Andrea Schön: Die Kommunisten müssen den Kampf um’s Teewasser führen!
Agenda 2010, Hartz IV, 40-Stunden-Woche und kein Ende absehbar … Der soziale Kahlschlag wird massiv vorangetrieben, begleitet, aber nicht aufgehalten von einer zunehmenden Protestbewegung. Wer oder was ist diese Protestbewegu
ng? Hierzu soll im folgenden eine grobe Einschätzung gegeben werden, die bewusst nicht unmittelbar handlungsrelevante Differenzierungen außen vor lässt.
Danach ist die “Bewegung” nach ihrem Klassencharakter in drei sich zunehmend gegenseitig durchdringende Hauptbestandteile zu unterteilen:
1. Die sog. globalisierungskritische Bewegung
Diese Bewegung ist in den neunziger Jahren als Antwort auf die sogenannte Globalisierung (d.h. die Wiederherstellung des Status quo ante, der imperialistischen Weltordnung wie vor der Oktoberrevolution) entstanden. Kristallisationspunkte waren u.a. das Weltsozialforum (Sao Paolo) und die G7/8-Gegengipfel (Seattle, Prag) etc., bei denen die Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Entwicklung des Kapitalismus in vielfältiger Weise zum Ausdruck kam. “Bunt und ideologiefrei” diagnostizierten FAZ und Co., und man kann/muss davon ausgehen, dass die Bourgeoisie im eigenen Interesse über eine durchaus wirksame Seismographie zur Feststellung antikapitalistischer Beben verfügt.
So finden sich in den zahlreichen Publikationen rund um die “Antiglobi”-Bewegung Kritik am – in wahlloser Reihenfolge – “entfesselten”, “globalisierten”, “neoliberalen” “Turbo”-Kapita-lismus, selten aber eine Kritik am Kapitalismus selbst. Gegenwärtige Erscheinungsformen werden bekämpft, nicht das Wesen dieser Gesellschaftsordnung. So nimmt es kaum Wunder, dass diese Bewegung maßgeblich von einer ursprünglichen 1-Punkt-Bewegung (zur Einführung der sog. Tobin-Steuer), Attac, getragen wird. Die Ideologie”freiheit” zeigt sich bei dieser Bewegung in Form und Inhalt gleichermaßen: Mit der %-Fahne eher an marktschreierische Rabattaktionen des Einzelhandels erinnernd, zieht sie gegen “unproduktive Spekulation” zu Felde und enthüllt, wie wenig sie von den ökonomischen Gesetzen des Kapitalismus begreift. Die implizite Unterscheidung von “raffendem” und “schaffendem” Kapital rief beinahe naturgemäß sogenannte antideutsche Kräfte auf den Plan, die darin die Ausgeburt einer antisemitisch-antiamerikanischen Projektion in Form des “Wall-Street-Juden” entdecken. Die Antagonisierung findet statt, bevor/ohne dass sich die Kontrahenten über den zugrunde liegenden gemeinsamen Gegenstand verständigt hätten: die Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit mit der Arbeit als einziger Quelle des Wertes und damit auch des Profits in all seinen Formen (einschließlich der “Spekulations”gewinne).
Zwischenzeitlich hat sich die Bewegung um Attac dahingehend verbreitert, dass insbesondere in den kapitalistischen Zentren neben einem Europäischen Sozialforum regionale und lokale Sozialforen insbesondere gegen Sozialabbau entstanden sind, die sich zunehmend untereinander vernetzen. Der soziale Träger, sprich die Klasse, aus der sich die Bewegung maßgeblich rekrutiert, ist das demokratische intellektuelle Kleinbürgertum – Gymnasiasten und Studenten, Kopfarbeiter insbesondere aus dem sozialwissenschaftlichen Bereich, Lehrer, Soz.päds etc., d.h. durchaus vergleichbar mit der Anti-AKW- und Bürgerbewegung Ende der siebziger Jahre, aus der sich die Partei der Grünen maßgeblich rekrutiert hatte. Sie wollen in erster Linie eine “Bändigung” des Kapitalismus, einen “gerechteren” Welthandel, eine “gerechtere” Einkommensverteilung und Besteuerung, einen wirksamen Klimaschutz und multikulturelle Toleranz.
2. Linke Gewerkschaftsnetzwerke und Wahlalternative Soziale Gerechtigkeit
Gegen den Sozialpartnerschaftskurs der Gewerkschaften bilden sich verschiedentlich bereits seit den siebziger Jahren linke, “kritische” Gewerkschaftsnetzwerke heraus, die zum einen von enttäuschten, linkssozialistischen bis linkssektiererischen Gewerkschaftern entwickelt wurden und denen sich durchaus angesichts schwindender Gegenmacht der Gewerkschaftsspitzen zunehmend progressive Funktionäre der mittleren Ebene anschließen. Es handelt sich um ein sehr breites und buntscheckiges Spektrum, das sich um Publikationsnetzwerke wie “labournet” und “Express” gruppiert und in den unterschiedlichsten Basisorganisationen auf betrieblicher Ebene außerhalb des Gewerkschaftsapparates organisiert ist (Koordination in der Autoindustrie, Bayer-Coordination, oppositionelle Betriebsratslisten etc.). Dieses Spektrum versteht sich als klassenkämpferisch und kapitalismuskritisch, ohne marxistisch-leninistisch zu sein. Das hängt mit dem kleinbürgerlichen Radikalismus zusammen, der die wesentliche gemeinsame Klammer bildet, der die “Selbst-” und “Basisorganisation” der Arbeiterschaft propagiert und mehrheitlich gewerkschaftskritisch bis antagonisierend gewerkschaftsfeindlich auftritt und im letzteren Fall trotz eines augenscheinlich progressiven Impetus objektiv in die Hände jener Kapitalfraktion arbeitet, die ebenfalls an der Zerschlagung der Gewerkschaften interessiert ist. In jedem Fall verharren diese Gruppierungen im gewerkschaftskritischen Milieu bzw. Diskurs, ohne alternative schlagkräftige Organisationen der Arbeiterklasse als wirksame eigenständige Macht aufbauen zu können bzw. zu wollen.
Daneben existiert um die Memorandum-Gruppe, die Zeitschrift “Sozialismus” etc. ein reformistisch-sozialdemokratisches Spektrum, das in erster Linie nach Gestaltungs-möglichkeiten im Rahmen des bestehenden Systems sucht, d.h. die Systemgrenzen allenfalls im Diskurs überschreitet bzw. für überschreitbar hält. Maßgeblich aus diesen Kreisen entwickelte sich die sog. Wahlalternative für soziale Gerechtigkeit als selbsternannte “Bewegungspartei”, die “unter den gegebenen Verhältnissen” eine – parlamentarische – Oppositionspartei sein will. Sie stößt damit in das Vakuum, das die Sozialdemokratie durch ihren vollständigen Übertritt auf die Seite der Bourgeoisie und deren Interessenvertretung hinterlassen hat. Auch diese Entwicklung hat ihre historische Parallele – in der USPD als der Partei des organisierten Zentrismus (weder sozialdemokratisch noch kommunistisch, sondern versöhnlerisch zwischen beidem schwankend), als Reaktion auf eine Sozialdemokratie, die zu Beginn des Ersten Weltkriegs offen auf die Seite des deutschen Imperialismus und in der Novemberrevolution auf die Seite der Konterrevolution übergegangen war, wobei bislang unklar ist, ob diese “Wiederholung” der Geschichte die Form der Farce annehmen wird.
Diese “Bewegung” wird maßgeblich von progressiven Vertretern der Arbeiteraristokratie und hiervon insbesondere ihrem bürokratischen (d.h. von Lohnarbeit freigestellten) Teil rekrutiert. Ihr vorrangiges Ziel ist der “Erhalt des Sozialstaats”, d.h. die Besitzstandswahrung der privilegierten Lohnarbeiter und Kleinbürger, die durchaus auch über Kleineigentum und Ersparnisse verfügen, demnach etwas zu verlieren haben. An dieser Stelle sind zwei Tendenzen auszumachen: eine progressive, die den Preis der Ware Arbeitskraft gegen die Angriffe des Kapitals und seiner Versuche des Dumpings unter die Reproduktionskosten verteidigt, und eine sozialchauvinistisch-reaktionäre, die den Kampf um den “Standort Deutschland” als potenter Konkurrent auf dem Weltmarkt sowie den Kampf um die “Stärkung des Binnenmarktes” im klassenübergreifenden Interesse der Verbraucher wie der Unternehmer (mit)propagiert. “Linksradikale” Kritik und Vertreter werden dabei in aller Offenheit ausgegrenzt.
Wir haben es also bei dieser aus der traditionellen Arbeiterbewegung entspringenden Bewegung mit linksradikal-außerparlamentarischen Strömungen zu tun, die in erster Linie den Kampfplatz im Betrieb wahrnehmen, und mit einer reformistisch-sozialdemokratischen Strömung, die in den Parlamenten ihren “Kampfplatz” sucht.
3. Montagsdemonstrationen
Als dritte “Bewegung”, obwohl inzwischen von den beiden ersten getragen und dominiert, lassen sich die Montagsdemonstrationen charakterisieren. Entstanden aus spontaner Wut der Bevölkerung insbesondere in Ostdeutschland angesichts “Hartz IV”, erhielten sie zunächst Zulauf von all jenen aus dem Lohnarbeitsverhältnis Hinausgedrängten, den (Früh-)Rentnern, Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängern, den Präkarisierten und Marginalisierten, kurz der Reservearmee. Die Form des Protests knüpfte an die “Montagsdemonstrationen” zum Sturz der SED und schließlich der DDR an, um ziemlich bald feststellen zu müssen, dass eine vom Imperialismus unterstützte und geschürte “Revolution” (also eine Konterrevolution) wesentlich einfacher zu bewerkstelligen ist als die erfolgreiche Bekämpfung eines bürgerlich-kapitalistischen Regimes. Schnell fanden sich auch selbsternannte Führer, insbesondere die MLPD und diverse trotzkistische Gruppierungen (Linkswende, SAV), die mit sektiererischem Auftreten und ideologischem Wirrwarr alsbald Spaltung und Konfusion in die Bewegung hineintrugen und immer noch –tragen. Diese werden allerdings von den Vertretern der Arbeiteraristokratie ebenso wirksam isoliert wie von Vertretern des reformistischen Kleinbürgertums zumindest aktiv konterkariert, so dass sich in diesem Umfeld marxistisch-leninistische Positionen gleichermaßen gegen links- wie rechtsopportunistische Hauptströmungen behaupten müssen, ähnlich übrigens wie in den unter 2. genannten Bewegungen.
Positionierung der Kommunisten
Hauptkennzeichen aller genannten Bewegungen ist ihre Führungsunfähig- bzw. –unwilligkeit im Hinblick auf die Arbeiterklasse, ihre Interessen bzw. langfristigen Perspektiven. Jene Kräfte, die sich zum Teil aus der DKP, zum Teil aus anderen sich als kommunistisch verstehenden Formationen rekrutieren, fehlt in aller Deutlichkeit eine – vor allem auch gemeinsame – Strategie, die sie in die Lage versetzen würde, die tatsächliche und dringend benötigte Führung der in Bewegung geratenden Arbeiterklasse zu übernehmen.
Diese ist nicht nur – wie oben dargestellt – an ihren oberen und unteren sozialen Rändern in Bewegung geraten, sondern beginnt, sich vor allem in jenen Branchen und Betrieben zu bewegen, wo sie unmittelbar und existentiell angegriffen wird – Daimler, Opel, VW. Bei diesen Arbeitskämpfen, insbesondere beim Kampf um den Erhalt des Standorts Opel Bochum, zeigte sich auch vermehrt und deutlich die Bereitschaft, an der Betriebsrats- und Gewerkschaftsführung vorbei den Kampf zu beginnen (wenn auch noch nicht, ihn bis zum Ende durchzufechten).
Gerade in Abwesenheit einer Strategie seitens einer durch langjährige Sozialpartnerschaft geprägten Gewerkschaftsbürokratie, einer linkssektiererisch bis rechtsopportunistisch zersplitterten “Gegen”bewegung und – keineswegs zu vergessen und zu vernachlässigen! – angesichts einer zunehmenden Rechtsentwicklung, wie sie nicht nur in den Wahlerfolgen von NPD und DVU, sondern insbesondere im erschreckend dreisten und sozialdemagogischen Auftreten (“Schnauze voll!”) faschistischer Gruppierungen auf den Montagsdemonstrationen bzw. Demonstrationen gegen Sozialabbau zum Ausdruck kommt, ist eine solche Führung jetzt und heute unerlässlich.
Der Kampf um Sozialismus muss sich dabei mehr denn je als ein Kampf “um’s Teewasser” bewähren, bei denen Kommunisten als die aktivsten, fortgeschrittensten und glaubwürdigsten Interessenvertreter der Arbeiterklasse auftreten – auch wenn (noch) nicht in einer gemeinsamen kommunistischen Partei organisiert. Denn bei der derzeitigen Brutalität des Klassenkampfes (“von oben”), geschuldet der Brutalität imperialistischer Konkurrenz zwischen den Monopolen und zwischen den imperialistischen Hauptländern, führt jede Forderung gegen das Kapital, sogar die defensivste, an die Grenzen des Systems heran. Dieser Kampf bedarf einer kommunistischen Avantgarde, die die Interessen der Arbeiterklasse am konsequentesten zu vertreten weiß und die gesellschaftliche Perspektive der Bezwingung des Kapitals zugunsten einer sozialistischen Produktionsweise aufzeigen kann.
Dies geht aber nicht voraussetzungslos, wie einige kommunistische Sekten dies im Hauruckverfahren immer wieder tun: die Macht der Arbeiter beschwören, den Beginn der Weltrevolution mit einer Betriebsbesetzung, die Notwendigkeit der Diktatur des Proletariats etc. etc. Dies ist nur möglich, indem man die tendenziell zunehmend kampfbereite, aber schwankende und wenig geschulte bzw. kampferprobte Arbeiterschaft um zunächst defensive, einfache Forderungen um sich schart, was erste, breit angelegte Mobilisierungsschritte ermöglicht.
Entscheidend dabei wäre und ist, dass sich Kommunisten aller Formationen zusammenschließen um solche nächstliegenden Forderungen, die die fortschrittlichsten und bewusstesten Arbeiter aufgreifen und in die diversen Bewegungen und Gremien, insbesondere in die Gewerkschaften und Vertrauensleutekörper, hineintragen (d.h. Vermeidung jeder Antagonisierung gegen die Gewerkschaften!). Dieser Prozess müsste ohne Rücksicht auf organisationsegoistische Interessen und Befindlichkeiten im übergeordneten historischen Interesse beginnen, jetzt, sofort, ohne Aufschub.
Nächstliegende Forderungen könnten sein:
– Agitatorische Defensivforderungen wie “Keine Stunde mehr, keinen Cent weniger für dieses System!” (gegen jede weitere unbezahlte Mehrarbeit – egal in welcher Form, ob Überstunden, Arbeitszeitverlängerung oder –verkürzung ohne Lohnausgleich etc.).
– Mittelfristige strategische Forderungen wären z.B. eine Kampagne zur gesetzlichen Festlegung eines Mindestlohns und einer gesetzlichen Existenzsicherung (Abschaffung von Hartz IV und jeglicher Bedarfsprüfung, Abschaffung des Arbeitszwangs/1 €-Jobs); gesetzliche Fixierung der 35-Stunden-Woche.
– Schließlich: Eine Zusammenführung aufbrechender Standortkämpfe müsste in Angriff genommen werden, oder wie es ein Daimler-Kollege aus Stuttgart in einer Solidaritätserklärung an die Kollegen in Bochum formulierte: “Die beste Antwort auf diesen Generalangriff der Arbeitgeber wäre nämlich eine Generalmobilmachung aller ‘angegriffenen’ Belegschaften.”
Die wichtigsten politischen Kampfziele neben den explizit erhobenen sind dabei: Stärkung des Klassenbewusstseins und der Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse; Herstellung der Einheit der Klasse gegen klassenspalterisches Reformisten- sowie Sektierertum und gegen weitere Angriffe der Bourgeoisie; Zusammenführung der Kämpfe der aktiven und der erzwungen passiven Lohnarbeiter (Reservearmee). Dieser Verständigungsprozess muss beginnen: jetzt, sofort, ohne Aufschub. Andrea Schön, Essen