Karl-Heinz Reinhardt:
Die Konterrevolution auf Filzlatschen
Nein, die Veränderung der Macht- und Eigentumsverhältnisse und damit die Liquidierung der Deutschen Demokratischen Republik fanden sich zunächst nicht in den erklärten Losungen der seit Januar 1989 organisierten Montagsdemonstrationen selbsternannter Bürgerrechtler in Leipzig.
Mit Rosa Luxemburgs Worten „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“ wurde, durch die „friedlichen Revolutionäre“ inszeniert, am 15. Januar 1989 eine Rosa-Luxemburg-Demonstration durch die Leipziger Innenstadt organisiert, die sich selbst als die größte oppositionelle Demo vor dem Herbst 1989 bezeichnete.
Eine politische Nähe zu Rosa Luxemburg konnte ihnen wahrhaftig nicht nachgesagt werden.
Es gehörte in dieser Zeit zur erklärten Zielstellung solcher Elemente wie eines Roland Jahn von Westberlin aus, das Potential der oppositionellen Gruppen mit Antragstellern auf Übersiedlung nach der BRD zusammenzuführen. Denn dieser Kreis war, gemessen an Zahl und Aggressionsbereitschaft, um ein Vielfaches größer als der der Oppositionsgruppen. Es wurde das Ziel verfolgt, den gemeinsamen Aktionen dieser Kräfte erheblich mehr Gewicht und Erfolg zu geben.
Solche Leipziger Oppositionsgruppen wie der „Arbeitskreis Solidarische Kirche“, die „Initiativgruppe Leben“ und die „Arbeitsgruppe Menschenrechte“, in denen ab 1988 die Ausreiseantragsteller dominierten, wurden nach Jahns Empfehlungen vor allem wirksam über die Gestaltung der so genannten „Friedensgebete“ in der Leipziger Nikolaikirche.
Nicht von ungefähr gibt es heute Vorschläge selbsternannter „Bürgerrechtler“, dass der Platz an der Nikolaikirche ab dem Jahr 2009 den Namen „Platz der friedlichen Revolution“ tragen soll.
Vorwiegend von den unter dem Dach der evangelischen Kirche agierenden Gruppen wurden illegale Publikationen hergestellt und verbreitet, die antisozialistisch geprägt waren. Die Voraussetzungen für die Herstellung dieser Schriften waren größtenteils mit westlicher Hilfe („Die Grünen“) und oft durch kirchliche Unterstützung geschaffen worden, insbesondere durch Bereitstellung von Vervielfältigungstechnik. Dazu gehörte ebenfalls die regelmäßige Einschleusung westlicher Publikationen sowie die Veröffentlichung von Schriftstücken oppositioneller Kräfte anderer sozialistischer Länder.
Mit dem „Neuen Forum“, der „Böhlener Plattform“, der neu gegründeten „Sozialdemokra-tischen Partei“, der Gründung von „Demokratie jetzt“ und dem „Demokratischen Aufbruch“ hatten sich die antisozialistischen Kräfte, oft unter dem schützenden Dach der Kirche, jenes Potential geschaffen, mit dem sie stärker, zielgerichtet und abgestimmt in Konfrontation zur Staatsmacht gingen. Provokationen gegen die Schutz- und Sicherheitsorgane nahmen zu, eskalierten.
Mit Hilfe westdeutscher Medien und Teilnehmern mit Reichskriegsflagge aus der BRD an Montagsdemonstrationen wurden aus Sprechchören und Transparenten wie „Wir sind das Volk“ nunmehr „Wir sind ein Volk“. Nun richteten sich die Hauptangriffe zunehmend gegen die Partei- und Staatsführung sowie das Ministerium für Staatssicherheit der DDR.
Forderungen nach „freien Wahlen“ und „Reformen“, nach „unbegrenzter Demokratie“ wurden durch Wort und Schrift massenwirksam verbreitet.
Ein zur Montagsdemonstration in Leipzig mitgeführtes Transparent mit der Aufforderung: „Honecker und Stasi an den Galgen“ ließ das meist verdeckt vorgetragene Ziel nach Veränderung der Machtverhältnisse in der DDR und der Liquidierung des sozialistischen Staates nunmehr offen erkennen.
Klarer artikulierte das der „Bürgerrechtler“ Jürgen Tallig vom „Neuen Forum“ in seiner Ansprache auf einer Montagsdemonstration: „Unsere Revolution ist in die zweite Phase getreten. Nachdem wir in der erste unsere elementaren rechte erkämpft haben, steht nunmehr die Machtfrage auf der Tagesordnung. Konkret die Beseitigung der SED-Herrschaft…“
Diese Konzeption wurde mit der Montagsdemonstration vom 9. Oktober 1989 und den vorangegangenen so genannten „Friedensgebeten“ in vier Leipziger Kirchen mit dem Ziel, oppositionelle Standpunkte erneut zu artikulieren, planmäßig umgesetzt. Was sich anschloss, war nicht der „Protest“ von 70.000 Leipzigern, sondern die organisierte Demonstration von Teilnehmern aus fast allen DDR-Bezirken, die zu Tausenden mit Bahn und PKW anreisten. Die Atmosphäre war in höchstem Maße angeheizt und die Situation drohte zu eskalieren.
Dass es nicht dazu kam, wird in der heutigen „Geschichtsschreibung“ fälschlicher Weise allein den „friedlichen Demonstranten“ zugeschrieben, das besonnene und zweckmäßige Verhalten der Schutz- und Sicherheitsorgane aber geleugnet.
Der 9. Oktober 1989 und die folgenden Großdemonstrationen in Leipzig und Dresden machten deutlich, dass eine gut durchdachte Organisation der Konterrevolution existierte, die in der Folgezeit zur Veränderung der Macht- und Eigentumsverhältnisse und zur Einverleibung der DDR in die BRD führte.
Die Zersetzung und Demontage der SED, das Verbot und die Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit, der Kampfgruppen der Arbeiterklasse und der GST bereiteten den Boden für den Erfolg der Konterrevolution.
Bleibt noch nachzutragen: Bei der Montagsdemonstration am 9. Oktober 1989 demonstrierten 70.000 Teilnehmer für demokratische Verhältnisse in der DDR. Ihr Ziel haben sie schon im Dezember 2004 erreicht. Die „Heldenstadt“ Leipzig hatte da nämlich bereits 71.412 Arbeitslose!
Karl-Heinz Reinhardt, DKP Leipzig