Der rote Oktober – Revolution von weltgeschichtlicher Bedeutung?

Ulrich Huar:
Der rote Oktober – Revolution von weltgeschichtlicher Bedeutung?

Die Weltgeschichte wäre allerdings sehr bequem zu machen, wenn der Kampf nur unter der Bedingung unfehlbar günstiger Chancen aufgenommen würde. Sie wäre andrerseits sehr mystischer Natur, wenn “Zufälligkeiten” keine Rolle spielten. Die Zufälligkeiten fallen natürlich selbst in den allgemeinen Gang der Entwicklung und werden durch andere Zufälligkeiten wieder kompensiert.. Aber Beschleunigung und Verzögerung sind sehr von solchen “Zufälligkeiten” abhängig – unter denen auch der “Zufall” des Charakters der Leute, die zuerst an der Spitze der Bewegung stehen, figuriert.

Marx an Kugelmann, London,
17. April 1871

Anläßlich des 90. Jahrestages der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution werden die Einschätzungen dieses historischen Ereignisses von Historikern, Publizisten und Politikern weit auseinandergehen, in denen die jeweilige Klassenpositionen der Verfasser in unterschiedlichen Nuancierungen ihren Ausdruck finden. Es wird ja schon seit Jahren darüber gestritten, ob der rote Oktober überhaupt eine Revolution war oder lediglich ein Putsch einer bösartigen kleinen Clique. Einigkeit besteht wohl nur darüber, daß es im November 1917 (neuen Datums) in Rußland einige “Unruhen” gegeben haben muß.

Im Folgenden wird Stalins Artikel “Der internationale Charakter der Oktoberrevolution”, “Prawda” Nr. 255, 6. – 7. November 1927, dokumentiert, einem “Zeitgenossen”, dem Generalsekretär der KPdSU(B). Diese Arbeit liegt nun auch 80 Jahre zurück; wie ist sie nach diesen 80 ereignisreichen Jahren heute aus historischer und theoretischer Sicht zu beurteilen? Wie weit waren in diesem Artikel der Charakter dieser Revolution und ihrer internationalen Perspektiven richtig oder falsch reflektiert?

Auch auf diesen Artikel trifft die Marx’sche Erkenntnis zu, daß der individuelle Gedanke immer ein kollektiver Gedanke ist.  Für uns stellt sich die Frage, welche Informationen lagen vor, die Stalin zur Verfügung standen und die er nutzen konnte und mußte. Wie alle Publikationen, ist Stalins Artikel nur aus diesem Kontext seiner Zeit, d.h. Mitte der 20er Jahre des 20. Jahrhunderts zu beurteilen, nicht nach allgemein theoretischen oder abstrakt moralischen Vorstellungen. Selbst was heute nach den Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte in der marxistisch-leninistischen Theorie vorliegt, waren zu dieser Zeit noch offene bzw. ungelöste Fragen. Heute sind wir alle sehr schlau. Ja, wenn wir damals schon gelebt hätten! Wie viele Irrtümer wären der Menschheit doch erspart geblieben!

Welche Quellen standen Stalin für seine Einschätzungen zur Verfügung? Das waren die Erkenntnisse der sich langsam entwickelnden sowjetischen politischen Ökonomie, die sich auf die Marx’sche Theorie und Methode stützte. Der Übergang von der halbfeudal-kapitalistischen Gesellschaft zur sozialistischen Ordnung in einem rückständigen, halbbarbarischen Land mit einer in ihrer Mehrheit analphabetischen Bauernschaft war in der Marx’schen Theorie nicht vorgesehen. Sowohl in der Praxis als auch in der theoretischen Arbeit beschritt die junge sowjetische Gesellschaft Neuland. Irrtümer und Fehler waren dabei unvermeidlich; es wäre ein Wunder gewesen, wenn es keine gegeben hätte. Einem Gedanken des alten Engels folgend könne wir auch hier sagen, daß das Wunderbare nicht die Irrtümer waren, sonder das, was sich in ihren Einschätzungen als richtig erwiesen hatte. Und das war gar nicht wenig.

Um den geschichtlichen Kontext zu verdeutlichen führe ich hier eine Quelle an, aus der Stalin sein Material für seinen Artikel finden konnte. Da diese Quelle sehr wichtig ist, wird aus ihr ausführlich zitiert. Es handelt sich um die Vierteljahresberichte “Wirtschaft und Wirtschaftspolitik 1922-1939”, Band 3, “Internationale Presse-Korrespondenz 1925-1928”, Konjunktur und Krise der KI, als Reprint herausgegeben und eingeleitet von Jörg Goldberg.

Der Verfasser dieser Vierteljahresberichte war Eugen Varga, den älteren Wirtschaftswissenschaftlern als einem der bedeutendsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts bekannt, zumindest den Ökonomen der DDR und der UdSSR.

Die Vierteljahresberichte enthalten vor allem Statistiken aus den kapitalistischen Großmächten, USA, Deutschland, England, Frankreich, Italien, aber auch aus Polen oder aus China, Indonesien, anderen Ländern sowie Einschätzungen der Tendenzen in der Weltwirtschaft.

Neben Statistiken und daraus abgeleiteten Analysen über Konjunktur und Krisen gab Eugen Varga auch kritische Einschätzungen der bürgerlichen Wirtschaftswissenschaften. Wie noch zu zeigen sein wird, konnte Varga 1927 bereits das Ende der Konjunktur und den Ausbruch  einer Weltwirtschaftskrise voraussagen, die 1929 dann auch eintrat.

Stalin kannte die Berichte und Analysen von Varga, ob in der vorliegenden Form, die in deutscher Sprache verfaßt waren, oder in anderen Berichten mit dem gleichen Material für die Kommunistische Internationale und für Stalin als Generalsekretär der KPdSU(B), muß ich offen lassen.

Jörg Goldberg, der Herausgeber der Vierteljahresberichte, verwies in seiner Einführung darauf, daß Varga “gemeinsam mit Trotzki für den III. Weltkongreß der KI die Thesen zur Weltwirtschaftsfrage” ausgearbeitet hat. “Sie wurden vom Kongreß einstimmig angenommen und auch vom IV. Weltkongreß bestätigt… Auf dem II, IV und V. Weltkongreß hielt Varga Referate über die wirtschaftliche Weltlage, auf dem VI. Weltkongreß referierte er über die Lage in der Sowjetunion.”

Varga war von 1922 bis 1926 als Sachverständiger an der sowjetischen Botschaft in Berlin tätig. Seine Berichte an die Botschaft wurden mit Sicherheit an die Sowjetregierung weitergeleitet, von dort auf den Schreibtisch von Stalin. Stalin selbst hat Varga in seinen Berichten auf Parteitagen und Konferenzen mehrfach genannt, was zusätzlich als Beweis dienen kann, daß er dessen Berichte kannte.

Für Verständnis und kritische Einschätzung von Stalins Artikel zum 10. Jahrestag der Oktoberrevolution sind die Berichte Vargas über die Wirtschaftsentwicklung von Ende 1926 bis November 1927 relevant. Es handelt sich um folgende Vierteljahresberichte:

7. Jahrgang Nr. 14 Berlin 4. Februar 1927
7. Jahrgang Nr. 50 Berlin 12. Mai 1927
7. Jahrgang Nr. 78 Berlin 4. August 1927
7. Jahrgang Nr. 110 Berlin 10. November 1927

Es war unmöglich und nicht notwendig alle Statistiken aus diesen Berichten zu dokumentieren. Es handelt sich um rund 200 Seiten (DIN A4) sehr eng bedruckter und z.T. kaum lesbarer Statistiken und Analysen. Es war also eine Auswahl der wichtigsten Einschätzungen und Statistiken zu treffen, die aber aussagekräftig sind. Letztendlich geht es ja bei diesen Berichten darum, die Analysen Stalins zum 10. Jahrestag der Oktoberrevolution zu verifizieren oder als falsch zu verwerfen.. Sollte der Leser oder die Leserin Analogien zur gegenwärtigen Wirtschaftsentwicklung in Deutschland und in der Weltwirtschaft entdecken, so ist zu beachten, daß Analogien methodologisch für das Verständnis der heutigen Weltwirtschaft zwar nützlich sind, aber keine Identität bedeuten.

Varga hat mehrfach in seinen Analysen auf Fehlerquellen in den Statistiken hingewiesen. Sie waren mit methodischen und technischen Mängeln behaftet. Dabei ist zu unterscheiden zwischen fehlerhaften Statistiken und fehlerhaften Interpretationen. Auch bei Statistiken sind sowohl Klassenaspekt aus auch staatlich-nationale Interessen zu berücksichtigen. Jörg Goldberg wies darauf hin, daß die Statistiken deutscher Institutionen die Produktionsziffern und Wertgrößen nach unten korrigiert haben, um die Reparationskosten gegenüber den Siegermächten (im ersten Weltkrieg), vor allem Frankreich zu senken, während die französischen “Statistiker” eher das Gegenteil zu beweisen suchten.

Zusammenfassend kann man über Statistiken sagen:

1. einige stimmen, da die Kapitalisten selbst an einem Mindestmaß an verläßlichen Informationen interessiert sind,

2. einige zeigen “alles was schön” und politisch verwertbar ist, lassen aber wesentliches, was ihnen nicht in den Kram paßt, weg, und

3. gefälschte Statistiken in vielfältigen Formen, je nach politischen Nützlichkeitserwägungen. Hier kann man sich mal auf Churchill berufen, der geäußert haben soll, daß er nur der Statistik glaube, die er selber gefälscht habe.

Um an die Wahrheit annähernd heranzukommen, müssen die widersprüchlichen Aussagen miteinander verglichen, und soweit möglich, mit den konkreten Gegebenheiten konfrontiert werden.. Fehler in der Auswertung der Statistiken durch Varga waren also unvermeidlich. Trotz dieser Einschränkung ändert das nichts an dem Quellenwert seiner Vierteljahresberichte. Man kann nicht oft genug darauf verweisen, daß der Adressat der Schriften und Reden Stalins die einfachen Menschen der Sowjetunion von 1927 waren. In ihrer Mehrheit waren sie noch immer analphabetische Bauern bzw. Arbeiter der ersten Generation, die vom Lande in die Städte gekommen waren und bestenfalls schon einfache Schriften lesen konnten. In dieser Zeit war noch oft das Vorlesen aus der “Prawda” üblich. Die Sprache mußte also einfach und verständlich sein. Auch Wiederholungen einzelner Thesen, Gedanken und Sätze waren als einem didaktischem Prinzip dabei wohl unverzichtbar.

Stalin gliederte seinen Artikel in eine Einführung und in vier Absätzen, in denen seine Begründung und Argumentation für seine Grundthese, daß die Oktoberrevolution von “Weltbedeutung” sei, folgt.

1. Die Oktoberrevolution habe die Front des Weltkapitalismus “durchbrochen”. Zum ersten Male in der Geschichte sei die “Klasse der Unterdrückten und Ausgebeuteten” zur “herrschenden Klasse” emporgestiegen.  Dies wirke “ansteckend” auf die Proletarier aller Länder, was bedeute, daß die Oktoberrevolution die “Epoche der proletarischen Revolutionen in den Ländern des Imperialismus” eröffnet habe.

Die Betonung ist wohl auf “eröffnet” zu legen, d.h., daß diese “Epoche” begonnen hat, wobei eine Terminisierung dieser “Epoche” nicht möglich ist. Marx sprach davon, daß wenn die “materiellen Produktivkräfte in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen geraten, eine “Epoche sozialer Revolution” eintrete; Lenin meinte, daß “die soziale Revolution … nicht anders vor sich gehen kann als in Gestalt einer Epoche, in der der Bürgerkrieg des Proletariats gegen die Bourgeoisie in den fortgeschrittenen Ländern mit einer ganzen Reihe demokratischer und revolutionärer Bewegungen verbunden ist, darunter auch mit nationalen Befreiungsbewegungen der unterentwickelten, rückständigen und unterdrückten Nationen.” [LW 23/52 f]

Über die Dauer dieser “Epoche” legte sich auch Lenin nicht fest. Rückschläge sind in einer solchen Epoche unvermeidlich, wobei die Zerstörung der Sowjetunion durch die Konterrevolution von 1989/90 nicht vorherschaubar war, 1927 wohl am allerwenigsten.

Ist die “Epoche der sozialen Revolution” nun nach der Zerstörung der Sowjetunion beendet? War diese Konterrevolution das “Ende aller Geschichte”? – wie ein amerikanischer Historiker meinte. Die internationale Großbourgeoisie wird da noch einiges erleben

Die Oktoberrevolution habe den bürgerlichen Staatsapparat zerstört, die Macht den Sowjets übergeben, dem bürgerlichen Parlamentarismus der kapitalistischen Demokratie die sozialistische Macht der Sowjets, die proletarische Demokratie entgegengestellt.

Die Oktoberrevolution habe die “Lüge der Sozialdemokraten” entlarvt, daß heute ein “friedlicher Übergang zum Sozialismus auf dem Wege über den bürgerlichen Parlamentarismus möglich sei.” Das dürfte auch heute nicht möglich sein. Zehn Jahre nach der Oktoberrevolution sei praktisch bewiesen, daß das Proletariat imstande sei, das Land “erfolgreich ohne und gegen die Bourgeoisie aufzubauen”, die “ganze Volkswirtschaft  erfolgreich ohne und gegen die Bourgeoisie zu leiten”, den Sozialismus trotz der kapitalistischen Umkreisung “erfolgreich aufzubauen”.

Die Oktoberrevolution habe der “alten Theorie” einen “tödlichen Schlag” versetzt, wonach die Ausgebeuteten nicht ohne Ausbeuter auskommen könnten. Diese “Theorie” bilde den “Eckstein der Sozialdemokratie und deren „Politik der Koalition“ mit der imperialistischen Bourgeoisie.

Nun war das Wachstum der kommunistischen Parteien in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich. Am stärksten nach der KPdSU(B) war zweifellos die Kommunistische Partei Deutschlands, auf die Lenin und Stalin große Hoffnungen gesetzt hatten. Bei diesem differenzierten Wachstum der kommunistischen Parteien in den einzelnen Ländern muß man die unterschiedliche Reife der kapitalistischen Produktionsverhältnisse sowie den Grad der Unterdrückung der kommunistischen Parteien, deren politisch-ideologischen Reifegrad berücksichtigen.

Die Verhältnisse in den USA, Deutschland, Frankreich, England, Italien unterschieden sich wesentlich. Dennoch reflektierte Stalin das Wachstum der kommunistischen Parteien richtig, wie auch die Gründung und Entwicklung der Kommunistischen Internationale bewiesen.

2. Die Oktoberrevolution habe auch einen Schlag gegen das Hinterland des Imperialismus, gegen seine Peripherie geführt und die Herrschaft des Imperialismus in den kolonialen und abhängigen Ländern untergraben. Die nationalen und kolonialen Revolutionen seien in Rußland unter Führung des Proletariats und unter dem Banner des Internationalismus vor sich gegangen. Dadurch seien zum ersten Male in der Geschichte der Menschheit die versklavten Völker zu wirklich freien und gleichberechtigten Völkern emporgestiegen. Ihr Beispiel wirke ansteckend auf die unterdrückten Völker der ganzen Welt. Die Oktoberrevolution habe eine neue Epoche eröffnet, die “Epoche der kolonialen Revolutionen.”

Nach Kritik der Methode des bürgerlichen Nationalismus:

– Methode des Abfalls von einer Nation von der anderen

– Methode der Entzweiung, der Verstärkung der nationalen Feindschaft zwischen den werktätigen Massen der verschiedenen Nationen, haben die “Ergebnisse der Oktoberrevolution diesen Legenden den Todesstoß versetzt.” Die Praxis der Oktoberevolution habe die “Möglichkeit und Zweckmäßigkeit der proletarischen, internationalen Methode der Befreiung der unterschiedlichen Völker als einzig richtige Methode” gezeigt.

Als “direkter Beweis” dafür gelte die Existenz der UdSSR. Sie sei ein “Vorbild der zukünftigen Vereinigung der Werktätigen aller Länder in einer einheitlichen Weltwirtschaft.”

Der Begriff Vorbild mag aus der Sicht der 20er Jahre berechtigt gewesen sein. Der Hinweis auf die „zukünftige Vereinigung der Werktätigen aller Länder läßt die Frage nach der Zeitdauer offen. Nach den konkreten Befreiungsbewegungen Ende der 20er Jahre konnte der Eindruck entstehen, daß sich der weltrevolutionäre Prozeß in einem überschaubaren Zeitraum kontinuierlich vollziehen würde, einzelne Rückschläge eingeschlossen. Gab es denn ein anderes Vorbild als das der Sowjetunion als einem sozialistischen Nationalitätenstaat für eine zukünftige “einheitliche Weltwirtschaft” der Werktätigen?

Und heute? Die Niederschrift vorliegender Dokumentation erfolgte zur Zeit des G8-Gipfels in Heiligendamm, womit wohl die Frage nach dem Vorbild kommentarlos dem Leser überlassen werden darf.

Als Beweis für das Anwachsen der revolutionären Bewegungen in den Kolonien und abhängigen Ländern nannte Stalin die national-revolutionären Bewegungen in China, Indonesien und Indien. Er hätte noch andere nennen können. Diese Bewegungen zeugten von der “wachsenden Sympathie dieser Völker für die UdSSR.” Auch dies war richtig.

Auf die Aufstandsbewegungen in Niederländisch- Indien und Indonesien ging Eugen Varga sehr ausführlich ein. Auf Grund der “geringen Rolle, die Holland in der europäischen Politik” spiele, vergesse man leicht, daß Niederländisch Indien “nach England und Frankreich das volkreichste Kolonialgebiet der Welt besitzt.” Es umfasse 2 Millionen Quadratkilometer und rund 50 Millionen Menschen.

Java, das Zentrum des holländischen Kolonialreiches mit 131.000 km² und einer Bevölkerung von rund 35 Millionen Menschen sei dichter bevölkert als irgend ein Land in Europas, 300 Einwohner auf einen km²!

Die eingeborene Bevölkerung lebe in “größtem Elend.” Varga führt eine Tabelle über Eingeborenenlöhne und Europäergehälter pro Monat im Plantagenbetrieb an:

Java

                                                                                  Freie Arbeiter (Javanen)                Europäer

                                                                                  Gulden                                                     Gulden

Männer (Teilarbeiter)                                   9-12                                                            200-1000

Männer (feste Arbeiter)                               12-15

Frauen (Teilarbeiter)                                     6-12

Kinder (Teilarbeiter)                                      4,50-6

Schreiber                                                             15-50

Aufseher                                                              25-100

Sumatra

                                                                                  Kontraktarbeiter (Javanen)          Europäer

                                                                                  Gulden                                                     Gulden

Männer                                                                 15                                                                250-1000

Frauen                                                                  12

Schreiber                                                             25-75

Aufseher                                                              25-100

Selbst der “Vorwärts” schreibt in einer Amsterdamer Korrespondenz  vom 22. Dezember 1926 (wobei er freilich das Durchschnittseinkommen der Arbeiter mit 200 Gulden jährlich angibt) folgendes:

“Ein Volk, dessen große Masse auf einem der reichsten Böden der Erdoberfläche elender als der elendste Torfarbeiter der Drenter Moore lebt, kann dem Niederländer, der auf diesem Boden ungeheure Reichtümer entnimmt, nicht freundlich gesinnt sein.”

Tatsächlich gärt es seit längerer Zeit in diesen Kolonien. Wiederholte Aufstandsversuche wurden aber immer wieder  niedergeschlagen. Es ist hierbei zu bedenken, daß den 50 Millionen Eingeborenen nicht mehr als 200.000 Europäer gegenüberstehen: weniger als ein halbes Prozent. Die Holländer schlagen die Eingeborenen durch die Eingeborenen selbst, wie die Engländer in Indien:

Die Kolonie Niederländisch-Ostindien hat ein eigenes Heer mit allen modernen Waffengattungen, technischen Formationen und eigenem Generalstab. Die Mannschaften sind Inländer aus den verschiedenen Völkerschaften des Archipels, die Unteroffiziere zum Teil altgediente inländische Soldaten, zum Teil Europäer, die Offiziere bis auf ganz wenige Ausnahmen Europäer. Die Weißen im Heer rekrutieren sich überwiegend aus Holländern. Man trifft wohl noch vereinzelt Ausländer, namentlich Deutsche. … Da die brauen Soldaten durchweg außerhalb ihrer eigentlichen Heimat in mehr oder weniger fremden Völkerschaften stationiert sind, und da sie in den Kasernen mit ihren eigenen Frauen und Kindern zusammenleben, haben sie wenig Berührung mit der übrigen Bevölkerung, sie haben sich bisher als äußerst brauchbar und zuverlässig beim Niederschlagen von Aufständischen erwiesen und dürften auch mit den gegenwärtigen Unruhen fertig werden” (DAZ, 28. Dezember 1926)

Am 4. Juli 1927 konstituierte sich die Nationalpartei Indonesiens unter Führung von Sukarno. Trotz Verhaftungen und Verurteilungen 1930 konnte die nationale Befreiungsbewegung nicht mehr aufgehalten werden. Sie siegte allerdings erst nach dem II. Weltkrieg, wobei die internationale Autorität der Sowjetunion ihren Beitrag geleistet haben dürfte.

Über die Entwicklung in China gab es nach Varga fast keine Statistiken. Die Lage in China sei gekennzeichnet durch Bürger- und Interventionskrieg imperialistischer Mächte und Kriege einzelner Generale gegeneinander. Nach einer Erhebung einer sowjetischen Gewerkschaftsdelegation in Shanghai bestünde der Durchschnittsverdienst in deutschen Pfennigen pro Tag gerechnet: Männer 100-150, Frauen 90-134, Kinder 32-38. In englischen Fabriken erhielten sie am wenigsten.

Auf dem Lande sähe es noch schlimmer aus. Nach deutscher Währung (1926) “verdienten” chinesische Bauernfamilien pro Jahr 400 Mark, etwa 111 Pfennige pro Tag. Diese Zahlen sind vielleicht auch heute noch ganz interessant für Publizisten und Politiker, die sich nicht genug über die “Verletzung der Menschenrechte” in der VR China ereifern können und glauben, diese immer wieder anmahnen zu müssen und geflissentlich übersehen, daß die KP Chinas immerhin den Hunger als soziale Erscheinung abgeschafft und eine bescheidene Grundversorgung für die Masse der Bevölkerung erreicht hat, einer Bevölkerung von rund 1,3 Milliarden Menschen!

Zurück zu Varga. Die politische Lage in China sei gekennzeichnet durch den antiimperialistischen Befreiungskampf und der gleichzeitigen Entfaltung der Klassengegensätze innerhalb des Volkes. “Die Hauptfrage”, meinte Varga “ob aus diesem antiimperialistischen Kampf ein bürgerliches China oder ein China der Arbeiter und Bauern hervorgehen wird, ist auch weiterhin offen”. (1926)

Ein Jahr später, 1927, schrieb Varga, daß nach dem Abfall Tschang Kai Schecks von der linken Koumintang die Kräfteverhältnisse innerhalb der chinesischen revolutionären Bewegung “undurchsichtig” seien. Allerdings habe dieser Sachverhalt die Ursachen, die die chinesische Revolution hervorgebracht habe, keineswegs aus der Welt geschafft. Sie werden weiter wirken und die gleichen Ursachen werden die gleichen Folgen zeitigen.” Es müsse “für jeden Marxisten klar sein, daß die Revolutionierung eines 450 Millionen-Volkes (1927) kein geradliniger, ohne Rückschläge vor sich gehender Prozeß sein kann.” Trotz “des momentanen Rückschlages” sei das revolutionäre China “zu einer Macht geworden”.

Als Ganzes gesehen sei die chinesische Revolution “eine antiimperialistische Freiheitsbewegung: Abschaffung der ungleichen Verträge, Erringung der politischen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit; darin seien “alle Klassen des chinesischen Volkes einig.”

Innerhalb dieser allgemeinen antiimperialistischen Bewegung gäbe es Differenzen nach den daran beteiligten Klassen. Danach sei die chinesische Revolution

a) zum Teil eine bürgerliche Bewegung

b) eine soziale Bewegung der armen Bauern und Handwerker, der “überwiegenden Masse des chinesischen Volkes” und

c) eine soziale Bewegung des Proletariats, das durch die “stürmische kapitalistische Entwicklung in den großen Städten zusammengeballt, aus der tiefsten Unterdrückung durch gewaltige Lohnkämpfe, durch Gewerkschaften und politische Organisationen emporstrebt.”

“Die kämpfenden Klassen sind miteinander verflochten, gehen zeitweilig parallele Wege, bilden verschiedene Kombinationen, wenden sich dann kämpfend gegeneinander, um sich unter dem Druck der Imperialisten wieder zu gemeinsamen Kämpfen zu vereinigen, wobei sich das besondere Klassenbewußtsein – wie immer in revolutionären Zeiten bei allen Klassen sehr rasch entwickelt.”

Die Stellung der imperialistischen Mächte gegenüber der revolutionären Bewegung in China war aufgrund ihrer Gegensätze untereinander widersprüchlich. Einigkeit “bestand nur darin, auf keinen Fall ein nichtkapitalistisches China zuzulassen. Ein solches nichtkapitalistisches China würde

1. die Möglichkeit der wirtschaftlichen Ausbeutung des Landes verhindern

2. Die Position der Sowjetunion außerordentlich stärken und die Möglichkeit, sie erfolgreich anzugreifen, sehr vermindern.

3. die Befreiungsbewegungen in allen Kolonialländern: Indien, Indonesien, Französisch-Hinterindien, Korea usw. unwiderstehlich machen – was ja dann auch nach dem II. Weltkrieg geschah.

Während die USA gegen ein bürgerliches China keine Einwände hatten, stand England unter den imperialistischen Mächten der chinesischen Revolution am feindlichsten gegenüber. England war die koloniale Hauptmacht in Asien mit 5,5 Millionen km² und 330 Millionen Einwohnern. Die chinesische Revolution bedrohte zugleich die britische Herrschaft in Indien, dem “Grundpfeiler der britischen Weltmacht.” Jeder Erfolg der chinesischen Revolution, selbst unter bürgerlicher Führung, stärkte die Positionen der Sowjetunion in Asien gegenüber Großbritannien. Die Vorteile der „ungleichen Verträge” kamen in erster Linie der britischen Regierung zugute.

In einer Rede erklärte der britische Labourführer Thomas: “Wenn man schon Truppen schicke, dann solle man lieber mehr schicken.” ein anderer Labourabgeordneter, Snowden, sagte: Der scharf antibritische Charakter der Bewegung in China ist in weitem Maße der bolschewistischen Inspiration geschuldet … Die gerechten Aspirationen der Chinesen für ihre nationale Unabhängigkeit werden von den Kommunisten zu ihren politischen Zwecken ausgenutzt.” (Daily News, 30.  Januar 1927).

Die “Times” vom 11. April 1927 meinte, daß die “antibritische Stimmung” der Chinesen “dem Einfluß der Moskauer” entgegen käme. “Die Sowjets spielten ihre Karten mit großer Geschicklichkeit aus.” Es war dies die antikommunistische Leier: Nicht die kapitalistische, in diesem Falle kolonialistische, Ausbeutung und Unterdrückung sind die Ursachen revolutionärer Bewegungen, “antibritischer” Aktivitäten der Chinesen, sondern sie sind auf “bolschewistische Inspirationen” zurückzuführen. Es ist das bis heute in der bürgerlichen Historiographie verbreitete Märchen von der sowjetischen Bedrohung“.

Die britisch-französischen Gegensätze fanden in französischen Anschuldigungen gegenüber den britischen Methoden in China, die ihre Seeherrschaft durch Provokateure, Intrigen und Betrug jeder Art ausübten, ihren Ausdruck. Die auf britische Initiative erfolgten Überfälle der chinesischen Polizei auf die sowjetische Botschaft in Peking sowie Konsulate in Tientsin und Schanghai, Ermordung sowjetischer Angestellter in diesen diplomatischen Vertretungen 1927 waren Ausdruck der antisowjetischen Politik des britischen Imperialismus. Die Absicht war, die sowjetisch-chinesischen Beziehungen zu unterbrechen, möglichst einen Krieg der Sowjetunion gegen China zu provozieren, um ihre Macht in China aufrechterhalten zu können. Letztendlich ging der Schuß mal wieder nach hinten los.

Die Schlußfolgerung von Varga: Die imperialistischen Interventionen in China, namentlich die britischen, waren “gleichbedeutend mit einem Vorstoß gegen die Sowjetunion.” Die Befreiung Chinas vom Joch der Imperialisten könne man nur in Anlehnung an die Sowjetunion erfolgen.

Stalin zog aus diesen revolutionären Bewegungen in Asien die Schlußfolgerung: „Angebrochen ist die Ära der Befreiungsrevolutionen in den Kolonien und abhängigen Ländern, die Ära des Erwachens des Proletariats dieser Länder, die Ära seiner Hegemonie in der Revolution.” Die Betonung lag auf “angebrochen”, bei Stalin auch hervorgehoben. Diese Ära der Befreiungsrevolutionen fand nach dem II. Weltkrieg mit Unterstützung der Sowjetunion und anderen Staaten der sozialistischen Gemeinschaft, darunter nicht zuletzt der DDR, ihre Fortsetzung. Selbst nach der konterrevolutionären Zerstörung der Sowjetunion findet diese Ära ihr Weiterführung, wenn auch in anderen Formen, als Stalin 1927 erwarten konnte. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß diese antiimperialistischen Revolutionen noch an Stärke und Einfluß gewonnen haben, trotz des vorläufigen Sieges der internationalen Konterrevolution. Die internationale Autorität der VR China, vor allem im pazifischen Raum, der Einfluß des sozialistischen Kubas auf dem lateinamerikanischen Kontinent sind unübersehbar. Im Nahen Osten und Nordafrika treten die antiimperialistischen Bewegungen in islamischer Ideologie auf, wobei diese antiimperialistische Bewegung zugleich reaktionäre Züge trägt, wie sie im Anti-Marxismus zum Ausdruck kommen. Von einer sozialistischen Revolution sind diese revolutionären islamischen Bewegungen sehr weit entfernt, wobei wir uns davor hüten sollten, sie einfach als “Terrorismus” abzuhaken. Bei der Unterstützung solcher Befreiungsbewegungen mahnte schon Lenin, “reaktionäre und mittelalterliche Elemente” in diesen Ländern zu bekämpfen, den Panislamismus, der die Befreiungsbewegungen mit einer Stärkung der Khane, Gutsbesitzer, Mullahs und anderen Kräften der Reaktion verbinden wollte, zurückzuweisen.

Bei all diesen revolutionär-demokratischen antiimperialistischen Bewegungen bleiben Marxisten-Leninisten Realisten. Die Imperialisten bleiben diesen Bewegungen gegenüber nicht gleichgültig, wie deren Destabilisierungspolitik und Kriege gegen mißliebige Regierungen und Volksbewegungen hinlänglich beweisen.

Bezüglich der Perspektive der antikolonialen Revolutionen hat Stalin richtige Einsichten gehabt, wenn diese Revolutionen auch in Formen verliefen, die 1927 nicht vorauszusehen waren, auch nicht von Stalin.

3.  Aus den Punkten eins und zwei leitete Stalin die These ab, daß “dadurch die Existenz des Weltkapitalismus als Ganzes in Frage gestellt sei.” Von Lenins Imperialismustheorie ausgehend schrieb er, daß die “spontane Entwicklung des Kapitalismus unter den Verhältnissen des Imperialismus – infolge der Ungleichmäßigkeit dieser Entwicklung, infolge der Unvermeidlichkeit von Konflikten und kriegerischen Zusammenstößen, schließlich infolge des beispiellosen imperialistischen Gemetzels in den Prozeß der Fäulnis und des Sterbens des Kapitalismus umgeschlagen” sei.

Unter diesen Bedingungen “mußte die Oktoberrevolution”, der “Abfall eines riesigen Landes vom Weltsystem des Kapitalismus diesen Prozeß beschleunigen, Schritt für Schritt die Grundpfeiler des Imperialismus untergraben.”

Darüber hinaus habe die Oktoberrevolution “in Gestalt der ersten proletarischen Diktatur eine mächtige und offene Basis der internationalen revolutionären Bewegung” geschaffen, “wie diese sie nie vorher besessen hatte und auf die sie sich stützen kann.”

Um jenes “mächtige und offene Zentrum der internationalen revolutionären Bewegung” könne sie sich jetzt “zusammenschließen bei der Organisierung der revolutionären Einheitsfront der Proletarier und der unterdrückten Völker aller Länder gegen den Imperialismus.”

Die Oktoberrevolution habe dem „Weltkapitalismus eine tödliche Wunde geschlagen…, von der er sich nie mehr erholen wird.”

Nach dieser Argumentation folgt der Kernsatz: Der Kapitalismus wird “nie mehr das Gleichgewicht und die Stabilität wiedererlangen, die er vor dem Oktober besaß.”

Stimmt dieser Satz? Ist er nicht durch die konterrevolutionäre Zerstörung des  europäischen Sozialismus widerlegt? Endgültig – praktisch – theoretisch – wissenschaftlich?

Eine unvoreingenommene Analyse der gegenwärtigen ökonomisch-politischen Situation, der Weltwirtschaft und der internationalen Politik dürfte genügen, um Stalins Satz zu verifizieren: Hunger als soziale Erscheinung in Afrika und einigen Ländern Asiens, kein Zugang zu Trinkwasser für etwa eine Milliarde Menschen, Umweltzerstörungen im gigantischen Ausmaß, Kriege und Bürgerkriege in Nahost, in Afghanistan, revolutionäre Massenbewegungen in Lateinamerika, sich gefährlich zuspitzende Gegensätze zwischen den imperialistischen Mächten, Einkreisung Rußlands durch die NATO, weitgehender Abbau des Gesundheits- und des Bildungssystems in der BRD und anderen imperialistischen Ländern, Massenarbeitslosigkeit, Niedriglöhne, Abbau der bürgerlichen Freiheiten, Einführung polizeilicher Überwachungssysteme, Massenflucht aus Afrika – um nur die wichtigsten Symptome einer niedergehenden Gesellschaftsformation zu nennen. Dafür haben wir den G8-Gipfel mit unverbindlichen Empfehlungen und einem Mittagessen auf einem Gutshof.

Stalin erkannte durchaus, daß sich “der Kapitalismus … teilweise stabilisieren” könne. Er könne “die Verwaltung des Landes in die Hände des Faschismus legen, die Arbeiterklasse eine Zeitlang niederhalten”, würde aber seine Stabilität nicht mehr erreichen.

Die Oktoberrevolution habe den Mut und die Kampfbereitschaft der unterdrückten Klassen in der ganzen Welt “auf eine bestimmte Höhe gehoben und die herrschenden Klassen gezwungen … mit ihnen als einen neuen, ernsten Faktor zu rechnen.”

Die Oktoberrevolution habe den werktätigen Massen der Welt eine Perspektive gegeben. Allein “die Tatsache der Existenz des bolschewistischen Staates” hab den finsteren Kräfte der Reaktion Zügel angelegt, dadurch “den unterdrückten Klassen den Kampf für ihre Befreiung erleichtert.”

Daraus erkläre sich auch der “tierische Haß, den die Ausbeuter aller Ländern gegen die Bolschewiki hegen.” Dieser Haß gegen die Bolschewiki werde “den Kapitalismus nicht vor seinem unvermeidlichen Untergang retten…” Dieser Haß gegen die Bolschewiki war eine spezifische Form des Antikommunismus, auf den Marx und Engels schon in der Einleitung zum Manifest der Kommunistischen Partei hingewiesen haben. Alle “Mächte des alten Europas, Papst und Zar, Metternich und Guizot, französische Radikale und deutsche Polizisten hätten sich zu einer “heiligen Hetzjagd” gegen das “Gespenst des Kommunismus” verbündet.

Nach der Pariser Kommune von 1871 geriet die internationale Bourgeoisie völlig aus dem Häuschen. Auch wenn es der französischen Bourgeoisie mit aktiver Mithilfe von Bismarck gelang, die Kommunarden blutig niederzuschlagen, sah sie sich durch die erstmalige Errichtung der Diktatur des Proletariats am Rande des sozialen Abgrundes. Das neue Merkmal der Revolution bestand nach Marx darin, “daß das Volk nach der ersten Erhebung nicht die Waffen niedergelegt und seine Macht in die Hände der republikanischen Marktschreier der herrschenden Klassen übergeben hat, daß es durch die Errichtung der Kommune die wirkliche Leitung seiner Revolution in seine eigene Hände genommen und gleichzeitig das Mittel gefunden hat, sie im Falle des Erfolgs in den Händen des Volks selbst zu halten, indem es die Staatsmaschinerie, die Regierungsmaschinerie der herrschenden Klassen durch seine eigen Regierungsmaschinerie ersetzt. Darin besteht ihr ‘unerhörtes Verbrechen’! Arbeiter, die gegen das Regierungsprivileg der oberen Zehntausend verstoßen und ihren Willen kund tun, die ökonomische Basis jenes Klassendespotismus zu zerbrechen, die organisierte Staatsmacht der Gesellschaft in seinen eigenen  Händen in seinem eigene Interesse handhabte. Das ist es, was die respektablen Klassen in Europa wie in der Vereinigten Staaten in den Paroxysmus von Krämpfen geworfen hat. Das ist die Ursache für ihre Schreie des Abscheus, es sei Gotteslästerung, für ihre wilden Appelle, mit dem Volk abzurechnen und für die gemeinsamen Schimpfereien und Verleumdungen, die sie von ihren Parlamentsbänken aus und in den Bedienstetenstuben ihrer Tagespresse loslassen.”

Und nun erst nach der Oktoberrevolution und den zehn Jahren Sowjetmacht! Dieser Haß, den Stalin erwähnte, hat sich nach dem Sieg der UdSSR über das faschistische Deutschland und der Entstehung und Entwicklung des sozialistischen Weltsystems noch verstärkt, soweit Haß noch steigerungsfähig ist. In der Existenz der UdSSR und ihrer erfolgreichen Entwicklung sahen die Bourgeois die Bedrohung ihres Gesellschaftssystems. Diese Bedrohung war eine soziale Bedrohung, die sozialen, politischen und ideologischen Auswirkungen der Oktoberrevolution und der Entwicklung der UdSSR – vom Hakenpflug zu einer atomaren Weltmacht (Churchill) – aber zu keiner Zeit eine militärische Bedrohung, wie immer wieder zur Rechtfertigung ihrer Kriege gegen die UdSSR behauptet wird.

Die These von der Weltrevolution stammt von Marx, nicht von Lenin, nicht von Stalin, die sie übernommen haben. “Weltrevolution” bedeutet nicht, die militärische Eroberung und Unterwerfung anderer kapitalistischer Staaten. Die These “Weltrevolution” = Eroberung anderer Länder mit militärischen Mitteln, durch Krieg, hat Trotzki zeitweilig vertreten. Da nach seiner Meinung der Sozialismus in dem rückständigen Rußland nicht siegen kann, sondern auf die Revolution im Westen warten müsse, sollte die Rote Armee nach Polen und Deutschland marschieren und dort der Revolution zum Sieg verhelfen. “Sozialismus in einem Land” war nach Trotzki nicht möglich. Darüber gab es harte Auseinendersetzungen zwischen Lenin und Stalin auf der einen Seite, die von der Möglichkeit des “Sieges des Sozialismus in einem Lande” ausgingen und militärische Abenteuer ablehnten, und auf der anderen Seite Trotzki, der die Revolution auf den Spitzen der Bajonette der Roten Armee nach Deutschland tragen wollte. Die bürgerliche These von der “Bedrohung der  freien westlichen Welt” als militärische Bedrohung ist ihrem Grunde nach eine Polemik gegen Trotzki, soweit richtig, aber in ihrer Unterstellung auf Lenin und Stalin, auf die Partei der Bolschewiki bezogen, diente sie der Rechtfertigung und ideologischen Verklärung des aggressiven Raub- und Vernichtungskrieges des deutschen Imperialismus sowie der aggressiven antisowjetischen Politik der Regierungen Großbritanniens, Japans, Frankreichs, der USA und anderer Staaten.

Und heute? Es gibt keine Sowjetunion mehr. Wozu dann die Einbeziehung der baltischen Staaten, Polens und der Tschechischen Republik in die NATO? Wozu dann die nicht mal geleugnete Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Ukraine und Weißrußlands? Wozu dann Marine- und Luftwaffenstützpunkte an der Schwarzmeerküste Rumäniens und Bulgariens, etwa 240 km Luftweg von der rumänischen Küste bis zur Krim, 750 km bis zum Kaukasus-Öl. Sind die heutigen revolutionären antiimperialistischen Bewegungen in der Welt auch auf die “Hand Moskaus” zurückzuführen? Die Sowjetunion erlag der inneren und äußeren Konterrevolution, aber das “Gespenst des Kommunismus” geht in der Welt – nicht nur und nicht einmal an erster Stelle in Europa – herum. Die Ursachen für die Revolutionen – unabhängig von ihren konkreten unterschiedlichen Formen und Zielstellungen – in den Verhältnissen des kapitalistischen Weltsystems in seiner spätimperialistischen Gestalt, in ihrer eigenen Politik zu erkennen, sind die Bourgeois nicht fähig. Das übersteigt ihren politischen Verstand. Daraus folgt auch nach der Zerstörung des sozialistischen Weltsystems, aus ihrer sozialen Angst auch heute noch ihr Haß gegen jedwede kommunistische Bewegung, die Sowjetunion – und in Deutschland speziell die DDR – noch im Nachhinein zu verteufeln, zu „delegitimieren”, wie Herr Kinkel so deutlich formuliert hat.

Zurück zur Frage nach der Stabilität des Kapitalismus aus der Sicht Stalins Ende 20er Jahre. Der Terminus “Stabilität” fand in der ökonomischen Literatur – nicht nur in der marxistischen – häufig Anwendung. Unter “Stabilität” verstand man die Wiederherstellung der Volkswirtschaft nach dem I. Weltkrieg, die Überwindung der Kriegsschäden, Rückzahlung der Kredite an die USA von den Schuldnern Frankreich, England und anderen, die Reparationszahlungen Deutschlands usw. Stalin verglich die “Stabilität” des kapitalistischen Weltsystems  vor dem Weltkrieg mit der Situation der kapitalistischen Staaten danach, wobei er, wie schon weiter oben gesagt, zu der Schlußfolgerung gelangte, daß der Kapitalismus die Vorkriegsstabilität nicht mehr wiederherstellen könne.

Wir finden bei Eugen Varga wiederholt den Terminus “Stabilität” sowie “Stabilitätskrise”, womit er Krisenerscheinungen im Prozeß der Widerherstellung der Wirtschaft nach dem Weltkrieg kennzeichnete.

Im Folgenden dokumentiere ich aus den Vierteljahresheften von Varga nach Sachgebieten, nicht in chronologischer Reihenfolge. Es handelt sich dabei um Hefte vom Ausgang 1926 bis November 1927, wie aus dem Literaturverzeichnis ersichtlich, weil die Aussagen dieser Hefte für Stalins Einschätzungen relevant sind.

Ausführlich setzte sich Varga mit der bürgerlichen Konjunkturforschung auseinander. “Die Nachkriegszeit” habe “eine neue Wissenschaft entstehen lassen: Die Konjunkturforschung.”

Ausgehend von der Marxschen Krisentheorie, in der die Umschlagszyklen enthalten sind: “Zustand der Ruhe, wachsende Belebung, Prosperität, Überproduktion, Krach, Stagnation, Zustand der Ruhe usw.” Die zyklische Bewegung sei untrennbar mit der kapitalistischen Produktionsweise verbunden, gehöre zu ihrem Wesen als einer antagonistischen Produktionsweise. Marx habe sich dagegen verwahrt, die Krise der kapitalistischen Produktionsweise als “bloße Möglichkeit” zu begreifen, daß es also “zufällig” sei, ob sie eintrete oder nicht.

“Sinn und Zweck der neuen ‘Wissenschaft’ der Konjunkturforschung” sei es, “den Gang der Konjunktur zu beobachten, die Krisenmomente rechtzeitig zu erkennen, um es den Kapitalisten zu ermöglichen, den Übergang für sie möglichst leicht zu machen. Einzelne Narren hoffen sogar, auf dem Wege der Konjunkturforschung zu einer  ‘ konjunkturlosen Wirtschaft’, zu einer ewigen Prosperität des Kapitalismus zu gelangen.”

Aus der Kritik Vargas an bürgerlichen  Ökonomen sei hier einer aus den 20er Jahren genannt, Gustav Cassel. Nach Cassel gäbe es “keinen Wert”, “noch weniger einen Mehrwert.”, auch “keinen Profit”, keinen Imperialismus. Es gäbe nur “Knappheit”, “Knappheit an Kapital”, daher müsse für Überlassung und Nutzung von Kapital Zins gezahlt werden, Knappheit an Boden, an Geld , an Arbeitern usw. “In dem Bestreben, alle Widersprüche und Gegensätze aus der Welt zu schaffen” konstruiere Castel “unzählige falsche Zirkel”, mache er “die erbaulichsten logischen Kopfsprünge…”

Die bürgerliche Nationalökonomie sei theoretisch hinter Ricardo zurückgefallen. “um der Erkenntnis auszuweichen, daß die kapitalistische Produktionsweise ebenso historisch bedingt und zum Verschwinden verurteilt ist wie alle vorhergehenden Produktionsweisen, verzichten sie auf jede theoretische Einsicht in die kapitalistische Gesellschaft!”

Es gäbe unzählige “Krisentheorien” und ihre Zahl vermehre sich von Jahr zu Jahr. Varga führt einige dieser Theorien an, worauf hier nicht eingegangen werden kann und muß. Für einen Wirtschaftshistoriker wären sie vielleicht von Interesse.

Zwei amerikanische Ökonomen, V.L. Thorp und W.C. Mitchell, verwerfen den Begriff “Krise” überhaupt. An Stelle der “Krise” wurde “Rezession” gesetzt, da “nicht jeder Übergang von der Prosperität zur Depression ein krisenhafter sein” müsse.

Gerade in diesem Punkt mache sich der Klassencharakter der bürgerlichen Wirtschaft scharf geltend. “Für die Arbeiterschaft” sei “die Tatsache wichtig, daß beim Umschlagen der Prosperität in die Depression massenhafte Arbeitslosigkeit eintrete. “Daher bedeute für die Arbeiterschaft jedes Umschlagen eine Krise. Vom kapitalistischen Gesichtspunkt werde “von einer Krise dann gesprochen, wenn der Umschlag der Prosperität in die Depression mit einer Kreditkrise und massenhaften Bankrotten kapitalistischer Unternehmen verbunden” sei; “ein Umstand, der für die Arbeiterschaft gänzlich gleichgültig” sei.

Eine altbewährte Methode, man ändere die Terminologie, schon hat man unliebsame Sachverhalte abgeschafft. In diesem Falle: Krisen gibt es nicht.

Die Entwicklung, Konjunktur – Krise verlief in den einzelnen Ländern unterschiedlich, sogar innerhalb der einzelnen Länder. Einige Bereiche konnten Konjunktur haben, andere steckten in der Krise. Aus diesem Meer von widersprüchlichen Tendenzen in einzelnen Ländern und innerhalb dieser Länder eine gesetzmäßig determinierte Grundtendenz abzuleiten, war nur mit Hilfe der Marxschen dialektisch-materialistischen Theorie und Methode möglich. Varga bewältigte diese schwierige Aufgabe. Es wäre ein Wunder gewesen, wenn ihm dabei keine Fehler unterlaufen wären, worauf er mehrfach hingewiesen hatte. Wenden wir uns zunächst den einzelnen Ländern zu.

Deutschland

Die bürgerliche Presse spreche von “einem Jahr des Aufschwungs” (1926). Es wäre ein Jahr des Aufschwungs für die Kapitalisten gewesen, für die deutschen Arbeiter ein Jahr weiterer Verelendung. Es habe eine „starke Steigerung” der Arbeitsproduktivität gegeben, doch der „Reallohn der Arbeiter” sei nicht höher als vor einem Jahr (1925) gewesen.

Hinzu käme eine “gewaltige Masse” von “chronisch Arbeitslosen”. Die Zahl der unterstützten Arbeitslosen sei von Dezember 1925 bis Dezember 1926 von 1.486.000 auf 1.745.000 gestiegen. Die tatsächliche Zahl dürfte über 2 Millionen betragen. Die Tendenz der Monopolbildung habe in den letzten Monaten “weitere Fortschritte” gemacht. In der Landwirtschaft seien durch einige Maßnahmen wie die Erhöhung der Agrarzölle auf Importe die Getreidepreise in die Höhe getrieben worden, zugunsten der Großgrundbesitzer und “reichen Bauern.” Gleichzeitig erfolgte eine systematische Drückung der Löhne unter Ausnutzung der hohen Arbeitslosigkeit und Heranziehung “noch billigerer polnischer Arbeiter.”

Die Bourgeoisie habe zwar ein “profitables Jahr” hinter sich gebracht, aber das “Problem der deutschen Wirtschaft” sei “keineswegs gelöst.” Gegenwärtig (August 1927) habe die deutsche Industrie” Hochkonjunktur”, aber wie die Arbeitslosen wieder in den Produktionsprozeß einbezogen werden können, bleibe ein ungelöstes Problem.

Die Produktivität der Arbeit sei durch Anwendung der Technik und Maschinerie “außerordentlich” gestiegen. Dabei sei der Widerspruch zwischen “Ausdehnung des Produktionsapparates” und “verschwindend geringer Vermehrung der produktiv tätigen Arbeiter” ein “ständiger” geworden. Bei einer “verhältnismäßig geringen Zahl der produktiven Arbeiter bei gleicher Mehrwertrate 1.) wie 1907 müßte die Profitrate 2.) in Deutschland stark gefallen sein.”[1]

Dies sei aber nicht der Fall, da “die Ausbeutung der Arbeitskraft infolge der intensiven Arbeit eine höhere ist als vor dem Krieg.” “Steigende Produktivität infolge technischen Fortschritts und erhöhter Intensität der Arbeit” müßten “auf diese Weise den Entgang von Mehrwert infolge der relativ sehr verminderten Zahl der produktiven Arbeiter ersetzen.”

Die “Hochkonjunktur” in Deutschland sei voraussichtlich von “kurzer Dauer”. Auffällig sei die “Kürze der einzelnen Phasen des Krisenzyklus::

Stabilisierungskrise:                                Herbst 1923 – Sommer 1924

Gute Konjunktur:                                      Herbst 1924 – Herbst 1925

Rationalisierungskrise:                          Winter 1925/26 – Herbst 1926

Besserung der Konjunktur:                 Herbst 1926 – Winter 1926/27

Gute Konjunktur:                                      Frühjahr 1927

Varga nannte auch die Ursachen für die Kürze der Konjunkturwellen im Vergleich zum “normalen” Krisenzyklus: Die Armut des deutschen Kapitalismus an Kapital. Im Unterschied zum “normalen Krisentyp” sei ein neuer Krisentyp eingetreten. Im “normalen” Krisentyp werde in der Sphäre der Produktionsmittel (bei Marx Abteilung I) so viel Kapital angelegt, “daß für die Produkte der erweiterten Anlagen bei der gegebenen Produktionskraft der Gesellschaft kein Absatz vorhanden” sei, also eine Überproduktion an Konsumtionsmitteln eintrete (bei Marx Abteilung II).

In Deutschland entstünden die Krisen dadurch, “daß das vorhandene Kapital nicht “ ausreiche, “um begonnen Ausweitungen des Produktionsapparates (Abteilung I) zu Ende zu führen. Bei Kapitalanlagen in Form von Produktionsmitteln, Banken etc. zeige sich, “daß es unmöglich sei”, von dem Wertprodukt des laufenden Jahres einen  entsprechend großen Teil in Form von fixem Kapital, dessen Wert erst in einer langen Reihe von Jahren in Warenform wieder erscheint bzw. Geldform annehmen kann, festzulegen, ohne daß ein Kapitalmangel in Abteilung II eintritt, der sich dann selbstverständlich in Form eines Mangels an Geldkapital, an Leihkapital geltend mache.

“Durch diesen Mangel an “freiem Kapital” wird auch jede kleine Störung im Umschlag des Kapitals, jede kleine Stockung in der Zirkulationssphäre, die bei Vorhandensein genügender Kapitalien glatt überwunden werden könnten, die Tendenz zeigen, sich zu einer Krise zu entwickeln. Anders ausgedrückt: Die deutsche Wirtschaft ist in der Zwangslage, durch sich immer wiederholenden Kapitalimport den Fortgang der Konjunktur zu ermöglichen.

Der Bedarf an Auslandsanleihen wurde immer höher:

In Millionen Mark

1924                     1925                     1926

1001                     1244                     1516

Der Präsident der Reichsbank, Schacht, glaubte Ende 1926, daß der deutsche Kapitalismus weitere Anleihen entbehren könne. Im April 1927 wurden erstmalig keine Auslandsanleihen mehr aufgenommen, was “mit einem vollständigen Mißerfolg” endete.

Die Auswirkungen der Hochkonjunktur in Deutschland waren ebenfalls unterschiedlich. Während der Nominallohn der gesamten Arbeiterklasse “stark gestiegen” sei, habe sich der Reallohn nicht erhöht. Die Intensität der Arbeit sei durch die Rationalisierung “erheblich gestiegen.” Daraus könne geschlossen werden, “daß die Ausbeutung der Arbeiterschaft heute stärker als früher” sei. In Auswertung mehrerer Statistiken gelangte Varga zu dem Schluß, “daß keinerlei Anzeichen dafür vorhanden” seien, “daß die Millionenarbeitslosigkeit in Deutschland am Verschwinden wäre.”

Varga glaubte, “daß die gegenwärtige Hochkonjunktur noch in diesem Jahre zu Ende gehen und sich schwerlich in das Jahr 1928 hinüberziehen” werde. “Entscheidend” sei, “daß die Tatsache der Hochkonjunktur keine Gesundung der deutschen Wirtschaft” bedeute und nicht imstande sei, “das Problem der Einbeziehung der Arbeitslosen in den Produktionsprozeß oder die nötige Ausdehnung des Auslandsabsatzes des deutschen Kapitalismus zu schaffen. Die Tatsache der Hochkonjunktur sei “daher weder ein Beweis gegen die Relativität der Stabilisierung des Kapitalismus im allgemeinen, noch bedeute sie, daß die besonderen Probleme des deutschen Kapitalismus irgendwie zu einer Lösung gebracht werden  können.

Im November 1927 notierte Varga, daß die Frage nach der Art, “wie die Hochkonjunktur enden” werde, noch offen sei. Für die Arbeiterschaft sei “eine neue, sehr starke Erhöhung der Arbeitslosenzahl” zu erwarten.

Die Reichsbank habe am 4. Oktober (1927) ihren Zinsfuß auf 7 Prozent erhöht. “Eine siebenprozentige Bankrate bedeute das Eingeständnis, daß eine Krise in Sicht ist.”

Das ganze System sei “bereits so angespannt, die Widersprüche  so auf die Spitze getrieben, daß eine nahe Krise unausweichlich zu sein scheint.”

Eine Prognose, die zwei Jahre später ihre Realisierung fand.

Frankreich

Frankreich befände sich “in einem Zustand der Depression”, “einer schleichenden Stabilisierungskrise.” Dies zeige sich jedoch “nicht in den heftigen Formen wie in Deutschland und Polen, sondern in Form einer allgemeinen Verlangsamung des ökonomischen Lebens auf allen Gebieten: Produktion, Verkehr, Börse usw.”

Eine Besonderheit in Frankreich bestünde darin, daß der Ausbau der Industrie nicht durch Akkumulation selbst finanziert werde, sondern durch “großzügige Expropriation des Vermögens der französischen Mittelschichten.”

Varga sagte aus der Analyse des letzten Quartals 1926 voraus, daß die französische Bourgeoisie in der “nächsten Zeit” zu einer “großzügigen Offensive gegen die Arbeitsbedingungen des französischen Proletariats, gegen Lohnhöhe und Achtstundentag” schreiten werde. Dabei werde sie auf “scharfen Widerstand des Proletariats stoßen.” “Die relativ friedliche Periode des Klassenkampfes” ginge “auch in Frankreich zu Ende.”

Im Laufe des Jahres 1927 fand die Prognose Vargas ihre Realisierung. Varga zitierte aus der “Frankfurter Zeitung” vom 14. Januar 1927: “Seit langen Jahren” habe “Frankreich wieder eine ernsthafte Arbeitslosigkeit.” Die Arbeitslosigkeit werde von der französischen Bourgeoisie für Lohnkürzungen genutzt. Neueinstellungen erfolgten zu niedrigeren Löhnen als bisher.

Die offiziellen Zahlen über die Arbeitslosigkeit gäben “nicht einmal annähernd einen Begriff” von deren wirklichen Größe. Nach vorsichtigen Schätzungen wären es einige Hunderttausend. Dagegen nehme die Zahl der Kurzarbeiter  demgegenüber um “ein Vielfaches” zu.

Die Ausdehnung der Kurzarbeit sei in Frankreich sehr stark. Im Departement Isére gäbe es nach amtlichen Angaben nur 14 Arbeitslose, aber in 154 Unternehmen “nicht weniger als 16.534 Kurzarbeiter…, deren Arbeitszeit wöchentlich zwischen 16 und 46 Stunden“ variiere.

Zur Verminderung der Arbeitslosigkeit trage auch die Abwanderung der ausländischen Arbeiter “viel bei.” [ In Frankreich gab es viele Arbeiter aus den Kolonien, die zu Krisenzeiten wieder das Land verließen. U.H.]

England

Im Mittelpunkt von Vargas Analyse der englischen Wirtschaft stand der gewaltige englische Bergarbeiterstreik von 1926.

Die Arbeiter seien geschlagen. Es gäbe keinen nationalen Tarif mehr, an einzelnen Orten selbst keinen Distrikttarif. Die Arbeiter seien gezwungen unter einseitig diktierten Bedingungen zu arbeiten.

Die Arbeitszeit wurde überall verlängert, entweder um eine Stunde oder in profitableren Gruben nur um eine halbe Stunde. Die Löhne wurden vorläufig nicht oder nur wenig reduziert. Starke Lohnkürzungen würden erst im Frühjahr und Sommer 1927 folgen.

Die englischen Bergarbeiter seien zwar geschlagen, aber nicht gebrochen. Trotz ihrer Niederlage bedeute der Bergarbeiterstreik “einen gewaltigen Fortschritt in der Revolutionierung der englischen Arbeiterschaft. Der Glaube an einem über den Klassen stehenden Charakter des Staates und der Regierung sei zerbrochen.

Die Erkenntnis des Klassencharakters der bürgerlichen Regierung sei das “wichtigste Ergebnis” dieses gewaltigen Ringens. Varga erwies sich als Realist, wenn er darauf hinwies, daß das englische Proletariat “noch viel lernen” müsse. Es dürfe keine Hoffnungen auf den Wahlzettel setzen, auf eine “Majorität der Arbeiterpartei im nächsten Parlament”, auf eine “Arbeiterregierung.”

Die “Ideologie des Wahlzettels” könne nur durch die Erfahrung mit der parlamentarischen Majorität der Labourpartei gebrochen werden. In der Labourpartei wirkten Millionäre wie Mosley, Baldwin jr., offene Anhänger der Klassenharmonie wie Mac’donald, Thomas usw. Sie würden in der Regierung eine Politik für die Kapitalisten und gegen die Proletarier führen.

Die Bourgeoisie habe die “Gefahr der Revolutionierung der Arbeiter” als Auswirkung des Streiks erkannt. Hinzu kämen die materiellen Verluste, die die Bourgeoise durch den Streik erlitten hatten.

Die bürgerliche Presse entfachte eine Propaganda für “Frieden in der Industrie”. Neben Vertretern der Konservativen, Bischöfen, Gelehrten und anderen Intellektuellen gingen die Gewerkschaftsführer “freudig auf die Anregungen der Kapitalisten” ein, steuerten einen “Burgfrieden” an, eine “Zentralarbeitsgemeinschaft.”

In seiner Rede vom 11. Januar 1927 regte Herr Henderson die Gründung eines “Vereinten Nationalrates” an, ihm sollten Gewerkschafter, Vertreter der Labour Party und der zentralen Arbeitgeberorganisationen [National Confederation of Employers Associations] angehören. Diese sollten die “ganze industrielle Lage” “unverbindlich” besprechen. Wenn die englische Bourgeoisie auch bemüht sei, Optimismus zu verbreiten, so gäbe es jedoch keinen Grund dafür.

Die Arbeitslosigkeit sei weiterhin “gewaltig”, etwa zwei Millionen von 15 Millionen im Arbeitsprozeß stehenden Arbeitern. Hinzu komme die Masse der “Paupers”, unterstützte Arme. Von Januar bis Ende November (1926) sei deren Zahl von 1.439.800 auf 2.175.097 nach offiziellen Zahlen gewachsen. Berechne man das Minimum, so gäbe es 1, 5 Millionen unterstütze Arbeitslose und 1,5 Millionen unterstützte Paupers mit ihren Familien. Dies sei eine Armee von fünf bis sechs Millionen Menschen, der sechste Teil der Bevölkerung von “merry old England”.

Im ersten Halbjahr 1927 habe es eine “sich bessernde Konjunktur” gegeben, aber: im Juni “bereits Anzeichen, daß die neuen Bestellungen geringer” seien “als die Produktion.”

Die Verschlechterung der Konjunktur verlaufe ungleichmäßig. Besonders stark betroffen seien die traditionellen Zweige der Industrie – Kohlenbergbau, Eisen, Stahl, Baumwolle – betroffen, weniger die neuen Industriezweige – Elektro – Automobil – Kunstseide – Chemieindustrie. Aber diese neuen Industriezweige stellen nur 10% der gesamten Industrie dar. Besonders der Kohlenbergbau sei von einer “außerordentliche schweren Krise” betroffen. Dies habe zu einer Steigerung der Ausbeutung der Arbeiter geführt. Die Arbeitsleistung, berechnet nach Arbeitstagen (ohne Einbeziehung der Feierschichten) sei um 16 % gestiegen. Die Arbeitszeit pro Schicht sei von 7 auf 7,5 bis 8 Stunden verlängert worden, der Lohn der Arbeiter gleichzeitig “stark geschmälert.”

“Trotz der gewaltigen Senkung der Lohnkosten arbeiten viele Gruben mit Verlust!” Eine neue Krise sei im Anzug.

Die englische Bourgeoisie sei in zwei Lager gespalten:

1. Die Linie der “Diehards”, der “Dickköpfe”, zu denen gehörten die Landlords, der Bourgeois der Schwerindustrie, des Kolonialkapitals, der Großbanken. Ihnen ging es um die Verteidigung des britischen Imperiums; dazu gehöre der “Krieg gegen die Sowjetunion. In der Innenpolitik forderte sie die Wiederherstellung der Rechte des Oberhauses, Knebelung der Gewerkschaften, Niederschlagung jeden Versuchs der Anwendung des Generalstreiks, Annäherung an offenere Formen der Diktatur der Bourgeoisie.

2. Die Linie des Liberalismus, der Bourgeoisie der Fertigwarenindustrie, des Handelskapitals, zum Teil der Banken. Sie forderten Freihandel und verkündeten “friedliche Absichten.”

 Sie propagierten einen “Scheinpazifismus.” Sie hielten an Formen der Demokratie fest, um ihre Diktatur zu verbrämen. Die Rechte des Oberhauses wollten sie eingrenzen.

Sie bevorzugten eine “friedliche Beherrschung” des Proletariats mit Unterstützung der Gewerkschaftsführer, bei denen sie auf wohlwollendes Entgegenkommen trafen. Dies zeigte sich in der Entwicklung der Streikbewegung. 1927 gab es nur 787.000 Streiktage bei 20 Millionen englischer Arbeiter, eine verschwindende Größe bei 8 Millionen 1925 und 162 Millionen 1926.

Der Gewerkschaftskongreß vom September 1927 verlief im “Geiste des Friedens”, und verführte zum Abbruch der Beziehungen zum sowjetischen Gewerkschaftsbund. Der Gewerkschafts- und Labourkongreß 1927 fanden das Lob der kapitalistischen Presse: Absage an die Sowjetunion, Fallenlassen der ursprünglichen Forderungen nach Kapitalbesteuerung und Nationalisierung der Kohlengruben. Varga bemerkte dazu, daß die “Aussöhnung mit den Kapitalisten” … “keinesfalls eine dauernde Erscheinung“ sein werde. Dies erwies sich allerdings als Irrtum.

Vereinigte Staaten von Amerika

Varga zitiert US-Präsident Hoover, die Ökonomen Coolidge, Mellou u.a. “Prosperität für immer!”, “Prosperität für alle!”, “kein Ende der Prosperität ist abzusehen.” War dem wirklich so? Die Umwandlung der USA in ein typisch imperialistisches Land sei abgeschlossen. In der Kapitalausfuhr standen die USA an erster Stelle, hätten England weit hinter sich gelassen. Die USA hätten begonnen, Renten aus dem Ausland zu beziehen. Die USA unterjochten “in wachsendem Maße den ganzen amerikanischen Kontinent”, teils durch ökonomische Durchdringung (Kanada), teils durch “offene militärische Intervention” (Nicaragua). Die USA “betonten” ihre “Friedensliebe”, unterbreiteten “Abrüstungsvorschläge”, seien aber “heute militärisch das am besten ausgerüstete Land der Welt.”

Die Lage der Farmer habe sich gegenüber der Industrie um 20 % verschlechtert. Gewaltige technische Fortschritte, Steigerung der Produktivität der Arbeit, Monopolbildungen in der Industrie vollzogen sich zu Ungunsten der Landwirtschaft. Die US-Bourgeoisie würde gewaltige Profite gewinnen.

1. Durch Ausbeutung der Farmer

2. durch Steigerung der Intensität der Arbeit in den Fabriken

3. durch Auswucherung das Auslandes, kolonialen Profit.

Die Lage der Arbeiter sei günstiger als in Europa. Der Reallohn breiter Schichten sei seit dem Krieg “stark gehoben”, aber erkauft durch außerordentliche Steigerung der Arbeitsintensität, die mit absoluter Monotonisierung des bis “in die kleinsten Details zerlegten Arbeitsprozesses zusammengeht.” dennoch haben die US-Bourgeois noch “Reserven bezüglich einer sozialistischen Revolution oder Auswirkungen des Beispiels des Aufbaus der Sozialismus in der UdSSR auf die Ideologie der Arbeiter. Ein bedeutender Teil der Arbeiterklasse habe den höchsten Lebensstandard in der Welt im Vergleich mit anderen kapitalistischen Mächten. Der Gegensatz zwischen kapitalistischer Herrschaft und revolutionärer Bewegung in den USA sei “noch nicht akut.” Die Führung des Kampfes gegen die UdSSR läge in den Händen Großbritanniens. Bisher sei es “zwischen dem Zentrum des Weltkapitalismus und dem Zentrum der Weltrevolution zu keinem Zusammenstoß gekommen… Möglicherweise wird sich dieser Zusammenstoß noch längere Zeit hinausschieben. Trotzdem aber wird in einem gewissen Stadium der Entwicklung ein Zusammenstoß zwischen zwei führenden Mittelpunkten des Kampfes zwischen Kapital und Arbeit unvermeidlich sein.”

Auf 11 Seiten statistischen Materials führte Varga den Nachweis, daß die USA von etwa 1900 bis 1926 zur stärksten imperialistischen Macht geworden waren. Die Wirtschaft in den USA zeige nunmehr (1927) alle Merkmale des Imperialismus. Höchste Stufe der Monopolbildung, gewaltige Industrie, Kapitalexport, koloniale Ausdehnung, monopolistische Absatzmärkte, Überprofit aus den Kolonien, Arbeiteraristokratie. Die USA seien heute (1927) die “führende imperialistische Macht, die das best ausgerüstete Heer und die beste Flotte haben, die ihre wirtschaftliche, maritime und militärische Übermacht ebenso brutal einsetzen wie die europäischen Räuber.”

In den acht Staaten der Karibik und gegen Mexiko haben die USA in den 26 ersten Jahren des 20. Jahrhunderts “nicht weniger als 32 mal militärisch interveniert.”

“Die Konjunktur in den letzten drei Monaten” (des Jahres 1926) zeige “im allgemeinen eine fallende Tendenz. Ob sich dies zu einer Krise verschärfen” werde, ließe “sich heute (Anfang 1927) noch nicht feststellen. Eine gewissen empirische Wahrscheinlichkeit” bestehe dafür. Wenige Wochen später, August 1927, konstatierte Varga, daß der “gute Geschäftsgang” mit einer “gewissen, nicht stark ausgeprägten Tendenz zu einer Verschlechterung” gekennzeichnet sei.

Es gäbe keine Anzeichen, daß wir “vor einer Krise in den Vereinigten Staaten stehen”, “eine Verlangsamung des Geschäftsganges im Mai und im stärkeren Maße im Juni (1927) sei “sicher vorhanden.”

“Die Frage des Umschwungs steht daher nach allen Erfahrungen der Vorkriegszeit auf der Tagesordnung.”

Varga führt einige Zahlen aus dem “Ecconomist” vom 1. Oktober 1927 an:

Neugründungen in den ersten sieben Monaten:

1926:                          7,655 Millionen Dollar

1927:                          3,142 Millionen Dollar

Konkurse

                                                               Anzahl                                                               Verpflichtungen

                                            1926                                  1927                                 1926                                 1927

1. Quartal                       6.081                                 6.643                                108,5                                156,1

2. Quartal                       5.395                                 5.653                                101,4                                125,4

Juli                                    1.605                                 1.756                                  29,7                                   43,2

August                            1.593                                 1.706                                  28,1                                   39,2

8 Monate                       14.674                              15.760                              267,7                                363,9

“Die Verminderung des in Neugründungen angelegten Kapitals auf die Hälfte des Vorjahres, die Zunahme der Konkurse und die spekulative Anspannung des Kredits … weisen ebenfalls auf ein Herannahen der Krise hin.”

Dennoch sah Präsident Hoover “keine gefährlichen ökonomischen Tendenzen”. Der Bericht der National City Bank vom September 1927 versicherte: “die Abwesenheit irgendeines grundlegenden ungünstigen Faktors” gäbe “die Grundlage des Vertrauens.”

Varga sah schärfer: “Die niedrigen Zinssätze, die starke Kreditgewährung der US-Banken seien sehr gefährlich für die Wirtschaft. …es ist sicher eine sehr gefährliche Politik, die das Federal Reserve Board betreibt, und sie wird unter Umständen zu einer sehr scharfen Krise führen.” Was wir heute wissen, den Ausbruch der Weltwirtschaftskrise gerade in den USA, wußte Varga 1927 nicht. Aber er hat immerhin zwei Jahre davor das Ende der Konjunktur vorausgesagt, wenn auch in sehr vorsichtigen Formulierungen.

Varga: “Zusammenfassend können wir feststellen: Der Geschäftsgang in den Vereinigten Staaten hat sich in den letzten Monaten entschieden verschlechtert. Die Produktion ist gesunken; in den Zweigen, deren Produktion über jene des Vorjahres hinausgeht, ist eine Überproduktion entweder bereits offen vorhanden (Petroleum) oder im Anzug (Bauwesen, Automobile). Der Ausbruch einer Krise wird verschoben durch den sehr niedrigen Zinsfuß und Ausdehnung des Kredits durch die Federal Reserve Bank. Ende September ist eine Besserung eingetreten. Es ist aber wahrscheinlich, daß dies nur die übliche saisonmäßige Herbstbelebung ist, die die Krise nicht auf Dauer aufhalten wird. Die Krise wird wahrscheinlich ein starke Einschränkung der Produktion, Massenarbeitslosigkeit und scharfen Preisverfall aber nicht die Form des Zusammenbruchs großer kapitalistischer Unternehmen annehmen.”

Italien

Italien sei “am spätesten” in die moderne kapitalistische Entwicklung eingetreten und habe in “kürzester Zeit einen ausgesprochen imperialistischen Charakter angenommen.”

In Italien herrsche ein vollkommener Mangel an Rohstoffen. Es verfüge über einen Überfluß an billigen Arbeitskräften, der Binnenmarkt sei sehr begrenzt. Daraus folge der Drang nach Außenmärkten, Albanien, Kolonien.

Die innere und äußere Situation Italiens führte zum Abgang von der bürgerlich-demokratischen Form der Diktatur der Bourgeoisie zur Errichtung des Faschismus. Varga schrieb: “Die Geschichte Italiens in den Jahren 1919 bis 1922 beweist, daß, wenn die Arbeiterklasse Zustände schafft, unter denen die Verwertung des Kapitals unmöglich ist, ohne gleichzeitig die Bourgeoisie politisch zu besiegen und die Diktatur des Proletariats aufzurichten, die Bourgeoisie durch Anwendung eines rücksichtslosen Terrors die Arbeiterschaft niederschlägt, um die ökonomische Basis ihres Systems, die Verwertung des Kapitals, zu ermöglichen. Eine bürgerliche Staatsmacht, die dem Kapital den Profit nicht sichert, ist auf Dauer ein Widerspruch, der entweder durch die Diktatur des Proletariats oder durch den Terror der Bourgeoisie gelöst wird.

Es sei schwierig, exakte Zahlen über die Wirtschaftslage unter dem faschistischen Regime zu erhalten. In- und ausländische Korrespondenten könnten nur das bringen, was von der Regierung ausgegeben werde.

Die offizielle Zahl der Arbeitslosen sei von Juni bis November 1926 von 83.000 auf 149.000 angewachsen, die tatsächliche Zahl dürfte “bedeutend größer” sein.

Es gäbe in der Baumwoll- und Seidenindustrie, in der Automobil- (Fiat) und Gummiindustrie (Pirelli) Arbeiterentlassungen und Kurzarbeit. Die Bergwerkszeitung vom 5. Januar 1927 meldete eine “Verschärfung der italienischen Wirtschaftskrise.” Vertreter der Lombardischen Baumwollindustrie hätten Mussolini ersucht, “Maßnahmen zur Verhütung einer schweren Wirtschaftskrise” zu treffen.

Der Reallohn der italienischen Arbeiter sei “auch nach den sicher gefälschten Zahlen um 10-20 % unter das “Vorkriegsniveau” gesunken. Eine Analyse der wirtschaftspolitischen Maßnahmen Mussolinis zeigte, daß sie einzelne Schichten der Bourgeoisie geschädigt habe, aber “immer nur im Interesse der ganzen Kapitalistenklasse, bzw. der ausschlaggebenden Schichten derselben, der Großbourgeoisie.” Die Stabilisierung der italienischen Währung, der Lira, läge im Interesse der ganzen italienischen Bourgeoisie, aber die Kurssteigerung der Lira würde unmittelbar der Exportindustrie schaden.

Von August 1926 bis August 1927 sei die Valuta der Lira um 60 % gestiegen, aber die Großhandelspreise seien um 25 %, die Kleinhandelspreise um 16 %, die Lebenshaltungskosten um 8 % gefallen. Für die industrielle Bourgeoisie wäre die Lage “unerträglich” geworden. Die ohnehin schon “auf ein Minimum herabgedrückten Arbeitslöhne” würden sich “nicht noch weiter senken” lassen, ohne die Lebenshaltungskosten noch weiter zu senken. Aber ohne Senkung der Löhne könnte der Export nur noch bei Verlustpreisen getätigt werden. So führten dann auch die Maßnahmen Mussolinis zu einer “schweren Wirtschaftskrise” und zu “allgemeiner Unzufriedenheit.”

Die “Times” vom 9. Juli 1927 konstatierte unter anderem “ein Fallen der Löhne”, was nicht durch ein entsprechendes Fallen der Kleinhandelspreise ausgeglichen” worden wäre. Die “Reduktion der Löhne” betrüge 10 %, während “die Verminderung der Lebenshaltungskosten von Stadt zu Stadt schwankend im Durchschnitt nur 5 %” ausmachen würden. Die Arbeitslosigkeit sei angewachsen. Der Korrespondent der “Times” habe zusammengefaßt: “Die faschistische Gewaltpolitik, die immer härter und immer rücksichtsloser geworden ist, mag es verhindern, daß die bittere Not und Unzufriedenheit … die rasche Revalorisierung der Lira, verbunden mit der rücksichtslosen Ausgabe der öffentlichen Gelder, offen zum Ausdruck zu kommen. Aber man kann sicher sagen, daß diese Unzufriedenheit seit dem Beginn des faschistischen Regimes niemals so scharf war.”

Massenhafte Konkurse von kleinen Unternehmen seien das Ergebnis faschistischer Wirtschaftspolitik, während die Großbourgeoisie sich mit Unterstützung des Regimes noch über Wasser halten könne. Die Hauptlast hätten jedoch die Arbeiter zu tragen. Die Arbeitslosigkeit sei sehr groß, die Löhne würden durch die faschistischen Gewerkschaften herabgesetzt. Trotz der allgemeinen Lohnkürzungen um 10 bis 20 % im Frühjahr 1927 habe Mussolini für Oktober eine neu, gleich hohe Lohnsenkung angekündigt. Für die italienische Wirtschaft sah Varga eine “längere Dauer der gegenwärtigen Depression” voraus, die schärfere oder mildere Formen annehmen werde, abhängig von der Gestaltung der Konjunktur in den anderen Ländern, vor allem in Amerika.

Polen

Mit einem Bericht über Polen demonstrierte Varga die Lage eines mittelgroßen Staates. Mit der Herrschaft Pilsudskis trage Polen seit mehr als einem Jahr “faschistischen Charakter”; Unterdrückung der Arbeiter im Interesse der Kapitalisten und Großgrundbesitzer, Zersetzung aller alten politischen Parteien, Verbot der Kommunistischen Partei, Ausschaltung des Parlaments.

Trotz einer “gewissen Verbesserung” der Wirtschaftslage vom “Standpunkt der Kapitalisten” aus, habe sich die Lage der Arbeiter verschlechtert. Das Prokopfeinkommen in Deutschland sei zumindest 5 mal höher als in Polen.

Polen habe “hohe Anleihen” aus dem Ausland, vor allem den USA, aufgenommen.

Zur Sicherung einer 20 Millionen Dollar Anleihe habe der polnische Staat die “gesamten Zolleinnahmen” verpfändet. Weder “der Staat, noch die Kommunen” können “vor Tilgung dieser Anleihen neue Anleihen ohne Erlaubnis des amerikanischen Kontrolleurs aufnehmen…”

Die “Stabilisierung der polnischen Valuta” wäre, “ohne eine Mithilfe des internationalen Finanzkapitals undurchführbar” gewesen. “Das faschistische Polen” sei “damit zu einem Objekt des Imperialismus geworden”.

Japan

März/April/ 1927 habe eine “Bankkrise von außerordentlicher Schärfe” das “Wirtschaftsleben Japans tief erschüttert…” Es sei dies die dritte schwere Krise seit Kriegsende (1918) gewesen: 1920/21, 1923/24 (Erdbebenkrise), 1927 Bankenkrach. Die Ursachen dafür sah Varga in der “schwachen Naturbasis” des japanischen Kapitalismus: nicht genügend Lebensmittel, zu wenig Kohle, sehr wenig Öl, gar keine Erze, keine Textilrohstoffe (außer Rohseide), keine Chemikalien.

Der japanische Kapitalismus habe “schon bei seiner Geburt einen ausgesprochen imperialistischen Charakter” getragen. Der “imperialistische Ausdehnungstrieb” richtete sich auf die “gegenüberliegenden Küsten Asiens.” Die Periode der ursprünglichen Akkumulation” habe sich “zum Teil bereits auf diesem Gebiet” vollzogen.

Japan habe den I. Weltkrieg und die russische Revolution ausgenutzt, um sich ein stattliches Kolonialreich zu erobern:

Korea                                            19,5 Millionen Einwohner

Formosa (Taiwan)                   4,0 Millionen Einwohner

Kwantung                                   0,7 Millionen Einwohner

Sachalin                                        0,2 Millionen Einwohner

Mandschurei                            22,0 Millionen Einwohner

                                                         46,4 Millionen Einwohner

Diese Gebiete seien “rein imperialistische Kolonien“. Der japanische Kapitalismus sei “ein künstlich herangezogener, auf Ausbeutung sehr billiger Arbeitskräfte und unterdrückter Kolonien fundierter Kapitalismus mit stark spekulativem Charakter.” Dies sei auch die Ursache weshalb der japanische Imperialismus der Nachkriegszeit von einer Krise in eine andere fiele. “Die innere Schwäche des japanischen Kapitalismus” sei aber kein Hindernis, sondern ein Antrieb zur weiteren imperialistischen Ausdehnung; denn nur durch eine imperialistische Ausdehnung könne “der japanische Kapitalismus neue Erschütterungen hinausschieben. Daher die zähe Politik Japans in China, dem gegebenen Ausdehnungsgebiet des japanischen Imperialismus.”

China bildete “die Grundlage des japanischen Imperialismus”. Daraus erkläre sich die japanische Politik gegenüber China:

1. Unbedingte Verteidigung der Kolonien und Einflußgebiete, wenn nötig auch mit Waffengewalt.

2. Äußerlich demonstrative Unterstützung der chinesischen nationalen Bewegung, soweit diese innerhalb des bürgerlichen Rahmens bleibe. Dies wäre gegen imperialistische Konkurrenten gerichtet, vor allem gegen Großbritannien.

3. Entschiedene Bekämpfung aller über den bürgerlichen Rahmen hinausstrebenden Elemente der chinesischen Revolution, wenn nötig mit anderen imperialistischen Mächten auch mit Waffengewalt.

In einer programmatischen Erklärung des japanischen Ministerpräsidenten General G. Tanaka hieß es: “Was die Aktivität der Kommunisten in China anbelangt, kann Japan nicht ganz indifferent bleiben, nicht nur, weil seine eigenen Interessen dadurch direkt in Mitleidenschaft gezogen werden, sondern, weil es sich der schweren Verantwortung bewußt ist, die ihm in der Erhaltung des Friedens im Fernen Osten auferlegt ist … In dieser Frage … kann die Regierung es für nötig finden, im Einvernehmen mit den Mächten vorzugehen. Diese Stellung des Landes wird, ich hoffe es, von Rußland richtig verstanden.” (“Japan Chronicle”, vom 24. April 1927)

Stalin hatte Tanaka richtig verstanden. Die Antwort erhielten die “friedliebenden” japanischen Imperialisten von der Roten Armee am Chassansee (29.7-11.8.1938) und am Chalchin-gul (11.5. – 31. 8. 1939)

Weltwirtschaft

Die Entwicklung des Kapitalismus habe 1926 gegenüber dem Vorjahr “einen Rückschritt” gebracht. Der Kampf um die Absatzmärkte zwischen den großen imperialistischen Industriestaaten habe sich in der letzten Zeit verschärft. Um die Jahreswende 1926/27 sei die außenpolitische Situation gespannter als je gewesen. Die USA, die zu den Begründern des Völkerbundes gehörten, haben Nicaragua besetzt, Italien Albanien durch “Vertrag” in seinen Machtbereich “eingegliedert”, Polen treffe Vorbereitungen zur Eroberung Litauens, Japan intervenierte in China, England schickte seine Flotte nach China. “Mit der verschärften Konkurrenz auf dem Weltmarkt verschärften sich auch die imperialistischen Gegensätze und die allseitigen Kriegsvorbereitungen.

Die Gefahr eines Weltkrieges sei gewachsen. England bereite vermittels diplomatischer Einkreisung der Sowjetunion einen Krieg gegen diese vor. Im Sommer 1927 habe es einen differenzierten Konjunkturgang gegeben. Deutschland und die USA hätten eine Hochkunjunkturphase gehabt, in Frankreich und England habe sich die Wirtschaftslage gebessert, in anderen Ländern, vor allem Italien, habe sich die Konjunktur verschlechtert. Es gäbe keinen “einheitlichen Konjunkturgang” in der Weltwirtschaft.

Ausführlich ging Varga auf die Weltkohlenkrise ein, die wieder im Anzuge sei (1927). Es habe sich gezeigt, daß die Niederlage der britischen Bergarbeiter keineswegs zur Lösung der Krise des britischen Bergbaus führen konnte, die nur durch die schärfste Zuspitzung der Weltkohlenkrise gewesen wäre. Die Kohlekrise sei eine Absatzkrise.

a) Für die Erzeugung einer Einheit von Energie werde infolge großer Verbesserungen der Feuertechnik weniger Kohle verbraucht als früher.

b) Ein Teil der nötigen Energie werde aus Eröl und Wasserkraft gewonnen

c) Es gäbe in allen Ländern Bestrebungen, durch Selbstversorgung den Warenimport einzuschränken, eine eigene Kohlegewinnung zu organisieren. Das habe den Export von Kohle “schwer betroffen.”

Der Konsum von Kohle insgesamt pro Kopf der Bevölkerung habe abgenommen, differenziert nach einzelnen Ländern. Für die Verdrängung der Kohle durch andere Energiequellen führte Varga eine Tabelle an, die jedoch nur für die USA gilt.

Verbrauch (in Millionen Tonnen von 200 englischen Pfund)

                                                  1911/15              1921/25              Erhöhung in %

Kohle                            513                      540                          5

Erdöl                               33                        75                      125

Naturgas                        26                        43                        65

———————————————————————————————-

Total                             572                      658                        15

Bevölkerungszahl        95,5 Mio.            111,7 Mio.            16

Die Gesamtausfuhr der Welt an Kohle sei um rund 30 Millionen Tonnen, fast 20 %, geringer geworden. Der “Sieg der Bergherren über die Arbeiter Großbritanniens” konnte “keine Lösung des Problems bringen.” Die Krise treffe die Länder je nach prozentualer Größe ihrer Kohlenausfuhr, des Anteils des Kohlenexportes an ihrer Gesamtproduktion. Die USA sehr wenig, da der Kohlenexport nur 4 % der Gesamtproduktion ausmache. Viel stärker betroffen seien Deutschland und England, bei denen der Kohlenexport etwa 20 % der Gesamtproduktion betrage.

Anteil des Kohlenexportes an der Gesamtproduktion für Großbritannien:

1913:                                       25,54 %

1923:                                       28,24 %

1925:                                       19,6 %

Die Kohlenkrise in Deutschland und England sei daher unabwendbar, die zu einer “entsprechenden” Einschränkung der Kohleproduktion führen müsse.

Es gäbe zwei mögliche Wege für die englischen und deutschen Kohlebarone:

a) Senkung der Lohnkosten, die Bergarbeiter wären die Leidtragenden

b) Einigung der Kohlenexporteure über den Absatz auf dem Weltmarkt.

Beides ändere nichts daran, daß in Deutschland und England “einige hunderttausend Bergarbeiter arbeitslos werden” würden.

Um den Zynismus der britischen Bourgeois  zu dokumentieren, zitierte Varga aus der “Times” vom 1. Juni 1927: “Unlängst erklärte Lloyd George in einer Wahlrede: Die Frage des Kohlenbergbaus ist nicht gelöst. Wenn die Dinge in den Bergwerken wie bisher weitergehen, wird es vor Ende des Jahres eine neue Kohlenkrise geben, und dann werden die Bergleute aller ihrer Freunde in allen Parteien bedürfen …” Worauf ein Kohlenindustrieller Bell kühl erklärte: “Das Wesen ist, daß die Kohle so billig wie möglich produziert wird. Um das zu erreichen, müssen Arbeiter und Unternehmer kooperieren. Wir könnten unsere Arbeiter nicht zwingen zu arbeiten. Wir können nicht gezwungen werden, ihnen Arbeit zu geben.”

Bei der Einschätzung der am 4. Mai 1927 eröffneten Weltwirtschaftskonferenz sei vor einer Überschätzung ihrer Wichtigkeit gewarnt. Sie wurde schon im Voraus in der Erkenntnis einberufen, “daß keine positiven Ergebnisse” herauskommen konnten. Sie werde “mit dem Zweck veranstaltet, den Pazifisten vorzutäuschen”, daß es Vereinbarungen zwischen den kapitalistischen Ländern geben würde. Marxisten hätten keine Illusionen darüber, daß es “in der Periode des Imperialismus” irgendwelche friedliche Vereinbarungen zur Beseitigung tiefgehender wirtschaftlicher Gegensätze zwischen den imperialistischen Staaten geben könne.

Nach Kontroversen zwischen der französischen und britischen Delegation fand der britische Vorschlag zur Begünstigung des Freihandels in einer Resolution Annahme, die natürlich keine “wirkliche Bedeutung” habe.

Zum ersten mal nahm die UdSSR an einer vom Völkerbund organisierten Konferenz teil. Ihre besondere Stellung erlaubte der sowjetischen Delegation, die Widersprüche der kapitalistischen Welt ohne Rücksichten auf die Völkerbundsbestimmungen darzulegen. Damit brachte sie die anwesenden Vertreter der reformistischen Gewerkschaften in eine delikate Lage. Sie wären “einige male” gezwungen gewesen, für Fragen, die die Arbeiterklasse unmittelbar betrafen, mit der sowjetischen Delegation gegen die Delegierten der kapitalistischen Länder zu stimmen. “Am Schluß freilich stimmten sie geschlossen mit den kapitalistischen beziehungsweise stimmten sie niemals gegen diese (Stimmenthaltungen wurden nicht festgestellt).”

Der Delegation der UdSSR mußte die Konzession gemacht werden, “daß alle jene Resolutionen beziehungsweise Punkte von Resolutionen, für die sie nicht stimmten, auf die Sowjetunion keine Anwendung finden sollten, und daß eine Entwicklung des Wirtschaftsverkehrs unter allen Ländern empfohlen wurde”, also einschließlich der Sowjetunion. Gegen den starken Widerstand von Seiten der britischen Delegation habe die sowjetische Delegation in ihren Zielen “wirksame” Unterstützung der US-Delegation erhalten. “In diesem Sinne” könne “man von einem Erfolg der Sowjetunion sprechen.”

Insgesamt habe die Weltwirtschaftskonferenz “keine reale Bedeutung” gehabt. “Die großen Gegensätze zwischen den imperialistischen Mächten untereinander, zwischen den imperialistischen Mächten und den unterdrückten Kolonialvölkern, zwischen der kapitalistischen Welt und der Sowjetunion” ließen sich zwar in Resolutionen formell überbrücken, aber keinesfalls durch irgendwelche Konferenzen aus der Welt schaffen.”

Die sich allgemein anbahnende Überproduktion zeige sich in der fallenden Tendenz der Preise der industriellen Rohstoffe und dem scharfen Kampf zwischen den wichtigsten Produktionsländern um den Absatz auf dem Weltmarkt.

Die noch “gute Konjunktur” in Deutschland und in den USA (Herbst 1927) “bildete ein Gegengewicht gegen diese Tendenz zur weltweiten Überproduktion…”

Die Untersuchung der Konjunktur in beiden Ländern führe jedoch zu dem Ergebnis, “daß in beiden Ländern die Konjunktur ihrem Ende” entgegengehe.

Trete aber in beiden Ländern “eine Krise bzw. Depression ein, dann” sei “eine neue allgemeine Depression der ganzen kapitalistischen Weltwirtschaft höchst wahrscheinlich…”

Im Anwachsen der Bankrate um 7 % in Deutschland sah Varga “bereits … Zeichen der beginnenden Krise.”

Eine Besonderheit der Hochkonjunktur in Deutschland sei die “starke Arbeitslosigkeit”. Mehr als 5 % der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter seien “arbeitslos, eine Zahl, die vor dem Kriege nur in akuten Krisenzeiten erreicht wurde.”

In den USA bahne sich “ein Fall der klassischen Überproduktionskrise, ein Überfluß an Waren der Abteilung I (Produktionsmittel, U.H.) an”. Aus der Analyse der Krisentendenzen in Deutschland und den USA zog Varga den Schluß:

“Während in Deutschland eine kürzere Zeit dauernde, aber schwere Krise zu erwarten ist, ist in den Vereinigten Staaten eine sich vor allem in einem starken Rückgang der Produktion geltend machende, mir starker Arbeitslosigkeit verbundene und länger anhaltende Depression zu erwarten…”

Für das Jahre 1928 sei “ein Rückfall in eine weit ausgedehnte Depression zu erwarten!”

Bis auf Einzelheiten und dem Jahr traf Vargas Prognose zu. Die Weltwirtschaftskrise begann 1929.

Wiederholen wir noch einmal die Grundthese Stalins: Der Kapitalismus wird “nie mehr das ‘Gleichgewicht’ und die ‘Stabilität’ wiedererlangen, die er vor dem Oktober besaß.”

Hat der Kapitalismus nach der konterrevolutionären Zerstörung der Sowjetunion, dem “mächtigen und offenen Zentrum der internationalen revolutionären Bewegung”, denn nun heute sein “Gleichgewicht” und seine “Stabilität” wiedererlangt? Die Staaten des imperialistischen Systems stolpern von einer Krise in die andere. Daran ändern zeitweilige, kurzfristige Konjunkturperioden – für einige Schichten der Bourgeoisie, nicht einmal für die ganze Bourgeoisklasse – gar nichts, und die mit viel Getöse in den bürgerlichen Medien kommentierten “Erfolge” von “internationalen Konferenzen”, “Gipfeln” etc. schon gar nichts.

Die nach 1989/90 vom Zaun gebrochenen imperialistischen Kriege nehmen an Schärfe, Brutalität und Ausdehnung zu und das Lächeln der politischen Repräsentanten der imperialistischen Großmächte auf internationalen Konferenzen kann die Gegensätze und Animositäten zwischen ihnen nicht verdecken.

Gemeinsam geblieben ist ihnen nur eins: Der Haß gegen den Sozialismus, die Diffamierung der gar nicht mehr existierenden sozialistischen Staatengemeinschaft, der penetrante Antikommunismus. Die Oktoberrevolution steckt ihnen nach wie vor in den Knochen, zeigte sie doch deutlich ihr historisch bedingtes Ende.

Es sei aber noch einmal wiederholt, daß Analogien keine Identität bedeuten. Die Analyse von Varga, von der hier nur ein sehr begrenzter Auszug dokumentiert werden konnte, enthält jedoch einige bemerkenswerte Einschätzungen, die auch für den gegenwärtigen Imperialismus zutreffend sind – obwohl, wie schon bemerkt, keine Sowjetunion mehr existiert.

4. Die Oktoberrevolution sei zugleich auch eine Revolution in der Ideologie der Arbeiterklasse gewesen.

Sie wäre “unter dem Banner des Marxismus” geboren und erstarkt, unter “dem Banner des Leninismus” der der Marxismus der Epoche des Imperialismus und der proletarischen Revolutionen sei. Daher bedeute sie den Sieg des Marxismus über den Reformismus, den Sieg des Leninismus über den Sozialdemokratismus, den Sieg der III. Internationale über die II. Internationale.

Die Oktoberrevolution habe eine unüberbrückbare Kluft zwischen Marxismus und Sozialdemokratismus, zwischen der Politik des Leninismus und der Politik des Sozialdemokratismus aufgerissen.

Stalin meinte, daß die Sozialdemokratie nicht mehr mit dem Marxismus” prunken” könne, da sie offen und unzweideutig gegen die Schöpfung des Marxismus, gegen die Oktoberrevolution, gegen die Diktatur des Proletariats in der Welt sei. Sie müsse sich jetzt vom Marxismus abgrenzen. Sie könne nicht “mehr mit der Idee der Diktatur des Proletariats  kokettieren, ohne eine gewisse Gefahr für den Kapitalismus heraufzubeschwören.”

Nachdem sich zwischen Sozialdemokratie … und Marxismus eine Kluft aufgetan habe, sei “ … der einzige Träger und das einzige Bollwerk des Marxismus der Leninismus, der Kommunismus.”

Das wäre aber noch nicht alles. Die Oktoberrevolution habe eine Trennungslinie zwischen Sozialdemokratie und dem Marxismus gezogen. Die Sozialdemokratie sei “im Lager der direkten Verteidiger des Kapitalismus gegen die erste proletarische Diktatur der Welt” gelandet.

Die Herren Adler und Bauer, Wels und Levi, Longnet und Blum beschimpften das “Sowjetregime” und priesen die parlamentarische “Demokratie”, womit sie sagen wollen, “daß sie für die Wiederaufrichtung der kapitalistischen Ordnung in der UdSSR, für die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Sklaverei in den ‘zivilisierten’ Staaten kämpfen und kämpfen werden.”

“Die gegenwärtige Sozialdemokratie” sei “eine ideologische Stütze des Kapitalismus.” Lenin hätte tausendmal recht gehabt, wenn er die heutigen sozialdemokratischen Politiker als “wirkliche Agenten der Bourgeoisie innerhalb der Arbeiterbewegung, die Arbeiterkommis der Kapitalistenklasse” bezeichnete. In einem Bürgerkrieg zwischen Proletariat und Bourgeoisie würden sie sich unvermeidlich “auf die Seite der ‘Versailler’ gegen die ‘Kommunarden’ “stellen. (LW 22 / 198)

Es sei “unmöglich, dem Kapitalismus ein Ende” zu bereiten, ohne dem Sozialdemokratismus in der Arbeiterbewegung ein Ende bereitet zu haben.”

Die “Ära des Sterbens des Kapitalismus” sei zugleich die “Ära des Sterbens des Sozialdemokratismus in der Arbeiterbewegung.”

Die Ära der Herrschaft der II. Internationale und des Sozialdemokratismus in der Arbeiterbewegung sei “zu Ende.” Angebrochen sei die Ära der Herrschaft des Leninismus und der III. Internationale. Aus Sicht Ende der 20er Jahre mochte es so erscheinen. Der Einfluß der III. Internationale und des Leninismus waren gewachsen, aber der Sozialdemokratismus bestimmte immer noch die Ideologie der Mehrheit der Arbeiterklasse, auch in Deutschland. Die Sozialdemokratie als bürgerliche Ideologie in der Arbeiterklasse erwies sich als stabiler, als Stalin annahm. Die These Lenins, und nach 1924 Stalins, von der Sozialdemokratie als “Agenten” der Bourgeoisie in der Arbeiterbewegung waren theoretische Reflexionen des Verhaltens der sozialdemokratischen Führer und Ideologen. Die Erfahrungen mit der Sozialdemokratie seit 1914 bestätigten diese These. 1914 stimmten die Führer der sozialdemokratischen Parteien den Kriegskrediten zu, erwiesen sich als “Vaterlandsverteidiger” im Kriege der imperialistischen Staaten – mit Ausnahme der Bolschewiki. In Übereinstimmung mit der Entschließung des Internationalen Sozialistenkongresses in Basel 1912 führten sie den Kampf gegen den Zarismus und die russischen Kapitalisten, der mit der Oktoberrevolution seinen erfolgreichen Abschluß fand.

In Deutschland waren es die rechten sozialdemokratischen Führer, Ebert, Scheidemann, Noske u.a., die im Bündnis mit den kaiserlichen Generalen und Freikorps die Revolution niederschlugen, die hinter den Morden an Kommunisten und Arbeitern durch die konterrevolutionären Soldaten standen. In Italien erwies sich der Vertreter des “pazifistischen Sozialismus”, Benito Mussolini, als ein fanatischer Befürworter des Kriegseintritts Italiens. Er marschierte am 28.1o.1922 mit seinen faschistischen Horden nach Rom, wo er das “Dezembergemetzel” seiner Schwarzhemden an Kommunisten und revolutionären Arbeitern organisierte.

Der faschistische Diktator Polens, Pilsudski, war aus dem rechten nationalistischen Flügel der polnischen Sozialdemokratie hervorgegangen.

Der britische Faschismusführer O. Mosley kam aus dem rechten Flügel der Labour Party. Aus der Labour Party schlossen sich 1931 noch sechs weitere Parlamentsabgeordnete der faschistischen “New Party” an.

Die Erfahrungen mit den sozialdemokratischen Regierungen in der Nachkriegszeit, die hier nicht reflektiert werden können, bewiesen, daß sie samt und sonders eine antikommunistische Politik durchführten. Sie waren Repräsentanten des sogenannten “liberalen” Flügels der Bourgeoisie, die mit kleinen Zugeständnissen an die Arbeiterklasse die Klassenherrschaft der Bourgeoisie gegen die revolutionären Bewegungen absicherten.

Die theoretische und publizistische Gleichsetzung von Faschismus und Bolschewismus, von faschistischer und kommunistischer “Diktatur” war bereits Mitte der 20er Jahre in der sozialdemokratischen Presse in Deutschland zur “täglichen Übung” geworden.

Schleifstein führte einige diesbezügliche sozialdemokratische Presseäußerungen an. So habe einer der Führer der österreichischen Sozialdemokratie, Julius Deutsch, den Faschismus als “Bolschewismus der Tat” bezeichnet, Arthur Crispien erklärte in seiner Eröffnungsansprache auf dem Berliner Parteitag der SPD 1924: “Der Bolschewismus endet im Faschismus. Das sehen wir in Ungarn, Italien und auch in Rußland, wo im Grund nichts anderes als der Faschismus wütet.”

Varga bemerkte bezüglich Italiens, daß die sozialdemokratische und linksbürgerliche Presse bemüht sei, ihren Lesern den Glauben beizubringen, daß der Faschismus nicht nur gegen die Arbeiter, sondern auch gegen die Bourgeoisie gerichtet sei. Der politische Zweck dieser Darstellung bestünde darin, “dem italienischen Proletariat vorzutäuschen, daß es den Kampf gegen den Faschismus nicht als einen Kampf gegen die italienische Bourgeoisie zu führen habe, sondern im Bündnis mit dem Kleinbürgertum innerhalb des Rahmens der kapitalistischen Ordnung! Das italienische Kleinbürgertum und die Intelligenz haben zusammen mit den reformistischen Führern im Kampf gegen den Faschismus deshalb bisher so vollkommen versagt, weil sie mit recht befürchten, daß der Sturz Mussolinis den beginn der Diktatur des Proletariats bedeutet. Daher sind sie jetzt bestrebt, dem italienischen Proletariat das Ziel der Umwandlung des faschistischen Kapitalismus in einen demokratisch-fortschrittlichen Kapitalismus zu setzen.”

Ob nach einem revolutionären Sturz Mussolinis die Errichtung der Diktatur des Proletariats gefolgt wäre, erscheint uns aus heutiger Sicht unwahrscheinlich.

Kam Stalin mit seiner scharfen Verurteilung der Sozialdemokratie als Agentur der Bourgeoisie in der Arbeiterbewegung nicht schon der späteren These vom Sozialfaschismus sehr nahe?

1927 war der Faschismus noch ein neues Phänomen. Es gab noch keine wissenschaftlich begründete Faschismus-Definition, wie sie 1935 von Georgi Dimitroff formuliert wurde. Schleifstein wies darauf hin, daß in der kommunistischen Theoriebildung in dieser Zeit unter Faschismus nur eine besonders brutale Regierungsmethode verstanden wurde, der Faschismus noch nicht als eine “grundverschiedene Staatsform bürgerlicher Klassenherrschaft im Verhältnis zu bürgerlich-parlamentarischen Regimen“, erkannt worden war.

Diese Bemerkung von Schleifstein ist richtig. Nicht jede bürgerliche Diktatur ist gleich eine faschistische Diktatur. Die Diktatur der Bourgeoisie kann verschiedene Staatsformen annehmen. Eine Präsidial-Diktatur, die Anwendung polizeilich-staatlicher Überwachung, selektiv gezielte Unterdrückung revolutionärer Bewegungen unter Beibehaltung der einen oder anderen Form parlamentarischer Vertretung sind noch keine faschistische Diktatur. Die Bourgeoisie hat sich in dieser Beziehung als sehr anpassungsfähig an veränderte soziale und ökonomische Verhältnisse erwiesen.

Die scharfe Kritik an der Sozialdemokratie 1927 durch Stalin war in ihrer Zeit berechtigt. Die Taktik, gegen sie als Feind der Arbeiterklasse den Schlag zu führen, war richtig, aber was 1927 richtig und begründet war, kann unter veränderten Bedingungen zu einem Fehler werden. Die spätere “Sozialfaschismus“- These war eine Reaktion auf die sozialdemokratische Politik seit 1914, nicht nur in Deutschland, sondern international. Schleifstein ist zuzustimmen, wenn er offen läßt, ob in Deutschland eine Aktionseinheit zustande gekommen wäre, wenn die KPD und KPdSU(B) diese “Sozialfaschismus”-These nicht propagiert hätten. Diese Frage sei zu spekulativ und ließe sich nicht beantworten. Wahrscheinlich hätte sich dadurch auch nichts an der sozialdemokratischen Politik geändert.

In Deutschland stehen die Kommunisten heute vor analogen Problemen. Wie sich gegenüber der neu gegründeten Partei “Die Linke” verhalten? Erklärtermaßen will sie den Kapitalismus nicht beseitigen, sondern lediglich regulieren à la Keynes,  einige Verbesserungen der sozialen Lage der Arbeiter und anderen Lohnabhängigen durchsetzen, außenpolitisch die Truppen der Bundeswehr aus Afghanistan abziehen, aber innerhalb der NATO verbleiben. Daß die “Die Linke” bürgerliche Ideologie und Politik in der Arbeiterbewegung propagiert, antikommunistisch agiert, ist die eine Seite, andererseits wird sie von CDU/CSU, FDP und SPD scharf attackiert. Die Volksmassen lernen nicht aus Büchern. Sie müssen offenbar ihre Erfahrungen mit der “Die Linke” machen, daß sie nämlich nicht in der Lage ist, eine grundlegende Änderung des imperialistischen Ausbeutungssystems durchzusetzen, von einer Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise ganz zu schweigen. Den werktätigen Massen zu helfen dies aus ihren Erfahrungen zu erkennen, wird Aufgabe der Kommunisten sein.

Die Oktoberrevolution ist heute Geschichte. Das Studium ihrer Erfahrungen dürfte für die Zukunft revolutionärer Bewegungen nützlich sein. Trotz aller Krisen bricht das kapitalistische Weltsystem nicht von allein zusammen. Der Kapitalismus läßt sich auch nicht über den bürgerlichen Parlamentarismus beseitigen. Die Arbeiterklasse und andere werktätige Schichten kommen um die sozialistische Revolution nicht herum. Dies wird kein gemütlicher Weg sein. Wie er verlaufen wird, mit welchen Rückschlägen, Umwegen, Besonderheiten, Irrtümern, wo und wann, wissen wir nicht. Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß das 21. Jahrhundert kein friedliches sein wird. Es wird keine “Prosperität für alle” geben.

                                                    Ulrich Huar, Berlin

Literaturverzeichnis

Stalin: Der internationale Charakter der Oktoberrevolution. In: SW  207-216

Eugen Varga: Wirtschaft und Wirtschaftspolitik. Vierteljahresberichte 1922 -1939. Hrsg. Von Jörg Goldberg.

             Bd. 1, Vorworte, Wirtschaftskonferenzen 1922, Inhaltsverzeichnis

             Bd. 3 Internationale Presse-Korrespondenz 1925-1928.

            Deb, Verlag das europäische Buch. Westberlin, o. I. Printed in the German Democratic Republic

           Die Vierteljahresberichte 7. Jahrgang

           Nr. 14, Berlin, 4. Februar 1927

           Nr. 50, Berlin 12. Mai 1927

           Nr. 78, Berlin 4. August 1927

           Nr. 110 Berlin, 10. November 1927

Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus. In: LW, Bd. 22

Lenin: Über eine Karikatur auf den Marxismus. In: LW, Bd. 23

Lenin: Ursprünglicher Entwurf der Thesen zur nationalen und kolonialen Frage. In: LW, Bd. 31

Marx/Engels: Manifest der Kommunistischen Partei. In MEW, Bd. 4

Karl Marx: Zur Kritik der Politischen Ökonomie. In: MEW, Bd. 13

Karl Marx: Erster Entwurf zum “Bürgerkrieg in Frankreich”. In: MEW Bd. 17

Karl Marx: Das Kapital, I, In: MEW, Bd. 23

Karl Marx: Das Kapital III, In: MEW, Bd. 25

Karl Marx: Theorien über den Mehrwert. In: MEW Bd. 26/2

Ulrich Huar: Stalins Beiträge zur Politischen Ökonomie des Sozialismus. offen-siv

Josef Schleifstein: Zum historischen Hintergrund der “Sozialfaschismus”-These. In: E. Varga, Vierteljahresberichte, Bd. 1

Ausführlich in Beiträgen des Autors: Für ein blühendes Vietnam. Parteitag der KP Vietnams stellte Weichen. UZ, 5. Mai 2006; KP Vietnams bekräftigte ihre führende Rolle, Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus und zum Erbe Ho Chi Minhs, Die Rote Fahne, Mai 2006. Die Beiträge beruhen auf vietnamesischen Quellen (Nhan Dan und VNA).

  • [1}
    Die Mehrwertrate ist Ausdruck des Ausbeutungsgrades der Arbeiter durch die Kapitalisten, der bestimmt wird durch das Verhältnis des Mehrwertes (m) zum variablen Kapital (v). Die Mehrwertrate zeige, welchen Teil des Arbeitstages der Proletarier arbeitet, um den Wert seiner Arbeitskraft zu ersetzen, und welchen Teil des Arbeitstages er unentgeltlich für den Kapitalisten arbeitet. Angenommen der Tageswert der Arbeitskraft (v) beträgt 4 Euro, und um ihn zu ersetzen, sind vier Arbeitsstunden erforderlich. Im Verlauf eines achtstündigen Arbeitstages zum Beispiel wird ein Wert von 8 Euro erzeugt. Wenn der Arbeiter in vier Stunden einen Wert von 4 Euro produziert, der dem Wert der Arbeitskraft entspricht, so produziert er im Verlaufe der „restlichen“ vier Stunden einen Mehrwert (m) in Höhe von 4 Euro. Die Mehrwertrate (m’) wird demnach folgendermaßen berechnet:

              m     4 Stunden      4 Euro

    m’ =  — =   ———–  =   ——–  x  100  =  100 Prozent

              v      4 Stunden      4 Euro

    Mit der Entwicklung und Einführung von Wissenschaft und Technik, der Erhöhung der Produktivität der Arbeit, erhöhe sich die Mehrwertrate ständig. Die Mehrwertrate wird in den bürgerlichen Statistiken nicht angegeben.

    2) Die Mehrwertrate dürfte in den kapitalistischen Großbetrieben über 250 % bis 300 % betragen.

    Die Profitrate ist das in Prozenten ausgedrückte Verhältnis des Mehrwertes zum vorgeschossenen Gesamtkapital. Sie bestimmt die Rentabilität des kapitalistischen Unternehmens. Die Profitrate wird in der Formel:                           m

                                              c’+ v

    zum Ausdruck gebracht, m = Mehrwert, c’ = konstantes Kapital (Maschinen, Gelände, Ausrüstungen etc), v = variables Kapital (Arbeitslohn). Die Profitrate ist stets kleiner als die Mehrwertrate, weil bei der Berechnung der Profitrate der Mehrwert auf das gesamte vorgeschossene Kapital bezogen wird. Die Profitrate ist die verwandelte Form der Mehrwertrate;  sie verdeckt die kapitalistische Ausbeutung. Daraus erklärt sich auch das Geschrei der Kapitalisten, daß die Löhne zu hoch seien, daß die Höhe der Löhne die Rentabilität des Unternehmens bestimmt. Die Forderung nach Verlängerung der Arbeitszeit betrifft immer die Verlängerung des Teiles des Arbeitstages, in dem der Mehrwert produziert wird. (Marx, Das Kapital, Bd I. In MEW 23/230 ff)