Ingo Wagner:
„Kollektiver Imperialismus als Globalisierung” versus Lenins Imperialismustheorie
In der Zeitschrift für Sozialismus und Frieden „Offensiv” wurden jüngst Überlegungen zur Thematik „Imperialismus heute” vorgestellt. Frank Flegel fragt: „Brauchen wir eine neue Theorie des Imperialismus? Inzwischen werde ich zutiefst misstrauisch, wenn Abschied gefeiert werden soll von bewährten Bausteinen unserer Theorie … Zu viel ist Schindluder getrieben worden mit der Umdeutung des Imperialismus … Wir wollen in die Diskussion der Imperialismustheorie einsteigen! … Wir bitten Euch: steigt in die Theorien ein, prüft diese Argumente, vergleicht die Ausrichtung, diskutiert die Konsequenzen …”
Dieser Appell kam zur rechten Zeit. Denn im Vorfeld des DKP-Parteitages gibt es eine rege programmatische Diskussion – auch zum heutigen Imperialismus mit gegensätzlichen theoretischen und politisch-strategischen Intentionen. Was meine Positionierung betrifft: Der Zusammenhang wesentlicher Komponenten der Leninschen Imperialismustheorie mit anderen marxistischen, leninistischen Theoriefeldern wurde bereits in einigen Arbeiten publik gemacht. Und direkt zur Sache – „Kollektiver Imperialismus” – Lenins Imperialismustheorie – „Globalisierung” – habe ich mich gleichfalls – wenngleich kurz, jedoch prinzipiell – geäußert. Diese Debatte insgesamt hat mich angeregt, weiteres aus diesem weiten Feld zu formulieren. Hierbei bemühe ich mich, einiges (Ausgewählte) auf das Grundsätzliche zu konzentrieren; denn in der Diskussion geht es gelegentlich wie Kraut und Rüben durcheinander. Die Feststellung der Entwicklungsmerkmale des gegenwärtigen Imperialismus und ihre Bewertung ist nicht nur Sache tagespolitischer Beobachtung. Eine begründete Einschätzung auf der Grundlage der grundsätzlichen ökonomischen Analysen von Marx, Engels und Lenin „muß darüber hinaus die allgemeinen Tendenzen der historischen Entwicklungsphase, in der wir uns befinden, und deren Bewegungsgesetze herausarbeiten.”
I.
Für die Redaktion „Offensiv” schreibt Flegel: „Wir sind der Meinung, daß es hohe Zeit ist, die Frage, ob wir eine neue Imperialismustheorie brauchen oder ob wir mit der Leninschen gut bedient sind, gründlich zu diskutieren und möglichst verbindlich zu klären.” In meiner Sicht lautet die Antwort als Ergebnis eines längeren theoretischen Nachdenkens: Wir sind mit der Leninschen Positionierung und ihrer Anwendung auf das vor uns liegende 21. Jahrhundert bestens bedient. Diese Antwort impliziert natürlich auch die Tatsache, dass sich die geschichtsmächtige Leninsche Imperialismustheorie mit der Gestaltveränderung des Imperialismus im Verlaufe des 21. Jahrhunderts modifizieren und so ihr substantielles Grundwesen ausprägen und weiterhin historisch unter Beweis stellen wird. Dass sich innerhalb des Imperialismus in historischer Dimension eine widerspruchsvolle Entwicklung vollzieht, die auch auf den Begriff zu bringen ist, gehört zum ABC der Dialektik.
Für eine „neue” Imperialismustheorie plädieren vor allem Leo Mayer und Fred Schmidt. Hierzu hat sich ebenfalls Klaus von Raussendorff geäußert. Mit ihm gehe ich konform, dass praktische Solidarität mit den unterdrückten Ländern ein Prüfstein für kommunistische Politik ist, einen maximal möglichen Beitrag zum internationalen Bündnis gegen den Weltimperialismus zu leisten. In diesem Kontext meint er allerdings, dass sich die ganze Aufregung um den „kollektiven” Imperialismus auf eine semantische Frage reduziert, „wenn inhaltlich klar ist, daß die klassenmäßige Interessenübereinstimmung der Imperialisten … nicht aus dem Grad der internationalen Kapitalkonzentration und den zunehmend transnationalen Formen der Kapitalverwertung … hervorgeht, sondern dass sich das Bündnis der Imperialisten aller Länder aus der internationalen Klassenkampfsituation ergibt, was Lenin theoretisch postuliert hat …” Ergo: „Gänzlich überflüssig sind Scheingefechte, z. B. um das Adjektiv ‚kollektiv’ vor ‚Imperialismus’… Wer also meint, bei dem Begriff ‚kollektiver Imperialismus’ ein dickes Fass nach dem Links-Rechts-Schema aufmachen zu müssen, der liegt meiner Ansicht nach falsch.”
Ohne hier ein solches Fass aufzumachen, meine ich allerdings, dass das Imperialismus-Thema einer grundlegenden zeitgemäßen theoretischen Positionierung bedarf – als Grundlage programmatisch-strategischer Folgerungen für wirklich linke Parteipraxis. Da der Irrtum eine Form des Wissens vom Unbekannten ist, und neben der Wahrheit als integrierendes Moment des sozialen Erkenntnisprozesses erscheint, wird es um solche Irrtümer bei der Entwicklung der marxistisch-leninistischen Theorie auch nicht abgehen. Aber bei dem von Mayer und Schmidt eingebrachten Terminus „kollektiver Imperialismus” handelt es sich in Wirklichkeit um eine solche Positionierung, die das Grundwesen der Leninschen Imperialismustheorie revidiert. Es verwundert deshalb auch nicht, dass eine solche Auffassung auf erhebliche Ablehnung und starken Widerspruch stieß; viele zutreffende Gegenargumente wurden vorgetragen. Auch aus meiner Sicht gilt generell: „Kollektiver Imperialismus” bedeutet tatsächlich ein Abrücken von der Leninschen Positionierung. Und das ist die Frucht dessen, dass dazu übergegangen wird, „Globalisierung” als eigentlich neue Wesensbestimmung für den Imperialismus des 21. Jahrhunderts auszugeben. Mayer schrieb bereits vor Jahr und Tag: „Der Imperialismus von heute ist der Kapitalismus im Prozess der Globalisierung.” Ähnliches kann man auch in der programmatischen Diskussion der DKP lesen. So hält z. B. Peter Ludwig „den Begriff Globalisierung für treffend zur Charakterisierung der gegenwärtigen Haupttendenz des Imperialismus und (stimmt) insoweit mit Mayer/Schmidt überein.” Zwischen „Globalisierung” und „kollektivem Imperialismus” besteht somit Konnexität. Da das Globalisierungsphänomen jedoch das eigentliche tiefere Ursachengefüge der faktischen Aufgabe der Leninschen Imperialismustheorie berührt, beginnen wir hiermit.
II.
Global bedeutet semantisch eigentlich nur: „auf die gesamte Erdoberfläche bezüglich”, weltumfassend. In dieser attributiven Bedeutung als nähere Bestimmung zu einem Namen gehört dieses Wort natürlich zur Umgangssprache.
Der Begriff „Globalisierung” hingegen wurde in Anknüpfung an diese semantische Bedeutung als Kampfbegriff neoliberaler Politik und Ideologie erfunden und ausgestaltet. Dies spiegelt die Interpretationen dieses Begriffs in der linken Publizistik (so oder so) anschaulich wider. Einige Kostproben: Dieter Itzerott verweist darauf, dass der von der Bourgeoisie gestiftete Begriff „Globalisierung” eine Art Zauberformel sei, „die die weltweite Unabänderlichkeit und ewige Stabilität des kapitalistischen Systems vortäuschen soll.” Nach Werner Seppmann ist „’Globalisierung” … das Produkt einer politischen Strategie insbesondere des Finanzkapitals, dem seine traditionellen Betätigungsfelder zu eng geworden waren.” Und Mumia Abu-Jamal: „Globalisierung bedeutet weltweite Anwendung von Gewalt, um lokale, regionale oder nationale Bewegungen zu unterdrücken, die nach Befreiung oder Autonomie streben. Globalisierung bedeut die weltweite Ausbreitung der Medienmaschinerie der reichen Eliten, um einen ungerechten Status quo zu rechtfertigen. Globalisierung bedeutet Terror im Weltmaßstab, um das herrschende System zu schützen.” Oder. „Die Gegenwart der Globalisierung ist geprägt von vielfältigen Konflikten, durch sozialen Aufruhr angesichts von Massenarbeitslosigkeit und -verarmung in den Industriezentren, durch Spannungen in den postsowjetischen Staaten, durch das Scheitern einer nachhaltigen Entwicklung in den sogenannten Aufbruchsmärkten und schließlich durch den Widerständigkeit nationaler Eliten in Russland, China und Indien, sich dem amerikanisch geformten Globalisierungsdiktat zu unterwerfen … Vordergründig modern, birgt Globalisierung, oft als postindustrielle Zukunft apostrophiert, einen reaktionären Kern, nämlich den fortschreitenden und aggressiv betriebenen Abbau der demokratischen Errungenschaften und der Rückkehr zum Urkapitalismus des 19. Jahrhunderts.”
Tatsache ist allerdings, dass der Begriff „Globalisierung” heute unangefochten triumphal die politische Debatte beherrscht. Dieser arg schillernde Begriff ist aussichtsreicher Kandidat für das meistgebrauchte Wort der letzten Jahre. Wesentlich für die Konnexität dieses Beitrages ist folgender Sachverhalt: Er soll den Gesamt-Zustand der Welt (Wirtschaft, Politik, Kultur) erschließen, verschleiert ihn aber, um den Weg zur Maximierung des Profits zu ebnen. Tatsächlich setzt sich dieser Begriff selbst als Medium an das wirkliche Weltgeschehen, welches so nur passiv und neutral beschrieben werden kann. Gianfranco Pala meint deshalb zutreffend, dass man mit einer solchen empirischen Kategorie „ein historisch gewachsenes Konzept in eine geographisch-naturalistische und ahistorische Dimension (übersetzt). Diesem Konzept, das sich historisch in Termini der sozialen Beziehungen, der Dynamik zwischen Produktionsweisen und Besitzverhältnissen gebildet hat, wird so die widerspruchsvolle Bestimmung eines von der Antithetik des Klassenkonflikts geprägten Prozesses genommen.” Deshalb ist er für eine marxistisch-leninistische Erforschung des Imperialismus in unserer Zeit völlig ungeeignet.
Dieser arg schillernde, widernatürliche Begriff „Globalisierung” hat sich inzwischen so in den Sprachgebrauch eingeschlichen, dass er selbst von Linken verwandt wird – mit bedenklichen Folgen für solche, die sich als Sozialisten oder Kommunisten begreifen. Denn es ist doch „äußerst negativ, wenn auch jene, die sich auf den Marxismus und die Geschichte des Kampfes der subalternen Klassen beziehen, ständig diesen Begriff benutzen, ohne sich zu überlegen, was dies schon auf der terminologischen Ebene bedeutet und welche Konsequenzen dies für das Verständnis historischer Phänomene hat.” Dieser Aussage von Stefano G. Azzarà stimme ich vollkommen zu – auch der folgenden: Der „unkritische Gebrauch des Begriffs ‚Globalisierung’ … zeugt von einem schwerwiegendem Maß an Unterordnung und Unbewusstheit, die schändlichste Folge des mangelhaften Nachdenkens der kommunistischen Bewegung über die politische und Systemniederlage in der Auseinandersetzung mit dem Gegner im ausgehenden 20. Jahrhundert.”
Azzardà demonstriert in seiner Arbeit, wie der Gebrauch des Begriffs „Globalisierung” dazu beiträgt, die politische Dynamik bestimmter Erscheinungen der imperialistischen Entwicklung im ausgehenden 20. und beginnenden 21. Jahrhundert völlig auszublenden. Wir wollen hier den Blick in eine andere Richtung lenken: wie der Gebrauch dieses Begriffs de facto dazu führt, Lenins Imperialismustheorie zu demontieren. Exempli gratia:
Der „kollektive Imperialismus” als Prototyp eines „neuen Kapitalismus” wird vor allem von Mayer vertreten. Für ihn ist der heutige Imperialismus als „Kapitalismus im Prozess der Globalisierung” mit dramatischen Veränderungen seines Charakters verbunden; „Es reicht nicht mehr aus, den heutigen Kapitalismus als Monopolkapitalismus zu definieren. Der Kapitalismus von heute ist nicht der Kapitalismus der Zeiten von Karl Marx und Friedrich Engels. Der Kapitalismus von heute ist auch nicht der Imperialismus der Zeit Lenins. Der Imperialismus von heute ist der Kapitalismus im Prozeß der Globalisierung.”
Einspruch! Dass sich der Kapitalismus entwickelt ist eine Binsenwahrheit. Marx, Engels und Lenin selbst haben die objektive „Veränderungs”-Dialektik substantiell auf den Begriff gebracht. Mein Haupteinwand ist deshalb auch nicht, daß neue Erscheinungen des heutigen Imperialismus – sei es als Phase oder Etappe – begrifflich-theoretisch zu bestimmen sind, sondern dass Mayer die Leninsche Bestimmung des Imperialismus als das „monopolistische Stadium des Kapitalismus” nur noch marginal – entgegen allen ökonomischen Tatsachen – betrachtet; Imperialismus von heute soll der Kapitalismus im Prozess der Globalisierung sein. Obwohl Mayer in seinen Arbeiten gelegentlich auch von „kapitalistischer Globalisierung” spricht bzw. diesen Begriff in An- und Ausführungsstriche setzt, fällt doch auf, dass er sich methodologisch-theoretisch der kapitalistisch-neoliberalen Intention de facto unterwirft und zugleich Komponenten einer antiglobalen Kritik darlegt. Scheiden wir diese Symbiose, so zeigt sich folgendes: die durchaus zutreffende Kritik der „kapitalistischen Globalisierung” – mit interessanten und oft auch konstruktiven Analysen – bewegt sich im Rahmen der diesbezüglichen Literatur. Beispielsweise sei hier nur auf Werner Biermann und Arno Klönne: Globale Spiele; Imperialismus heute – das letzte Stadium des Kapitalismus? (Köln 2001) und Vivianne Forrester: Die Diktatur des Profits (München/Wien 2001) verwiesen. Allerdings verbleiben solche antiglobalen Kritiken letztlich im Rahmen des bürgerlich-kapitalistischen Systems; die profunde Auseinandersetzung mit der kapitalistischen Globalisierung hat sich bis zum Griff an die Tür des Ausbruchs aus diesem System herangearbeitet, diese Tür selbst aber noch nicht (zunächst) theoretisch geöffnet. Insofern verbleibt diese Globalisierungskritik (mit ihren unverbindlichen Korrekturforderungen der Auswüchse der kapitalistischen Globalisierung) insgesamt den Interessen der imperialistischen „Quelle” dieser Globalisierung ideologisch untergeordnet. Und das ist deshalb abzuheben, weil sich Mayer als Repräsentant der DKP auf ähnlichem Teerain bewegt. Der Begriff der „kapitalistischen” Globalisierung wird zwar kritisch hinterfragt und mit diesbezüglichen Momenten „aufgefüllt”; aber seine eigene „originäre Globalisierungstheorie” involviert die Absage an Lenins Imperialismustheorie. Wer hier A sagt, der muss auch B sagen; d. h.: wer Lenins Bestimmung des Imperialismus als Monopolkapitalismus de facto negiert, der muss auch den historischen Platz des Imperialismus als „das Sterben des Kapitalismus, der Beginn seines Übergangs in den Sozialismus” – weitergedacht gemäß der gewaltigen Vergesellschaftung der Arbeit durch den Imperialismus heute – negieren, und damit auch die Möglichkeit und Notwendigkeit der historischen Aufhebung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung und der sozialistischen Neuorganisation der Gesellschaft.
Mayer erwähnt auch, dass ohne „strukturelle Eingriffe in die Verfügungsgewalt des Großkapitals … keine wirklichen Fortschritte mehr zu erreichen (sind).” Aber wenn man einmal unterlegt, dass er von einer permanenten Globalisierung des Kapitalismus als Imperialismus ausgeht, so kann man mit gutem Grund unterstellen, dass damit keinesfalls die Lösung der Eigentumsfrage im Sinne von Marx, Engels und Lenin gemeint ist; er meint: „Das Aufwerfen der Eigentumsfrage und der bewussten Steuerung ökonomischer und sozialer Prozesse durch Staat und Gesellschaft, d. h. die Notwendigkeit einer demokratischen Rahmenplanung, gewinnen wieder an Bedeutung.” Ergo: Seine Vorstellungen zu Reformpolitik und Reformalternative verbleiben im Rahmen und auf dem Boden des Kapitalismus – ohne wissenschaftlich sozialistische Konzeption.
Michael Opperskalski hat mit vollem Recht darauf hingewiesen, dass Mayer mit seiner Imperialismusbestimmung als Kapitalismus im Prozess seiner Globalisierung „letztlich und schlicht und einfach beim sozialdemokratisch-revionistischen Theoretiker Karl Kautsky (landet), der im scharfen Gegensatz zu Lenin … zu erkennen glaubte und vermutete, ‚ob es nicht möglich sei, daß die jetzige imperialistische Politik durch eine neue, ultraimperialistische verdrängt werde, die an Stelle des Kampfes der nationalen Finanzkapitale untereinander die gemeinsame Ausbeutung der Welt durch das international verbündete Finanzkapital setzt …’” Die Globalisierungspositionierung von Mayer involviert zweifelsohne eine solche Intention; ich erlaube mir hier den Zusatz, dass sie zugleich eine Variante des Demokratischen Sozialismus offenbart, die auch auf eine gewisse Parallelität mit (Komponenten) der programmatischen Diskussion in der PDS verweist.
Dass die Verwendung des Begriffs „Globalisierung” in theoretisch-abstrakter Form gleichermaßen dazu führt, Marx zu entwerten und Lenin als nichtexistent zu negieren, zeigt das Plädoyer von Christian Fuchs und Wolfgang Hofkirchner für eine „allgemeine Theorie der Globalisierung”. Es wird über ein sowohl neues als auch altbekanntes Phänomen des Kapitalismus der Menschheitsgeschichte geschrieben. Bürgerliche Versionen und Visionen werden vorgeführt – aus der Vergangenheit bis hin zu Ulrich Beck und Anthony Giddens; auch Marx und Engels werden „gleichberechtigt” als Vertreter „ökonomischer Globalisierung” vorgestellt. Eine einheitliche Theorie der Globalisierung soll dazu beitragen, die bisherigen Diskursergebnisse „aus einer neokonservativen in eine humanistische Richtung umzuleiten.” So zu lesen in der „Zeitschrift Marxistische Erneuerung”; kein Kommentar!
Nichtsdestotrotz stimme ich der Überlegung von Azzarà zu: „Die Kategorie der Globalisierung braucht deshalb nicht aus dem Wörterbuch der marxistischen Theorie getilgt zu werden, wir sollten sie jedoch ausschließlich in kritischem Sinn benutzen. Wo es um die Beschreibung der Realität geht, sollte sie dagegen systematisch ersetzt werden durch jenen heute vernachlässigten Begriff, der während des ganzen letzten Jahrhunderts die mächtigste theoretische und politische Waffe der subalternen Klassen in aller Welt war; das heißt, wir sollten bewusst und mit gutem Grund zum Leninschen Imperialismusbegriff zurückkehren.” Die Verantwortlichen der programmatischen Debatte in der DKP wären gut beraten, diesem klugen Rat zu folgen. Und dies schließt keinesfalls aus, die von der „Globalisierungsforschung” aufgezeigten Tatsachen zu nutzen und sie in die Erkenntnis der gesellschaftlichen Prozesse mittels der Marxschen Methodologie einzubeziehen; es geht also darum, „sich diese Errungenschaften anzueignen und zu verarbeiten … und zu verstehen, die reaktionäre Tendenz derselben zu verwerfen, der eigenen Linie zu folgen …” Damit gilt grundsätzlich, dass die Kreation einer marxistischen Globalisierungstheorie generell abzulehnen ist. Die Rückkehr zur Leninschen Imperialismustheorie, ihr Verteidigung und Fortentwicklung gemäß den Gegebenheiten und Erfordernissen unserer Zeit ist das Gebot der Stunde.
In dieser Sicht halte ich es auch nicht für sinnvoll, den Globalisierungsbegriff integrativ in die marxistische und leninistische Positionierung einzubeziehen. Auch Sohn meint, dass die „Phase der Kontinentalisierung innerhalb der kapitalistischen Entwicklung … insgesamt nicht anders als Globalisierung ist…” Und Herbert Münchow schreibt, dass sich eingebürgert hat, „die Begriffe ‚Globalisierung’ und ‚transnationaler Monopolkapitalismus’ mehr oder weniger synonym zu gebrauchen. Dies mag angesichts der imperialistischen Strategie der Globalisierung und der Tatsache, dass die Tendenz zum Weltmonopol unter den heutigen Bedingungen die treibende Kraft der kapitalistischen Ausdehnung ist eine gewisse Berechtigung haben. Doch die Globalisierung im streng ökonomischen Sinn ist eine Grundeigenschaft des Kapitalismus auf jeder Stufe seiner Entwicklung.” Es ist jedoch abwegig, die Marxsche Terminologie durch „Globalisierung im streng ökonomischen Sinne” zu ersetzen. Denn eine solche dem Zeitgeist geschuldete semantische Manipulation verdunkelt die wirklichen ökonomischen Zusammenhänge und erschwert den Kampf für die Leninsche Imperialismuspositionierung. Hans Heinz Holz hat mit seiner Feststellung vollkommen Recht: „Was heute als Globalisierung bezeichnet wird, enthält keine wesentlichen Merkmale, die nicht im Begriff des Imperialismus eingeschlossen sind; wohl aber gibt es neue Erscheinungsformen derselben Grundstruktur”. Globalisierung in den Rang einer marxistischen Formel zu erheben, zeigt sich deshalb als solcher Irrweg, der de facto das Abrücken von Lenins Imperialismustheorie befördert. Und wenn aus pragmatischen Gründen auf den Gebrauch des Termini „Globalisierung” nicht verzichtet werden kann, ist er stets kritisch zu hinterfragen und durch diesbezügliche marxistisch-leninistischen Begriffe zu konterkarieren.
III.
Alle ökonomisch-politischen Daten belegen, dass Lenins Imperialismustheorie in ihren Grundaussagen nach wie vor gültig ist. Dies hat Herpal Brar mit fast schon epischer Breite an Hand von Tatsachenmaterial nachgewiesen: auch der Imperialismus heute ist faulender, sterbender, parasitärer, monopolistischer Kapitalismus”. Diese – und viele weitere ökonomische Analysen – auf die hier nicht eingegangen werden kann – bekräftigen die These von Holz, dass die „allgemeinen Merkmale, die Lenin am imperialistischen Stadium des Kapitalismus herausgearbeitet hat, … auch heute noch zutreffend (sind) … Die Gesamtheit dieser Erscheinungsformen kapitalistischer Weltwirtschaft deckt sich mit den Inhalten des Begriffs Imperialismus; dieser ist nach wie vor die angemessene formationstheoretische Kategorie zur Erfassung der grundsätzlichen Eigenheiten der gesellschaftlichen Verfassung der politischen Handlungsweisen der kapitalistischen Mächte.”
Natürlich gibt es in der Entwicklung des Kapitalismus nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Veränderungen innerhalb des Maßes der kapitalistischen Grundqualität. In meiner Sicht ist der Kapitalismus in eine solche qualitativ neue Entwicklungsphase eingetreten, die aber weder dessen Grundwesen noch den Charakter des Imperialismus verändert. Dies zeigt sich meines Erachtens in drei generellen Qualitätstrends, deren Korrelation und Konkretation allerdings besonderer Darlegungen bedarf. Im Rahmen dieses Beitrages wäre hier das folgende zu verdeutlichen.
Ein erster und zwar übergreifender neuer Qualitätstrend ist, dass sich ständig die (materiellen) gesellschaftlichen Produktivkräfte beschleunigt entwickeln. Durch diesen tiefgreifenden Wandel werden unermessliche Möglichkeiten für den Menschheitsfortschritt eröffnet, die jedoch heute den Verwertungsinteressen des Kapitals unterworfen sind. Insofern gilt Marx: „Ohne Gegensatz kein Fortschritt; das ist das Gesetz, dem die Zivilisation bis heute gefolgt ist.”
Aber in unserer Zeit involviert dieser „Gegensatz” infolge der Entwicklung der technischen Seite der Produktivkräfte die Möglichkeit der Selbstvernichtung der Menschheit. Und die Deformation und Vernichtung der wichtigsten Produktivkraft – des Menschen selbst – ist in steigendem Maße im Gange. Massenarbeitslosigkeit, die extreme Polarisierung von Reichtum und Armut zwischen kapitalistischen Monopolen und der übrigen Welt, die verbrecherischen imperialistischen Kriege, sowie weitere unmenschliche Folgen der weltweiten ökonomischen, sozialen, ökologischen sowie politischen und kulturellen Systemkrise des Kapitalismus zeugen weithin dafür, dass sich die dekadenten und parasitären Züge des kapitalistischen Imperialismus verstärken. Die dem Imperialismus eigene Tendenz zur Barbarei verstärkt sich seit der Niederlage des Sozialismus in Europa zunehmend.
Der zweite neue Qualitätstrend besteht darin, dass in historischer Tendenz an die Stelle eines primär im nationalstaatlichen Rahmen organisierten Kapitals ein transnationaler Kapitalismus tritt. Hierin kulminiert eine neue Stufe der Zentralisation des Kapitals sowie die Tatsache, dass das Finanzkapital und die Finanzmärkte zum beherrschenden Faktor des Wirtschaftsgeschehens in den einzelnen Ländern und in der Weltwirtschaft geworden sind. Ohne hier in concreto in den diesbezüglichen Diskurs eingreifen zu können, sei jedoch abgehoben, dass dieser Trend nicht zur „Abschaffung” des Staates führt, dessen neoliberale Politik die Internationalisierung beschleunigt.
Diese beiden neuen qualitativen Trend kapitalistisch-imperialistischer Entwicklung stehen in korrelativem Zusammenhang mit dem von Lenin skizzierten historischen Platz des Imperialismus als das höchste und letzte Stadium des Kapitalismus, das durch die Errichtung der sozialistischen Gesellschaft mittels der sozialistischen Revolution abgelöst wird. Auch hier zeigt sich heute qualitativ Neues als dritter Trend. Meine These ist, dass die Niederlage des Sozialismus und der herkömmlichen kommunistischen Weltbewegung nicht aus der Welt schaffen, dass der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus als objektiver Prozeß besonderer historischer Art weitergeht. Die Leninsche Positionierung zeigt sich so spezifisch historisch-konkret ausgeprägt. Die neue Stufe der Weltkonzentration des Kapitals und der Produktion mit der Herausbildung des Imperialismus veranlasste Lenin zu folgern: „Wir wollen sehen, wie dieses Übermonopol heranwächst.” Bereits der staatsmonopolistische Kapitalismus überschritt die nationalen Grenzen. Heute tendiert das Kapital zu einem transnationalen Kapitalismus. Dabei bleiben die Nationalstaaten unentbehrliche Machtfaktoren, die die Konzerne beim Kampf um die Profitmaximierung erpressen können. Dabei währt der Kampf zwischen den Kapitaleigentümern als Kampf zwischen „verfeindeten Brüdern”, wie Marx ihn bezeichnet, „fort, intensiviert sich sogar, vergrößert sich proportional zur wachsenden transnationalen Dimension der operierenden Unternehmen und läuft in Richtung eines ökonomischen Weltkrieges.” Aber nicht nur das. Dies bestätigt auch, dass die Leninsche Bestimmung des historischen Platzes des Imperialismus als „Übergang von der kapitalistischen zu einer höheren ökonomischen Gesellschaftsformation” welthistorisch weitergedacht keinesfalls passé ist: „das aus dem Kapitalismus hervorwachsende Monopol ist bereits das Sterben des Kapitalismus”. Zu Lenins Zeiten waren die Kartelle und Trusts allerdings wie kleine Kinder zu den heutigen Multis und Transnationals. „Wir können (zwar) nicht wissen, mit welcher Schnelligkeit und welchem Erfolg sich einzelne geschichtliche Bewegungen der jeweiligen Epoche entwickeln werden.” Doch diese weitere gewaltige Vergesellschaftung schafft wesentliche objektiv-materielle Bedingungen für eine künftige universelle kommunistische Zivilisation – auch wenn dies (noch) nicht unmittelbar mit revolutionären Ausbrüchen großen Stils und dem historisch-konkreten Fortgang der sozialistischen Revolution auf unseren Planeten gekoppelt ist. In dieser Sicht ist KOMMUNISMUS modern; ergo: Es gilt also auch im gegenwärtigen konterrevolutionären Restaurationszeitraum den welthistorischen Übergang zum Kommunismus zu denken.
Zwei Folgerungen sind aus den bisherigen Überlegungen abzuleiten. Eine erste: Die Orientierung „Imperialismus als Globalisierung” verbaut den Weg zu dieser Bestimmung des historischen Platzes des Imperialismus und damit zugleich den politisch-strategischen Weg des Ausbruchs aus dem kapitalistischen System. Und eine zweite. Obgleich sich die kapitalistische Gesellschaft in einer neuen Entwicklungsphase des Imperialismus befindet, ist nicht davon zu abstrahieren, dass sich diese quantitative und qualitative Bewegung des Kapitalismus innerhalb einer solchen kapitalistischen Grundstruktur vollzieht, die Marx im Ersten Band des Kapitals (MEW, Bd. 23) abstrakt allgemein dargestellt hat. Sie bedarf selbstverständlich einer permanenten historisch-konkreten Konkretion sowie einer theoretischen Fortschreibung durch eine marxistische politische Ökonomie, die leider noch im argen liegt.
IV
Von Überlegungen zum weiteren epochalen Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus, der damit verbundenen Frage nach antiimperialistischen radikaldemokratischen Reformen innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft, die historisch langfristig an den Übergang zum Sozialismus heranführen und ihn einleiten (sowie andere Fragen des subjektiven Faktors) müssen wir hier absehen; sie sind in anderen Zusammenhängen des Weiterdenkens der Leninschen Imperialismustheorie auszuloten. In der Intention dieser Abhandlung ist vielmehr ein Exkurs zur imperialistischen Kollektivität und zu der damit im Zusammenhang stehenden Frage Krieg-Frieden in unserer Zeit notwendig. Denn: „Der Begriff ‚Imperialismus’ schließt wesentlich den Krieg ein. … Imperialismus bedeutet den Weltkriegszustand in Permanenz…”
In medias res. Sohn befürchtet, dass sich die bewaffneten Konflikte zur Jahrtausendwende „im Gefolge der imperialistischen Konteroffensive, die wir seit 1989 erleben, in die imperialistischen Zentren zurückverlagern wird. Und: Es „wächst unter der Decke aktueller Politik die Gefahr eines Krieges zwischen den Triademächten von Jahr zu Jahr. Auch Holz meinte noch jüngst: Der vorläufige Sieg des Imperialismus hat die Gefahr … hat „auch die Gefahr eines Krieges zwischen den Metropolen wachsen lassen.”
Raussendorff wendet sich m. E. zutreffend dagegen, einer theoretisch nicht auszuschließende – aber derzeit sehr unwahrscheinliche – Eskalation der Widersprüche zwischen den imperialistischen Zentren zu einer militärischen Konfrontation bereits als einen unvermeidlichen Dritten Weltkrieg zu apostrophieren. Denn ein solcher Krieg wird sogar in den Rang eines „Natur-Gesetzes” erhoben. So kann man lesen, dass früher oder später, wenn nicht durch proletarische Revolutionen verhindert, „die imperialistischen Blöcke, oder eine Kombination von ihnen, unweigerlich aneinander geraten. Ein dritter Weltkrieg erscheint unausweislich.” Oder: „Den Trend zum Welttrust, der auf einer bestimmten Stufe stets in einen Weltkrieg mündet, kann nur durch die sozialistische Revolution beendet werden.” Es wäre natürlich falsch, in welthistorischer Sicht eine solche – für eine absehbare Zukunft – abstrakte Möglichkeit auszublenden, aber: „Es ist jedoch kein ‚Gesetzt’ des Imperialismus, daß die imperialistischen Hauptmächte ihren unaufhebbaren Kampf um die Neuaufteilung der Welt letztlich nur durch einen Waffengang gegeneinander entscheiden können.” Dieser Aussage von Raussendorff stimme ich zu. Als Krieg zwischen den imperialistischen Zentren ist die These von der Unvermeidlichkeit eines „Dritten Weltkrieges” falsch; sie verkennt, dass nicht nur letztlich ökonomische Momente als solche, sondern wesentlich die lebendigen Akteure des internationalen Klassenkampfes – vor allem auf nationalem Boden – aufgrund des bestehenden Kräfteverhältnisses über Krieg und Frieden entscheiden. Über Formen künftiger Kriege und über zu erwartende imperialistische Kriegskonstellationen muss selbstverständlich auf der Basis nachgedacht und diskutiert werden, dass der Imperialismus, der seinen ökonomischen Wesen nach Monopolkapitalismus war, ist und bleibt, jetzt in steigendem Maße dekadenter, parasitärer und sterbender Kapitalismus ist. Und: Wie wird die Frage Krieg-Frieden durch die Kollektivität des Imperialismus tangiert, die Mayer und andere zum Wesensmerkmal des heutigen Imperialismus stilisieren?
Lenin war das Phänomen der Kollektivität des Imperialismus keinesfalls unbekannt. Bei seiner ökonomischen Analyse des Imperialismus hob er auch ab, „wie sich mit der Konzentration des Kapitals und dem Wachstum des Umsatzes die Bedeutung der Banken von Grund aus ändert. Aus den zersplitterten Kapitalisten entsteht ein einziger kollektiver Kapitalist.” Aber diese ökonomisch determinierte imperialistische Kollektivität ändert am Wesen des Imperialismus nichts; seine Ungleichmäßigkeiten und Widersprüche werden dadurch nicht abgeschwächt, sondern verstärkt. Als Wesensbestimmung des Imperialismus schied eine solche Kollektivität für Lenin natürlich aus. Und das gilt selbstverständlich auch für „das allgemeine Bündnis der Imperialisten aller Länder, das dem ökonomischen kapitalistischen Bündnis zugrunde liegt …” Nach Lenin ist dieses allgemeine Bündnis nicht die treibende Kraft der Politik. Selbstverständlich bleibt dieses (ökonomische) Bündnis „nach wie vor die grundlegende ökonomische Tendenz des kapitalistischen Systems, die sich zuletzt mit unwiderstehlicher Kraft geltend machen wird.” Dass der imperialistische Krieg die imperialistischen Mächte unter den Bedingungen einer aufgeteilten Welt „in Gruppen, in einander feindliche Gruppen, in feindliche Koalitionen gespalten hat”, ist nach Lenin eine „Ausnahme von dieser Grundtendenz des Kapitalismus … Diese Feindschaft, dieser Kampf, dieses Ringen auf Leben und Tod bedeutet unter bestimmten Bedingungen, dass das Bündnis der Imperialisten aller Länder hier unmöglich ist.”
Raussendorff hat Recht, „dass die vorherrschende, die ‚Grundtendenz’ des Kapitalismus, das ‚allgemeine Bündnis der Imperialisten aller Länder’ ist” und dass „dieses imperialistische Bündnis … nach dem Verschwinden der sozialistischen Staaten in Europa als die ganze ‚Internationale Gemeinschaft’ oder schlicht die ‚zivilisierte Welt’ firmiert.” Auch damit wird belegt: Das Maß der imperialistischen Kollektivität ist historisch veränderlich; es wird wesentlich stets vom Inhalt und der Gestaltveränderung der Ungleichmäßigkeit der ökonomischen Entwicklung des Imperialismus in wechselseitiger Verknüpfung mit seiner gesellschaftlichen Struktur und dem politischen Kräfteverhältnis insgesamt geprägt. Auch die gegenwärtigen Entwicklungstendenzen des Imperialismus bieten keinen Anlass, ihm das Merkmal „kollektiver” zu verleihen.
Das von Lenin offen gelegte Wesen des Imperialismus involviert, dass dieser „erwuchs als Weiterentwicklung und direkte Fortsetzung der Grundeigenschaften des Kapitalismus überhaupt.” Das Maß der imperialistischen Kollektivität ist hieran gebunden. Das Gerede von einem „kollektiven Imperialismus” hingegen nährt u. a. den grundfalschen Gedanken, dass der Imperialismus künftig seine Ungleichmäßigkeiten und Widersprüche abschwäche. In Wirklichkeit verstärkt er diese. Die Vertiefung seiner ihm innewohnenden antagonistischen Widersprüche bestätigen Lenins Erkenntnis: „Das Finanzkapital und die Trusts schwächen die Unterschiede im Tempo des Wachstums der verschiedenen Teile der Weltwirtschaft nicht ab, sondern verstärken sie. Sobald sich aber die Kräfteverhältnisse geändert haben, wie können dann unter dem Kapitalismus die Gegensätze anders angetragen werden als durch Gewalt?” Dieses Wesensphänomen des Imperialismus zeigt sich in unserer Zeit in neuen Erscheinungsformen. Und dies berührt auch den dialektischen Zusammenhang zwischen der Periode des imperialistischen Friedens und den Perioden imperialistischer Kriege und der damit verbundenen Frage von Bündnissen in der kapitalistischen Wirklichkeit als „notwendigerweise nur ‚Atempausen’ zwischen Kriegen – gleichviel, in welcher Form diese Bündnisse geschlossen werden, ob in der Form einer imperialistischen Koalition gegen eine andere imperialistische Koalition oder in der Form eines allgemeinen Bündnisses aller imperialistischen Mächte. Friedliche Bündnisse bereiten Kriege vor und wachsen ihrerseits aus Kriegen hervor, bedingen sich gegenseitig, erzeugen einen Wechsel der Formen friedlichen und nichtfriedlichen Kampfes auf ein und demselben Boden imperialistischer Zusammenhänge und Wechselbeziehungen der Weltwirtschaft und der Weltpolitik.”
In welthistorischer Dimension bleibt diese Leninsche Positionierung voll gültig – in concreto natürlich in anderen Formen gemäß veränderter geschichtlicher Umstände. Einiges sei angedeutet. Es ist zwar möglich – meint Holz -, „daß die Eigendynamik gegenseitigen Rüstens und die Ausweglosigkeit der allgemeinen Krise des Kapitalismus zu einer explosiven Katastrophe führen.” In welthistorischer Sicht ist dies nicht auszuschließen. Auf der historisch-konkreten Ebene scheint mir allerdings für die nächste Zukunft real zu sein, dass ein kriegerisch-militärischer Zusammenstoß zwischen den imperialistischen Hauptmächten und ihrer Gruppierung eher unwahrscheinlich ist. Hiefür sprechen einige Gründe: Zunächst, dass es gegenwärtig „eine Vielzahl von Fakten der Produktivkraftentwicklung im Imperialismus (gibt), die zwar zu tiefergreifenden Meinungsverschiedenheit zwischen imperialistischen Staaten als logische Konsequenz führen aber nicht notwendigerweise zu einem Weltkrieg.” Wesentlich hierfür erscheint mir weiter der Hegemonismus der Vereinigten Staaten vor allem in ökonomischer, technischer und militärischer Hinsicht Die militärisch-strategische Situation auf unseren Planeten involviert, dass die USA, die nach Weltherrschaft streben, in jedem militärischen Krieg außer gegen China – obsiegen können. Und die Veränderung des imperialistisch-militärischen Kräfteverhältnisses ist nicht von heute auf morgen zu haben; sie benötigt ebenfalls einen bestimmten historischen Zeitrahmen. Aber dies bedeutet nun keineswegs, dass eine solche historisch-konkrete Situation in der imperialistischen Entwicklung den „Drang nach Gewalt und Reaktion” lähmt. Im Gegenteil! Neue Formen des Krieges zeichnen sich ab. Sie sind allerdings nicht (nur) im Sinne des Ersten und Zweiten Weltkrieges, des völkerrechtlichen Kriegsbegriffs und der Anwendung kriegsvölkerrechtlicher Normen zu verstehen; sie involvieren vielmehr einen politischen und sozialen Kernbefund an Gewalt in den internationalen und nationalen Beziehungen – einschließlich bewaffneter Gewaltanwendung. Die scharfe Spaltung der Welt in eine Handvoll Unterdrückerstaaten und die große Mehrheit der unterdrückten Völker ist sicherlich ein Diskussionsfeld über zu erwartende imperialistische Kriegskonstellationen. Und dies wird bereits wesentlich durch den „langfristigen” Krieg der USA offengelegt, der alle Merkmale eines imperialistischen Krieges um die Neuaufteilung der Welt und ihrer Energiereserven – vor allem im Mittleren Osten und in Zentralasien – aufweist.
In dieser Konnexität zeigt sich in meiner Sicht die Globalisierung als eine neue Art und Form des Krieges als Weltkrieg; sie „stellt nach ihrem sozialen Wesen einen Krieg neuen Typs dar, einen Krieg, der bereits den ganzen Planeten erfasst hat. Sein aktives Subjekt ist der globale westliche Überbau, dessen Metropole sich in den USA konzentriert hat und der die ganze Macht der westlichen Welt in seinem Interesse mobilisiert … In diesem Krieg gibt es keine Grenzen zwischen ‚friedlichen’ und speziell militärischen Mitteln, es gibt keine Grenzen zwischen Front und dem Hinterland, es gibt keine Grenzen zwischen Zivilisten und professionellen Militärpersonen. Dieser Krieg ist einzigartig, einheitlich und umfassend. Er differenziert sich in einer großen Zahl von Operationen auf dem gesamten Planeten, einschließlich militärischer im gewöhnlichen Sinne des Wortes … Wenn dieser fundamentale Faktor des gegenwärtigen Lebens der Menschheit ignoriert wird, kann man objektiv nicht ein einziges mehr oder weniger bedeutsame Ereignis auf dem Planeten begreifen.” Über Globalisierung als neuer Weltkrieg sollte man sicherlich in anderen Zusammenhängen weiter nachdenken.
Abschließend: Der Begriff „kollektiver Imperialismus” – verstanden in der Konnexität mit „Globalisierung” als Wesensbestimmung – gedacht als eine Epoche (oder Phase) in der Entwicklung des modernen Imperialismus – ist eine Fehlgeburt mit fatalen theoretischen und strategisch-politischen Folgen. Für die programmatische Debatte in der DKP scheint mir deshalb gleichfalls die Verteidigung und Präzisierung der Leninschen Imperialismustheorie das Gebot der Stunde zu sein. Denn dies bleibt der Schlüssel zur Veränderung der heutigen Welt.
Ingo Wagner, Leipzig