenn ich mir, wie oben geschrieben, eine Aufteilung auch wünschen würde, natürlich gehört der umfangreiche Inhalt zusammen. Und so schließen sich an die, hier nicht so genannte, Krise des Kapitalismus als gesellschaftliche Ordnung die weiteren Schauplätze an. Der Klimawandel wird als Ergebnis bewusster Sabotage und Unterlassung von Wirtschaft und Politik charakterisiert. Die Irrwege der Energieversorgung durch neue Kohlekraftwerke, mittels Atomenergie oder Biosprit werden anhand von Fakten untersucht. Der Leser erhält eine Unmenge von Argumenten für einen Politikwandel und eine notwendige Änderung des Umganges mit der Natur. Dazu kommen Überlegungen und Daten zum Zustand der Demokratie, zu der Wirksamkeit internationaler Institutionen und zur notwendigen und möglichen Rolle Europas in der Weltpolitik. All das liest man sowohl thematisch gegliedert als auch quasi „verzahnt“, ohne das es je langweilig wird.
Natürlich, und das soll nicht abwertend, aber überzogene Erwartungen dämpfend, sein, sind die Autoren nicht frei von Klischees und Zwecklügen, beispielsweise die realsozialistischen Staaten früher oder den Iran heute betreffend. Aber das sei dem Zeitgeist geschuldet. Und trotzdem wird das Buch von den Mächtigen und Regierenden nicht geliebt werden. Es entlarvt und enttarnt all ihre Winkelzüge, die nur einem Zweck dienen: dem Verdienen.
Ich kann dieses Buch jedem politisch oder ökologisch Interessierten nur dringend empfehlen. Denn es macht Mut, für eine bessere Welt zu streiten.
Schumann/Grefe: Der globale Countdown, ISBN 978-3-462-03979-5, Kiepenheuer&Witsch
Richard Georg Richter,
Cloppenburg