Ulrich Huar
Die Sicherheitspolitik Stalins
vor dem faschistischen Überfall auf die Sowjetunion
Über die Sicherheitspolitik Stalins in der Zeit zwischen dem Abschluß des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt vom 23. August 1939 und dem Überfall der faschistischen deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941
Inhalt
- Redaktionsnotiz
- Vorbemerkungen
- Einige Bemerkungen zu den von mir benutzten Quellen
- Die Molotow – Notizen
- Kontroversen über den Zeitpunkt von Hitlers Plan für den Überfall auf die UdSSR
- Über den Balkankonflikt
- Türkische Aktivitäten
- Demobilisierung der Reservisten der Roten Armee?
- Über die Rolle der Panzerarmeen im „Blitzkrieg“ und über die militärische Disziplin in der Roten Armee
- Nationalstolz – Sozialistischer Patriotismus – Proletarischer Internationalismus
- Zur Frage nach der Richtung des zu erwartenden „Hauptschlages“ der faschistischen deutschen Armeen
- Über die Informationen an Stalin vor dem 22. Juni 1941
- Über die These von der „Enthauptung“ der Roten Armee
- Die Rote Armee – 1941 kriegsfähig?
- Die „Große Täuschung“
- Fußnoten
Vorbemerkungen
Die Freigabe von Dokumenten aus Archiven der Russischen Föderation in jüngster Zeit führte zu neuen Erkenntnissen bzw. zur Präzisierung und Ergänzung schon vorhandener historischer Publikationen über den zweiten Weltkrieg sowie über die Militär- und Außenpolitik Stalins unmittelbar vor dem deutsch-faschistischen Überfall auf die UdSSR.
Man könnte meinen, daß Präsident Putin aus lauter Bosheit Dokumente des Präsidenten-Archivs, das auch die Dokumente des Politbüros der KPdSU enthält, frei gegeben hat, deren Inhalt die üblichen Verleumdungen Stalins in einer Vielzahl von Publikationen ad absurdum führt.
Da ich die neuen Archiv-Dokumente während der Abfassung meiner Monographie „Beiträge Stalins zur sowjetischen Militärwissenschaft und -politik“ (im weiteren „Beiträge…“ genannt) noch nicht kannte, die die Richtigkeit meiner in dieser Arbeit gegebenen Einschätzung der Politik Stalins sowohl bestätigen als auch neue Argumente hinzufügen, hielt ich es für notwendig, eine Ergänzung aus den neuen Dokumenten-Publikationen nachzureichen.
Das betrifft einmal aufschlußreiche Einschätzungen sowjetischer Generale von deutschen Reichswehroffizieren aus den zwanziger Jahren während der Beziehungen zwischen Roter Armee und Reichswehr und neue Dokumente über Stalins Außen- und Militärpolitik vor dem Überfall der faschistischen deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion.
In dieser ergänzenden Literaturstudie dokumentiere ich nur neue Materialien. Bekannte Materialien, die in meinen „Beiträgen…“ bereits dargestellt wurden, lasse ich aus, wobei ich auf die einschlägigen Abschnitte in den „Beiträgen…“ verweise.
Einige Bemerkungen zu den von mir benutzten Quellen
Da ich aus gesundheitlichen und finanziellen Gründen nicht mehr nach Moskau fahren kann, um die freigegebenen Dokumente aus russischen Archiven im Original zu studieren, bin ich auf Quellenpublikationen angewiesen, benutzte also die Quellen nur aus „zweiter Hand.“
Ein Vergleich von publizierten Dokumenten zeigt aber Übereinstimmung, so daß an der getreuen Wiedergabe der Dokumente keine Zweifel bestehen. Im Text werden von mir in besonders wichtigen Fällen die Anmerkungen zu den Quellen vom jeweiligen Verfasser neben der üblichen Seitenangabe der betreffenden Publikation mit angegeben.
Das gleiche gilt auch für Dokumente aus dem Bundesarchiv, Militärarchiv, Freiburg (BA – MA Freiburg).
Die Molotow – Notizen
In jüngsten Publikationen wandten Historiker der Balkanpolitik Stalins 1940 -1941 erhöhte Aufmerksamkeit zu, die bisher in der Geschichtsschreibung wenig Beachtung fand. In meiner Monographie „Beiträge …“ habe auch ich lediglich die Besetzung Bessarabiens im Juni 1940 durch Truppen der Roten Armee als Sicherheitsmaßnahme erwähnt, ohne auf den Balkan weiter einzugehen. Die Ursache dafür lag im damaligen Stand der mir bekannten und für mich einsehbaren Quellen.
Ausgangspunkt für die Einbeziehung der Balkanpolitik der Regierung der UdSSR in die Darstellung der Vorgeschichte des Überfalls der deutschen Wehrmacht auf die UdSSR beziehungsweise Ergänzung diesbezüglicher Ausführungen in den „Beiträgen …“ war die Veröffentlichung der Notizen Molotows vom 9. November 1940 über Direktiven Stalins für dessen Berlinreise und vorgesehenen Gespräche mit Hitler und Ribbentrop. Meines Wissens wurden diese Aufzeichnungen Molotows erstmalig von Lew A. Besymenski veröffentlicht.1)
Diese von Besymenski als „einzigartige Niederschrift“ bezeichneten Notizen von Molotow werden auf Grund ihrer historischen Bedeutung im vollen Wortlaut dokumentiert:
»S.[treng] Geheim
W. M.[olotow]
Ein[ige] Dir[ektiven] zur Berl[iner] Reise
9. XI. 40
1. Ziel der Reise
a) Erkunden: die wirklichen Absichten D.[eutschlands] und aller Teilnehmer des Dreierpaktes (D.[eutschland], I.[talien], J.[apan]) bei der Verwirklichung des Planes der Schaffung des >Neu[en] Europas< sowie des >Ostasiatischen Großraumes< die Grenzen des >Neuen Europas< und >Ostas. Gr. R.<; Charakter der staa[tlichen] Struktur und Beziehungen einzelner[europäischer] Staaten im >N. E.<; Etappen und Fristen der Verwirklichung dieser Pläne und wen[igstens] der nächstliegenden Perspektiven des Beitritts anderer Staaten zum Dreierpakt; Rolle der UdSSR in diesen Plänen zur Zeit und in der Zukunft.
b) Vorzubereiten: ersten Abriß der Interessensphäre der UdSSR in Europa als auch in Nah- und Mittelasien; die Möglichkeit des Abkommens darüber mit D.[eutschland], auch mit I.[talien] abzuklopfen, aber irgendwelche Abkommen in diesem Stadium der Verhandlungen nicht abschließen, da die Fortführung dieser Verhandlungen in Moskau, wohin Ri[bbentrop] in der nächsten Zeit kommen soll, in Aussicht zu stellen ist.
2. Ausgehend davon, daß s[owjetisch]-d[eutsche] Abkommen über die teilweise Interessensphärenteilung der UdSSR und Deutsch[lands] durch die Ereignisse (mit Ausnahme Finn[lands]) ausgeschöpft sind, ist bei den Verhandlungen anzustreben, daß der Interessensphäre der UdSSR folgendes zuzurechnen ist:
a) Finnland – auf Grund des s[owjetisch]-d[eutschen] Abkommens von 1939, bei dessen Ausführung D.[eutschland] alle Schwierigkeiten und Unklarheiten (Abzug der d[eutschen] Truppen, Einstellung aller polit[ischen] Demonstrationen in F.[innland] und D.[eutschland], die den Interessen der UdSSR schädlich sind) beseitigen soll;
b) Donau – den Seeteil der Donau, gemäß den Direktiven an G[enossen] Sobolew. Unsere Unzufriedenheit zum Ausdruck bringen, daß D.[eutschland] die UdSSR in der Frage der Garantien und des Einmarsches der Truppen nach Rumänien nicht konsultiert hat.
c) Bulgarien – ist Hauptfrage der Verhandlungen. Soll gemäß den Ab-sprachen mit D.[eutschland] und I.[talien] zur Interessensphäre der UdSSR gehören. Die Garantien für Bulgarien seitens der UdSSR müßten auf der gleichen Grundlage erfolgen wie diejenigen seitens Deutschlands und Italiens für Rumänien, einschließlich des Einmarschs von sowjetischen Truppen nach Bulgarien.
d) Die Frage bezüglich der Türkei darf ohne unsere Beteiligung nicht entschieden werden, weil wir seriöse Interessen in der Türkei haben.
e) Die Frage über das weitere Schicksal Rumäniens und Ungarns als an die UdSSR angrenzende Staaten interessiert uns sehr, und wir hätten es gern, daß man sich mit uns darüber einigt.
f) Die Frage über den Iran darf ohne Teilnahme der UdSSR nicht gelöst werden, da wir dort seriöse Interessen haben. Wenn möglich übergehen.
g) Über Griechenland und Jugoslawien hätten wir gern gewußt, was die Achse beabsichtigt.
h) In der Frage bezüglich Schwedens bleibt die UdSSR auf der Position, daß die Neutralität dieses Staates im Interesse der UdSSR und Deutschlands liegt. Bleibt Deutschland auf gleicher Position?
i) Als Baltenstaat ist die UdSSR an der Frage des freien Schiffdurchgangs aus dem Baltikum in der Friedens- und Kriegszeit durch Kl.[einen] und Gr.[oßen] Belt, Öresund, Kattegat und Skagerrak interessiert. Es wäre gut, nach dem Muster des Donau-Abkommens diesbezüglich eine Konferenz mit Vertretern der interessierten Länder zu organisieren.
k) Auf Spitzbergen sollen unsere Kohlekonzessionen gesichert werden.
3. Transit Deutschland – Japan: unsere kraftvolle Position im Auge behalten.
4. Wenn nach unseren Beziehungen mit der Türkei gefragt wird, dann unsere Antwort an die Türkei mitteilen, und zwar, daß das Fehlen eines Beistandspaktes mit der UdSSR den Türken kein Recht gibt, Hilfe von der UdSSR anzufordern.
5. Wenn nach unseren Beziehungen zu England gefragt wird, antworten: im Geiste unseres Meinungsaustausches auf der Datscha von S.[talin].
6. Sagen, daß man uns von den über Roosevelt gemachten Friedens vorschlägen Deutschlands an England berichtet hat. Entspricht das der Wirklichkeit und wie ist die Antwort?
7. Auf die mögliche Frage nach unseren Beziehungen mit den USA wie folgt antworten: auch die USA fragen uns, ob wir der Türkei und dem Iran bei Gefahr Hilfe leisten können. Wir haben diese Fragen bisher nicht beantwortet.
8. Fragen, wo die Grenzen des >Asiatischen Gr.[oßraumes]< entsprechend dem Dreierpakt sind?
9. Zu China – im Geheimprotokoll einer der Punkte – ist zu sagen, daß notwendigerweise ein Ehrenfrieden für China (Tschiang Kai-scheck) anzustreben ist, dabei wäre die UdSSR, vielleicht mit Teilnahme D.[eutschlands] und I.[taliens] bereit, die Vermittlung zu übernehmen, wobei wir keine Einwände dagegen hätten, daß Indonesien als Einfluß-sphäre Japans anerkannt wird (Mandschurei bleibt bei Japan).
10. Eine Friedensaktion in Form einer offenen Deklaration der vier Mächte (wenn ein günstiger Verlauf der Hauptverhandlungen: Bulgarien, Türkei usw. klar wird) vorschlagen, mit der Bedingung der Erhaltung des Großbritischen Reiches (ohne Mandats-Territorien) mit allen Besitzungen, die England heute hat, unter Voraussetzung der Nichteinmischung in die europäischen Belange und des sofortigen Abzugs aus Gibraltar und Ägypten, wie auch der Verpflichtung zur sofortigen Rück-gabe der früheren deutschen Kolonien.
11. Bezüglich der s[owjetisch]-jap[anischen] Beziehungen – zuerst im Rahmen meiner Antwort an Tatekawa bleiben.
12. Nach dem Schicksal Polens fragen – auf Grund des Abkommens von 1939.
13. Über Eigentumsabfindung im Baltikum: 25 Prozent in einem Jahr, 50 Prozent in drei Jahren (mit gleichen Teilen).
14. Bezüglich Wirtsch[afts]fragen: bei günstigem Verlauf der Verhandlungen – über Getreide.«
Die ungewöhnliche Art des Dokuments wirft die Frage nach dessen Verfasser auf. Bei der Handschrift handelt es sich zweifellos um die Molotows. Eine textkritische Untersuchung legt den Schluß nahe, daß es sich bei diesem Dokument um einen Text handelt, den Stalin Molotow am Tag vor dessen Abreise nach Berlin diktierte.2)
(Sobolew, 1939 – 1942 Generalsekretär des Volkskommissariats für Auswärtige Angelegen-heiten der UdSSR. – Tatekawa, japanischer Botschafter in der UdSSR. Zu Punkt 10: Die Worte: „… und Indien sofort den Status eines Dominions gewährt“ sind im Original gestrichen. – Zu Punkt 13: Es ging um eine sowjetische Entschädigung für Deutsche, die 1940 gemäß dem deutsch-sowjetischen Abkommen die baltischen Länder verlassen hatten.)
Die Bedeutung, die Stalin dem Balkan beimaß, geht aus den Punkten 2 b,c,d,e,f,g, 4 und 7 eindeutig hervor. Besymenski wies darauf hin, daß Stalins Besorgnis vor allem der Türkei und den Schwarzmeerengen galt. Durch die Konvention von Montreux vom 20. Juli 1936 war die sowjetische Schwarzmeerflotte faktisch im Schwarzen Meer blockiert. (Die Türkei erhielt das Recht der Wiederbefestigung der Meerengen. Freie Durchfahrt für Handelsschiffe aller Länder in Friedenszeiten und auch für Kriegsschiffe der Schwarzmeerstaaten wurde gewährt. Für Kriegsschiffe anderer Staaten war die Durchfahrt allerdings begrenzt.)
Die Türkei war mit England verbündet. Die Briten hatten Inseln und Häfen Griechenlands eingenommen, so daß sie die Küsten der Sowjetunion im Schwarzen Meer bedrohen konnten. Desgleichen blieben Afghanistan und Indien Stützpunkte Englands; im Iran trieben deutsche Agenten ihr Unwesen. Die Wehrmacht begann Truppenverbände nach Rumänien zu verlegen und Ungarn in ein Aufmarschgebiet gegen die UdSSR zu verwandeln. Desgleichen gab es deutsche Aktivitäten in Richtung Bulgarien und Jugoslawien.3)
Wie aus Punkt 4 ersichtlich, waren die sowjetisch-türkischen Beziehungen sehr angespannt. Besymenski erklärt: „Aus Stalins zusätzlichen Weisungen geht hervor, daß Molotow die Voll-macht erhielt, die Frage einer Teilung der Türkei zu erörtern. Man errät unschwer, daß dabei eine mögliche Teilung der Türkei zwischen Bulgarien (Ostteil, die sowjetischen Stützpunkte an der Meerenge) und der Sowjetunion ins Auge gefaßt wurde.“4)
Die Bemerkung „…man errät unschwer…“ ist natürlich subjektiv, ohne Beweis.
Daran ändert auch nichts eine Äußerung Stalins gegenüber dem Generalsekretär der Kommunistischen Internationale (KI), Georgi Dimitroff, vom 25. November 1940, die Besymenski auszugsweise zitiert. Aus dem Zitat geht nicht hervor, daß Stalin die Türkei „aufteilen“, sondern sie nach „Asien zurücktreiben“, d.h., den europäischen Teil der Türkei mit Bulgarien teilen wollte. Es waren dies Gedanken von Stalin, noch keine Politik. Die Eintragung Dimitroffs vom 25. November 1940 lautet:
– Bei Molotow. Haben über Bulgarien gesprochen. Habe ihn darauf hingewiesen, daß es notwendig ist, sofort Maßnahmen zu ergreifen, damit Bulgarien nicht unter den ausschließlichen Einfluß Deutschlands gerät und nicht als dessen höriges Werkzeug ausgenutzt werden kann.
Mol[otow]: Wir agieren in dieser Richtung. Gerade heute werden wir eine Reihe konkreter Maßnahmen diskutieren.
In Berlin haben wir mit den Deutschen keinerlei Abkommen abgeschlossen und keinerlei Verpflichtungen übernommen. Die Deutschen bearbeiten jetzt die Türkei – das ist für sie jetzt die Hauptsache. Was die Türkei machen wird, kann man schwer vorhersehen. Aber wir beobachten aufmerksam, was dort und um die Türkei herum geschieht.
Die Deutschen wollen die Sache so darstellen, als hätten wir ihre Pläne auf dem Balkan gebilligt. Dies haben wir anläßlich des Beitritts Ungarns zum Dreimächtepakt öffentlich dementiert. Nun werden alle erfahren, daß wir keineswegs zugestimmt haben.
D[imitroff]: Wir streben die Zersetzung der deutschen Okkupationstruppen in verschiedenen Ländern an, und diese Aktivitäten wollen wir, ohne es an die große Glocke zu hängen, noch verstärken. Wird das die sowjetische Politik nicht behindern?
M[olotow]: Selbstverständlich muß man das tun. Wir wären keine Kommunisten, wenn wir diesen Kurs nicht einhalten würden. Nur muß es lautlos geschehen.
– Gerade in die Komintern zurückgekehrt, wurde ich zu Stalin bestellt. Habe dort Molotow (und Dekanasow) angetroffen.
St[alin]: Heute unterbreiten wir den Bulgaren den Vorschlag, einen Beistandspakt zu schließen. Wir bieten keine Garantien an, der bulgarische Botschafter Stamenow hat Molotow offensichtlich beim letzten Mal falsch verstanden, sondern einen Pakt über gegenseitigen Beistand. Wir weisen die bulgarische Regierung darauf hin, daß die Sicherheit beider Staaten vom Schwarzen Meer und den Meerengen her gefährdet ist und daß gemeinsame Anstrengungen erforderlich sind, um die Sicherheit zu gewährleisten. Historisch kam die Gefahr immer von hier: der Krimkrieg – die Besetzung Sewastopols, die Intervention von Wrangel im Jahre 1919 usw.
Wir unterstützen die territorialen Forderungen Bulgariens – die Linie Midia-Enez (Gebiet Westthrakien, Dedeagatsch, Drama und Kavala). Wir sind bereit, den Bulgaren Unterstützung zu gewähren, Brot, Baumwolle usw. in Form eines Darlehens, aber auch durch die Flotte und auf andere Weise. Wenn der Pakt geschlossen wird, werden wir uns konkret über Form und Umfang der gegenseitigen Hilfe einigen. Bei Abschluß des Beistandspaktes haben wir nicht nur keine Einwände gegen einen Beitritt Bulgariens zum Dreimächtepakt, sondern wir selbst werden diesem Pakt beitreten.
Wenn die Bulgaren diesen Vorschlag von uns nicht annehmen, werden sie völlig in die Klauen der Deutschen und Italiener fallen und dann zugrunde gehen.
Im Hinblick auf die Türkei verlangen wir einen Stützpunkt, damit die Meerengen nicht gegen uns genutzt werden können. Die Deutschen wollen offensichtlich, daß die Italiener die Kontrolle über die Meerengen ausüben, doch sie können unsere vorrangigen Interessen in diesem Gebiet nicht ignorieren. Wir werden die Türken nach Asien zurücktreiben. Was ist das, die Türkei? Dort leben zwei Millionen Georgier, anderthalb Millionen Armenier, eine Million Kurden usw., nur 6 – 7 Millionen Türken.
– Das wichtigste ist jetzt Bulgarien. Sollte ein solcher Pakt abgeschlossen werden, wird sich die Türkei nicht dazu entschließen, gegen Bulgarien zu kämpfen, und die gesamte Lage auf dem Balkan wird sich verändern.
– Es ist ein Fehler, anzunehmen, England sei geschlagen. Es verfügt im Mittelmeerraum über starke Streitkräfte. Es steht unmittelbar an den Meerengen. Nach der Eroberung der griechischen Inseln hat England seine Position in dieser Region gestärkt.
– Unsere Beziehungen zu den Deutschen sind nach außen höflich, doch gibt es zwischen uns ernst zu nehmende Reibungen.
– Der Vorschlag ist heute der bulgarischen Regierung übergeben worden. Unser Gesandter ist bereits von Filow empfangen worden. In Kürze wird er auch von Zar Boris empfangen. Dieser Vorschlag muß der breiten Öffentlichkeit Bulgariens bekanntgemacht werden. (Haben beschlossen, Stamenow herzubestellen, um ihm den in Sofia unterbreiteten Vorschlag mitzuteilen.)
– Ich habe an unsere Leute in Sofia das folgende Telegramm geschickt: {»Die sowjetische Regierung unterbreitete heute der bulgarischen Regierung einen konkreten Vorschlag für den Abschluß eines Beistandspaktes.
Die sowjetische Regierung geht davon aus, daß die Gewährleistung der Sicherheit Bulgariens und der Sowjetunion vom Schwarzen Meer und von der Meerenge aus sowie die Bewahrung des Friedens ein gemeinsames Lebensinteresse beider Staaten darstellt und deren gemeinsame Anstrengungen erfordert. Die Sowjetunion ist bereit, die gerechtfertigten territorialen Forderungen Bulgariens und insbesondere die Rückgabe des Odriner Gebiets – auf der Linie Midia-Enez, des westlichen Thrakien mit Dedeagatsch, Drama, Kavala zu unterstützen sowie Bulgarien umfassende Hilfe zu erweisen. Bei Abschluß eines solchen Paktes spricht sich die Sowjetunion nicht nur nicht gegen den Beitritt Bulgariens zum Dreimächtepakt aus, sondern wird selbst dem Pakt beitreten.
Dieser Vorschlag wurde heute Zar Boris und Filow ausgehändigt. – Ergreifen Sie umgehend energische Maßnahmen, damit dieser Vorschlag dem Parlament, der Presse und den Massen bekannt wird. Mobilisieren Sie für dieses Ziel unsere Abgeordneten; entfalten Sie im ganzen Land eine energische Kampagne für die Unterstützung dieses Vorschlags, fordern Sie seine unverzügliche und bedingungslose Annahme. Das Schicksal des bulgarischen Volkes wird damit für viele Jahre entschieden.
Bestätigen Sie sofort den Empfang dieser Mitteilung. Berichten Sie uns täglich über den Verlauf der Kampagne und darüber, wie die Regierung und andere Kreise reagieren.«) 5)
(Dekanosow, stellv. Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten und sowjetischer Botschafter in Berlin; Filow, bulgarischer Premierminister)
Die bulgarischen Genossen begingen dabei einen ernsthaften Fehler. Die von Dimitroff übermittelten sowjetischen Vorschläge an Bulgarien hatten sie in Flugblättern verteilt – und landeten auch prompt auf dem Schreibtisch von Ribbentrop. Molotow tobte: „Diese Idioten!“
Dimitroff notierte am 28. 11. 1940: „Abends Anruf von Molotow aus Stalins Kabinett: Unsere Leute haben in Sofia aus Anlaß des sowjetischen Vorschlags an Bulgarien Flugblätter verbreitet. Dummköpfe! – Habe die Weisung abgeschickt, mit dieser schädlichen Dummheit Schluß zu machen.“ 6)
So ganz unschuldig an dieser „schädlichen Dummheit“ scheint Dimitroff aber auch nicht zu sein, wenn er von den Genossen in Bulgarien verlangte, „im ganzen Land eine energische Kampagne für die Unterstützung dieses Vorschlags…“ durchzuführen. Dies haben die bulgarischen Genossen nun auch getan. Solche Pannen kommen vor.
Während seiner Gespräche mit Hitler und Ribbentrop blieb Molotow in ständigem Kontakt mit Stalin. Die Haltung Hitlers zur Balkanpolitik der UdSSR, namentlich Bulgariens und der Meerengen, verdeutlichen, daß er „von Anfang an ausgesprochen negativ zu den Ansprüchen“ stand, „die Molotow am 12. November gestellt hatte, und räumte Finnland in der ganzen Diskussion unverhältnismäßig viel Raum ein, wie Molotow später in seinem Telegramm an Stalin beklagte.“
Der „gesamte südliche Komplex“ blieb „unerledigt.“ 7)
Kontroversen über den Zeitpunkt von Hitlers Plan für den Überfall auf die UdSSR
Hitler hatte sich bereits vor der Konferenz für den Eroberungskrieg gegen die Sowjetunion entschieden. Besymenski schrieb: „Was Hitler angeht, so bestätigte der Besuch in seinen Augen lediglich die Richtigkeit seiner bereits getroffenen Entscheidung über den künftigen Überfall auf die UdSSR. Nicht von ungefähr schrieb er in der Direktive Nr. 18. vom 12. November 1940, daß die Vorbereitungen ‘unabhängig vom Besuch fortzuführen seien; und ein paar Wochen darauf unterschrieb er die Direktive Nr. 21, die Anweisung zum Unternehmen Barbarossa’.“ 8)
Da der Zeitpunkt, wann Hitler die Entscheidung für den Überfall auf die UdSSR getroffen habe, von Gabriel Gorodetsky auf die Zeit nach der Berliner Konferenz verlegt wird, die den Ausschlag für die Weisung Nr. 21, Fall „Barbarossa“, gegeben habe 9), sei noch auf die Ausführungen von Manfred Messerschmidt verwiesen: Nach dem Sieg der Wehrmacht im „Blitzkrieg“ 9a) über Frankreich und der Vertreibung der Briten vom Kontinent mußte Hitler feststellen, daß auf Grund der Überlegenheit der britischen Flotte und Luftwaffe eine Invasion auf den britischen Inseln ausgeschlossen war.
In sehr vorsichtiger Form deuteten Heinz Guderian und Kurt von Tippelskirch an, daß eine Invasion Englands nicht ganz ausgeschlossen zu werden brauchte, wenn Hitler nicht an Guderians Panzerdivisionen am 20. Mai 1940 den weiteren Vormarsch zur Küste bei Dünkirchen und die Einschließung der britischen Truppen auf dem Kontinent (BEF) durch kategorischen Haltebefehl verboten hätte. Der britische Militärhistoriker John Keegan schrieb:
Hitlers «Haltebefehl» brachte den Vormarsch der Panzer zwei volle Tage lang zum Stehen, bis zum Nachmittag des 26. Mai – zwei Tage, die man rückblickend als strategisch entscheidend für den Ausgang des Zweiten Weltkriegs bewertet hat. Ohne Wissen der Deutschen hatte die britische Regierung am 20. Mai entschieden, daß möglicherweise ein Teil der BEF über die Kanalhäfen evakuiert werden müsse. Die Admiralität war daher angewiesen worden, kleinere Schiffe an der britischen Südküste zusammenzuziehen, um die britischen Soldaten aus Frankreich herauszuholen. Das Unternehmen bekam den Tarnnamen Dynamo. Es war zunächst keine vollständige Evakuierung vorgesehen, denn die Regierung hoffte immer noch, daß es den BEF gemeinsam mit der französischen 1. Armee gelingen werde, durch den Panzerkorridor hindurchzustoßen und sich mit dem Hauptkontingent der französischen Armeen zu vereinigen, das sich an der Somme und südlich von ihr behauptete – was im Wesentlichen dem Wey-gand-Plan entsprochen hätte.
Doch auch die BEF waren erschöpft von den Kämpfen in Belgien, die unter hinhaltendem Widerstand zum Rückzug von der Dyle an die Scheide geführt hatten, und Gort litt zunehmend unter dem Bewußtsein, für die einzige Armee Großbritanniens verantwortlich zu sein. Am 23. Mai war ihm vom Kriegsminister Anthony Eden zugesichert worden, daß die Regierung eine Unterstützung der Truppen zur See und aus der Luft veranlassen würde, sollte ein Rückzug an die Nordküste erforderlich werden. Am selben Tage kam er zu dem Schluß, daß zu wenig Truppen, Panzer und Flugzeuge zur Verfügung stünden, um den Weygand-Plan zu verwirklichen. Also zog er die beiden Divisionen, von denen Rommel am 21. Mai so wirkungsvoll angegriffen worden war, aus Arras ab. «Nur ein Wunder kann die BEF jetzt noch retten», schrieb Alan Brooke, der Gorts II. Korps befehligte, am 23. Mai, doch die tatsächliche Grundlage der Rettung schuf Gort an diesem Tage mit seinem Entschluß, die BEF herauszulösen und an die Küste zurückzuziehen.
Denn Hitler hatte den Ereignissen vorgegriffen. Seine Furcht, die Panzer würden wegen der Kanäle und Flüsse um Dünkirchen, in dessen Hafen Gort die BEF nun dirigierte, nicht vorankommen, war berechtigt. Falsch war es jedoch, den «Haltebefehl», wie er es getan hatte, zwei Tage zu früh zu geben: Zu dieser Zeit hatten die Briten – und die Masse der französischen 1. Armee – den Zufluchtsort der «Kanallinie» noch nicht erreicht. Als der Befehl am 26. Mai widerrufen wurde, war der Teil des alliierten Heeres, den Hitler am dringendsten vernichten wollte und mußte, zumindest einstweilen in Sicherheit. Im Schutz des Aakanals und des Colmekanals konnten sich die ersten Soldaten des flüchtenden Feindes einschiffen, denn am gleichen Tage hatte Admiral Bertram Ramsay vom Hauptquartier der Operation Dynamo begonnen, ganze Flottillen von Zerstörern und kleinen Schiffen über den Ärmelkanal zu schicken. Göring hatte Hitler versichert, daß die Luftwaffe jede Evakuierung des Kessels von Dünkirchen verhindern würde. Zwischen dem 24. und 26. Mai richtete die Luftwaffe dort tatsächlich schwere Verwüstungen an und fuhr damit bis zum Ende der Evakuierungsmaßnahmen am 4. Juni fort. Sie konnte die Evakuierungsschiffe jedoch nicht davon abhalten, vor dem ganzen Küstenstreifen zu ankern – während der neuntägigen Luftangriffe wurden insgesamt nur sechs britische und zwei französische Zerstörer versenkt -, noch war sie in der Lage, den Widerstand der Verteidiger von Dünkirchen zu brechen, unter denen sich viele Franzosen und Angehörige der Kolonialarmee befanden; nur langsam wichen sie vor dem konzentrierten deutschen Angriff zurück.9b)
Ob tatsächlich eine Landung deutscher Truppen in England möglich gewesen wäre, läßt sich nicht im Nachhinein entscheiden. Selbst wenn der Wehrmacht die Vernichtung des britischen Expeditionskorps gelungen wäre, bliebe eine Landung auf der britischen Insel noch sehr fraglich. Für England mag der Haltebefehl Hitlers von großer strategischer Bedeutung gewesen sein, ob gleich für den „Ausgang des Zweiten Weltkrieges“ entscheidend(!), läßt auch Keegan offen.
Hitler orientierte nunmehr auf einen erfolgreichen „Blitzkrieg“ gegen die UdSSR, auf die Eroberung der Ukraine und des Kaukasus, um Getreide und Erdöl in ausreichenden Mengen für die weitere Kriegführung zu gewinnen. Gestützt auf diese Eroberungen erschien ihm Deutschland als unangreifbar und als Voraussetzung für den schließlichen Sieg über Großbritannien.
Am 31. Juli 1940 trug er seine Absicht des Überfalls auf die UdSSR dem deutschen Generalstab vor. Die Generale waren von einem „schnellen Erfolg“ überzeugt. Messerschmidt erklärt, wie Besymenski, daß Hitler an der „Kriegsabsicht“ gegen die UdSSR festhielt, unabhängig vom Besuch Molotows in Berlin am 12. November 1940. Am 5. Dezember lagen die operativen Vorstellungen des Generalstabs für den Überfall auf die UdSSR vor, am 18. Dezember folgte die Weisung Nr. 21, Fall Barbarossa. 10)
Wie auch Besymenski zitiert Messerschmidt aus Hitlers Weisung Nr. 18 vom 12. November, dem Beginn der Gespräche mit Molotow, allerdings etwas ausführlicher: „Gleichgültig, welches Ergebnis diese Besprechungen haben werden, sind alle schon mündlich befohlenen Vorbereitungen für den Osten fortzuführen. Weisungen darüber werden folgen, sobald die Grundzüge des Operationsplanes des Heeres mir vorgetragen und von mir gebilligt sind.“ 11)
Gorodetsky meint, daß „das Timing“ für den Erlaß der Weisung Nr. 21 (Fall Barbarossa) mit dem deutsch-sowjetischen Konflikt auf dem Balkan in „direktem Zusammenhang“ stünde: „Selbst wenn Hitlers Entscheidung für ‘Barbarossa’ ideologisch motiviert gewesen sein mochte, wurde sie doch von fest gefügten geopolitischen Vorstellungen und den sich wandelnden politischen Umständen bestimmt. Wenn man die heftige Auseinandersetzung mit Stalin auf dem Balkan genauer betrachtet, kann man zumindest erkennen, daß das Timing von ‘Barbarossa’ mit dem ungelösten Konflikt um die Einflußsphären in dieser Region in einem Zusammenhang stand. Die konkreten Ursprünge des Plans Barbarossa liegen noch im Dunkeln, aber die Tatsache, daß sie unabhängig voneinander an zwei oder drei Orten zu suchen sind, scheint darauf hinzuweisen, daß er nicht unter einer zentralen Führung ausgearbeitet wurde.“ 12)
Hitlers Entscheidung für den Ostkrieg hing nach Gorodetsky mit zwei unvorhergesehenen Hindernissen zusammen: Einmal Churchills Ablehnung eines „Friedensangebotes“ Hitlers nach dem Frankreichfeldzug und zum anderen Stalins „Vormarsch“ auf dem Balkan. 13)
Gorodetsky polemisiert gegen eine „weit verbreitete Auffassung“, wonach die Verhandlungen Molotows mit Hitler im November 1940 schon mit Hitlers Weisung Nr. 18 von vornherein zum Scheitern verurteilt gewesen wären. Diese Auffassung sei „völlig unbegründet.“ 14)
Die Bezüge auf den Balkan seien wichtiger. Hitler habe bereits vor den Verhandlungen mit Molotow „entschieden, Bulgarien unter deutsche Kontrolle zu stellen. Die Wehrmacht hatte Weisung, sich darauf vorzubereiten, ‘im Bedarfsfall aus Bulgarien heraus das griechische Festland nördlich des Ägäischen Meeres in Besitz zu nehmen.’“ 15)
Damit sollte einem britischen Angriff auf die rumänischen Ölfelder zuvorgekommen werden.
Am 28. Oktober 1940 überfielen die Truppen Mussolinis Griechenland, die jedoch auf heftigen Widerstand stießen. In einer Gegenoffensive im November warfen Einheiten der griechischen Armee die Italiener wieder raus und drängten sie nach Albanien ab.
Mussolini hatte seinen „Freund“ und „Verbündeten“ Hitler über seinen Einfall in Griechenland vorher nicht informiert. Er wollte sich seinen Anteil an der „Beute“, dem Balkan, unabhängig von Hitler sichern.
„Es war zu erwarten gewesen“, erinnerte sich der sowjetische Botschafter in London, I. M. Maiski, „daß die deutschen Faschisten sehr bald auf dem Schauplatz erscheinen würden, um den Italienern zu ‘helfen’ und darüber hinaus auf dem Balkan selbst festen Fuß fassen zu können. Damals war der ‘Plan Barbarossa’ … noch nicht bekannt, aber Deutschland fand auch ohnehin Grund genug, sich eines strategisch so wichtigen und an Rohstoffen und Nahrungsmitteln so reichen Gebietes zu bemächtigen.“ 16)
Der ehemalige Wehrmachtsgeneral Kurt von Tippelskirch meint, daß Hitler im Juli 1940 im Zusammenhang mit dem deutsch-sowjetischen Konflikt auf dem Balkan die „Möglichkeit eines Krieges gegen die Sowjetunion in den Kreis seiner Erwägungen …“ zog.
Nach einer Bemerkung Molotows in seiner Rede vom 2. August 1940, daß sich die Sowjetunion „mit den bisherigen Erfolgen nicht zufrieden geben“ könne, wurde das Unternehmen ‘Barbarossa’ zum „Leitmotiv seiner Politik.“
Demnach also noch vor dem Molotow-Besuch in Berlin am 12. November 1940 und der Weisung Nr. 21, Fall „Barbarossa“. Dieser war also schon vor dem 12. November geplant. 16a)
Von Tippelskirch abweichend bemerkt der ehemalige Generaloberst Heinz Guderian; daß die „zunehmende Spannung“ zwischen Deutschland und der UdSSR „durch die deutsche Rumänien- und Donau-Politik gesteigert worden“ sei.
Die Forderung Molotows auf der Berliner Konferenz bezüglich der Interessensphären der Sowjetunion, Finnland, Polen, der Anerkennung der sowjetischen Interessen in Rumänien und Bulgarien und an den Dardanellen, habe Hitler entrüstet. Dies habe Hitler ihm gegenüber 1943 geäußert. „Die Folgerung, die er aus dem Besuch Molotows und seinem Verlauf zog, war die Überzeugung, daß der Krieg mit der Sowjetunion eines Tages unvermeidlich sein wird ….
Kurz nach dem Besuch Molotows wurden mein nunmehriger Chef des Stabes, Oberstleutnant Freiher von Liebenstein, und der erste Generalstabsoffizier, Major Bayerlein, zu einer Besprechung zum Chef des Generalstabes des Heeres gerufen, bei der sie die ersten Weisungen über den ‘Fall Barbarossa’, den Kriegsfall gegen Rußland erhielten.“ 16b)
Guderians Darstellung stimmt mit Gorodetsky überein.
Nach Gorodetsky habe sich Hitler „die Tür für ein politisches Arrangement“ mit den Sowjets „weit offen“ gelassen, soweit es „den Zusammenbruch des britischen Empires beschleunigen” konnte, … aber: die Planungen für den Krieg gegen die UdSSR wurden fortgesetzt.
Die Würfel für den Krieg gegen die UdSSR seien erst gefallen, „als die Russen die deutschen Bedingungen zurückwiesen, die die Voraussetzung für den Aufbau des Kontinentalblocks (gegen England, UH) bildeten.“ 17)
Offenbar trennt Gorodetsky die „ideologische Komponente“ Hitlers, „Drang nach Osten“ – „Vernichtung des Bolschewismus“ von der praktischen militärischen Realisierung dieser Ziele. Den Bolschewismus zu vernichten, war nach Hitler in einem Gespräch mit Martin Bormann (ab Mai 1941 Leiter der Parteikanzlei der NSDAP, ab April 1943 Sekretär Hitlers) das „eigentliche Ziel“ des Nationalsozialismus. 18)
Eine solche mechanizistische Trennung von faschistischer Ideologie und der praktischen militärischen Durchführung führt dann bei Gorodetsky auch zu einer anfechtbaren These: Wenn Hitlers Ideologie „fixe Idee“ sei, dann wäre der Krieg unvermeidlich, wenn aber die „erkennbare pragmatische Linie“ echt war, „dann konnte der Krieg noch abgewendet oder zumindest hinausgeschoben werden, wenn man die diplomatische Karte geschickt spielte.“
„Stalin tendierte dazu, seine eigene Sicht wie im Spiegel auf Hitler zu projizieren.“ 19) Ob Stalin dies wirklich tat, weiß ich nicht.
Desgleichen meint Gorodetsky, daß Stalin über zwei Szenarien nachzudenken hatte: Ist der Krieg a) unvermeidlich, oder ist auf diplomatischem Wege, b) durch Verhandlungen eine „Friedenskonferenz“ zu erreichen. Stalin tendierte nach Gorodetsky zu Szenarium „b“. 20)
In den weiteren Ausführungen von Gorodetsky, vor allem über den Zustand der Roten Armee, wird jedoch deutlich, daß Stalin den Krieg für unvermeidlich Hielt, also Szenarium „a“, er ihn auf jeden Fall hinauszögern, Zeit gewinnen wollte, um Armee und Hinterland auf den Krieg vorzubereiten. 21)
Die von Besymenski, Messerschmidt, Shukow und anderen angeführten Fakten sind Gorodetsky natürlich bekannt. Umso verwunderlicher ist seine Schlußfolgerung, daß die Entscheidung Hitlers für den Überfall auf die UdSSR erst nach der Novemberkonferenz mit der Weisung Nr. 21, Fall „Barbarossa“, gefällt worden sei. Ob Gorodetsky die Kriegsentscheidung Hitlers mit Plan „Barbarossa“ identifiziert, möchte ich offen lassen. Wenn er jedoch meint, daß die bereits von den Heeres-Generalen, Generaloberst von Brauchitsch, Generalmajor Marcks, vorbereiteten Pläne für den Überfall erst mit Plan „Barbarossa“ nach der Konferenz ihre Vollendung fanden, dann ist es natürlich richtig, aber dies wäre ein anderer Sachverhalt.
Eine solche Auffassung äußert John Keegan:
„Obwohl von unwillkommenen Entwicklungen am Rande seines Reiches abgelenkt und augenscheinlich zwischen den strategischen Optionen hin- und hergerissen, änderte sich für Hitler im Oktober und November nichts an der grundsätzlichen Entscheidung zugunsten eines Ostfeldzuges. Zwar erklärte er Anfang November Bock, dem Oberbefehlshaber seiner in Polen stehenden Heeresgruppe, was im Osten geschehe, sei noch nicht endgültig entschieden, aber es blieb bei der Verlegung der Divisionen von West nach Ost, während OKW und OKH weiter an entsprechenden Plänen arbeiteten. «Politische Besprechungen mit dem Ziel, die Haltung Rußlands für die nächste Zeit zu klären, sind eingeleitet», teilte Hitler seinen Kommandeuren am Abend vor Molotows Besuch mit, der nun auf den 12. November festgesetzt war. «Gleichgültig welches Ergebnis diese Besprechungen haben werden, sind alle schon mündlich befohlenen Vorbereitungen für den Osten fortzuführen.» Am 11. November war daher klar, daß Hitler nur dann auf die Mobilmachung für die Ostoffensive verzichten würde, wenn Molotow garantieren konnte, daß Rußland sich mit Hitlers Herrschaft über den Kontinent abfinden würde.
Doch Molotow kam nicht, um Zugeständnisse zu machen. Unbeein-druckt von Hitlers militärischen Triumphen und der Stärke seiner Streitkräfte, ließ er keinen Zweifel an der Position der Sowjetunion: Deutschland habe sich strikt an die Bestimmungen des Hitler-Stalin-Pakts zu halten (welche die Einflußsphären beider Staaten in Ost- und Südeuropa festlegten); die Sowjetunion verfolge als Großmacht ihre eigenen Interessen und verlange Aufklärung darüber, welche Absichten Deutschland in seinen Beziehungen zu Dritten umzusetzen suche. Auf einem vorbereitenden Treffen mit Molotow hatte Ribbentrop das deutsche Angebot auf den Tisch gelegt: Die Sowjetunion solle an der Plünderung des Britischen Empire beteiligt werden, wenn sie bereit sei, sich auf die Seite des Dreimächtepakts zu schlagen. Dafür erhalte sie freie Hand für die Expansion in Richtung Indischer Ozean, während Japan seine Eroberungen in Asien abschließen und Deutschland sein Herrschaftsgebiet nach Afrika hinein ausdehnen könne.
Molotow zeigte sich nicht interessiert. Bei seinen anschließenden Zusammenkünften mit Hitler verlangte er die buchstabengetreue Einhaltung des Hitler-Stalin-Pakts und Rußlands Recht, seine traditionellen Interessen im Schwarzmeerraum zu wahren…
Am nächsten Morgen reiste Molotow nach Moskau ab. Obwohl er nur 48 Stunden in Berlin gewesen war, hatte sein Besuch lange genug gedauert, um Hitler davon zu überzeugen, daß der «Entscheidungskampf» gegen den Bolschewismus – seit den frühesten Tagen seiner «Kampfzeit» ein Leitmotiv seines politischen Glaubensbekenntnisses – nun nicht länger aufgeschoben werden könne. Noch in seiner letzten Lebenswoche erinnerte er sich an die Wut, die Molotows Unnachgiebigkeit in ihm geweckt hatte: «Sollte ich weiter abwarten, um besser gerüstet zu sein? Nein, denn dadurch gaben wir das Gesetz des Handelns preis! Nochmals nein, denn wir hätten den ungewissen Aufschub zu teuer bezahlen müssen. Wir hätten nämlich den bolschewistischen Erpressungsversuchen nachgeben und Finnland, Rumänien, Bulgarien und die Türkei preisgeben müssen. Und das war für mich ausgeschlossen.» Die Erinnerung übertrieb die Wirklichkeit nur unwesentlich: Als der von Molotow abgefaßte Vertragsentwurf am 25. November in Berlin eintraf, enthielt er Bestimmungen, die den Rückzug der deutschen Truppen aus Finnland verlangten (ein Abkommen, das ihre Stationierung auf finnischem Gebiet erlaubte, war am 12. September un-terzeichnet worden) und die es der Sowjetunion gestatteten, sich Stützpunkte in Bulgarien zuzulegen. Hitler wies Ribbentrop an, nicht darauf zu antworten.“ 22)
Interessant ist ein von Keegan in Klammern gesetzter Satz: Hitler „hätte sogar bindende Nichtangriffsvereinbarungen mit“ der Sowjetunion „geschlossen, hätte Molotow bei seinem Besuch in Berlin zusichern können, daß die Sowjetunion bereit war, eine kontinentale Hegemonie Deutschlands zu dulden.“ 22a)
Mit anderen Worten: Stalin war nicht bereit, den imperialistischen Hegemoniebestrebungen der Hitlerfaschisten nachzugeben. Die Sowjetunion erwies sich als ernsthaftes Hindernis des faschistischen deutschen Imperialismus für den Kampf um die Weltherrschaft. Der Molotow-Besuch war nur die letzte Bestätigung für diesen Sachverhalt und bestimmte Hitler, den bereits geplanten und militärisch in Vorbereitung befindlichen Angriff auf die UdSSR nunmehr zu präzisieren und auszuführen. Insofern nahm die Weisung Nr. 21, Plan „Barbarossa“, eine Schlüsselstellung in der Vorbereitung des Eroberungs- und Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion ein; wobei auch dieser Plan noch mehrfache Änderungen über Daten und strategische Hauptrichtungen der Angriffs-Armeen erhielt. Keegan resümiert: „Der Entschluß, den Hitler im Dezember 1940 faßte, der seit dem Sieg über Frankreich, seit Juni also, sein Sinnen und Trachten beherrschte, der im Grunde genommen seine ‚Weltsicht’ seit dem Tag bestimmte, an dem er sich beinahe 20 Jahre zuvor angeschickt hatte, die Macht in Deutschland zu ergreifen – dieser Entschluss sollte der Dreh- und Angelpunkt all dessen bleiben, was er in der ersten Jahreshälfte 1941 dachte und tat, ungeachtet aller Ereignisse, die dazwischentraten und ihn hätten umstimmen können.“ 22b)
Aufschlußreich sind die Eintragungen von Generaloberst Franz Halder, Chef des Generalstabes, ab Juni 1940 in seinen Tagebüchern, aus denen hervorgehe, daß bereits in dieser Zeit Befehle zur Ausarbeitung eines detaillierten Planes für den Krieg im Osten erteilt wurden, so am 21. Juli an Generaloberst von Brauchitsch, am 29. Juli an Generalmajor Marcks. Marcks galt als Fachmann für die Verhältnisse in der UdSSR. 23)
Am 31. Juli beriet Hitler den Plan mit Generaloberst Keitel, General Jodl und den Oberbefehlshabern des Heeres und der Kriegsmarine auf dem Obersalzberg. Hitler erklärte, daß die Zerschlagung der UdSSR notwendig sei, um die Herrschaft in Europa zu erringen. „Im Zuge dieser Auseinandersetzung … muß Rußland erledigt werden. Frühjahr 1941.“ 24)
Dies alles vor der Berliner Konferenz vom 12. – 14. November 1940, vor dem Erlaß der Weisung Nr. 21, Plan „Barbarossa“, vom 18. Dezember 1940.
Es sei noch auf eine Besonderheit der Planung des deutschen Generalstabes vor Weisung Nr. 21 hingewiesen: Die Hoffnung, daß die sowjetischen Streitkräfte an der Grenze konzentriert sein würden, wo sie von der waffentechnisch überlegenen und kriegserfahrenen Wehrmacht in kurzer Zeit vernichtet werden könnten, einen Rückzug der Roten Armee in das Hinterland zu verhindern, von wo aus sie Gegenstöße gegen die deutschen Truppen führen könnte. 25)
Abgesehen von der Kontroverse über den Zeitpunkt für die Entscheidung Hitlers zum Überfall auf die UdSSR sind die Ausführungen Gorodetskys über den deutsch-sowjetischen Balkankonflikt für die historische Forschung informativ.
Über den Balkankonflikt
Wie aus den Notizen Molotows über sein Gespräch mit Stalin ersichtlich, spielte die Balkanfrage in der Sicherheitspolitik der UdSSR eine mitbestimmende Rolle. Gorodetsky maß der Balkanfrage zu Recht große Bedeutung bei und hat sie sehr ausführlich in seiner Monographie unter Auswertung eines umfangreichen Quellenmaterials dargelegt. Es ging, wie w.o. bereits dargelegt, um die Frage, ob die UdSSR bereit war, die Hegemonie des faschistischen deutschen Imperialismus auf dem Balkan zu akzeptieren, sich dem deutschen Diktat unterzuordnen oder nicht. Außer den deutschen und sowjetischen Kontrahenten kam noch ein dritter hinzu: Der britische Imperialismus. Die englische Regierung, seit 10. Mai 1940 von Churchill als Ministerpräsident geführt, suchte mit allen Mitteln, die UdSSR in einem Krieg gegen Deutschland zu verwickeln. England stand nach dem Sieg der Wehrmacht in Frankreich, der Besetzung Norwegens und Dänemarks allein der aufgerüsteten und kriegserfahrenen Wehrmacht gegenüber. Die militärische Situation in Nordafrika war auch nicht gerade ermutigend. Eine deutsche Hegemonie über den Balkan war eine ernsthafte Bedrohung britischer Interessen in Nahost. So wurde die britische Diplomatie auch bezüglich des Balkans aktiv und versuchte alles, die UdSSR in den Krieg gegen Deutschland einzubeziehen. Gorodetsky über diese britischen Bestrebungen: „Seit Glasnost tendiert die russische Geschichtsschreibung dazu, im Verein mit den Historikern des Kalten Krieges Stalin persönlich dafür verantwortlich zu machen, daß die Sowjetunion Deutschland keinen wirksamen Widerstand entgegensetzen konnte. Sie behaupten, Stalin habe mit der Ablehnung der Angebote Großbritanniens und Frankreichs, auf dem Balkan gemeinsam zu kämpfen, eine goldene Chance verspielt, den Krieg gegen Deutschland noch abzuwenden.“ 25a)
Worin bestand denn nun aber diese „goldene Chance“?
Aus einem persönlichen zehnseitigen Brief des britischen Botschafters in Moskau, Sir Stafford Cripps, an Wishinski von Ende Mai 1941 zitiert Gorodetsky: „Der gegenwärtige Augenblick ist für die Sowjetregierung ganz entscheidend, denn es erhebt sich unweigerlich die Frage, ob es besser ist, abzuwarten und mit der ganzen Stärke der deutschen Armee allein fertig zu werden, wenn sie den Zeitpunkt bestimmen und die Initiative ergreifen können, oder ob es ratsamer wäre, sofort zu handeln und die sowjetischen Streitkräfte mit den noch ungeschlagenen Armeen Griechenlands, Jugoslawiens und der Türkei zu vereinen, zu denen geringfügige britische Unterstützung mit Personal und Material käme. Diese Armeen wären zusammen über drei Millionen Mann stark und könnten eine große Zahl deutscher Truppen in schwerem Gelände binden.“ 25b)
Unter den Bedingungen der prikären militärischen Lage, in der sich Großbritannien befand, mußten solche Avancen Stalins Mißtrauen gegenüber den wohlmeinenden Warnungen von britischer Seite noch vertiefen.
(Nebenbei: Die Türken dachten gar nicht daran, gegen Deutschland Krieg zu führen. Die griechische Armee stand unter dem Kommando reaktionärer Generale. Die britische Unterstützung bestand aus „geringfügigen“ Beiträgen an Material und Personal. Es ist wohl nicht schwer, hinter den „Warnungen“ den Wunsch zu erkennen, daß die Rote Armee für das britische Empire die Kastanien aus dem Feuer holen sollte.
Die Balkanpolitik Churchills 1944/45 – die Russen rauszulassen! – beweist dies schließlich, als er die 1941 „gewünschte Hilfe“ der Roten Armee auf dem Balkan erhielt, wenn auch nicht so ganz nach seinen Wünschen.)
Dieses „Angebot“ enthüllte nach Meinung Gorodetskys „die wahre Absicht der Alliierten … Rußland in den Krieg zu ziehen … Es gab „verschiedene Versuche“ Churchills, die UdSSR „in den Krieg zu verstricken,…“ das „sollte zu seinem Markenzeichen werden.“ 26)
Unter Erinnerung an die Erfahrungen des Krimkrieges (1853 – 1856) schloß Stalin die Möglichkeit nicht aus, „daß England seine Übermacht im Mittelmeer nutzen wollte, um sich mit Gewalt Zugang zum Schwarzen Meer zu schaffen und so Rußland einen Zweifrontenkrieg aufzuzwingen.27)
Stafford Cripps habe später eingeräumt, die Vorschläge Churchills „hätten das Ziel verfolgt, die Russen ‘dazu zu bewegen, uns aus dem tiefen Loch herauszuhelfen, wonach wir sie durchaus im Stich lassen und uns sogar auf die Seite der Feinde schlagen konnten, die sie heute umringen.’“28)
Die Besetzung Bessarabiens durch Truppen der Roten Armee im Juni 1940 erfolgte aus dem Sicherheitsbedürfnis und nicht aus „Expansionsbestrebungen“ Stalins, wie vielfach behauptet wird. Mit der Besetzung Bessarabiens erlangte die Sowjetunion die Kontrolle über die wichtigste Eisenbahnverbindung zwischen der Ukraine und Bessarabien über Tschernowzxy und Lwow. 29)
„Bessarabien hatten die Türken im Jahre 1812 an Rußland abgetreten, hatte nach dem Krimkrieg einen Teil an Rumänien verloren, ihn aber nach den Kriegen von 1877/78 zurückgewonnen. Mit dem Vertrag von Neuilly aus dem Jahre 1919 fiel dann die ganze Region an Rumänien. Zwar griff Stalin auf ethnische und historische Argumente zurück, um den russischen Anspruch auf Bessarabien zu rechtfertigen, tatsächlich aber war dieser Schritt von der Bedrohung des Schwarzen Meeres diktiert, die in seinen Augen vor allem von den Briten ausging. Die Ausdehnung des sowjetischen Sicherheitssystems bis zur Donaumündung garantierte die unver-zichtbare Tiefe des Verteidigungsraumes für Sewastopol und Odessa, die bisher kaum 40 Kilometer von der rumänischen Grenze entfernt lagen. Selbst der britische Botschafter in Bukarest mußte widerwillig einräumen, daß die Russen weniger ihre territorialen Ansprüche durchsetzen oder die Kontrolle der Ölfelder erringen wollten, als vielmehr um das Recht kämpften, »in gewissen Gebieten im Norden Garnisonen einzurichten sowie ihre Vertreter und möglicherweise Truppen in rumänischen Häfen zu stationieren«. Diese Auffassung begründete er in überzeugender Weise:
– In den Augen der Russen ist Bessarabien nicht nur aus ethnischen Gründen wichtig. Es wäre eine hervorragende Ausgangsbasis für einen Angriff der Deutschen gegen das Herz der Ukraine, für ein Umfassungsmanöver gegen Kiew und die Pripjat-Sümpfe, wie es das deutsche Oberkommando so erfolgreich während der Feldzüge in Polen und Westeuropa angewandt hat. Der beste Schutz für Rußland vor einem solchen Manöver wäre die Kontrolle des Gebietes von den Karpaten bis zum Donaudelta.«
Den Russen ging es in erster Linie darum, die Donau zu kontrollieren.“30)
Es war nicht unbegründet, wenn Stalin zu dieser Zeit hinsichtlich des britischen Imperialismus größere Befürchtungen eines militärischen Angriffs hegte als von seiten Deutschlands. Der britische Premier Churchill hatte sich seit der Oktoberrevolution als Feind der Sowjetunion und Antikommunist hinlänglich durch seine Taten und Reden ausgewiesen. Daraus hat Churchill auch keinen Hehl gemacht. Die Chamberlain-Regierung war um keinen Deut besser. Während des Bürger- und Interventionskrieges 1918 – 1920 unterstützte die britische Regierung aktiv die polnische Interventionsarmee 1920. 30a)
Während der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen gab es Provokationen von britischer Seite gegen die UdSSR, wie den von britischer Seite inszenierten Überfall auf die Sowjetbotschaft in Peking, die Anschläge der chinesischen Polizei auf die sowjetischen Konsulate in Schanghai und Tientsin, die Ermordung von Mitarbeitern der sowjetischen diplomatischen Mission in Kanton, um die UdSSR in einen Krieg gegen China zu treiben. 30b)
Auch die Ermordung des bevollmächtigten Vertreters in Warschau, P. L. Woikow, am 7. Juni 1927 ging auf britische „Initiativen“ zurück. Er sollte, meinte Stalin, „die UdSSR in einen militärischen Konflikt mit Polen verwickeln.“ 30c)
Am 3. Mai 1927 schloß die britische Polizei die sowjetische Handelsvertretung, „Arcos“, in London unter fadenscheinigen Vorwänden, um die Handelsbeziehungen mit der UdSSR abzubrechen.
Die Chamberlain-Regierung war unübersehbar bestrebt, durch militärische und politische Zugeständnisse an die Hitlerfaschisten die Aggression des deutschen Imperialismus nach Osten, gegen die UdSSR zu lenken. Das Münchener Abkommen vom 29./30. September 1938, die faktische Zerschlagung der CSR, war nur ein besonders krasser Ausdruck der antisowjetischen Politik der britischen und französischen Regierungen. Deutschland und die UdSSR gegeneinander zu hetzen, war Ziel der britischen Regierungen zumindest seit 1933.
In der Churchill-Regierung vom Mai 1940 saßen auch Mitglieder der vorherigen Chamberlain-Regierung, die aus ihrer antisowjetischen Haltung keinen Hehl machten. Besonders während des sowjetisch-finnischen Krieges ließ sich die britische Regierung zu offen antisowjetischen Aktionen hinreißen. Darunter war die Absicht, die Erdölfelder von Baku durch britische und französische Kampfflugzeuge bombardieren zu lassen, eine heute bewiesene Tatsache, nur eine der antisowjetischen Aktionen. Dazu wären allerdings Überflugsrechte über die Türkei erforderlich gewesen, die die türkische Regierung verweigerte. Desgleichen weigerte sich der Schah in Persien, eine Überflugsgenehmigung zu erteilen. Im Foreign Office stellte man mit Bedauern fest: „Um den Kaukasus direkt angreifen zu können, werden wir wohl Streit mit der Sowjetregierung vom Zaune brechen müssen, wenn diese nicht so töricht ist, uns einen echten Grund für eine Militäraktion gegen sie zu liefern.“ 31)
Nach dem sowjetisch-finnischen Winterkrieg 31a) forderten die englische und französische Regierung die Regierung Rumäniens auf, Bessarabien nicht preiszugeben. Durch Verbreitung von antisowjetischen Verleumdungen und Falschmeldungen waren die Briten bemüht, in der Bevölkerung Rumäniens antisowjetische Emotionen anzustacheln, soweit sie nicht schon von den rumänischen Nationalisten erzeugt worden waren.
Erst nach der Niederlage der französischen und englischen Truppen in Frankreich im Juni 1940 verzichtete die Churchill-Regierung auf derartige antisowjetische Aktionen. Die nunmehr von der Churchill-Regierung betriebene Politik, die UdSSR in den Krieg gegen Deutschland zu treiben, erforderte eine „Annäherung“ an die Sowjetregierung. Im Zusammenhang mit dieser „Annäherungspolitik“ berief der britische Außenminister Halifax Cripps zum neuen Botschafter in Moskau. Cripps galt als sowjetfreundlich. In einem Telegramm an Halifax bemerkte Cripps, daß es „unmöglich” sei, „die Geschichte der vergangenen zwanzig Jahre zu ignorieren, die die Sowjetregierung gelehrt hat, diejenigen, die heute das Kabinett führen, als der Sowjetunion zutiefst feindlich gesinnt zu betrachten. Daher prüfen sie die gegenwärtige Lage stets vor diesem Hintergrund anhaltender Feindschaft … Sie sind zu der Auffassung gelangt – und dafür finden sie in der Vergangenheit jede Menge Beweise – daß die Regierung Ihrer Majestät nicht bereit ist, das Gewicht oder den Einfluß der Sowjetunion in dem Maße anzuerkennen, wie sie es verdiente. Ihr Ausschluß von München, von allen nachfolgenden Konsultationen und Besprechungen über den Fernen Osten sind dafür nur zwei Beispiele.“ 31b)
Stalin mußte also von zwei Seiten mögliche militärische Angriffe gegen die UdSSR in Rechnung stelle, von Deutschland und von Großbritannien. Nach der Katastrophe in Frankreich konnte Stalin auch einen Sonderfrieden zwischen Deutschland und Großbritannien nicht ausschließen. Er konnte das „Friedensangebot“ Hitlers an die Curchill-Regierung nach dem Sieg über Frankreich nicht einfach übersehen. Um vorzugreifen: Schien der Heß-Flug vom 10. Mai 1941 nicht eine solche Möglichkeit zu signalisieren?
Es geht hier nur darum, zu dokumentieren, daß das Mißtrauen Stalins gegenüber der Churchill-Regierung nicht unbegründet war. Die Sowjetunion konnte in einen Zweifrontenkrieg verwickelt werden, was bei dem Zustand der Roten Armee das Ende der Sowjetunion hätte bedeuten können. Diese Überlegungen spielten dann auch eine Rolle, ob nicht durch diplomatische Mittel der zu erwartende Angriffskrieg von deutscher Seite hinausgezögert werden konnte.
Zurück zum Balkan. Gorodetsky ging ausführlich auf die Bessarabienfrage ein: „Angesichts der im Schwarzen Meer lauernden britischen Gefahr suchte Stalin zunächst nach einer diplomatischen Lösung der Bessarabienfrage, Mitte Februar 1940 schlug er der rumänischen Regierung einen Nichtangriffspakt vor. Im Austausch für Territorien Sowjet-Moldawiens forderte Stalin die Kontrolle über die Donaumündung, genauer gesagt über die Häfen Sulina und Constanta. Der rumänische König Carol reagierte darauf jedoch mit einem überraschenden Vorschlag an den britischen Botschafter: Großbritannien solle sich über die Restriktionen des Vertrages Montreux hinwegsetzen und eine als türkisch getarnte Flotte im Schwarze Meer senden.“ 32)
Zu beachten sei die auf sowjetische Initiative einberufene Donau-konferenz vom 28. Oktober 1940, 14 Tage vor dem Molotow-Besuch in Berlin. Gorodetsky bezeichnete diese Konferenz zu Recht als einen „Meilenstein, der von den Historikern bisher jedoch noch weitgehend ignoriert wurde.“
Hitler war dem Wunsch der Sowjetregierung nachgekommen, um einer „vorzeitigen Konfrontation“ auszuweichen, eine neue Donaukommission für den Abschnitt von Bratislava bis zur Mündung zu bilden.
„Das Kernstück der sowjetischen Verteidigung war die Fähigkeit, das Einlaufen von Kriegsschiffen europäischer Staaten ins Schwarze Meer nicht nur bei Istanbul, sondern auch über den Donauarm Sulina zu verhindern.
Die große Bedeutung, die Stalin der Kontrolle des Flusses beimaß, lag ganz in der Tradition der Politik des Russischen Reiches. Dem Wunsch nach einem Sitz in der Kommission lag, wie Molotow offen zugab, die Absicht zugrunde, nicht nur die Demütigung Rußlands in Versailles zu korrigieren, sondern auch die unterlegene Position zu beseitigen, die Rußland durch den verhängnisvollen Ausgang des Krimkrieges aufgezwungen worden war. Seit ihrer Aufnahme in den Völkerbund hatten die Russen ständig auf ihre Beteiligung an der Kommission gedrängt, waren jedoch stets mit der Begründung zurückgewiesen worden, sie seien kein Donau-Anliegerstaat mit direkten maritimen Handelsinteressen in der Region. Nach der Annexion Bessarabiens hatten sie nun rechtlichen Anspruch auf einen Sitz und waren auch militärisch in der Lage, ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen.“ 33)
Die Nahostabteilung des Volkskommissariat für Auswärtige Angelegenheiten arbeitete unter „Anleitung des Kremls einen bis ins Einzelne gehenden Plan aus, der den Russen die alleinige Kontrolle über die Fluß-mündung sichern sollte. Vor der Abreise nach Bukarest instruierte Molotow die sowjetischen Abgesandten persönlich über die Taktik, die sie dort einzuschlagen hatten. Der hochkarätigen Delegation, die Molotows Stellvertreter Arkadi Sobolew leitete, gehörte auch Generalmajor W. D. Iwanow an, was den hohen militärischen Stellenwert verdeutlicht, den man der Donau beimaß. Statt direkt nach Bukarest zu fliegen, legte die Delegation einen Zwischenaufenthalt in Sofia ein, wo Sobolew König Boris drängte, sich den deutschen Forderungen nach Beitritt Bulgariens zum Dreimächtepakt zu widersetzen. Die Delegation reiste dann per Eisenbahn nach Bukarest weiter, was ihr die Möglichkeit gab, zunächst das bulgarisch-rumänische Grenzgebiet bei Russe an der Donau zu inspizieren…
Die Haltung der Russen auf der Konferenz gab einen Vorgeschmack auf die Konfrontation Molotows mit Hitler in Berlin. Hier zeigte sich bereits sehr deutlich, daß Rußland ungeachtet des deutschen Drucks nicht bereit war, Deutschlands Vorherrschaft in Rumänien zu akzeptieren. Sobolew, der sich anfangs noch zurückhielt, trat schon bald mit der hartnäckigen Forderung auf, die Viermächtekommission, der Rumänien, Deutschland, Italien und Rußland angehörten, unverzüglich aufzulösen und eine gemischte russisch-rumänische Verwaltung der Wasserwege des gesamten Donaudeltas einzusetzen. Ein solches Arrangement hätte es sowjetischen Kriegsschiffen gestattet, sich im rumänischen Sulina-Arm frei zu bewegen und das Einlaufen deutscher Schiffe ins Schwarze Meer zu kontrollieren. Außerdem forderte Rußland für die sowjetische Flotte das Recht, in Galati und Braila zu ankern, was de facto die Herrschaft über den Zugang zum Schwarzen Meer bedeutet hätte. Die übrigen drei Teilnehmerstaaten lehnten eine solche Lösung brüsk ab…
Als sich zeigte, daß die Konferenz zum Scheitern verurteilt war, handelten die Russen auf eigene Faust. Noch während Molotows Besuch in Berlin besetzten sie ein Dutzend kleiner Inseln im Kilia-Arm des Donaudeltas und übernahmen damit die volle Kontrolle des Hauptarms bei Staro Stambul, wo dieser das Schwarze Meer erreicht. Sowjetische Kriegsschiffe fuhren in den rumänischen Teil des Donaudeltas ein, zogen sich aber wieder zurück, als die Rumänen auf sie schossen. Sie wollten sich nicht mit ihnen anlegen und überließen Rumänien die Kontrolle über die Donauarme Sulina und St. George. Allerdings bemühten sie sich sehr, die Schifffahrt im Kilia-Arm, der als einziger für seetüchtige Schiffe als befahrbar galt, unter ihre Kontrolle zu bringen. Es hatte wenig Sinn, den Nebenarm Musura mit den Rumänen zu teilen, da dieser für größere Kriegsschiffe zu flach war.”34)
Die Sowjetregierung konnte trotz ihrer Bemühungen und Angebote an die Regierungen Rumäniens und Bulgariens nicht verhindern, daß sie dem Dreimächtepakt beitraten.
Im Winter 1940/Prühjahr 1941 errichtete die Wehrmacht Stützpunkte in Ungarn, Rumänien und Bulgarien. Allein in Rumänien war eine „Beobachtungsarmee“ der Wehrmacht bis zum 15. Januar 1941 auf sieben Divisionen (!) angewachsen.
In einem Gespräch mit dem italienischen Botschafter in Moskau, Rosso, Verhandlungen über beide Seiten interessierende Fragen auf dem Balkan und an den Meerengen aufzunehmen, legte Molotow noch einmal die Stellung der UdSSR dar. Hauptziel der Sowjetregierung waren und blieben die türkischen Meerengen. Das Hauptmotiv in den Vorstellungen der Sowjetregierung blieb „die Furcht vor einem erneuten britischen Eingreifen in der Region…“ Molotow erklärte unmißverständlich, daß die Meerengen „Fragen der Sicherheit der Schwarzmeergrenzen der Sowjetunion“ beträfen.
Rußland hat nämlich nicht nur ein- oder zweimal eine Invasion über die Meerengen erleben müssen. Im Krimkrieg drang der Feind durch die Meerengen ein. Im Jahre 1918 erfolgte die Intervention in Russland durch die Meerengen. 1919 griffen die Franzosen Rußland über die Meerengen an. Molotow könne sich gut vorstellen, daß das Übergreifen des Krieges auf Bulgarien die Briten, die sich bisher zurückgehalten hatten, zum Eingreifen zwingen könnte. Dann, so erklärte Molotow Rosso beim Essen, «wird sich die Lage zuspitzen und die Sicherheitsfrage für die Sowjetunion noch ernster werden. Die Türkei wird sich kaum aus dem Konflikt heraushalten können, da sie einen Vertrag mit England hat. Außerdem besitzt England bereits eine Luftwaffenbasis und U-Boote in Lemnos am Eingang zu den Meerengen. Der Krieg wird ins Schwarze Meer getragen werden, was zweifellos die Haltung der Türkei zu den Meerengen beeinflussen wird. Eine derartige Entwicklung ist angesichts der Beziehungen zwischen der Türkei und England nicht unwahrscheinlich.
Molotow ließ Rosso jedoch nicht im Zweifel darüber, daß Rußland seine Interessen an den Meerengen durchsetzen werde, koste es, was es wolle«.35)
Türkische Aktivitäten
Berichte des NKGB (Auslandsaufklärung, Leitung: General Merkulow) über türkische Aktivitäten waren beunruhigend. Merkulow berichtete, daß der türkische Geheimdienst „eindeutig antisowjetische Aktivitäten“ in der Nordtürkei und im Kaukasus betreibe. In Erzerum war „ein Sonderbüro zur Koordinierung der Agententätigkeit in diesem Gebiet eingerichtet worden… Dieses arbeite an Plänen, im Kaukasus eine autonome Region unter türkischem Schutz zu schaffen…“ Es gab „Weisungen des türkischen Generalstabs an seine Aufklärungseinheit, Material über die Verteilung und Stationierung der Roten Armee im Kaukasus, über den Zustand der Eisenbahnen, Straßen und Brücken vom Kaukasus in die Türkei zu sammeln…“
Man „beschaffe“ sich Informationen über die Stellungen der sowjetischen Artillerie und Marine in dieser Region und interessierte sich besonders für die Luftabwehr in den Öl produzierenden Gebieten.36)
Standen britische „Dienste“ hinter diesen Aktivitäten? Die Türkei und Großbritannien hatten ein Abkommen über gegenseitigen Beistand geschlossen. Die türkischen Aktivitäten erklären wenigstens zum Teil die Umsiedlung der unsicheren, türkenfreundlichen transkaukasischen Tartaren aus dem Kaukasus nach dem Überfall der Wehrmacht.
Der Generalfeldmarschall Erich von Manstein, Oberbefehlshaber der 4. Armee, äußerte sich über die Krimtartaren: „Die Tartaren stellten sich sogleich auf unsere Seite. Sie sahen in uns die Befreier vom bolschewistischen Joch, zumal wir ihre religiösen Gebräuche streng achteten. Eine Abordnung von ihnen erschien bei mir, um mir Obst und handgewebte schöne Stoffe für ihren Befreier ‘Adolf Effendi’ zu übergeben…. Wir konnten sogar aus Tartaren Selbstschutz-Kompanien aufstellen, deren Aufgabe es war, ihre Dörfer gegen die Überfälle der im Jaila-Gebirge eingenisteten Partisanen zu schützen.“ 36a)
Nun dürften die sowjetischen Partisanen wohl kaum die Dörfer überfallen haben, als die deutschen Besatzer und deren tatarische Kollaborateure. Manstein hat also die Tartaren gegen die sowjetischen Partisanen eingesetzt. In einer Fußnote bemerkte Manstein, daß der faschistische Bezirkskommissar Wächter aus „ukrainischen Freiwilligen“ eine „ganze Division“ aufstellen konnte. 36b)
Inwieweit hat das militärische Eingreifen der Wehrmacht auf dem Balkan bis einschließlich der Besetzung Griechenlands und der Eroberung Kretas den Beginn des Unternehmens „Barbarossa“ verzögert? Keegan meint dazu:
„Häufig ist bei Historikern zu lesen, der Balkanfeldzug sei eine unwillkommene Störung gewesen, er habe Hitler daran gehindert, den Zeitplan für den lange festgelegten Angriff auf die Sowjetunion einzuhalten, und insofern eine Schwächung bedeutet. Nichts von alledem ist richtig. Der Feldzug war viel schneller zu einem erfolgreichen Abschluß gebracht worden, als selbst Hitlers militärische Berater voraussehen konnten. Dabei war der Beginn von «Barbarossa» nie von einer Folge zufälliger militärischer Ereignisse abhängig gemacht worden, sondern immer nur vom Wetter und von objektiven militärischen Faktoren. Dem deutschen Heer fiel es schwerer als erwartet, die für «Barbarossa» vorgesehenen Verbände in Polen bereitzustellen. Da das Frühlingstauwetter verspätet eingesetzt hatte und die osteuropäischen Flüsse noch über die vorhergesagte Zeit hinaus Hochwasser führten, konnte «Barbarossa» nicht viel früher als in der dritten Juniwoche beginnen, egal wie Hitlers Absichten aussahen.“ 37)
Die bisher erlittenen Verluste der Wehrmacht hatten nach Keegan auch keine nennenswerte Schwächung der Einsatzfähigkeit der Wehrmacht verursacht:
„Gemessen an den Aderlässen des 20. Jahrhunderts waren ihre Verluste in den bisherigen 21 Kriegsmonaten unerheblich: in Polen 17.000 Gefallene und Vermißte, in Skandinavien 3.600, in Frankreich und den Niederlanden 45.000, in Jugoslawien 151, in Griechenland und auf Kreta weniger als 5.000. Demgegenüber war die Stärke des Heeres seit September 1939 von 3,75 Millionen auf 5,0 Millionen angewachsen, die Luftwaffe zählte 1,7 Millionen Soldaten einschließlich Flakartillerie und Fallschirmtruppen, die Kriegsmarine 400.000 Mann. Der Umfang der NS-Truppe, der Waffen-SS, war von 50.000 auf 150.000 Mann gestiegen.
Am auffälligsten aber war die Verstärkung des Heeres. Als es im September 1939 in den Krieg zog, besaß das Feldheer 106 Divisionen, darunter zehn Panzer- und sechs motorisierte Divisionen. Im Juni 1941, unmittelbar vor «Barbarossa», hatte sich der Bestand auf 180 Infanterie-, 12 motorisierte und 20 Panzerdivisionen erhöht. Die Zahl der Letzteren war dadurch verdoppelt worden, daß man die Zahl der Panzer halbiert hatte, die eine Division besaß. Trotzdem war das deutsche Heer mit den zu seiner Unterstützung bereitstehenden Luftflotten nicht nur größer, sondern auch in jeder Hinsicht stärker – an Waffen, an Reserven und vor allem an operativem Können – als im Jahre 1939.“ 38)
Demobilisierung der Reservisten der Roten Armee?
Gorodetsky weist auf den von Woroschilow ausgearbeiteten Demobilisierungsplan vom 9. Mai 1940 hin, der von „größter historischer Bedeutung“ sei. Dieser Plan wurde nach dem Finnlandkrieg und noch vor dem Frankreichfeldzug der Wehrmacht ausgearbeitet.
Bereits nach Abschluß der Kampfhandlungen in Finnland am 4. April wurden die Truppen im Kaukasus sowie in den Militärbezirken Odessa und Kiew wieder auf ihre ursprüngliche Stärke gebracht. Die Armee war im Zusammenhang mit den Feldzügen in Polen und Finnland auf 1.736.164 Soldaten angewachsen. Statt einer weiteren Verstärkung der Armee begann die sowjetische Führung durch die Entlassung „der einberufenen Reservisten“ sie wieder auf den „zu Friedenszeiten üblichen Stand“ zu bringen. Allerdings gab es einige Ausnahmen, so im Kaukasus und im Baltikum. Die Besetzung der baltischen Staaten am 15. und 16. Juni hing nach Gorodetsky „ganz offenkundig mit den Ereignissen in Frankreich zusammen.“
Aus dem Gesamtbestand der Armee von 3,2 Millionen sollten 686.329 Mann ohne Verzug entlassen werden.
Das zeigt, daß in den frühen Stadien des Krieges kein Masterplan vorlag, nach dem man die Zermürbung der Krieg führenden Staaten für die eigene militärische Expansion nutzen wollte.
Der Krieg in Frankreich löste eine abrupte Veränderung der sowjetischen Sicht aus und führte zu einem grundsätzlichen Kurswechsel. Alles, was Stalin ab Mitte Mai 1940 unternahm, war von der deutschen Bedrohung bestimmt, die ihm nun zunehmend bewußt wurde. Die dringenden Reorganisationsmaßnahmen, die das Militär in der zweiten Maihälfte trafen, waren eindeutig auf den sensationellen Sieg der Wehrmacht zurückzuführen, der im Grunde genommen den Zusammenbruch der Westfront bedeutete. Man leitete diese Schritte ein, als das Ausmaß der deutschen Erfolge in Frankreich klar wurde, und steigerte sie nach dem Fall von Paris…
Wie sehr sich die sowjetisch-deutschen Beziehungen nach dem Frieden von Compiegne verschlechterten, wird häufig übersehen. Es sind Zweifel angebracht, ob Stalins scheinbares Hinnehmen der deutschen Erfolge tatsächlich bedeutete, er sei, »von ideologischen Vorbehalten geblendet«, letztlich unfähig gewesen, zwischen größeren und geringeren Gefahren zu unterscheiden. Ebenso strittig ist, ob er die Einverleibung der baltischen Staaten tatsächlich als den Lohn für seine Treue zu Hitler ansah. Eine wesentlich einleuchtendere Erklärung stammt von einem so scharfen Beobachter wie dem amerikanischen Geschäftsträger in Moskau. Nach seiner Meinung war die sowjetische Politik weitgehend defensiv und von der Furcht vor einer möglichen Aggression seitens verbündeter Mächte bestimmt… vielleicht auch von Sorge darüber, was ein siegreiches Deutschland weiter unternehmen wird.
Konfrontiert mit der nahezu unversehrten Wehrmacht, suchten die Russen die Deutschen zu beschwichtigen und vermieden jede Provokation. 39)
Die Demobilisierung der Reservisten wurde nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Frankreich ausgesetzt. Neue Mobilisierungspläne wurden am 22. Mai wieder aufgenommen. Sie konnten „kaum aggressive Züge tragen“, urteilte Gorodetsky. „Sie kehrten lediglich den bislang vorherrschenden Trend um, große Teile der Armee zu entlassen.“ 40)
Über die Rolle der Panzerarmeen im „Blitzkrieg“ und über die militärische Disziplin in der Roten Armee
Eine Konsquenz aus der Rolle der deutschen Panzerarmeen im „Blitzkrieg“ war die Beschleunigung der Produktion des legendären Panzers T-34. Er sollte die großen Bestände veralteter Panzer ersetzen. „In keiner dieser Reformen sind revolutionäre Rhetorik oder Praxis zu entdecken“, betont Gorodetsky. 41)
Wichtig sind die Reformen der Armee, die Einführung einer neuen strengen Disziplinarordnung, die die noch aus dem Bürger- und Interventionskrieg stammenden bisher gültigen „kommunistischen Bestimmungen, die von egalitären Vorstellungen und ideologischer Motivierung geprägt waren“, beseitigten. 42) Mit solchen „Gewohnheiten“, Befehle nicht auszuführen, wenn sie den untergeordneten Offizieren oder auch Sergeanten nicht richtig erschienen, sollte Schluß gemacht werden. Die Befehlsgewalt der Generale, eine strenge militärische Disziplin, waren in den Augen der Rotarmisten – und mancher Offiziere – „Überbleibsel“ des Zarismus, „unvereinbar“ mit einer „revolutionären“ Armee.
Mit Methoden des Partisanenkrieges allein konnte man keinen erfolgreichen Krieg gegen eine disziplinierte, organisierte und motivierte reguläre Armee mit moderner Kriegstechnik und kriegserfahrenen Generalen wie der deutschen Wehrmacht führen.
Die ideologische Motivierung wurde natürlich beibehalten. Kommunistische Überzeugungen schlossen eine strenge militärische Disziplin nicht aus. Die deutsche Wehrmacht war im faschistischen Sinne, in Form eines „verkehrten Bewußtseins“, ebenfalls ideologisch motiviert. Keine Armee kommt ohne eine ideologische Motivierung aus.
In der Roten Armee wurden auch die militärischen Dienstgrade der alten Zarenarmee „endgültig“ wieder eingeführt. 43)
„Etwa 4000 Offiziere, die man während der Säuberungen festgesetzt hatte, wurden aus den Gefängnissen entlassen und übernahmen erneut Kommandoposten. Einer von ihnen war der damalige Oberst und spätere Marschall Konstantin Rokossowski, der den Befehl über ein neu formiertes mechanisiertes Korps übernehmen sollte. Zu den im Juni beförderten« 1000 Offizieren gehörten Kirill Merezkow und Georgi Schukow, die nun vor ihrer Ernennung zu Stabschefs den Rang von Armeegenerälen erhielten.“44)
Die Durchsetzung der Disziplinierung der Roten Armee vollzog sich unter den Schlägen der deutschen Armeen und der faschistischen Barba-reien in den von ihnen besetzten Gebieten. Sie fand etwa mit der Stalingrader Schlacht ihre volle Realisierung. In diesem über Tod und Leben der UdSSR entscheidenden kriegsgeschichtlichen Kontext des Sommers 1942 ist der von Stalin verfaßte außergewöhnliche Befehl Nr. 227 vom 28. Juli 1942: „Nicht einen Schritt zurück!“ zu verstehen, der von nicht wenigen Historikern und Publizisten sehr oberflächlich als „barbarisch“ verworfen wird. Er wird auch selten in vollem Wortlaut zitiert. 45)
Kriege sind immer barbarisch! Der Hitlerfaschismus als Repräsentant des deutschen Imperialismus führte einen Vernichtungskrieg gegen die Völker der Sowjetunion. Der Widerstand dieser Völker war gerechtfertigt. Sie führten einen „gerechten Krieg“ wie es in der marxistischen Terminologie ausgedrückt wird. Die Verantwortung für die Härte, die Grausamkeiten des Krieges, auch von sowjetischer Seite, tragen voll und ganz die faschistischen deutschen Imperialisten und Generale die die Kriegspläne im Auftrage Hitlers ausgearbeitet und ausgeführt haben. In der Memoirenliteratur der ehemaligen deutschen Generale findet sich keine Verurteilung des Krieges gegen die Sowjetunion, sondern nur „kritische“ Hinweise, daß sie den Krieg durch die Befehle Hitlers verloren haben, den sie beinahe gewonnen hätten.
Nationalstolz – Sozialistischer Patriotismus – Proletarischer Internationalismus
Bedeutet die neue, strenge Disziplinarordnung der Roten Armee, daß die Soldaten nur aus Angst vor Strafen, nur unter der Bedrohung durch Maschinengewehre in ihrem Rücken in den Kampf gingen, wie zuweilen zu lesen ist?
Keineswegs. Die Rote Armee war nach wie vor eine revolutionäre Armee, die den Prinzipien des proletarischen Internationalismus verbunden war. Die Mehrheit der Soldaten, Unteroffiziere, Offiziere und Generale kämpften und setzten ihr Leben für den Erhalt der sozialistischen Sowjetunion, für die Befreiung der Völker vom Faschismus ein.
Der proletarische Internationalismus schließt Patriotismus, Nationalstolz keineswegs aus. Darüber kann man in Lenins Artikel für den „Sozial-Demokrat“, Nr. 35 vom 12. Dezember 1914, „Über den Nationalstolz der Großrussen“ nachlesen.
„Das Interesse des (nicht knechtisch aufgefaßten) Nationalstolzes der Großrussen fällt zusammen mit dem sozialistischen Interesse der Großrussen (und aller übrigen) Proletarier. Unser Vorbild wird Marx bleiben, der, nach jahrzehntelangem Leben in England ein halber Engländer geworden, die Freiheit und nationale Unabhängigkeit Irlands im Interesse der sozi-alistischen Bewegung der englischen Arbeiter forderte.“ 45a)
Wenn Stalin in seiner Rede vom 3. Juli 1941 den Krieg als „Vaterländischen Volkskrieg“ definierte, so lag darin die doppelte Aufgabe der sowjetischen Streitkräfte, einmal um die Gefahr für die Sowjetunion zu beseitigen, zum anderen, „allen Völkern Europas zu helfen, die unter dem Joch des Faschismus stöhnen.“ 45b)
Stalin vermied in dieser Rede jeglichen Hinweis auf die Verteidigung des Sozialismus oder gar der sozialistischen Revolution, auf den proletarischen Internationalismus. Der Klassenaspekt mußte unter dem Druck der faschistischen Gefahr dem nationalen Interesse untergeordnet werden. Die Interessen des Sozialismus waren nur zu realisieren, wenn der Faschismus, dessen Hauptmacht das faschistische Deutschland war, zuvor zerschlagen wurde. Die Bestimmung des Charakters des Krieges als „antifaschistischen“ Befreiungskrieg war klassenübergreifend. Anders wäre die Antihitlerkoalition auch nicht zustande gekommen. Dennoch spielte die Klassenfrage unter den Verbündeten während des ganzen Krieges immer eine Rolle. 45c)
Das Verhältnis von Nationalem und Internationalem, nationalen Interessen und Klasseninteressen ist ein sehr vielschichtiges, kompliziertes, dialektisch widersprüchliches. Der Klasseninhalt des Nationalen kann zeitweilig weitgehend verdeckt sein, völlig ausgeblendet werden kann er nicht.
Stalin befand sich in voller Übereinstimmung mit Lenin, wenn er bei der Parade der Roten Armee am 7. November 1941 in Moskau das „heldenmütige Vorbild“ der „großen Vorfahren“ der Roten Armee und -Flotte beschwor -Alexander Newski, Dmitri Donskoi, Kusma Minin, Dmitri Posharski, Alexander Suworow, Michail Kutusow. Zugleich aber auch: „Möge euch das siegreiche Banner des großen Lenin Kraft verleihen!“ 45d)
Zur Frage nach der Richtung des zu erwartenden „Hauptschlages“ der faschistischen deutschen Armeen
Ein Problem von mitentscheidender strategischer Bedeutung war für den sowjetischen Generalstab die Frage, von wo aus der Hauptschlag der deutschen Armeen zu erwarten war. Es gab drei mögliche Richtungen: Erstens, aus dem Norden, von Ostpreußen und aus dem Raum Warschau heraus; zweitens, aus der Mitte über die Linie Baranowitsch – Minsk – Smolensk – Moskau; drittens, von Süden, von Rumänien aus in Richtung Kiew – Krim – Kaukasus, d.h., Getreide, Industrie und Öl.
Das sowjetische Oberkommando sah zwei mögliche Varianten eines Gegenschlages gegen den deutschen Aufmarsch vor, eine südliche, wonach die Hauptkräfte der Roten Armee südlich von Brest-Litowsk mit einem „mächtigen Schlag in Richtung Lublin – Krakow – Breslau vorstoßen sollten, um Deutschland vom Balkan abzuschneiden.“ Die nördliche Variante sah einen Vorstoß nach Ostpreußen vor, um die Hauptkräfte der deutschen Armeen zu zerschlagen. Das Oberkommando entschied sich für die südliche Variante. 46)
„Anfang Oktober (1940, UH) legten Timoschenko und Shukow, damals Kommandeur des Kiewer Militärbezirks, Stalin Abänderungen dieses Planes vor, die die Voraussetzungen dafür bildeten, die Südwestfront zum Hauptkriegsschauplatz zu erklären.“ Nach Eingang der Informationen über Plan „Barbarossa“ galt als sicher, „daß der Hauptschlag der vereinten Kräfte des Gegners vom Balkan kommen würde.“ 47)
So wie Stalin für jeden Mißerfolg der Roten Armee verantwortlich gemacht wird, als dem „Schuldigen“, so wird ihm auch hier verschiedentlich vorgeworfen, daß er mit der Konzentration der Hauptkräfte der Roten Armee an der Südfront eigenwillig eine verhängnisvolle Fehlentscheidung getroffen habe.
Ganz so einfach lagen die Dinge nicht, meint Gorodetsky. Er bestätigt, „daß die Entscheidung des sowjetischen Oberkommandos, die Hauptkräfte der Roten Armee im Süden zu konzentrieren, bis Frühjahr 1941 „seinen Sinn“ hatte. „Schließlich ließ Hitler erst am 17. März 1941 von seiner Idee einer doppelten Zangenbewegung in der Ukraine ab und entschied sich für den konzentrierten Hauptstoß im mittleren Abschnitt.“ 48)
Wir wissen nicht, ob und wenn ja wann das sowjetische Oberkommando von der Änderung des strategischen Aufmarschplanes vom Süden an den Mittelabschnitt Kenntnis erhalten hat. Darüber habe ich nichts gefunden. Selbst wenn die sowjetische Aufklärung Informationen über diese Änderung an Stalin gegeben haben sollte, wann war sie erfolgt und konnte das Oberkommando so schnell eine Umgruppierung ihrer Armeen vornehmen?
Bei solchen Umgruppierungen ganzer Armeen mit Panzern, Artillerie, Munition, Lebensmitteln, Ausrüstungen aller Art muß die Transport- und Durchlaßfähigkeit von Bahn und Straßen der UdSSR beachtet werden. Zumindest seit Clausewitz dürfte bekannt sein, daß eine in der Umgruppierung befindliche Armee bei einem gegnerischen Angriff in eine sehr schwierige Lage geraten kann. Die Militärtheorie von Clausewitz war den sowjetischen Generalen bekannt.
Wenn Stalin auch als Oberbefehlshaber die Verantwortung für den Aufmarschplan der Roten Armee trug, so war er doch kein so strategischer Stümper, wie er von Chruschtschow und Churchill dargestellt wurde.
Über die Informationen an Stalin vor dem 22. Juni 1941
In den „Beiträgen…“ habe ich auf die Informationen über einen bevorstehenden Überfall der deutschen Wehrmacht, die Stalin erhielt, und auf dessen Reaktionen hingewiesen. 49)
Gorodetsky hat darüber unter Auswertung von Dokumenten, die zum Teil erst kürzlich der Forschung zugänglich gemacht wurden, sehr ausführlich geschrieben. Meine diesbezügliche Darstellung in den „Beiträgen …“ findet sowohl ihre Bestätigung, muß jedoch noch ergänzt werden.
Nach Gorodetsky beschafften die sowjetischen Nachrichtendienste früher exakte, zutreffende Informationen über den deutschen Aufmarsch an der Westgrenze der UdSSR als die westlichen Dienste. 50)
Der neu ernannte Chef der sowjetischen Auslandsaufklärung des NKGB (nicht zu verwechseln mit dem NKWD, für „Innere Angelegenheiten” und die Innenpolitik zuständig (UH)), General Wsewolod Merkulow, hat mehrfach Berichte über die Vorbereitung des deutschen Überfalls auf die UdSSR vorgelegt.
Nach diesen Berichten haben deutsche Militärs und Generale der Waffen-SS mehrfach die Auffassung geäußert, daß „Unser Feldzug gegen Rußland … militärisch ein Spaziergang sein“ wird. „Für Odessa, Kiew und weitere Großstädte“ seien „bereits Gouverneure ernannt.“ 51)
In einem Bericht von Arvid Harnack (Deckname „Korse“) hieß es: „… Halder glaube an eine leichte Eroberung der Ukraine und halte auch die Einnahme der Ölförderanlagen von Baku ohne Zerstörungen für eine ‘einfache Aufgabe.’“ 52)
Die Informationen waren nicht immer eindeutig. Viele Informationen wiesen auf die Bedrohung „deutlich hin andere dagegen ließen Zweifel an der Unvermeidlichkeit des Krieges aufkommen und verschiedene Szenarien als möglich erscheinen, unter denen der Krieg Realität werden konnte.“ 53) Stalin war auch gegenüber den Informationen der sowjetischen Aufklärung sehr vorsichtig.
Wie wohl bei allen Geheimdiensten gab es Mißverständnisse der Informanten, Fehler, menschliche Schwächen aller Art. Wie zu allen Zeiten gab es auch „Doppelagenten“, die allen zahlenden Seiten dienten und auch mit Desinformationen aufwarteten.
Die Informationen deutscher Antifaschisten an sowjetische Offiziere der Aufklärung stammten in der Regel aus nur einer Quelle, einem Ministerium, einer Dienststelle der Wehrmacht oder aus Kontakten zu einzelnen Offizieren oder auch Generalen der Wehrmacht und der Waffen-SS. In diese Meldungen mochten sich auch subjektive Einschätzungen des Informanten mit dem objektiven Sachverhalt verflochten haben. Es war auch nicht auszuschließen, daß von britischer Seite der sowjetischen Aufklärung Informationen zugespielt wurden, die so formuliert waren, um die UdSSR in den Krieg gegen Deutschland einzubeziehen. Nicht nur Stalin war sich darüber im Klaren, daß die Churchill-Regierung nicht aus lauter Zuneigung zum Sowjetsystem „Warnungen“ an sie zukommen ließ, sondern aus dem einzigen Grunde, die Rote Armee als „Festlandsdegen“ gegen Deutschland zu mißbrauchen.
Die Bemühungen des britischen Botschafters in Moskau, Cripps, die UdSSR zu einem „offenen Engagement für Jugoslawiens Unabhängigkeit“ gegen Deutschland zu gewinnen, faßten Stalin, Molotow und Wyschinski als „eine Falle“ auf, um die UdSSR in den Krieg zu verwickeln. 54)
Eine Information von General Golikow, dem Chef der militärischen Aufklärung, lautete: „Der jugoslawische Militärattachè in Berlin habe … erfahren, daß die Offensive (gegen die UdSSR, UH) von drei Heeresgruppen unter dem Kommando von den Feldmarschällen Rundstedt, List und Beck vorgetragen werden solle.“ Das stellte sich später als der exakte deutsche Plan heraus. Nach Gorodetsky ließ sich „Stalins Taktik … jedoch nach wie vor rechtfertigen, da der Bericht annahm, einer Offensive werde ein Ultimatum an die Sowjetunion vorausgehen, der Achse beizutreten und wirtschaftliches Entgegenkommen zu zeigen. Es kam also entscheidend darauf an, nun keinen Fehler zu begehen.“ 55)
Der Feldzug der Wehrmacht in Jugoslawien und Griechenland verlief noch schneller als in Frankreich. Am 6. April begonnen endete er nach 55 Tagen am 1. Juni 1941, als der letzte britische Soldat aus der Souda-Bucht evakuiert wurde. 56)
Nunmehr stand die Rote Armee der gesamten deutschen Wehrmacht allein gegenüber. War da die Zurückhaltung Stalins, auf gar keinen Fall eine Handlung zuzulassen, die von deutscher Seite als Provokation verstanden werden könnte, so unbegründet?
Der Heß-Flug nach England am 10. Mai 1941, 43 Tage vor dem Überfall (!), dessen Hintergründe uns heute bekannt sind, bestärkte Stalins Befürchtungen bezüglich einer deutsch-britischen Verständigung gegen die UdSSR. 57)
Der bekannten Warnung Churchills an Stalin, die von vielen Historikern hoch geschätzt wird, widmete Gorodetsky ein ganzes, das Achte Kapitel, „Churchills Warnung an Stalin, in dem er den Nimbus um diese Warnung gründlich zerstört. Darum wird aus diesem Kapitel besonders ausführlich zitiert:
„Moskaus Glaube, Churchill wolle Rußland in den Krieg hineinziehen, verstärkte sich noch durch die eklatanten Niederlagen, die Großbritannien auf dem Schlachtfeld erlitt. Vor diesem Hintergrund sandte Churchill Stalin seine berühmte Warnung vor den Absichten der Deutschen. Churchills anmaßender Bericht über diese erfolglose Botschaft überschattet die Fülle anderer weit wichtigerer Nachrichten zu »Barbarossa«, die Stalin erhielt, Churchills Darstellung der dramatischen Ereignisse in Folge dieser Warnung ist seitdem vielfach unkritisch wiederholt worden. Sie kommt einem auch zuerst in den Sinn, wenn es um das Drama geht, das zum Kriege führte. Bevor das umfangreiche Material über den Zweiten Weltkrieg in den britischen Archiven Mitte der siebziger Jahre für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, galt Churchills voluminöse Geschichte des Zweiten Weltkrieges mit ihrer überzeugenden, aber weitgehend auf seine Person zentrierten und daher gelegentlich irreführenden Interpretation der Ereignisse als so authentisch, daß selbst sowjetische Historiker sie häufig zitierten …
Die besagte Warnung diente Churchill als Ausgangspunkt für einen hochgradig tendenziosen Bericht über die Ereignisse, die dem deutschen Einmarsch in Rußland vorausgingen, und hat die Phantasie und das Denken der Leser bewegt. Churchill beurteilt Stalin und dessen Kommissare als »die meist überlisteten Stümper des Zweiten Weltkrieges« übergeht dabei aber die Tatsache, daß die Briten die Bedeutung Rußlands als potenziellem Verbündeten im Kriege damals nicht erkannten…
Cripes erkannte mit seiner ganz anderen politischen Sicht die drohende deutsche Gefahr für Rußland. Als er Anfang März 1941 von seinem Kurzbesuch in Ankara zurückkehrte, war er fest überzeugt, wie er Botschafterkollegen sagte, daß es »noch vor dem Sommer« zum Krieg zwischen Rußland und Deutschland kommt. Cripps erwartete, daß Hitler die Widerstände gegen den Zweifrontenkrieg überwinden und Rußland angreifen werde, bevor England zu stark werde und Deutschland an der Eröffnung einer zweiten Front hindern könnte. In einem Hintergrundgespräch mit Presseleuten sagte Cripps voraus, Hitler werde Rußland »nicht später als Ende Juni« angreifen. Seinen ersten Bericht an das Foreign Office über die deutschen Absichten sandte Cripps am 24. März, als die Spannungen um Jugoslawien stiegen. Seine Information war angesichts des frühen Zeitpunkts geradezu prophetisch. Sie stammte aus einer Berliner Quelle und kam über Vilhelm Assarsion, den gut informierten schwedischen Botschafter in Moskau.
Die genannte Information bestätigte im wesentlichen Cripps’ Eindruck, daß die Deutschen entschlossen waren, »gegen Rußland einen Blitzkrieg zu führen und das gesamte Gebiet bis zum Ural zu erobern«:
6. Die Deutschen haben folgenden Plan: Die Angriffe gegen England werden mit U-Booten und aus der Luft fortgesetzt, aber es wird keine Invasion geben. Zugleich werden sie gegen Rußland losschlagen.
7. Dieser Angriff wird von drei großen Armeen vorgetragen: der ersten in Warschau, die von Bock befehligt, der zweiten, die in Königsberg steht, und der dritten in Krakau unter dem Befehl von List.
8. Die Vorbereitungen werden mit größter Umsicht getroffen, so daß der Angriff völlig unerwartet erfolgen kann. Es wäre keine Überraschung, wenn dies im Mai geschähe.“
Churchill betrachtete den Balkan und Nahen Osten als „Hitlers Hauptziel“ – nur wirksamer Widerstand in diesen Gebieten konnte Hitler seiner Meinung nach auf Rußland lenken:
„Wenn man über Churchills Warnung an Stalin nachdenkt, muß man berücksichtigen, daß sich der Premierminister bis zu diesem Zeitpunkt so gut wie gar nicht für die Beziehungen zu Rußland interessiert hatte…“ Der schwedische Botschafter in London, Björn Prytz, habe sich Maiski gegenüber geäußert, …dem Premierminister fehle jede Strategie und sein Handeln sei die reine Improvisation. Er scheint keine Vorstellung zu haben, wie er den Krieg gewinnen sollte. Da er keine eigenen Erfolge vorweisen könne, sei er … auf die fixe Idee eines bevorstehenden Konflikts zwischen Deutschland und Rußland verfallen. Sollte es tatsächlich zu einem solchen Krieg kommen, sei Churchill bereit sich mit jedem zu verbünden, der die Oberhand gewinnt, und sei es der Teufel selbst“.
Gorodetsky meint, das „Gefühl der Russen, eine falsche Bewegung, eine militärische Provokation oder ein diplomatischer Fauxpas könnten einen Krieg auslösen“, habe „zu einer Vorsicht“ geführt, „die an Paranoia grenze.“
In Moskau gab es Befürchtungen, daß es zwischen Deutschland und Großbritannien zu einem Separatfrieden kommen könne. Selbst nach einem Angriff Deutschlands auf die UdSSR könnte die Regierung Churchill mit Hitler Frieden schließen – gegen die UdSSR.
Churchills berühmte „Warnung“ an Stalin hatte „eindeutig den negativen Effekt, den Argwohn der sowjetischen Seite noch zu verstärken. ‘Schauen Sie sich das an’, sagte Stalin zu Schukow, ‘sie drohen uns mit den Deutschen und den Deutschen mit der Sowjetunion; sie hetzen uns gegeneinander. Es ist ein raffiniertes politisches Spiel.’“
Gorodetsky bezweifelt zu recht, daß die Botschaft Churchills an Stalin „überhaupt eine Warnung darstelle“ „… man kann das bestreiten.“ Churchill habe „stets darauf bestanden, daß seine Mitteilung an Stalin weniger eine allgemeine Warnung vor den Absichten der Deutschen als vielmehr ein Hinweis auf die Defizite und Schwächen der deutschen Truppen sein sollte…. Hätten die Russen daraufhin gehandelt, hätte dies sicher ähnliche Folgen gehabt wie die brilliante Doppelaktion der Wehrmacht gegen Jugoslawien und Griechenland.“ 58)
Gorodetsky weist „an zahlreichen Meldungen der sowjetischen Auflärung an Stalin nach, daß diese nicht so eindeutig auf einen deutschen Angriff hinwiesen, wie es den Anschein hatte. Dies veranlaßte Stalin, noch immer eine Chance zu sehen, durch diplomatische Aktionen den Krieg zu vermeiden, wenigstens hinauszuzögern.“
Es habe Hinweise auf eine „in sich zerstrittene(n) deutsche(n) Führung“ gegeben. In Hinweisen, die die sowjetischen Nachrichtendienste von ihren Informanten erhielten, sah Stalin „britische Versuche“ durch Lancierung von Falschmeldungen „Rußland zu einem vorzeitigen Kriegseintritt zu provozieren.“ 59)
Gorodetsky polemisiert auch gegen die weit verbreitete Auffassung über die „eindeutigsten Warnungen“ von Richard Sorge an die sowjetische Führung. „Was sich jedoch im Nachhinein als absolut zuverlässige Angaben herausstellte, war mit irreführenden Trends vermischt, die lediglich die eingeengte und oft falsche Sicht der deutschen Botschaft (in Tokio, UH) wiedergaben. Gerüchte und korrekte Einschätzungen waren auch hier miteinander verbunden. 60)
Der widersprüchliche Charakter der Informationen rechtfertigte Stalins „Hoffnung, den Ausbruch von Feindseligkeiten noch umgehen zu können.“ 61)
Gorodetsky ist wohl zuzustimmen, wenn er meint, daß Nachrichten, „denen aus heutiger Sicht entscheidende Bedeutung zukommt“ in der damaligen Situation der sowjetischen Führung „ambivalent erscheinen“ mußten. 62)
Die britischen Geheimdienste nutzten den w.o. erwähnten Heß-Flug zu einer „bewußten Desinformationskampagne“. Als Beweis führt Gorodetsky 18.000 Seiten über die Heß-Affäre im British Public Record Office und russisches Archivmaterial der russischen Sicherheitsdienste an. 63)
Der sowjetische Botschafter in London, Maiski, erinnert sich: „Meines Wissens war um den Heß-Flug ein Kampf hinter den Kulissen der britischen Politik entbrannt. Churchill, Eden, Bevin und überhaupt alle Labourminister sprachen sich sofort entschieden dagegen aus, daß mit ihm oder seiner Hilfe irgendwelche Verhandlungen über einen Frieden mit Deutschland geführt werden. Doch es fanden sich unter den Ministern vom Schlage Simons, die – von der damaligen ‘Cliveden-Clique’ unterstützt – die Meinung vertraten, man sollte die sich so überraschend bietende Gelegenheit dazu nutzen, um Kontakt mit Hitler aufzunehmen oder zumindest die eventuellen Friedensbedingungen zu sondieren. Letztlich siegte Churchill. Eine nicht geringe Rolle spielte die Erregung der Massen über den Heß-Flug. Der sich hinter den Kulissen abspielende Kampf hat auch in der Presse seine Widerspiegelung gefunden.“ 64)
Es gab „verwirrende und widersprüchliche Berichte an Stalin über die Heßaffäre.“ 65)
Da Gerüchte und verläßliche Informationen inzwischen überhaupt nicht mehr zu unterscheiden waren, dauerte es nicht lange, bis auch Cripps andeutete, in Berlin seien »in irgendeiner Form Gespräche« im Gange. Deren wahrscheinliches Ergebnis werde ein Arrangement sein, das die Verlegung von Truppen über Südrußland nach dem Nahen Osten und dem Iran ermögliche.
Am 23. Mai stellte der Gemeinsame Geheimdienstausschuß mit Besorgnis fest: »Während vor einigen Wochen Gerüchte über einen bevorstehenden deutschen Angriff gegen die UdSSR in Europa im Umlauf waren, ist jetzt das Gegenteil der Fall. Es gibt Anzeichen dafür, daß eine neue Vereinbarung zwischen beiden Staaten kurz vor der Vollendung stehen könnte.« Ein »weitgehendes Abkommen« umfasse »wirtschaftliche, politische und militärische Fragen«. Die politische Zusammenarbeit, so hieß es dort, ziele »auf die Eroberung des Nahen Ostens«. Drei Tage später war die Militäraufklärung sich dieser Version so sicher, daß sie behauptete, das Wesen der Übereinkunft sei »die Aufteilung der Einflusßsphären im Nahen Osten … Deutsche Truppen werden bei Lwow konzentriert, um mit russischer Zustimmung durch die Sowjetunion nach dem Iran zu marschieren.« Unverzüglich warnte man daher die Türken vor der »deutschen Falle« und riet ihnen, »nichts zu tun, um bei den Sowjets Mißtrauen oder Ressentiments auszulösen oder Stalin gar in die Arme Deutschlands zu treiben«. 66)
Wo Gerüchte und Falschmeldungen fabriziert wurden, durfte Goebbels nicht fehlen. In seinem Tagebuch notierte er am 29. März 1941, daß das Unternehmen „Barbarossa“ von ihm abgekürzt als „R“ bezeichnet – „sorgfältig getarnt“ sei, „nur die wenigsten“ wüßten davon. 67)
Am 11. Juni vermerkte Goebbels, daß er mit dem OKW und der Zustimmung Hitlers seinen „Invasionsartikel“ ausgemacht habe, „Kreta als Beispiel.“ Bereits seit Ende Mai habe er Gerüchte ausstreuen lassen, durch eine Landung in England die Entscheidung im Westen herbeizuführen. 68)
Die Einnahme Kretas durch deutsche Fallschirmjäger sollte als Beispiel dienen, daß eine Landung in England und dessen Eroberung durchaus möglich sei und vorbereitet werde. Die Absicht war, den Artikel im V.B. (Völkischen Beobachter, Zentralorgan der NSDAP) erscheinen und kurz darauf beschlagnahmen zu lassen.
London würde in 24 Stunden von der US-Botschaft darüber informiert sein. „Das ist der Sinn der Übung. Alles soll dazu dienen, die Aktion im Osten zu tarnen, …“
Er wollte den Artikel am Nachmittag fertig machen, er würde „großartig“, ein „Meisterstück der List“ werden. 69)
In seiner Eintragung vom 14. Juni triumphierte er, daß sein Aufsatz im V.B. „wie eine Bombe“ gewirkt habe. „In der Nacht“ wurde „der V.B. beschlagnahmt“, im In- und Ausland ginge die Sache gleichzeitig los. „Alles klappe vorzüglich“, er sei „ganz glücklich darüber“, die „große Sensation“ sei da.
„Die englischen Sender“ erklärten schon, daß „unser Aufmarsch gegen Rußland … lauter Bluff“ sei, „hinter dem wir unsere Invasionsvorbereitungen zu verstecken suchten.“ In der „ausländischen Nachrichtenpolitik“ herrsche „ein vollkommenes Durcheinander“, man „kennt sich kaum noch selbst aus“. „Die Russen“, schrieb er, „scheinen noch gar nichts zu ahnen.“70)
In seiner Eintragung vom 16. Juni vermerkte er, daß Moskau ein „formelles Dementi“ herausgegeben habe, nach dem es „nichts von Angriffsabsichten des Reiches“ wisse. 71)
Gemeint war offenbar die TASS-Meldung vom 14. Juni 1941.
Wie weit Goebbels sich selbst über die TASS-Meldung täuschen ließ, muß ich offen lassen.
Tatsächlich wurden in dieser Meldung Berichte der britischen und anderen Auslandspresse über einen unmittelbar bevorstehenden Überfall der Wehrmacht auf die UdSSR als „Gerüchte“ bezeichnet. Nach der TASS-Meldung hielten sich sowohl die UdSSR wie auch Deutschland an die Bestimmungen des Nichtangriffsvertrages.
Gorodetsky schrieb darüber: „Die Gerüchte (über Angriff gegen die UdSSR, UH) konnten in der Tat den Verdacht schüren, daß Großbritannien die Deutschen zum Vormarsch nach Osten ermuntern wollte.“
„Heute“ sei „eindeutig klar, daß der Zweck der subtilen TASS-Meldung vom 14. Juni 1941 darin bestand, Provokationen zu verhüten und Berlin zu besänftigen.“
Über den Zweck der TASS-Meldung äußerte sich Molotow: „Wir brauchten die TASS-Meldung als letztes Mittel. Wenn es uns gelungen wäre, den Krieg über den Sommer hinauszuschieben, dann hätte man ihn im Herbst schwerlich noch beginnen können. Bislang war es gelungen, dies mit diplomatischen Mitteln zu erreichen, aber wann diese versagten, konnte niemand voraussagen. Schweigen hätte bedeutet, den Überfall auszulösen.“ 72)
Ob, und in wie weit sich die sowjetische Führung von Goebbels produziertem „Meisterstück der List“ tatsächlich täuschen ließ, kann man bezweifeln. Über Plan „Barbarossa“ war Stalin schon wenige Tage nach dessen Unterzeichnung durch Hitler bekannt, was Goebbels nicht wußte.
Wie im Kaukasus türkische Dienste Destabilisierungsaktionen gegen die Sowjetmacht organisierten, so in der Ukraine ukrainische Nationalisten und polnische antisowjetische/antirussische Agenten.
Diversionsakte, besonders der Polen, stünden unter der Leitung von polnischen Offizieren. Gorodetsky beschrieb diese feindlichen Aktivitäten sehr genau:
Seit April 1941 berichtete der örtliche NKGB, „daß ukrainische Nationalisten provokatorische Gerüchte verbreiten … Ukrainische Schulen … seien aufgefordert worden, die Geschichte und Geographie der ‘unabhängigen Ukraine’ zu lehren, deren Karten bereits an den Wänden vieler pädagogischer Einrichtungen in Krakau hingen … 200 aktive ukrainische Nationalisten“ sollten „zu Sonderlehrgängen nach Berlin gesandt worden sein, um sie auf die Verwaltung der unabhängigen Ukraine vorzubereiten.“
Diese Nationalisten könnten in Kriegszeiten als „5. Kolonne agieren. Unter Führung von Stephan Bendera sei eine über 1000 Mann starke Truppe aus kriminellen Elementen zusammengestellt worden, die bereits feindselige Akte gegen die Sowjetmacht durchführe und die örtliche Bevölkerung terrorisiere…“
Stalin wies an, die Provokateure in der Ukraine festzunehmen und für 5 – 20 Jahre in Sonderlager zu transportieren.
Merkulow ordnete unverzüglich die Einrichtung von Sonderlagern an, um Verdächtige „rasch aufnehmen“ zu können. Dies alles sollte binnen 3 Tagen abgeschlossen sein. Am 22. Mai 1941 (vier Wochen vor dem Überfall!) wies Berija die Organe des NKGB in den Grenzgebieten an, „einen groß angelegten Schlag gegen ‘Banditen, Spione und antisowjetische Konterrevolutionäre’ zu führen. Etwa 12.000 Verdächtige und deren Familien wurden in dieser Nacht festgenommen und in Lager im Osten abtransportiert.“
Der NKGB konzentrierte sich in den folgenden zwei Wochen darauf, „jegliche Aktivitäten dieser Organisationen zu unterbinden und die Gefahr von Provokationen zu bannen.“ 73)
Eine Bestätigung der antisowjetischen Aktivitäten ukrainischer Nationalisten findet sich in der sehr aufschlußreichen Rezension von Dr. Ing. Peter Tichauer über ein Buch von Dr. Alexander A. Woizechowski, „Großukrainer im Nazi-Sold“. Darin werden die „Untaten der Organisationen der Ukrainischen Nationalisten (OUN) und der Ukrainischen Aufstandsarmee (UPA)“ aufgedeckt.
„Beide haben vor, während und noch einige Jahre nach dem Großen Vaterländischen Krieg der UdSSR in engster Zusammenarbeit mit den Faschisten bzw. westlichen Geheimdiensten schwerste Verbrechen, besonders in der sowjetischen Ukraine und in Polen, begangen. Der ukrainische Nationalismus formierte sich zunächst unter Emigranten, die ihr Schicksal mit dem europäischen Faschismus verbunden hatten. Ihre Theorie und Praxis weisen nur geringfügige Unterschiede zu den deutschen Nazis auf. Der wichtigste bestand in der Fähigkeit, sich den Interessen und Anforderungen, der jeweils stärkeren Herren anzupassen: während des Krieges denen der deutschen Nazis, heute denen der amerika-nischen Imperialisten.“ 74)
Nicht nur im Kaukasus und in der Ukraine, auch im Baltikum hatten sich faschistische Organisationen formiert, die Sabotageakte gegen sowjetische Einrichtungen führten
Über die These von der „Enthauptung“ der Roten Armee
Die Rote Armee befand sich im Zeitraum vor dem deutschen Überfall in einem Zustand, daß nicht nur Stalin begründete Zweifel hegte, ob sie, allein auf sich gestellt, einem Angriff der deutschen Wehrmacht würde standhalten können.
Von nicht wenigen Historikern, auch aus dem linken Spektrum, werden Mängel in der Kriegsbereitschaft der Roten Armee primär auf die sogenannte „Enthauptung“ der Roten Armee 1938 durch Stalin zurückgeführt. Dabei werden Horrorzahlen in unterschiedlicher Höhe angegeben, die einer kritischen Untersuchung nicht standhalten. Darüber wurde bereits in den „Beiträgen …“ ausführlich berichtet 75), so daß hier nur noch einmal wenige Zahlen wiederholt und einige Tatsachen, die in jüngster Zeit bekanntgegeben wurden, ergänzend hinzugefügt werden.
So gab es vor der Reinigung der Roten Armee 1937 144.300 Offiziere und politische Kommissare in Armee und Luftwaffe,1939, nach der Reinigung, 282.300, d.h. 138.000 mehr als 1937! 76)
Von einigen Historikern, so auch von Gorodetsky, wird die Zunahme des Offizierskorps auch angegeben, mit dem Hinweis, daß die neuen Offiziere bezüglich ihrer militärischen Qualifikation nicht auf der Höhe der entlassenen, eingesperrten oder hingerichteten Offiziere standen. Letzteres stimmt teilweise, doch ist mit der Verallgemeinerung dieses Sachverhalts Vorsicht geboten.
Nach Manfred Zeidler stammten 1928 10 % der Generale und Offiziere aus der alten zaristischen Armee, aber Beiträge zur militärtheoretischen Literatur stammten 1929 zu 81,5 % aus der Feder eben dieser ehemals zaristischen Offiziere. 77)
Es wäre unsinnig, die militärische Kompetenz der alten Generale und Offiziere aus der zaristischen Armee in Zweifel ziehen zu wollen. Hier sei nur auf General Alexej Alexejewitsch Brussilow verwiesen, der seine militärischen und militärtheoretischen Kenntnisse der Roten Armee zur Verfügung gestellt hat und der Sowjetmacht bis zu seinem Tode treu gedient hat. 77a)
Tuchatschewski, der in der zaristischen Armee nach unterschiedlichen Angaben als Fähnrich – als Unterleutnant – als Leutnant (?) gedient hat, also noch ein sehr junger Offizier war, hatte sich in der Roten Armee zu einem bedeutenden Militärtheoretiker entwickelt.
Die Gefahren, die für die Sowjetmacht von Seiten der ehemaligen zaristischen Offiziere ausgingen, waren politischer Natur.
Aus Dokumenten aus der Zeit der Zusammenarbeit zwischen Roter Armee und Reichswehr während der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre geht eindeutig hervor, daß von deutscher Seite ernsthafte Erwartungen und Hoffnungen auf einen „Regimewechsel“ in der UdSSR von Seiten der alten Militärs aus der zaristischen Armee bestanden und gefördert wurden.
Die militärische Zusammenarbeit war das Pendant zu den deutsch-sowjetischen Wirtschaftsbeziehungen nach dem Rapallo-Vertrag vom 16. April 1922, über die von deutscher Seite ebenfalls auf einen „Regimewechsel“ in der UdSSR hingearbeitet wurde. 78)
Der Vorsitzende des „Rußlandausschusses der deutschen Wirtschaft“, Direktor Kraemer, meinte 1928, daß der Osten „zur Domäne der deutschen Wirtschaft werden“ solle. In den Wirtschaftsbeziehungen zur UdSSR sah Kraemer das Mittel, einen Systemwechsel in Rußland zu bewirken. Es gäbe „heute schon in den führenden Kreisen in Rußland“ vereinzelt Personen, die sich durch „wirtschaftliche Vernunft“ auszeichneten, an die man sich wenden könne.
Kraemer nannte jedoch keine Namen von Personen, die sich durch „wirtschaftliche Vernunft“ auszeichneten, und über die man eine Restauration des Kapitalismus herbeiführen könne, um im Klartext zu sprechen.78a)
In Ergänzung zu Kraemer kann man für das militärische Gebiet Herbert von Dirksen nennen, der von 1929 bis 1933 deutscher Botschafter in Moskau war. Dirksen hoffte, die Russen über das „spezielle Gebiet“ der militärischen Beziehungen „politisch ziemlich fest in der Hand zu haben.“78b)
Von Seiten der Reichswehrgeneralität gab es in den zwanziger und dreißiger Jahren Hinweise auf Verschwörungen sowjetischer Generale gegen die Sowjetmacht. Heute ist es schwierig, festzustellen, was von diesen Hinweisen exakt war oder ob sie lediglich dem Wunschdenken von Reichswehrgeneralen und Stabsoffizieren entsprachen.
Kontakte zwischen deutschen Generalen in den zwanziger Jahren mochten sich aus den Beziehungen zwischen Reichswehr und Roter Armee ergeben und sind nicht a priori einer Verschwörung zuzurechnen, obwohl solche Kontakte nach 1933 einen anderen Charakter angenommen haben können.
Dabei spielt die Parteitagsrede Hitlers vom 12. September 1936 die Rolle einer „Zäsur“ in den Beziehungen Reichswehr – Rote Armee. Hitler erklärte in aller Offenheit seine feindselige Stellung gegenüber der Sowjetunion, proklamierte den „Kampf gegen den Bolschewismus“ und meldete deutsche Interessen an den Rohstoffen und am Getreide der UdSSR an.
Seit Herbst 1936 standen sich zum ersten Mal Soldaten der Roten Armee und der Wehrmacht im Krieg in Spanien gegenüber. Deutsche Piloten, die in der Sowjetunion (bei Lipetzk) ihre taktische Fliegerausbildung erhalten hatten, kämpften im Luftraum über Spanien gegen Piloten der Roten Luftstreitkräfte. Zeidler vermerkt richtig, daß „erst jetzt“, Herbst 1936, die propagandistische Zurückhaltung von sowjetischer Seite gegenüber der Reichswehr beendet, die deutsche Wehrmacht mit dem Attribut „faschistisch“ bezeichnet wurde. 79)
Es ist nicht auszuschließen, daß Tuchatschewski und andere Generale der Roten Armee den Bruch in den Beziehungen Reichswehr – Rote Armee und die Veränderung in der sowjetischen Außenpolitik nicht oder zu spät erkannt haben und Beziehungen fortsetzten, die unter den veränderten Bedingungen nunmehr offen einen sowjetfeindlichen Charakter annahmen.
Nachweisliche Kontakte zwischen Tuchatschewski mit deutschen Generalen und Stabsoffizieren gab es 1925 mit Joachim von Stülpnagel, zu dieser Zeit Chef der T1.80) Im September 1932 nahm eine sowjetische Militärgruppe unter Tuchatschewski an Herbstmanövern der Reichswehr im Raum Frankfurt/Oder teil.81)
Nach Hauptmann Hans Krebs (später General, 1945 Chef des OKH, beging nach Ablehnung eines Waffenstillstandsangebots von „Reichskanzler“ Goebbels an Marschall Shukow Selbstmord), Sachbearbeiter von T3, 82) war Tuchatschewski bemüht, Kontakte zum US-Militärattaché, Oberstleutnant Wuest, herzustellen. Tuchatschewski habe „ganz unverblümt seinen Wunsch zu erkennen“ gegeben, „von Amerika zum Besuch der Rüstungsindustrie eingeladen zu werden.“ 83)
Am 26. September 1932 fand in der Nähe von Bad Saarow eine Begegnung der sowjetischen Delegation mit Reichspräsident von Hindenburg statt. Tuchatschewski hielt sich vom 12. September bis 12. Oktober 1932 in Deutschland auf. Die letzte Reise einer sowjetischen Offiziersdelegation fand im Mai 1933 statt. Seitdem gab es keine gegenseitigen Manöverbesuche mehr. 84) Bis dahin waren die Kontakte zumindest legal. Was zwischen den deutschen und sowjetischen Generalen besprochen wurde, darüber gibt es nur vereinzelte Aussagen, denen gegenüber Vorsicht geboten ist.
Bezüglich Uborowitsch’s, der im Dezember 1927 zu Gast in Berlin weilte, legte das Reichswehrministerium „größten Wert darauf“, daß er sich noch längere Zeit in Berlin aufhalten möge, da über ihn über die sowjetische Generalität ein möglicher Regimewechsel in der UdSSR durchgeführt werden könnte. 85) Solche Einschätzungen lassen natürlich aufhorchen.
General der Infanterie, Kurt Freiherr von Hammerstein – Equord, Chef der Heeresleitung, forderte: „Es gelte, die deutschfreundlichen Elemente in der Roten Armee, allen voran Uborovitsch und Berzin, deren heimisches Prestige mit dem Rüstungsvertrag auf dem Spiel stünde, nicht zu kompromittieren, ihnen vielmehr gegen anders gerichtete Tendenzen in den eigenen Reihen den Rücken zu stärken.“ 86)
„…in den eigenen Reihen …“ Wer da gemeint war, darauf läßt sich nur schließen, Timoschenko? Woroschilow? Stalin?
Kapitän z. See Wilfried von Loewenfeld, Chef der Flottenabteilung in der Marineleitung 1926, bezeichnete den Bolschewismus als „den augenblicklich größten Feind Deutschlands“. Er empfahl: „Mit den Russen nur spielen, sie freundlich betrügen, ohne daß sie es merken.“ Die Beziehungen zu Moskau seien lediglich als „taktisches Element gegenüber England“ zu nutzen. 87)
Kapitän v. Loewenfeld hatte wohl noch den Matrosenaufstand in der deutschen Hochseeflotte vom 3. November 1918 in Erinnerung, der die Novemberrevolution einleitete. In der Bemerkung, die Russen freundlich betrügen zu wollen, ohne daß sie es merkten, kommt seine politische Überheblichkeit treffend zum Ausdruck.
Eine interessante Einschätzung deutscher Reichswehroffiziere über die Beziehungen zwischen deutschen und sowjetischen Offizieren besagt, daß es vorgekommen sei, daß „dienstliche Kontakte … besonders zwischen höheren Offizieren“, z.B. zwischen v. Blomberg und Uborevitsch, Adam und Putna, „sich zu persönlichen Freundschaften entwickelten.“ 88)
Der sowjetische Botschafter in Berlin, Krestinski, schrieb Ende 1928 an Stalin, daß Uborowitsch zur Zeit „einer der besten Kenner der deutschen Armee“ sei, „dessen Wissen und Erfahrungen durch systematische Verbreitung zum Gemeingut vieler Sowjetoffiziere werden.“
Alexander Jegorow habe sich als „besonders prodeutsch“ erwiesen. 89)
Der Abschluß des deutsch-polnischen Neutralitätspaktes am 26. Januar 1934 verdeutliche die Umorientierung der nunmehr faschistischen Regierung in der Militär- und Außenpolitik, die von der Sowjetregierung nicht unbemerkt bleiben konnte. Die Sowjetregierung war nunmehr bemüht, militärische Kontakte zu Frankreich herzustellen. Bereits im September 1933 besuchten der französische Luftfahrtsminister Pierre Cot und dessen Luftwaffeninspekteur, General Bares, die UdSSR. Es begann eine „militärische Annäherung“, in die 1935 auch die CSR einbezogen wurde. 90)
Trotz dieser Veränderungen in den Beziehungen des nunmehr faschistischen Deutschlands und der UdSSR „wirkten prodeutsche Stimmungen im höheren Offizierskorps der Roten Armee weiter.“ 91)
Hauptmann Hans Krebs bemerkte, daß der Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund im sowjetischen Offizierskorps auf „vollstes Verständnis“ getroffen habe. „Die scharfe antideutsche Haltung der hiesigen Presse (in der UdSSR, UH) scheint auf die Einstellung des sowjetrussischen Offizierskorps ohne Einfluß geblieben zu sein.“ 92)
Der deutsche Militärattaché in Moskau, Otto Hartmann, erklärte, daß bei einer Reihe hoher sowjetischer Offiziere ein „starker Nachhall“ auf die ehemaligen Beziehungen Rote Armee – Reichswehr bestünde. Er nannte Jegorow, Ejdemann, Gorbatschew, Jefimow, und besonders, Uritskij.
„…Alle schätzen Deutschland, vor dem es in der Roten Armee kein Geheimnis gibt. Sie glauben an die Zukunft und Dauer guter Beziehungen zu Deutschland.“ 93)
Tuchatschewski war am 26. Oktober 1935 in der Privatresidenz des neuen deutschen Botschafters in Moskau, Graf von der Schulenburg. Nach einer Notiz von Botschaftsrat Fritz von Twardowski habe Tuchatschewski noch am 31. März (1935) in einem Prawda-Artikel die deutsche Aufrüstung in den „alarmierendsten Farben“ geschildert. Gegenüber Twardowski habe er jedoch geäußert: „Wenn Deutschland und die Sowjetunion dieselben freundschaftlichen politischen Beziehungen wie früher hätten, könnten sie jetzt der Welt den Frieden diktieren… Auch wenn man in Deutschland eine andere Weltanschauung vorsieht, sollte das kein Hinderungsgrund sein… Er sei zwar nur Soldat und verstehe nichts von Politik, aber er hege doch die große Hoffnung, daß Deutschland und die Sowjetunion sich wieder finden werden.“
Ähnliche Äußerungen habe Uborewitsch im Januar 1936 gegenüber dem Gehilfen des deutschen Militärattaches in Warschau, Major Kinzel, gemacht, verbunden mit dem „dringenden Wunsch, sich mit maßgeblichen deutschen Militärs über wichtige politische und militärische Fragen einmal gründlich auszusprechen.“ 94)
Zeidler ist zuzustimmen, wenn er meint, daß diese Beziehungen und Kontakte sowjetischer Generale zu deutschen Militärdienststellen den Hintergrund für die Prozesse 1937 gegen Tuchatschewski und acht Offizieren seiner näheren Umgebung bildeten. Daß sie hochverräterische Beziehungen zu den Reichswehr-Offizieren, ab 1933 der faschistischen Wehrmacht, unterhalten haben, ist wahrscheinlich. In einzelnen Fällen mögen sie Intrigen von Geheimdiensten der deutschen Faschisten zum Opfer gefallen sein. Ob namentlich Tuchatschewski Opfer gefälschten Belastungsmaterials aus Berlin geworden war, ist nicht auszuschließen. 94a)
Es existiert eine sehr umfangreiche Literatur über ein Komplott des Chefs des SS-Sicherheitsdienstes, Reinhard Heydrich, Tuchatschewski belastendes Material über Benes, dem damaligen Präsidenten der CSR, Stalin zuzuspielen. Die Idee dieses Komplotts stamme von dem ehemaligen zaristischen General Nikolaj Skobin, der sich als Doppelagent erwies. Skobin habe sich mit dieser Idee an Heydrich gewandt, der von „Fachleuten“ das belastende Material ausarbeiten und mit Hitlers Zustimmung über diverse Kanäle an Benes’ weiterleiten ließ. Benes’ habe Kenntnisse über dieses Material an den französischen Außenminister Daladier weitergeleitet, Daladier dann wieder an Stalin.
Für diese Geschichte, die sich wie ein mittelmäßiger Kriminalroman liest, gibt es keine Beweise. Die ganze „Heydrich“-Geschichte kann einen rationalen Kern enthalten, daß von deutscher Seite über diverse Kanäle gefälschtes Belastungsmaterial an Stalin geliefert wurde.
Der damalige französische Botschafter in Moskau, Robert Coulondre, habe vom litauischen Gesandten erfahren, daß sich Tuchatschewski „tatsächlich an die Spitze einer Bewegung gestellt“ habe, „die die Partei entmachten und eine Militärdiktatur errichten wollte… Stalin sollte an der Macht bleiben, die sozialen Errungenschaften der Revolution sollten beibehalten werden.“ Wie sollte denn das wohl zusammenpassen?
Auch nach US-Botschafter Davies sei „aller Wahrscheinlichkeit nach eine ausgesprochene Verschwörung mit dem Ziel eines Staatsstreichs durch die Armee im Werden“ gewesen. Die Verschwörung wäre auf „Entpo-litisierung und gegen die Partei gerichtet“ nicht „notwendigerweise gegen Stalin“. Also ähnlich wie bei Coulondre. Stalin habe „mit charakteristischer Schnelligkeit, Kühnheit und Stärke zugeschlagen …“ Dies ist glaubwürdig und kann wohl auch nicht überraschen.
Admiral Wilhelm Canaris, Chef des Amtes Ausland/Abwehr, äußerte in einem Gespräch mit Oberst Lahousen, Leiter der Abteilung II – Sabotage und Zersetzung, „daß er aus London und Paris Berichte erhalte, wonach Tuchatschewski bei seinen Bemühungen, Großbritannien und Frankreich für eine enge militärische Zusammenarbeit gegen Hitler-Deutschland zu gewinnen, genaue Angaben über Truppenstärke und Ausrüstung der Roten Armee sowie über Herstellung moderner Waffensysteme preisgab. Dies, so Canaris, sei Hochverrat, und in jedem Staat würde der mit dem Tode bestraft.“ 94b)
Es ist inzwischen aktenkundig, daß von deutschen Militärdiensten Versuche der Beeinflussung sowjetischer Offiziere unternommen wurden. Wie weit diese „Beeinflussung“ ging, läßt sich nicht mehr in jedem einzelnen Fall feststellen. Es wäre naiv, anzunehmen, daß von Seiten der Reichswehr/Wehrmacht es keine Aktivitäten in dieser Richtung gegeben hätte.
Tuchatschewski hat zumindest eine zwiespältige Rolle gespielt. Das gilt auch für Uritzki, Uborowitsch u.a. Sie waren ein Sicherheitsrisiko für die UdSSR. 95)
Zu ähnlichen Ausführungen wie Zeidler über die Beziehungen Reichswehr – Rote Armee gelangte der DDR-Militärhistoriker Olaf Groehler, der weitgehend das gleiche Quellenmaterial auswertete. 96)
Groehlers Monographie erschien zwei Jahre vor der Publikation von Zeidler.
Groehler geht ausführlich auf die objektiven Faktoren der Beziehungen Reichswehr – Rote Armee ein. Beide Staaten, Deutschland und die UdSSR, suchten die diplomatische Isolierung, in der sie sich nach 1922 befanden, zu durchbrechen. Die deutsche Reichswehrführung sah sich durch Frankreich im Westen und Polen im Osten bedroht, nicht ganz unbegründet. Zugleich verfolgte sie auch eine Revanchepolitik, namentlich gegenüber Polen. Für General Seeckt, dem Chef der Reichswehr, ging es um die Wiederherstellung der Vorkriegsgrenzen im Osten und Revisionspolitik gegenüber Frankreich, letztendlich um die Durchbrechung der politischen und militärischen Bestimmungen des Versailler Vertrages.
Dabei ist zu beachten, daß in Polen eine nationalistische, antirussische und antisowjetische Regierung die Politik bestimmte, die selbst expansionistische Ziele gegen westliche Gebiete der UdSSR und im Westen gegen Oberschlesien artikulierte. Dazu gehörte die 1920 durch „Vertrag“ erzwungene völkerrechtswidrige Annexion westlicher Gebiete Weißrußlands und der Ukraine östlich der vom damaligen britischen Außenminister gezogenen Curzon-Linie durch Polen.
Die nationalistisch-expansionistische Regierung Polens und die extrem deutschfeindliche imperialistische Regierung Frankreichs waren durchaus keine demokratischen Musterknaben. Die Versailler Politik erleichterte den reaktionären, revanchistischen Kräften in Deutschland, wenig später den Hitlerfaschisten, durch ihre chauvinistische Propaganda beträchtliche Teile des Volkes für ihre Aggressionspolitik zu gewinnen. Das Versailler System war eine konkrete Erscheinung der unlösbaren Widersprüche des imperialistischen Weltsystems, aus dem Sowjetrußland 1917 ausgebrochen war. Die Widersprüche dieses imperialistischen Systems mußten früher oder später zu einem neuen Krieg führen.
Den politischen Rahmen für militärische und rüstungswirtschaftliche Abmachungen zwischen Reichswehr und Roter Armee bildete der Rapallo-Vertrag vom 16. April 1922.
Ging es der Sowjetregierung – bis 1923 unter Führung Lenins! – einmal gegen reaktionäre Ambitionen Polens, zum anderen eine westliche Einbindung Deutschlands zu verhindern, moderne militärwissenschaftliche, taktische und technische Kenntnisse der Reichswehr zu erhalten, so der Reichswehrführung vor allem darum, sich den sowjetischen Beistand im Falle eines polnisch-französischen Überfalls auf das Reichsgebiet zu sichern sowie das sowjetische Territorium für die Entwicklung und Erprobung von solchen Waffen zu nutzen, die durch den Versailler Vertrag Deutschland verboten waren.
Zugleich ging es aber der Reichswehrführung auch darum, Einfluß auf die Führung der Roten Armee zu erhalten, der nach Meinung hoher Reichswehroffiziere „ausschlaggebender Stellenwert“ in der sowjetischen Gesellschaft zukam. „Durch Einflußnahme auf die Köpfe der Roten Armee … hoffte man, eine evolutionäre Entwicklung in Sowjetrußland befördern zu können.“ 97)
Über Tuchatschewski dokumentiert Groehler dessen Aussagen, die später auch von Zeidler angeführt wurden. 98) Bis heute sei die Frage nicht geklärt: „… wurde das Tuchatschewski belastende Material über Benes, gefälschte Dokumente, nach Moskau gesandt oder nicht? Möglich ist es. Aber klare Beweise fehlen. Die nachweisbaren Äußerungen Tuchatschewskis allein würden genügen, vom NKWD eine Anklage gegen ihn zu erheben. Auch könnten im NKWD Leute gesessen haben, die am Sturz Tucha-tschewsksi interessiert waren.“ 99)
Groehler konzidiert, daß die Angaben über die von der Reinigung der Roten Armee betroffenen Generale und Offiziere „widersprüchlich“ seien, aber „so viel dürfte feststehen“, daß etwa 40.000 sowjetische Offiziere zwischen Mai 1937 bis September 1938, annähernd 50 % des gesamten Offizierskorps „verschwanden“, d.h. erschossen oder verhaftet worden seien. 100) Aber auch die von Groehler genannten Zahlen erweisen sich als eigene Schätzungen. Groehler berücksichtigt nicht die Entlassung von Offizieren aus Altersgründen oder Krankheiten, die ins zivile Leben zurückkehrten oder Offiziere, die wegen Disziplinarverstößen, Trunkenheit – keine kleine Anzahl – die Armee verlassen mußten. Bei den in der Literatur genannten Zahlen ist Vorsicht geboten.
Es gab in der deutschen Wehrmacht Offiziere, die vor einer „Nachhal-tigkeit und Dauer dieser Schwächung“ der Roten Armee warnten.
Nach dem Rußlandreferenten im OKH, Major Karl Spalcke, werde „diese Schwächung“ nur so lange dauern, „bis sich die neuen Männer eingearbeitet hätten. Mangel an Nachwuchs brauche kaum vorhanden zu sein, denn in der Roten Armee würden nun schon seit fast zwanzig Jahren Führer und Generalstabsoffiziere ausgebildet, die geeignet seien, die liquidierte Schicht vollauf zu ersetzen. Die vorübergehende Schwächung werde aber völlig ausgeglichen durch eine größere Homogenität in der Schicht der hohen und höchsten Kommandeure und die damit verbundene größere Geschlossenheit. Die Liquidation habe sich unverkennbar und im wesentlichen auf Offiziere bürgerlicher Herkunft beschränkt, die allein deshalb schon als klassenfremd und daher unzuverlässig angesehen worden seien… Die Führerschicht der Roten Armee werde nach dieser Reinigung zwar primitiver sein…, aber sie werde, vom Standpunkt des russischen Nationalismus aus gesehen, zuverlässiger und stoßkräftiger sein.“ 101)
Dies dürfte der Wahrheit näher kommen.
Selbst der Erzfeind von Stalin, Trotzki, muß einräumen: „Eine Verschwörung hat es zwar noch nicht gegeben, doch steht sie auf der Tagesordnung.“ Die Prozesse und Urteile gegen Tuchatscheweski, Uborowitsch u.a. trugen „präventativen Charakter.“ 102)
Manstein bezeichnete Tuchatschewski als eine „zweifellos interessante Persönlichkeit“. „Er hatte noch als Fähnrich in der Kaiserlichen Garde gedient, was ihn aber nicht hinderte, gleichzeitig Revolutionär zu werden. Er schien mir eine ebenso kluge wie auch rücksichtslose, unoffene Persönlichkeit zu sein…“ „…seine Sympathien“ lagen „mehr in der französischen Richtung.“ Ob Tuchatschewski „zwei Frauen“ hatte, gehört wohl besser in die Klatschgeschichten, die es auch in der Sowjetgesellschaft gab.
Manstein schrieb: „Wenn er bei einem Botschafter eingeladen werde, würde stets gefragt, welche der beiden man mit ihm erwarten dürfe.“ 102a) Woher weiß Mannstein das? Letztendlich ist dies unwichtig. Deswegen ist er jedenfalls nicht erschossen worden.
Nicht nur Manstein sah in Tuchatschewski eine „unoffene Persönlichkeit“. Nach Genraloberst von Blomberg bezweifle man „in den eigenen Reihen seine politische Zuverlässigkeit.“ Generalmajor Hilmar Ritter von Mittelberger, 1929 – 1933 Chef der In 1 der Heeresverwaltung, meinte, daß Tuchatschewskis „Erscheinung wie Auftreten nicht in das Sowjetmilieu paßte“. Hierbei muß man natürlich fragen, was Mittelberger unter „Sowjetmilieu“ verstand.
In einem Vortrag im Auswärtigen Amt im Mai 1928 hatte Mittelberger über Tuchatschewski berichtet: „Allgemein wisse man, daß er nur aus Opporttunitätsgründen Kommunist geworden sei. Man traue ihm auch den persönlichen Mut zu, den Absprung vom Kommunismus zu wagen, falls es ihm im Verlauf der weiteren Entwicklung der Dinge angezeigt erscheinen sollte“.
Auch bei dieser Äußerung, „Allgemein wisse man …“ ist Vorsicht geboten. Konkreter werdend hielt Mittelberger es aus „einwandfreien Quellen“ als erwiesen, daß „im Jahre 1937 innerhalb der Streitkräfte eine Verschwörung mit dem Ziel der Errichtung einer Militärdiktatur mindestens im Entstehen begriffen war.“
General der Infanterie Kurt von Hammerstein – Equord, 1930 – 1933 Chef der Heeresleitung, „scheint damals mit einem Putsch aus den Reihen der Armee gerechnet zu haben.“ 103)
Die Rote Armee – 1941 kriegsfähig?
„Nichts ist einfacher, als in einer Zeit, da alle Auswirkungen schon bekannt sind, zum Beginn der Ereignisse zurückzukehren und mit allerlei Werturteilen aufzuwarten.“
Shukow, Marschall der Sowjetunion 104)
Über den Zustand der Roten Armee wurde in den „Beiträgen …“ ausführlich berichtet. 105) Neue, zusätzliche Informationen konnten aus den seit kurzer Zeit zugänglichen Dokumenten der Archive der Russischen Föderation gewonnen werden, die die Ausführungen in den „Beiträgen …“ bestätigen und ergänzen. Eine Analyse der neu zugänglichen Dokumente bezüglich des Zustandes der Roten Armee im Juni 1941 hat Gorodetsky unter der alarmierenden Überschrift „Der Bankrott der Militärs“ 106) geleistet, aus der im Folgenden ausführlich zitiert wird. Der Begriff „Bankrott“ ist wohl als eine emotional bedingte Übertreibung zu verstehen, die den allerdings kritischen Zustand der Roten Armee verdeutlichen soll, wären die sowjetischen Militärs 1941 tatsächlich bankrott gewesen, hätte die Rote Armee trotz ihrer katastrophalen Verluste dem Überfall nicht standhalten und den deutschen Truppen vor Moskau Ende des kritischen Jahres 1941 eine empfindliche Niederlage von operativer Bedeutung bereiten können. Es war auch ohne „Bankrott“ schon schlimm genug.
Gorodetsky geht sehr ausführlich auf zwei Kriegsspiele der Roten Armee in den ersten beiden Januarwochen des Jahres 1941 ein, die er für die Beurteilung der Kriegsfähigkeit der Roten Armee für sehr wichtig hält. Das zweite Spiel, das erst „kürzlich bekannt geworden“ sei, sei das „wichtigere“ gewesen. In diesem Spiel trug Shukow mit den „Roten“ einen Gegenangriff gegen die eingefallenen deutschen Truppen an der Südwestfront vor. Die spätere Truppenaufstellung wäre aus diesem Spiel abgeleitet worden, „wenn man die drei Operationsdirektiven vom 20. bis 23. Juni 1941 genau analysiert, dann zeigt sich, daß sie direkt auf den Dokumenten dieses Kriegsspiels basieren.“ Nach dem russischen Militärhistoriker Anfilow habe der Befehlshaber der Westfront, General Pawlow, beim Vorstoß der Deutschen 1941 die Papiere dieses Kriegsspiels hervorgeholt und sich bei der Vorbereitung seiner Gegenmaßnahmen von ihnen inspirieren lassen. Die Bedeutung der Kriegsspiele sei kaum zu überschätzen. 107)
Bemerkenswert sei, daß in „keinem dieser beiden wichtigen Kriegsspiele … ein Angriffs- oder Präventivschlag der Sowjetunion vorgesehen war.“ Nach General Sacharow war im Gegenteil „die Ausgangssituation der Spiele … von dramatischen Episoden für die östliche Seite“ geprägt, die „vorwegnahmen, was im Juni 1941 nach dem wortbrüchigen Überfall der faschistischen deutschen Streitkräfte auf die Sowjetunion an unseren Grenzen tatsächlich geschah. Beide Spiele gingen also von einer deutschen Offensive an verschiedenen Fronten aus und untersuchten die notwendigen Verteidigungsmaßnahmen.“ 108)
„Beim ersten dieser Spiele, das vom 2. bis 6. Januar 1941 stattfand, ging man davon aus, daß die Deutschen im mittleren und nördlichen Bereich angriffen. Der Hauptstoß der »Blauen« (der Deutschen) erfolgte mit 160 Divisionen unter Schukows Befehl südlich von Brest in Richtung Wladimir-Wolynski und Tarnopol. Nördlich davon führten 60 Divisionen eine Diversionsattacke aus, die die Roten vom Hauptstoß ablenken sollte. Diese Truppen wurden aus Ostpreußen in Richtung Riga und Dwinsk sowie aus dem Raum Suwalki und Brest in Richtung Baranowitschi herangeführt. Die sowjetische Verteidigung stand unter Pawlows Befehl. Zwar gelang es den Deutschen, tief in die sowjetischen Verteidigungsräume vorzudringen, aber sie konnten sich nicht entfalten, und der Angriff versandete. Die Alarmsirenen schrillten jedoch, als Pawlow nicht in der Lage war, den Feind zurückzuschlagen, und das Spiel damit endete, daß sich die Deutschen in den sowjetischen Verteidigungsstellungen festsetzen.
Das zweite Spiel fand vom 8. – 11. Januar in weit größerem Umfang statt. Nun tauschten Pawlow und Schukow die Rollen. Während das erste Spiel auf einen relativ kleinen Raum beschränkt war, der auch die baltischen Staaten umfaßte, beruhte das zweite auf dem überarbeiteten Operationsplan und ging davon aus, daß der Hauptkriegsschauplatz an der Südwestfront und auf dem Balkan liege. Nun handelte es sich um größere Schlacht-ordnungen gegen einen Hauptstoß, der von Süden kommen und das sowjetische Hinterland stark bedrohen sollte. Im Unterschied zu Pawlow legte Schukow seine Verteidigung nach der Doktrin der »tiefen Operationen« an, hielt den Hauptstoß im Süden auf und zielte mit seinem eigenen Hauptschlag gegen die Blauen ins Hinterland des Gegners, womit er die deutschen Hauptkräfte von ihrem Nachschub abschnitt und eine schwerwiegende Störung des Angriffs erreichte. Er scheiterte jedoch beim nachfolgenden Versuch, den deutschen Angriff durch verschiedene Manöver der Reservetruppen zurückzuschlagen, weil er zu große Räume überwinden mußte.
Die Spiele erschütterten die Zuversicht, die noch die vorausgegangene Tagung des Oberkommandos bestimmt hatte. Die Angreifbarkeit und die Defizite der Verteidigung traten nun offen zu Tage. Auch die Schiedsrichter kamen zu wenig schmeichelhaften Urteilen über die Leistung der Armee:
»Die Ergebnisse des ersten Spiels haben gezeigt, daß das operative und strategische Denken der meisten Kommandeure der höchsten Ebene längst nicht vollkommen ist. Das erfordert weitere beharrliche Anstrengungen, um die Fähigkeit zur Führung großer Verbände zu verbessern und den Charakter derartiger Operationen, ihrer Organisation, Planung und praktischen Ausführung zu beherrschen.«
Angesichts dieses harten Urteils war Stalin wohl kaum geneigt, sich auf ein militärisches Abenteuer einzulassen. Bestenfalls konnte er hoffen, daß die wichtigsten Mängel der Verteidigung, die die Spiele offenbart hatten, behoben wurden, bevor die Deutschen zum Angriff bliesen. 109)
Von großer Bedeutung war auch die Erkenntnis, daß die Industrie den neuen Anforderungen in so kurzer Zeit nicht gerecht werden konnte. Eine Untersuchung des NKWD zur Zeit der Kriegsspiele ergab, daß beim Generalplan für den Eisenbahnbau große Rückstände eingetreten waren. Auch der Plan für Notfälle, den der Stabschef der Roten Armee ausgegeben hatte, wurde nicht erfüllt. Es existierte somit kein abgestimmter Plan für die Nutzung der Eisenbahn in den ersten Kriegsmonaten, und wie die Mobilisierung auf diesem Gebiet bewerkstelligt werden sollte, war überhaupt nicht beraten worden. Die Eisenbahnstrecken, die in Richtung Front führten, waren kaum in der Lage, 30 Prozent des voraussichtlichen Transportaufkommens zu bewältigen. In der zentralen Region Minsk waren z. B. nur 16,7 Prozent der für den Ausbau der Strecken bereitgestellten Mittel eingesetzt worden. Im Durchschnitt waren kaum 12 Prozent der Pläne für den Ausbau des Eisenbahnnetzes erfüllt. Die schweren Panzer mußten auf 60-Tonnen-Waggons an die Front transportiert werden. Die Sowjetunion besaß jedoch nur 387 solcher Waggons, und im ganzen Jahr 1940 war nicht ein einziger neu gebaut worden. Für die Errichtung eines adäquaten Transportsystems in Richtung Front waren kaum 50 Prozent der notwendigen Güter – Schienen, Telegrafenmasten oder Eisenbahnschwellen – vorhanden. Schließlich traf auch noch die Hiobsbotschaft ein, daß die Arbeit an einem Mobilmachungssystem im Baltikum »noch nicht einmal begonnen« hatte. Im ganzen Jahr 1941 unternahm der Rat der Volkskommissare intensive Anstrengungen, um die »Produktion von Verteidigungsgütern« zu steigern, wobei man das Schwergewicht auf die Errichtung neuer Industriekomplexe legte, die den gewachsenen Anforderungen gerecht werden sollten.“ 110)
Vorschläge Shukows und Timoshenkos für einen Präventivschlag mit begrenzten Zielen vom Mai 1941, den deutschen Aufmarsch zu stören, lehnte Stalin bekanntlich in harscher Form ab. 111)
„Man behauptet oft, daß Rußland, wäre Stalin damals den Empfehlungen der Militärs gefolgt, die Anfangsphase des Krieges besser überstanden hätte. Aber Stalins Vorrsicht erschien vernünftig – nicht nur wegen der bereits beschriebenen politischen Zusammenhänge, sondern auch aus militärischen Gründen. Schukows Überlegungen basierten auf dem Stand des deutschen Aufmarsches von Mitte Mai. Er selbst konnte seine Truppen nicht vor Ende Juni vollständig in Stellung bringen. Zu diesem Zeitpunkt wären ihnen aber die Deutschen an Zahl nach wie vor weit überlegen gewesen. Noch ernüchternder wirkten hier die Lehren aus den Kriegsspielen, die gezeigt hatten, wie wenig vorbereitet die russische Armee war. Im Nachhinein gab Schukow zu, daß sein Vorschlag ein schrecklicher Fehler war: Hätte man der Roten Armee gestattet, zu jenem Zeitpunkt zuzuschlagen, dann wäre sie augenblicklich vernichtet worden. Schukow widersprach später Marschall Wassilewski, der in einem Interview, das man fast 20 Jahre lang nicht veröffentlichte, argumentiert hatte, Stalin habe einen Fehler begangen, als er nicht die gesamten Sicherungskräfte und auch die zweite Staffel an der Grenze aufmarschieren ließ. Auf den Seitenrändern des Interviews, das im Archiv des Politbüros liegt, vermerkte Schukow: »Wassilewskis Meinung entspricht nicht voll der Realität. Ich glaube, die Sowjetunion wäre schon frühzeitig geschlagen worden, wenn wir alle unsere Kräfte vor Kriegsausbruch an der Grenze aufgebaut und die deutschen Einheiten die Möglichkeit erhalten hätten, sie, wie es ihr Plan vorsah, bereits an der Grenze einzukesseln und zu zerschlagen … Hitlers Truppen hätten dann ihren Feldzug entfalten können, Moskau und Leningrad wären bereits 1941 gefallen.«“ 112)
Der sowjetische Truppenaufmarsch vollzog sich in höchster Eile und Unordnung, was Stalin natürlich wußte. Der Bericht einer Inspektion der Armee über die „Ergebnisse der Überprüfung der Kampfausbildung im Winterhalbjahr 1941 und Befehle für das Sommerhalbjahr ließen weitere Zweifel an der Fähigkeit der Roten Armee aufkommen, in diesem Stadium einen Präventivschlag zu führen. Die Inspektion ergab nämlich, daß die Armee insgesamt keine besondere Wachsamkeit, Kampfbereitschaft, Standhaftigkeit in der Verteidigung oder Bereitschaft zur Abwehr einer Invasion von Panzereinheiten an den Tag legte. Die Bewertung der Verteidigungsaufgaben führte somit zu dem düsteren Ergebnis, daß in der Winterperiode nur wenige erfüllt worden waren. Auch ein Überblick, den das Volkskommissariat für Verteidigung und die Militärbezirke zusammenstellten, ergab, daß die meisten Einheiten die Mobilmachungsbefehle nicht durchgeführt hatten. Folgerichtig waren die neuen Weisungen, die die Grundlage für die Ausbildung im Sommerhalbjahr 1941 bilden sollten, von einer defensiven Orientierung und dem aktuellen Zustand der Streitkräfte geprägt. Die Befehle der Kommandeure der Motschützen- und Panzereinheiten zeigen noch unverhüllter, daß ganz einfache Fertigkeiten wie die Verbindung und Koordinierung zwischen den Einheiten, präzises Schießen und Nachtgefechte nicht beherrscht wurden.“ 113)
Für die Bauarbeiten an einer neuen Befestigungslinie, der „Molotow-Linie“, stellte die Sowjetregierung zehn Millionen Rubel zur Verfügung.
„Noch am 4. Juli griff das Politbüro ein und drängte auf die beschleunigte Vollendung der Arbeiten bis Oktober 1941. Die ersten Anlagen für 45.000 Mann sollten am 1. Juli bereit sein, der Rest – für 75.000 Mann – im Oktober. Diese Arbeiten waren in vollem Gange, als die Deutschen losschlugen. Zwischen den befestigten Räumen klafften noch Lücken von 50 bis 60 Kilometern, in denen die Sicherungskräfte ohne jeden Schutz waren. Ursachen dafür waren nicht nur die Verlegung der Grenze, sondern auch der Mangel an Baumaterial wie Zement, Holz und Stacheldraht sowie die fehlende Zeit.“ 114)
Die Rüstungsproduktion konnte ebenfalls den Anforderungen des Generalstabs nicht nachkommen.
Erst Anfang Mai stimmte Stalin den Forderungen des Generalstabs zu, zwanzig neue mechanisierte Korps zur Verstärkung der gepanzerten Einheiten aufzustellen. Aber erst in der zweiten Jahreshälfte 1941 folgten „enorme Anstrengungen zur Erhöhung der Produktion von Waffen und Munition sowie zur Umstrukturierung der gesamten Industrie.
Der Löwenanteil des Ausstoßes an neuen Panzern des Typs KV3 und des verbesserten T-34 fiel erst auf das Jahresende, was mit Stalins Einschätzung übereinstimmte, im Sommer 1941 noch nicht auf einen deutschen Angriff vorbereitet zu sein und den Krieg bis zum nächsten Jahr hinauszögern zu können.“ 115)
Der Zustand der sowjetischen Luftstreitkräfte war unbefriedigend. Unfälle und Havarien waren auf „Nachlässigkeit der Piloten und der kommandierenden Offiziere“, auf „Mißachtung grundlegender Flugregeln“ zurückzuführen. „Mangelnde Disziplin führte dazu, daß täglich zwei bis drei Piloten bei Unfällen starben.“ 116)
Es dürfte wohl nachzuvollziehen sein, wenn Shukow später bemerkte, daß Stalin völlig auf die „Kriegsdrohung des faschistischen Deutschlands fixiert war. Sein ganzes Denken und Handeln war von einem einzigen Wunsch beherrscht – den Krieg zu verhindern oder seinen Ausbruch hinauszuschieben,…” 117)
Ob sich Stalin dabei auf „seine Weisheit“ verließ, sich „zu schlau“ dünkte und die „hinterhältige Taktik und die Pläne der Hitler-Regierung“ nicht durchschaute, wie Shukow später geäußert hat, möchte ich doch bezweifeln. Die Pläne der Hitler-Regierung hat Stalin sicher durchschaut, wenn er sich auch bezüglich des genauen Angriffstermins geirrt hat.
Hat Shukow hier Zugeständnisse an den „Zeitgeist“ der Glasnost-Ära gemacht?
„Vor Tische hörte man es anders.“ (Schiller, Wallenstein)
Die „Große Täuschung“
Diesen Satz wählte Gorodetsky als Titel seiner Monographie.
In dem erläuternden nachfolgenden Satz nannte er Stalin und Hitler. Sind beide gemeint? Beide haben sich getäuscht, Stalin über das Datum des Überfalls der Wehrmacht, in der Überschätzung der Möglichkeit, mit diplomatischen Mitteln den Krieg wenigstens für ein paar Monate hinauszögern zu können.
Hitler hat sich geirrt in der Stabilität der sozialistischen Sowjetunion, in den Fähigkeiten der Roten Armee und ihrer Generale. Dem gleichen Irrtum waren die deutschen Generale verfallen. Sie gingen von rein militärischen Gesichtspunkten aus, dem Kräfteverhältnis, dem Zustand der Roten Armee im ersten Halbjahr 1941. Sie überschätzten in arroganter Manier ihre militärtechnische Kompetenz, besonders nach den siegreichen Erfolgen der bisherigen „Blitzkriege“. Der Nimbus der „Unfehlbarkeit“, ihrer „Überlegenheit“ gegenüber den sowjetischen Generalen hat da sicher seine Rolle gespielt, wobei ihnen ihre militärtheoretische, strategische, operative und taktische Kompetenz nicht abzusprechen ist. Es war nicht zuletzt ihre Überheblichkeit gegenüber ihren sowjetischen Gegnern. Sie waren nicht in der Lage, die Leistungsfähigkeit einer revolutionären Armee wie der Roten Armee richtig einzuschätzen. Die deutschen Generale, die den Eroberungs- und Vernichtungskrieg der Hitler-Faschisten geplant und durchgeführt haben, scheiterten eben an der sozialistischen Gesellschaftsordnung, der sie völlig verständnislos gegenüberstanden und die sie auch nach ihrer Niederlage nicht begreifen konnten; wie aus ihren Memoiren hervorgeht. So werden die Ursachen für die Niederlage einmal im Klima Rußlands gesehen – als wenn sie nicht gewußt hätten, daß es im Winter dort sehr kalt ist und im Herbst und Frühjahr die Straßen und Wege im Schlamm so gut wie unpassierbar sind – zum anderen Hitler als Alleinschuldigen angelastet, der auf seine Generale nicht gehört habe. Hitler war daran schuld! Wäre er den Vorstellungen der Generale gefolgt, hätten sie den Krieg gewonnen, wie denn auch Generalfeldmarschall Erich von Manstein seine Memoiren unter dem Titel „Verlorene Siege“ 118) herausgegeben hat. Wenn man aber, wie die deutschen Generale glaubten, daß der Feldzug gegen die Sowjetunion ein „Spaziergang“ sein würde, daß bis zum Winter die ganze Sache erledigt sei, dann braucht man nicht noch für Winterausrüstungen der Truppen zu sorgen. Nicht der russische Winter, sondern die Fehleinschätzung der Roten Armee durch die Generale war die Ursache für die erste Niederlage vor Moskau, der ersten Niederlage, die die Wehrmacht in diesem Kriege hinnehmen mußte.
Unterstellt, Hitler hätte den strategischen Vorstellungen der Generale nachgegeben, eine andere Strategie verfolgt, dann hätten auch die sowjetischen Generale entsprechend darauf reagiert.
Die ganze Verschiebung der Ursachen der Niederlage von den Generalen auf Hitler ist rein spekulativ, um die deutsche Generalität aus der Verantwortung für die Niederlage zu entlassen. Der Nimbus der preußisch-deutschen Militärs, die in zwei Weltkriegen die deutsche Nation in katastrophale Niederlagen geführt haben darf nicht beschädigt werden, soll unbedingt erhalten bleiben. Man fragt sich – wofür?
Es gab noch einen Dritten, auf den der Terminus der „Großen Täuschung“ zutrifft. Das ist die britische Regierung, die unter Chamberlain versuchte, die Aggressivität der Hitler-Faschisten gegen die Sowjetunion zu lenken, in einen Krieg, in dem sich Deutschland und die UdSSR gegenseitig so zerstören sollten, daß sie beide für Jahrzehnte von der weltpolitischen Bühne verschwinden würden, in der Sowjetunion ein „Regimewechsel“, d.h. Restaurierung der kapitalistischen Ordnung, Zugang zu den Rohstoffen, zum Öl, führen würden. Nun, der Schuß ging nach hinten los.
Churchill setzte unter den anderen Bedingungen des Krieges im Grunde die alte Politik, die Zerstörung beider, der UdSSR und Deutschlands, fort. Churchills Ziel, die UdSSR in den Krieg als „Festlanddegen“ gegen Deutschland einzubeziehen, namentlich auf dem Balkan erwies sich ebenfalls als „Große Täuschung“.
Letztendlich waren beide, Churchill wie auch Hitler, mit ihrer imperialistischen antisowjetischen Politik gescheitert. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges stand die UdSSR, wenn auch vorübergehend durch die hohen menschlichen und materiellen Verluste geschwächt, als Weltmacht den imperialistischen Mächten gegenüber. Daß dies so war, war nicht zuletzt auch ein Verdienst Stalins.
Fußnoten
1) Gerd Ueberschär/Lew A. Besymenski (Hrsg.) Der deutsche Angriff auf die Sowjetunion. Die Kontroverse um die Präventivkriegsthese. Darmstadt 1998. S. 174 – 176.
Lew A. Besymenski: Wjatscheslaw Molotows Berlin-Besuch vom November 1940 im Licht neuer Dokumente. In: Präventivkrieg? Der deutsche Angriff auf die Sowjetunion. Hrsg. von Bianka Pietrow-Ennker. Franfurt/Main, März 2000, S. 114 – 117.
2) Zitiert nach dem Beitrag Besymenskis im Sammelband von Pietrow-Ennker, S. 114 – 117.
3) Ebd. S. 118.
4) Ebd. S. 119.
5) Georgi Dimitroff: Tagebücher 1933 – 1943. Hrsg. von Bernhard H. Bayerlein. Berlin 2000, S. 320 – 322.
6) Ebd. S. 323.
7) Besymenski, in: Pietrow-Ennker, a.a.O. S. 120
8) Ebd. S. 124.
9) Gabriel Gorodetsky: Die große Täuschung. Hitler, Stalin und das Unternehmen “Barbarossa”. Siedler, o.O. und o.J., S. 28 – 37.
9a) John Keegan: Der Zweite Weltkrieg. Originaltitel: The Second World War. London 1989/Berlin 2004. S. 83. Der Terminus “Blitzekrieg” war nach dem englischen Militärhistoriker John Keegan “von Journalisten des westlichen Auslands geprägt, um den Lesern ein Bild von der Geschwindigkeit und Zerstörungskraft deutscher Boden-Luft-Operationen zu vermitteln, die sich in dem dreiwöchigen Feldzug gegen die schlecht gerüsteten und zahlenmäßig unterlegenen polnischen Streitkräfte offenbart hatte.”
9b) Ebd. S. 121 f. – Heinz Guderian: Erinnerungen eines Soldaten. IV. Auflage. Neckarsgemünd 1960. S. 98 ff. – Kurt von Tippelskirch: Geschichte des Zweiten Weltkrieges. Bonn 1954. S. 81.
10) Siehe Manfred Messerschmidt: Präventivkrieg? Zur Kontroverse um die deutsche Außen- und Militärpolitik vor dem Angriff auf die UdSSR. In: Bianka Pietrow-Ennker, a.a.O. S. 23 – 27.
11) “Weisung Nr. 18.” In: Hitlers Weisungen für die Kriegführung 1939 – 1945. Dokumente des Oberkommandos der Wehrmacht. Koblenz 1983. Zitiert nach Messerschmidt, a.a.O. S. 27.
12) Gorodetsky, a.a.O. S. 77 f.
13) Ebd. S. 78.
14) Ebd. S. 80.
15) Ebd. S. 81.
16) I. M. Maiski: Memoiren eines sowjetischen Botschafters. Moskau 1964 und 1965/Berlin
16a) Tippelskirch, a.a.O. S. 107 und 108.
16b) Guderian, a.a.O. S. 127 und 128.
17) Gorodetsky, a.a.O. S. 81.
18) Le testam^nt politique de Hitler. Paris 1959, S. 61.
19) Gorodetsky, a.a.O. S. 82.
20) Ebd. S. 87.
21) Siehe ebd. S. 170 ff.
22) Keegan, a.a.O. S. 189 f.
22a) Ebd. S. 206.
22b) Ebd. S. 195.
23) Franz Halder: Kriegstagebuch. Tägliche Aufzeichnungen des Chefs des Generalstabs des Heeres. 1939 – 1942. Stuttgart 1963. Bd. 1, S. 372, 375. Bd.2, S. 30 ff, 39 ff.
24) Ebd. S. 49.
25) Siehe Ingo Schmidt/Friedhelm Klein: Der “Operationsentwurf Ost” des Generalmajors Marcks vom 5. August 1940. In: Wehrforschung, Heft 4/1972, S. 127 ff.
25a) Gorodetsky, a.a.O. S. 60.
25b) Ebd. S. 219 f.
26) Ebd. S. 60. In: W. K. Wolkow: Sowjetsko-jugoslawskie otnoschenia w natschalny period wtoroi mirowoi w kontexte mirowych sobytij, 1939 -1941. In: Sowjetskoe slawjanowedenie 6 (1990) (Die sowjetisch-jugoslawischen Beziehungen in der Anfangsphase des Zweiten Weltkrieges aus weltpolitischer Sicht).
27) Gorodetsky, a.a.O., S. 62.
28) Ebd. S. 64 (FO 800/322 pp. 353 – 360. Cripps an Halifax. 10.10.1940)
29) Ebd. S. 57 f.
30) Ebd. Nach dem Vertrag von Neuilly 1919 wurde der nördliche Teil der Bukowina und die Süddobrudscha widerrechtlich von Rumänien annektiert (FO 37124968 R 6751 19/37).
30a) Siehe Winston Churchill: Der Zweite Weltkrieg. Berlin – München – Wien. Neuauflage 1989, S. 185.
30b) Siehe I. B. Bershin: Geschichte der UdSSR. 1917 – 1970. Moskau 1966/Berlin 1971, S. 319.
30c) Stalin, Werke Bd. 9, Berlin 1953, S. 281.
31) Gorodetsky, a.a.O., S. 40 (FO 371 24846 N 3. 698/40/38, 25.3.1940)
31a) Siehe “Beiträge …” a.a.O. S. 337 ff.
31b) Gorodetsky, a.a.O. S. 129.
32) Ebd. S. 56.
33) Ebd. S.73.
34) Ebd. S. 75 f.
35) Ebd. S. 145.
36) Ebd. S. 157 (FSB I. <2> S. 60-61. Bericht des NKGB-Chefs Merkulow. 22.03.1941).
36a) Erich von Manstein: Verlorene Siege. 12. Auflage, Bonn 1991. S. 233 und 247.
36b) Ebd. S. 603.
37) Keegan, a.a.O. S. 254.
38) Ebd. S. 253. (Keine Quellenangabe zu den Zahlen).
39) Gorodetsky, a.a.O. S. 162 und 163. Die Zahlenangaben von G. sind unverständlich. Die erste Zahl bezieht sich offenbar auf das aktive Heer im Westen der UdSSR, nicht auf den Gesamtbestand der Roten Armee von 3,2 Millionen Mann.
40) Ebd. S. 165.
41) Ebd.
42) Ebd.
43) Ebd.
44) Ebd.
45) Siehe “Beitäge …” a.a.O. S. 165 ff; der ungekürzte Wortlaut des Befehls S. 461 – 464.
45a) Lenin, Werke, Bd. 21. Berlin 1960, S. 95.
45b) Stalin, Werke, Bd. 14, Dortmund 1976, S. 241.
45c) Siehe “Beiträge …” a.a.O. S. 132 f. 45d Stalin, Bd. 14, a.a.O. S. 261.
46) Gorodetsky, a.a.O. S. 169.
47) Ebd. (AGS RF, f. 16 op. 2951. d. 239, 1. 245 – 277. Rapport des Chefs des Kiewer Militärbezirks, Pukajew, über den Aufmarschplan Dezember 1940).
48) Ebd. S. 170 (B.A. Leach: German Strategy against Russia. 1939 – 1941, Oxford 1973, S. 163).
49) Siehe “Beiträge …” a.a.O. S. 118 ff. – Alexander I. Boroznjak: Ein russischer Historikerstreit? Zur sowjetischen und russischen Historiographie über den deutschen Angriff auf die Sowjetunion. In: Ueberschär/ Bezymenski, a.a.O.
50) Gorodetsky, a.a.O. S. 177.
51) Ebd. S. 178. (Bericht eines SS-Obergruppenführers und Ritterkreuzträgers in einem “vertraulichen Gespräch” mit einem befreundeten Arzt in Bukarest. (GRU GS RF. op. 24119 d.l, 1. 394 – 395, Jeschtschenko, der Militärattache in Bukarest an Golikow. -weitergegeben an Stalin- 13.3.1941)
52) Ebd. S. 180. (ZA SWR RF. d. 23078, t. 1, 1. 202 – 204. Merkulow an Stalin, Molotow und Berija, 6.3.1941)
53) Ebd. S. 182.
54) Ebd. S. 190.
55) Ebd. S. 195.
56) Über den Balkanfeldzug der Wehrmacht siehe Keegan, a.a.O., S. 218 – 230; – Geschichte des Zweiten Weltkrieges, 1939 – 1945, Bd. 3. Moskau 1974/Berlin 1979, S. 310 – 332.
57) Siehe hierzu Kurt Pätzold/Manfred Weißbecker: Rudolf Heß: Der Mann an Hitlers Seite. Leipzig 1999. S. 387 ff.
58) Gorodetsky, a.a.O., S. 206 – 233. – G.K. Shukow: Erinnerungen und Gedanken. Bd. 1, Moskau 1969/Berlin 1973 (4. Auflage), S. 277.
59) Ebd. S. 234 – 237. Über die “Spaltung” der deutschen Führer siehe S. 239 – 241, 261 – 275.
60) Ebd. S. 237.
61) Ebd. S. 238.
62) Ebd. S. 294.
63) Ebd. S. 321.
64) Maiski, a.a.O. S. 639.
65) Gorodetsky, a.a.O. S. 352.
66) Ebd. S. 365.
67) Es gibt mehrere Ausgaben der Goebbels-Tagebücher, von verschiedenen Herausgebern. Alle Zitate aus den Tagebüchern sind der Erweiterten Sonderausgabe von Ralf Georg Reuth, Piper Verlag GmbH, München 1999, Bd. 4, 1940 – 1942, entnommen. Durch Angabe der Daten der Eintragungen im Text können sie auch in andren Ausgaben unschwer aufgefunden und nachgelesen werden.
68) Fußnote 106 des Herausgebers der Goebbels-Tagebücher, Bd. 4. S. 1594.
69) Ebd. S. 1595, Eintragung vom 11. Juni 1941.
70) Ebd. S. 1597. Eintragung vom 14. Juni 1941.
71) Ebd. S. 1599, Eintragung vom 16. Juni 1941.
72) Gorodetsky, a.a.O. S. 375, Fußnote 64, S. 484. (Tschujew: Sto sorok besed c Molotowym, S. 43)
73) Gorodetsky, a.a.O. S. 303 – 305. Bei Zahlenangeben ist Vorsicht geboten!
74) Peter Tichauer: “Großukrainer” im Nazi-Sold. In: RotFuchs, 9. Jhg. Nr. 104, September 2006, S. 16.
75) Siehe “Beiträge …” a.a.O. S. 92 – 101.
76) Ebd. S. 93.
77) Manfred Zeidler: Reichswehr und Rote Armee 1920 – 1933. Wege und Stationen einer ungewöhnlichen Zusammenarbeit. Beiträge zur Militärgeschichte. Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Bd. 36, 2. Auflage, München 1994.
77a) Siehe Alexej A. Brussilow: Meine Erinnerungen. Moskau 1983/Berlin 1988.
78) Siehe “Beiträge …” a.a.O. S. 61 – 64.
78a) Ebd. S. 63.
78b) Zeidler, a.a.O. S. 137.
79) Ebd. S. 299.
80) Ebd. T1, Tarnbezeichnung für Generalstabsabteilungen der Reichswehr, da durch den Versailler Vertrag Deutschland keinen Generalstab haben durfte.
81) Ebd. S. 210.
82) T3, Tarnbezeichnung für Generalstabsabteilung. Heeresstatistische Abteilung, ab 1931 “Fremde Heere”.
83) Ebd. S. 216.
84) Ebd.
85) Ebd. S. 223.
86) Ebd. S. 232. Die deutsche Regierung wollte den Rüstungsvertrag zwischen Deutschland und UdSSR aufkündigen. Dies wäre nach Meinung von Reichswehr-Generalen ihren Bemühungen um Errichtung einer Militäropposition in der Sowjetunion abträglich.
87) Ebd. S. 239.
88) Ebd. S. 250.
89) Ebd. S. 270.
90) Ebd. S. 296.
91) Ebd.
92) Ebd.
93) Ebd. S. 296 f.
94) Ebd. S. 298 (D.S. Mc Marri: Deutschland und die Sowjetunion 1933 – 1936. Köln – Wien 1979. S. 320)
94a) Ebd. S. 299.
94b) Rudolf Ströbinger: Stalin enthauptet die Rote Armee. Der Fall Tuchatschewski. Stuttgart 1990, S. 292, 304, 305.
95) Zeidler, a.a.O. S. 299.
96) Olaf Groehler: Selbstmörderische Allianz. Deutsch-russische Militärbeziehungen 1920 – 1941. Berlin 1992.
97) Ebd. S. 44.
98) Ebd. S. 72 – 83.
99) Ebd. S. 81 f.
100) Ebd. S. 91.
101) Ebd. S. 93. (Quelle: Karl Spalcke: Der Fall Tuchatschewski. Die Wehrmacht, die Rote Armee und die “große Säuberung”. In: Die Gegenwart Jg. XIIl/Nr.2. 1958, S. 47)
102) Leo Trotzki: Stalins Verbrechen. Text nach der 1937 in Zürich herausgebrachten Übersetzung von Alexander Pfemfert. Berlin 1990. S. 307.
102a) Erich von Manstein: Aus einem Soldatenleben. 1887 – 1939. Bonn 1958, S. 141 f.
103) Groehler, a.a.O. S. 257.
104) Shukow, a.a.O. S. 274.
105) “Beiträge …” S. 107 – 115. Siehe auch Ulrich Huar: Wider die Reinkarnation der faschistischen Präventivkriegslüge. Marxistisch-leninistische Schriftenreihe für Geschichte, Politik, Ökonomie und Philosophie. Ernst Thälmann Verlag, Heft 93. oder in “offen-siv”, Zeitschrift für Sozialismus und Frieden. Heft 6/2005.
106) Gorodetsky, a.a.O. S. 170.
107) Ebd. S. 173.
108) Ebd. S. 174.
109) Ebd. S. 174 f.
110) Ebd. S. 176 f.
111) Siehe Boroznjak, a.a.O. S. 122.
112) Gorodetsky, a.a.O. S. 314.
113) Ebd. S. 315.
114) Ebd. S. 316 f.
115) Ebd. S. 317.
116) Ebd.
117) Ebd. S. 318.
118) Erich von Manstein: Verlorene Siege. 12. Auflage, Bonn 1991.
Anmerkung zu den Fußnoten
Verzeichnis der Abkürzungen von Archivmaterialien, wie sie von Gorodetsky verwendet wurden.
Archiv des Außenministeriums der Russischen Föderation (AWP RF).
Archiv des Präsidenten der Russischen Föderation (PA).
Archiv des Generalstabs der Russischen Föderation (AGS RF).
Russisches Militärarchiv, Akten der Hauptverwaltung Aufklärung des Generalstabs der Russischen Föderation (GRU GS RF).
Russisches Zentrum für die Aufbewahrung und das Studium von Dokumenten der neuesten Geschichte (RZChIDNl).
Zentralarchiv des Auslandsaufklärungsdienstes der Russischen Föderation (ZA SWR RF).
Zentralarchiv des Föderalen Sicherheitsdienstes der Russischen Föderation (ZA FSB RF).
Archiv des jugoslawischen Außenministeriums (AJ).
Archiv des militärgeschichtlichen Instituts Jugoslawiens (Archiv Vojenoistorijskog instituta, AVI).
Archiv des Quai d’Orsay (die russischen Aktenbestände).
Archiv des bulgarischen Außenministeriums (AMVR).
Nationalarchiv Bulgariens (ZDA MVR).
Public Record Office, London: Archive des Foreign Office (FO), Prime Minister’s Papers (PREM), Joint Intelligence Committee (JIC), Chiefs of Staff (COS), Joint Planning Staff (JP), Ministry of Economic Warfare (MEW), War Office (WO), Cabinet Papers (CAB).
Archiv des schwedischen Außenministeriums (DU:s Arkiv 1920 ARS).
Schwedisches Militärarchiv (Krigsarkivet).
National Archives, Washington, DC: State Department papers.
Literaturverzeichnis
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– Trotzki, Leo: Stalins Verbrechen. Berlin 1990.
– Ueberschär, Gerd/Besymenski, Lew A. (Hrsg.): Der deutsche Angriff auf die Sowjetunion. Die Kontroverse um die Präventivkriegsthese. Darmstadt 1998.
Windisch, Elke: “Demokratie an Krücken”. In: “Der Tagesspiegel” vom 21.01.07.
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– Zeidler, Manfred: Reichswehr und Rote Armee 1920 – 1933. Wege und Stationen einer ungewöhnlichen Zusammenarbeit. Beiträge zur Militärgeschichte. Hrsg. vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Bd. 36, 2. Auflage, München 1994.