Neue Höhen der marxistischen Wissenschaftstheorie

Frank Flegel:
Neue Höhen der marxistischen Wissenschaftstheorie
– erklommen durch den Genossen Hans Heinz Holz

Manche tanzen manchmal wohl ein Tänzchen
immer um den heißen Brei herum,
kleine Schweine mit dem Ringelschwänzchen,
Bullen mit erschrecklichem Gebrumm.

(Volles Orchester):

»Schließen wir nen kleinen Kompromiß!
Einerseits – und andrerseits –
so ein Ding hat manchen Reiz …
Sein Erfolg in Deutschland ist gewiß:
Schließen wir nen kleinen Kompromiß!«

(Auszüge aus: Kurt Tucholsky: „Das Lied vom Kompromiß“,
Erstmals erschienen unter seinem Pseudonym Caspar Hauser
in: Die Weltbühne, Nr. 12, vom 13. 3. 1919, S. 297)

Hans Heinz Holz hat der Wissenschaftstheorie des Marxismus eine ganz wichtige und wesentliche und uns entscheidend weiterbringende, die Dialektik mit neuem Leben erfüllende Kategorie hinzugefügt: das Einerseits-Andererseits!

In seinem Aufsatz „Thesen: Kommunisten – und andere Linke“, in: Theorie und Praxis, Heft Juli 2007, sind die im folgenden zitierten Passagen eng miteinander verwoben. Voraussichtlich soll man das für eine dialektische Einheit halten. Ich habe mir die Freude gemacht, die verquickten, zu einem Brei gerührten Teile zu sezieren und auseinander zu legen. Sie sind unterteilt in „einerseits“ (dort steht das, was ein jeder Marxist-Leninist unterschreiben kann) und „andererseits“ (dort steht das, was alle Revisionisten und Opportunisten von Leo Mayer über Nina Hager bis Gregor Gysi und Lothar Bisky entzücken dürfte). 

Einerseits:

„Die kommunistische Vorstellung von der einzig möglichen und realen Alternative zum Kapitalismus entspringt nicht irgendwelchen Wunschträumen …, sondern der wissen-schaftlichen Analyse der historischen Prozesse gesellschaftlicher Entwicklung gemäß der Entwicklung der Produktions- und Eigentumsverhältnisse.“(Hans Heinz Holz, „Thesen: Kommunisten – und andere Linke“, in: Theorie und Praxis, Heft Juli 2007, S. 15)

„Wissenschaftlich begründbare Auffassungen sind nicht beliebig variabel, kombinierbar, austauschbar. Sie sind richtig oder falsch,… .“ (Hans Heinz Holz, a.a.O., S. 16)

„Deshalb gibt es keinen Pluralismus in Marxismen (was anzunehmen ein politischer Fehler wäre), aber auch keine Pluralität im Marxismus (was ein theoretischer Irrtum wäre).“ (Hans Heinz Holz, ebenda)

Die Kommunisten können sich „unter keinen Umständen … auf Angleichungen an andere Vorstellungen oder Vermischung mit fremden Theorieelementen einlassen. Halbe Wahrheiten sind Unwahrheiten.“ (Hans Heinz Holz, ebenda)

Es ist das Bewusstsein notwendig, „dass die theoretische Auseinandersetzung eine Front des Klassenkampfes ist und dass jedes Zugeständnis an nicht-marxistische Gedankengänge eine Einbruchstelle für den Klassenfeind ist. … Unklarheiten, auf die man sich einlässt oder in die man sich verwickelt, sind der Ort theoretischer und politischer Niederlagen und haben (meist schwerwiegende) Folgen.“ (Hans Heinz Holz, a.a.O., S. 16/17)

Andererseits:

„Der Bezug auf die wissenschaftlichen Erkenntnisse … schließt im Rahmen eines wissenschaftlichen Diskurses auch verschiedene Marxismus-Auffassungen mit ein.“ (Hans Heinz Holz, a.a.O., S. 15)

„Die Wissenschaftlichkeit der Theoriebildung schließt kontroverse Diskussionen über die Gültigkeit und Reichweite von Erkenntnissen ein“ (Hans Heinz Holz, a.a.O., S. 15/16)

Denn es „ist eine Bandbreite von Interpretationen marxistischer Theoreme möglich und diskutierbar, ja im Interesse des wissenschaftlichen Fortschritts nötig.“ (Hans Heinz Holz, a.a.O., S. 16)

Es werden die „…Grundprinzipien des wissenschaftlichen Sozialismus respektive Marxismus modifiziert, gegebenenfalls ergänzt werden müssen.“ (Hans Heinz Holz, ebenda)

„Kommunisten respektieren, wenn andere anders denken, und sie sind bereit, von ihnen auch zu lernen.“ (Hans Heinz Holz, ebenda)

„Auch das relativ Wahre ist in der Relation, in der es steht, wahr und kann nicht mit Berufung auf eine absolute Wahrheit als unwahr erklärt werden.“ (Hans Heinz Holz, ebenda)

Auch zwischen denen, die „die Grundprinzipien der marxistischen Lehre miteinander teilen … gibt es gewisse Differenzen; – z.B. zwischen den Erben der III. Internationale und den Trotzkisten;…“ (Hans Heinz Holz, ebenda)

Das stammt ungelogen von der gleichen Person, steht im gleichen Aufsatz und ist auch nicht als Kabarettnummer über die ideologische Schwäche der kommunistischen Bewegung in Deutschland gemeint. Nein, das Problem ist, dass dieser Unsinn den Anspruch erhebt, ernst genommen zu werden.

Vor mehr als 140 Jahren kannte Karl Marx schon Ähnliches:

„Der Kleinbürger ist … zusammengesetzt aus einerseits und andererseits. So in seinen ökonomischen Interessen, und daher in seiner Politik, seinen religiösen, wissenschaftlichen und künstlerischen Anschauungen. So in seiner Moral, so in everything. Er ist der lebendige Widerspruch. Ist er dabei … ein geistreicher Mann, so wird er bald mit seinen eigenen Widersprüchen spielen lernen und sie je nach Umständen zu auffallenden, geräuschvollen, manchmal skandalösen, manchmal brillanten Paradoxien ausarbeiten. Wissenschaftlicher Scharlatanismus und politische Akkomodation sind von solchem Standpunkt unzertrennlich.“ (Karl Marx, Brief an J.B. v. Schweitzer, 24. Januar 1865, in: MEW 16, S. 31/32)

Frank Flegel, Hannover