Die “Unabhängigkeit” des Kosovo – eine Perle in der Kette deutscher Balkanstrategie

Eva Niemeyer:
Die “Unabhängigkeit” des Kosovo – eine Perle in der Kette deutscher Balkanstrategie

Als anlässlich des “Zwei-Plus-Vier-Vertrages” im September 1990 der bundesdeutsche Außenminister die “Botschaft an die Völker dieser Welt” richtete: “Wir wollen nichts anderes, als in Freiheit und Demokratie und in Frieden mit allen anderen Völkern leben[1], ahnte noch niemand, dass gerade mal ein Jahr später das “der größeren Verantwortung bewusst(e)[2] Großdeutschland mit der einseitigen Anerkennung Sloweniens und Kroatiens die Zerschlagung Jugoslawiens einleitete, die bis heute mit der völkerrechtswidrigen Abtrennung des Kosovo von Serbien noch nicht zu Ende ist.

Der erste Streich

Am 25.06.1991 erklären die jugoslawischen Republiken Kroatien und Slowenien die völkerrechtswidrige Abspaltung von Jugoslawien. Die jugoslawische Staatsführung versucht mit dem sog. “Operetten”-Einmarsch (mit einer Bundesarmee ohne scharfe Munition und ohne Schießbefehl!) in Slowenien am 27.06.1991, die staatliche Einheit zu retten. Die kroatische Regierung beschließt eine neue Verfassung, die alle Nicht-Kroaten, vor allem die Serben mit einem über 13%-Anteil[3] an der Bevölkerung in Kroatien, zu Minderheiten mit eingeschränkten Bürger-rechten erklärt. Die serbische Bevölkerung in der Kraijna will daraufhin ihrerseits mit Ost-slawonien einen eigenen serbischen Staat gründen, die muslimische Bevölkerung in Bosnien pocht auf ihr Selbstbestimmungsrecht, eine Kettenreaktion nimmt ihren Lauf …

Sie war allerdings von deutscher Seite durchaus berechnet, wenn nicht gar gewollt: Für sie war es ein “Schritt zur Schaffung einer neuen deutschen Einflusssphäre in Mittel- und Osteuropa … Deutscher Einfluß kehrt zurück in eine Region, in der er lange Tradition hat: vom Ural bis zur Oder und von der Ostsee bis zur Adria. Verglichen mit Deutschland, spielen andere westliche Staaten auf dieser Bühne nur Nebenrollen.”[4] Noch deutlicher wird die Prawda vom 20.2.1993: “Wir wurden mit einer erstaunlichen Tatsache konfrontiert: Die internationale Gemeinschaft erkannte das Recht auf Abtrennung als gewichtiger an als das Recht, in seinem Land zu verbleiben. So wurde ein großes Verbrechen begangen: Jugoslawien, einer der Gründungs-staaten der UNO, wurde zerstört. Ich sage es direkt: Hinter all diesen Ereignissen steht die Politik Deutschlands … Alles begann mit der Vereinigung Deutschlands. Als das gerade ge-schehen war, begann Deutschland, die Sieger im Zweiten Weltkrieg zu bestrafen … Jugoslawien wurde das erste Opfer der Politik des Revanchismus.”[5]

Tatsächlich gelang es Deutschland, in der Frage der einseitigen Anerkennung Sloweniens und Kroatiens die EG zu erpressen: Die Frage der Währungsunion und die “Aufgabe” der D-Mark wurden plötzlich Verhandlungsmasse bei der Durchsetzung des “Selbstbestimmungsrechts” Sloweniens und Kroatiens. Und so konnte am 16.12.1991 auf einer EG-Außenministertagung die Anerkennung der Unabhängigkeit zum 15.1.1992 durchgesetzt werden. Das reichte Deutschland aber noch nicht, es musste vorpreschen und schon am 17.12.1991, einen Tag nach der Ent-scheidung, einseitig anerkennen.[6]

Die New York Times verzeichnet am 22.11.1991: “Seit Kroatien im Juni seine Unabhängigkeit erklärt hat, sind die Serben in Kroatien Opfer einer Einschüchterungskampagne geworden. … (die) Entscheidung, eine Staatsflagge nach dem Muster der Ustascha-Flagge einzuführen, hat alles noch viel schlimmer gemacht. … Mann kann den Serben nicht vorwerfen, Angst vor einer Wiedergeburt eines extremistischen Kroatien zu haben.” Folgerichtig lässt der kroatische Präsident Tudjman nach der Abspaltung Kroatiens alle KZ-Gedenkstätten schließen.

Der zweite Streich

1992 löst dann der bosnische Präsident Itzetbegovic illegal das bosnische Parlament auf und geht zu einem fundamentalistisch-islamischen Kurs über. Die von der EG geforderte Volks-abstimmung über die Unabhängigkeit Bosnien-Herzegowinas wird vom serbischen Be-völkerungsteil (33%!) boykottiert, in Montenegro hingegen stimmen 95,9% der Wähler für den Verbleib in Jugoslawien. Am 6.4.1992, pikanterweise der 51. Jahrestag des faschistischen Überfalls auf Jugoslawien, erkennt die EG abermals auf Druck Deutschlands[7], das sich diesmal der Unterstützung der USA versichert hatte, Bosnien-Herzegowina an. Damit begann “der zweite Akt der jugoslawischen Tragödie, der blutige Aufteilungs- und Aneignungskrieg um Bosnien mit seinen grausamen Flucht- und Vertreibungswellen.”[8]

Der Ex-Botschafter der DDR in Jugoslawien, Ralph Hartmann, weist nach, dass jede Eska-lationsstufe bis hin zu Dayton (14.12.1995) und anschließend bis zum Kosovo-Krieg von Deutschland und deutschen Interessen getrieben wurde. Deutschland war demnach systematisch in der “Scharfmacher”-Rolle gewesen und hat mit dieser die NATO-Einsätze erst möglich gemacht. “Druck und Ultimaten in Richtung der Serben, Zuspruch und Ermunterung für die anderen Bürgerkriegsparteien, Sanktionen gegen die Serben und die Bundesrepublik Ju-goslawien, humanitäre Hilfe für die Kroaten und Moslems; Forderungen nach ausländischer militärischer Einmischung in den Bürgerkrieg und Beteiligung an den NATO-Angriffen auf serbische Stellungen und Ortschaften, Duldung, wenn nicht gar Organisierung der Lieferung von Waffen und anderem Kriegsgerät für die kroatischen und moslemischen Streitkräfte”[9], “Sanktionsverhinderung gegenüber Kroatien, Embargostopp für die Moslems[10]. So das Muster bundesdeutscher Parteinahme. Und das ist nicht neu: “Den Kroaten schmeicheln, den Haß gegen die Serben schüren“, schrieb Goebbels als “Propagandadirektive” am 7.4.1941, einen Tag nach der Bombardierung Belgrads, in sein Tagebuch[11]. Die USA konnte erst dann mit Dayton das Heft in die Hand bekommen, nachdem der Vance-Owen und der Vance-Stoltenberg Plan am Widerstand der bosnischen Serben gescheitert waren.

Der Ruf nach militärischem Eingreifen ist von deutscher Seite bereits 1991 erklungen[12], es folgten eine Reihe von “Beiträgen” des von allen historischen Fesseln befreiten deutschen Imperialismus: 15.7.1992 Regierungsbeschluss zur Teilnahme von Einheiten der Bundesmarine am NATO-Einsatz zur Sanktionsüberwachung, 2.4.1993 Regierungsbeschluss über Teilnahme von Bundeswehrsoldaten an AWACS-Einsätzen über Bosnien-Herzegowina, 30.6.1995 Bundes-tagsbeschluss zur Teilnahme der Bundeswehr an der 10.000 Mann starken Schnellen Eingreiftruppe von EU und NATO, 6.12.1995 Regierungsbeschluss zur Beteiligung der Bun-deswehr der internationalen “Friedenstruppe” (IFOR) in Bosnien-Herzegowina und damit zum größten Auslandseinsatz in der Geschichte der Bundeswehr.[13]

Und der dritte folgt sogleich

Die Abspaltung des Kosovo wurde ebenfalls maßgeblich und früh von Deutschland voran-getrieben. Nachdem im September 1991 die albanische Bevölkerungsmehrheit in Kosovo die “Republik Kosovo” ausruft, die einzig von Albanien anerkannt wird, wird die Exilregierung mit Ibrahim Rugova an der Spitze in Stuttgart beherbergt, über die Achse Bonn-Tirana[14] (damals noch regiert vom BRD-treuen Sali Berisha) die Sezessionsbewegung im Kosovo angeheizt und parallel die damals noch u.a. von den USA als “Terrorvereinigung” eingestufte UCK vom BND aufgerüstet.[15] Bis zur Verhandlungsfarce in Rambouillet war und blieb Deutschland die treibende Kraft, um auch in diesen Krieg zu stürzen und einen historischen militärischen Beitrag zu leisten, der das Friedensgebot des Grundgesetzes für immer zur Makulatur machen sollte.

Die Kriegsinteressen der imperialistischen Konkurrenten lassen sich wie folgt auf den Punkt bringen: “Die Verhältnisse im Kosovo spielten längst keine Rolle mehr. Die USA wollten den eigenen Rang und die Bedeutung der NATO in der Weltpolitik vor Augen führen, Groß-britannien und Frankreich ihre militärische Führungsrolle im Rahmen der EU unter Beweis stellen und Deutschland einen weiteren Teil Jugoslawiens in ein auch von Berlin aus ver-waltetes Protektorat verwandeln.”[17] Entsprechend sortierte sich die Haltung der Konkurrenten zum NATO-Überfall auf Jugoslawien: “Die USA und Deutschland standen für eine harte Linie gegen Belgrad und für Nato-Luftangriffe, notfalls ohne Mandat des UN-Sicherheitsrats. Großbritannien schloss sich dieser Linie mit Einschränkungen an. Italien und Frankreich bestanden auf dem UN-Mandat, während Russland Luftschläge gegen Belgrad ebenso ablehnte wie die Entsendung einer Nato-geführten Truppe in das Kosovo und deshalb bei bestimmten Fragen gar nicht erst einbezogen wurde.[18]

Die einzige Macht aber, die in dieser Gemengelage immer wusste, wohin sie wollte und damit die anderen zwang, sich zu positionieren, war Deutschland. Großbritannien hatte die Eska-lationsbewegungen an der Seite der USA nachvollzogen, allerdings mehr verbal (als Signal an den bevorzugten Bündnispartner), ansonsten war Großbritannien in actu sehr zurückhaltend. Frankreich hatte sich gegen die USA positioniert, um seine Eigenständigkeit unter Beweis zu stellen (ohne aber zugleich die Achse Bonn-Paris offen zu torpedieren), und die USA hatte auf keinen Fall den Durchmarsch der neuen Großmacht Deutschland dulden können.[18] Ex-Außenminister Henry Kissinger drückte das Dilemma der USA aus: “Jetzt gibt es keine Alter-native mehr zur Fortsetzung  und Intensivierung des Krieges, wenn nötig bis zum Einsatz von Bodentruppen – eine Lösung, gegen die ich bisher leidenschaftlich gekämpft habe, aber die jetzt erwogen werden muss, um die Glaubwürdigkeit der Nato zu wahren[19], nachdem die New York Times noch am 8.6.1998 kundtat: “Das Pentagon hat deutlich erklärt, dass es irgendeine Form der Entsendung von Truppen in den Balkan nicht unterstützt.”[20] Tatsächlich standen schließlich 150.000-200.000 NATO-Soldaten für die Bodenoffensive bereit, als es der Schröder-Regierung gelang, Russland für eine UN-Resolution ins Boot zu holen, auf diese Weise die Führung wieder in die Hand zu bekommen und den deutschen Imperialismus plötzlich als Friedensmacht zu präsentieren[21]. Und durchgesetzt hat sich schließlich mit der heutigen Entwicklung der am 14.4.1999 bekannt gewordene sogenannte “Fischer-Plan”, der – anders als die Vorlage von Ram-bouillet – den vollständigen Abzug jugoslawischer Sicherheitskräfte aus dem Kosovo vorsah und den Kosovo zu einem UN-Protektorat zu machen suchte.[22]

Die jetzige Anerkennung des Kosovo erfolgte zwar scheinbar von den USA zuerst, tatsächlich aber war sie das langjährige Werk deutscher Wühlarbeit. Daher ist es auch kein Zufall, dass Deutschland als erstes Land eine Botschaft in Pristina eröffnet hat (vom Auswärtigen Amt offiziell bestätigt am 27.2.2008[23]). Aber auch heute gilt wieder, wie im obigen Zitat so treffend formuliert: “Die Verhältnisse im Kosovo spiel(t)en längst keine Rolle mehr.” Der Kosovo ist nur ein weiterer Baustein in der Beherrschung des Balkan – unter deutscher Führung. Schon klopfen die “Karpaten-Ungarn” an die Tür und wollen in Rumänien und der Vojvodina Autonomierechte für ihre Volksgruppen durchsetzen – eine weitere Gelegenheit für bundesdeutsches Eingreifen tut sich auf, denn wie Heinrich Himmler bereits 1940 erklärte: “… wir (haben) nicht nur das größte Interesse daran …, die Bevölkerung des Ostens nicht zu einen, sondern im Gegenteil in möglichst viele Teile und Splitter zu zergliedern.”[24]

Und so setzt sich eine Tradition fort, die bereits zu Beginn des vorigen Jahrhunderts ihren Lauf nahm …

Historische Kontinuitäten

Als sich mit dem Aufstand in der Herzegowina und in Bosnien unter serbischer Führung die Nationenbildung auf dem Balkan gegen die türkische Fremdherrschaft abzeichnete, vereinbarten im Berliner Memorandum von 1876 das Deutsche Reich unter Bismarck, Russland mit Staats-kanzler Gortschakow und die Habsburger Monarchie mit Graf Andrássy, dass “die Mächte die Entstehung eines großen slawischen Staates nicht fördern werden.”[25] Als treibende Kraft dieser südslawischen Nationenbildung wurden die Serben identifiziert, die ihr kleines serbisches Königreich in langwierigen Kämpfen gegen die Türken ertrotzten, und so galt es, dieses nie mehr als zehn Millionen Menschen zählende Volk zu dämonisieren und zum Brandherd eines herbeigesehnten Weltkrieges zu machen.

Mit seiner Empfehlung an Wien, gegen Serbien loszuschlagen, zündete Kaiserdeutschland sie (die Lunte am balkanischen Pulverfaß) und machte den Balkan und ganz Europa zum Schlachtfeld.”[26]

Der faschistische Überfall am 6.4.1941 knüpfte an diese Tradition an: Es ging gegen “die gleiche serbische Verbrecherclique, die gleichen Kreaturen, die … durch das Attentat von Sarajewo die Welt in ein namenloses Unglück gestürzt haben.”[27] (Wir haben noch Kinkels Worte im Ohr vom 24.5.1992: “Wir müssen Serbien in die Knie zwingen.”[28]) Wieder hatten sich die Jugoslawen, allen voran die Serben, unbotmäßig gezeigt, weil sie nicht bereit waren, den am 25.3.1941 geschlossenen Vasallenvertrag mit dem Drei(-Faschisten)mächtepakt aus Deutsch-land, Italien und Japan zu akzeptieren und am 27.3.1941 folgerichtig ihre Regierung stürzten.

Mit dem faschistischen Überfall begann die Zerschlagung Jugoslawiens mit ihren weithin bekannten Verbrechen gegen die jugoslawischen Partisanen und vor allem an der serbischen Bevölkerung. Das Land wurde in eine deutsche und eine italienische Interessensphäre geteilt, Slowenien annektiert und Deutschland und Italien gemeinsam zugeschlagen. Aus Kroatien wurde der “Unabhängige Staat Kroatien”, aufgeteilt in eine italienische und eine deutsche Besatzungszone, zu der auch Bosnien und Herzegowina gehörten. Serbien geriet unter deutsche Besatzung und wurde auf das im ersten Balkankrieg 1912 gegen die Türkei erstrittene Territorium reduziert. Kosovo und Metohien wurden an das italienische Albanien ange-schlossen, wobei die Blei- und Zinkerzminen um Trepca zum deutschen Okkupationsgebiet gehörten.[29] Schließlich hatte der Vorsitzende des Südosteuropa-Ausschusses der IG Farben bereits 1940 erklärt: “Deutschland und die Länder des Südostens bilden zusammen einen Lebensraum, der … allen beteiligten Ländern eine weitgehende wirtschaftliche Er-gänzungsmöglichkeit gibt … Wer die Verhältnisse der Länder des Südostens kennt und die besondere Verflechtung der deutschen Wirtschaft mit diesen Ländern, weiß, dass es sich bei dem Begriff Lebensraum nicht um einen Raum handeln kann, in dem Deutschland siedeln oder leben will, sondern mit Deutschland zusammenleben und Wirtschaft treiben will. … Deutschland ist für die Entwicklung der Länder des Südostens von ebenso entscheidender Bedeutung, wie diese Länder für die Deckung des deutschen Bedarfs [Hervh. E.N.] von Wichtigkeit sind -, die Länder des Südostens gehören ebenso zum Lebensraum Deutschlands wie Deutschland zum Lebensraum dieser Länder gehört.”[30]

Daran hat sich bis heute nichts Wesentliches geändert. Hinzuzufügen wäre noch die strategische Bedeutung des Balkans als Sprungbrett nach Zentralasien mit seinen zahlreichen Öl- und Gas-vorkommen. Darauf ist noch einmal zurück zu kommen …

Der vierte Streich

Mit der Nachkriegs-Resolution 1244 wurde Kosovo zum UN-Protektorat (UNMIK), wie im erwähnten “Fischer-Plan” gewünscht, militärisch unterstützt von den KFOR-Truppen der NATO. Nicht vorgesehen war in dieser Resolution allerdings die Unabhängigkeit des Kosovo oder eine Übernahme durch die EU, wie diese sie am 14.12.2007 in Form einer “Stabi-lisierungsmission” beschlossen hatte: Danach sollten rund 2.000 Polizisten, Richter und Staats-anwälte den neuen Zwergstaat, unabhängig von seinem zu klärenden Status[31], verwalten. Nun musste die Mission mit Namen “Eulex”[32] immer wieder verschoben werden, da handfeste Interessen anderer Staaten deutlich im Wege standen, und dies auch noch mit der Rücken-deckung des Völkerrechts: Russland und China als Mitglieder des UN-Sicherheitsrats, Serbien als unmittelbar betroffener Staat, dem ein weiteres Stück seines Territorium entrissen[33] werden sollte und wurde. EU-Staaten wie Zypern oder Spanien, denen bei einem Abnicken dieses Völkerrechtsbruchs sehr unwohl war angesichts der wackligen territorialen Integrität ihrer eigenen Staaten, mussten erst noch auf Linie gebracht werden. Die neue „Einigung“ bestand dann darin, Eulex durchzuführen, die Entscheidung über die Anerkennung des Kosovo als unabhängigen Staat jedoch jedem EU-Staat selbst zu überlassen. Entsprechend haben u.a. Spanien, Zypern, Griechenland und Rumänien den Kosovo bisher nicht als eigenständigen Staat anerkannt.[34]

Auch auf dem Balkan selbst musste Deutschland einen diplomatischen Eiertanz vollführen, um sein Interesse an der Sezession des Kosovo durchzusetzen: Da galt es zunächst, die Wiederwahl der EU-Marionette Boris Tadic[35] abzusichern und Serbien mit einem EU Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen oder zumindest einer Light-Version in Form eines reduzierten Handels- und Visa-Abkommens zu locken, die der störrische serbische Ministerpräsident Kostunica[36] entschieden ablehnte. Parallel musste man die Führung im Kosovo davon abhalten, mit einer voreiligen einseitigen Unabhängigkeitserklärung alles zu verderben, d.h. die Mehrheit der Staaten gegen den Völkerrechtsbruch aufzubringen. Vorsorglich wies man in (deutschen) bürgerlichen Medien natürlich auf die „imperialen“ Interessen Russlands hin, das kürzlich mit Gazprom[37] 51% der serbischen Erdölgesellschaft Nis erworben hat und die Gasversorgung Serbiens mittels Ausbau der bestehenden Gasleitung (“South Stream”) aus Russland durch das Schwarze Meer nach Bulgarien[38] absichern will.

Der weitere Streich liegt in der Schublade

Um die Revanche auf dem Balkan erfolgreich fortzusetzen, galt und gilt es weiterhin, die deut-schen Interessen als um “nachhaltige Stabilität” und “Demokratie” in der Region ringende Bemühungen zu verschleiern, nachdem man dort – wir erinnern uns – vor kurzem noch erfolg-reich “Auschwitz verhindert” hatte … Zu diesem Zweck, tatsächlich aber zur “wissen-schaftlichen” Fundierung des Führungsanspruchs Deutschlands auf dem Balkan, beauftragte das Zentrum für Transformation der Bundeswehr (ZTransBW) im Jahr 2006 das Institut für Europäische Politik (IEP) in Berlin mit einer großangelegten Studie, Titel: “Operationalisierung von Security Sector Reform (SSR) auf dem Westlichen Balkan – Intelligente/kreative Ansätze für eine langfristig positive Gestaltung dieser Region“, die es sich dank ihrer sachlichen Unverblümtheit bei gleichzeitiger “Geheimhaltung” genauer zu betrachten lohnt – wobei wir die daraufhin erfolgte und noch erfolgende Umsetzung, sprich Machenschaften hinter den Kulissen sowie deren mediale “volksgerechte” Aufbereitung wieder erst Jahre später erfahren dürften:

Mit “Security Sector Reform” ist gemäß dem “Erweiterten Sicherheitsbegriff” der EU der kom-plette Umbau des Sicherheitsapparates eines Landes unter dessen ziviler “demokratischer” Kontrolle gemeint, die man allerdings – wie im Jugoslawien-Krieg erfolgreich absolviert – ge-gebenenfalls erst einmal herbeibomben muss. Die Auffassung dieses modernen Befriedungs-begriffs gibt die Studie wie folgt zum besten: “Der Ansatz der Sicherheitssektorreform stellt sich somit ausschließlich als Teilaspekt einer tiefergehenden gesellschaftlichen Transformation dar, welche nicht auf eine bloße effizienzorientierte Umstrukturierung der unterschiedlichen Sicherheitskräfte setzt, sondern vielmehr die Veränderung der gesamtgesellschaftlichen ‘Sicher-heitskultur’ im Reformland anstrebt.” Und damit der Leser angesichts des hochgestochenen Kauderwelschs nicht im Unklaren gelassen wird, folgt die Fußnote: “Dies wird besonders in autoritären Systemen wie etwa der DDR deutlich, die durchaus über effiziente Sicherheits-sektoren verfügte.”[39] Es geht also NICHT um “Sicherheit”, sondern um die Herstellung eines Besatzerstatus unter Abschaffung sämtlicher Souveränitätsrechte und Zerschlagung historisch gewachsener Strukturen; es geht um die Zurichtung der Gesellschaft formal nach dem Format bürgerlich-kapitalistischer Gesellschaften, inhaltlich, ihrem Wesen nach, zu treuen Vasallen imperialistischer Hegemonialinteressen, hier: deutscher.

Entsprechend desaströs wird die Lage im Kosovo gezeichnet: Beherrscht werde das Land von mafiösen Strukturen, die sich nach dem Krieg des Staatsapparates bemächtigt und jeden Ansatz “demokratischer” Verwaltung zunichte gemacht haben. (Wir erinnern uns: An die Macht im Kosovo waren jene Handlanger und Kriegsverbrecher gekommen, die Deutschland Anfang der neunziger Jahre so gepäppelt hatte!) Armut und Analphabetentum grassieren – 37% unterhalb der Armutsgrenze, mindestens 43% Arbeitslosigkeit (75% unter jungen Menschen), das Import-Export-Verhältnis bei 27:1, wobei 43% der arbeitenden Bevölkerung auf Subsistenzwirtschaft beschränkt ist.[40] Die mangelnde Stromversorgung habe bisher im Winter immer wieder Erfrierungstote gefordert – ein Versagen, das die Studie der EU als im Rahmen der UNMIK direkte Verwalterin der Energieagentur KEK im Kosovo anlastet[41].

Überhaupt spart die Studie nicht mit Kritik an der UNMIK-Verwaltung, die es nicht vermocht habe, demokratische bzw. stabile Verwaltungsstrukturen aufzubauen, sondern vielmehr mit der Anerkennung von Kriegsverbrechern als örtliche Verhandlungspartner bis hin zu Ver-strickungen im Mafiamilieu den heutigen Zustand eher befördert habe. (Wir erinnern uns …) Statt einer modernen Justiz beherrsche das “aus dem 15. Jahrhundert stammende, mündlich überlieferte Gewohnheitsrecht (‘Kanun’)“, das “insbesondere patriarchal-tribale Prinzipien wie das der Großfamilie und der Altersautorität umfasst. Der Kanun schreibt dabei nicht nur die Vorherrschaft des Mannes fest, sondern baut darüber hinaus auf einem gewaltlegitimierenden Ehrkonzept auf, welches die Begriffe Besa (Ehre) und Gjakmaria (Blurache) in den Mittelpunkt eines pseudojuristischen Ordnungssystems stellt.”[42]

Außerdem sei das “multiethnische Gesellschaftsmodell” völlig gescheitert, da es UNMIK nicht geschafft habe, die nicht-albanische (sprich: serbische) Bevölkerung zu schützen, die zu Hun-derttausenden das Land verlassen habe und deren “Reste” in Enklaven hausen muss, aus denen man sich nicht herausbewegen könne, ohne dem “smart Terror” der albanischen Bevölkerung “unterhalb der internationalen Wahrnehmungsschwelle[43] ausgeliefert zu sein (Steine auf Busse, verbale Einschüchterungen, behördliche Gängelei etc.).

Selbstverständlich wird die ganze Misere nicht darauf zurückgeführt, dass der deutsche Im-perialismus es vermocht hat, das “Völkergefängnis” für die ethnische Barbarei zu öffnen und mit der Bombardierung Serbiens auch den Kosovo ins Mittelalter zurück zu katapultieren, sondern vielmehr auf den Umstand, dass sich die UNMIK aus 49 Entsendestaaten zusammensetzt, die, zum großen Teil aus afrikanischen und asiatischen Staaten stammend, ein “gehäuftes Maß an Inkompetenz und Bereicherungsstreben[44] mitgebracht hätten. Hinzu seien erhebliche Abstimmungsprobleme zwischen KFOR und UNMIK gekommen, wobei jede nationale Einheit ihre eigenen Wege gehe.[45] Schaut man sich dazu die Karte der territorialen KFOR-Aufteilung in eine deutsche, eine italienische, eine französische und eine US-amerikanische Zone an, kann man sich vorstellen, wie das kleine Gebiet des Kosovo durch konkurrierende imperialistische Interessen heruntergewirtschaftet wurde und wie es  weiterhin zum Spielball der imperialis-tischen “Mannschaften” Eulex und KFOR wird – “Unabhängigkeit” hin oder her. Denn KFOR soll bleiben, nur UNMIK soll durch Eulex abgelöst werden, auch ohne irgendeine völker-rechtliche Grundlage.

Da wird es Zeit, dass Deutschland die Führung übernimmt und wieder einmal ordentlich durchgreift. So zeige sich ja schon, wie gut es mit der Abstimmung funktioniert, wenn Deutsche an der Spitze stehen: “Zu verdanken ist dieser Fortschritt [eines Koordinierungstreffens zwischen den verschiedenen Protektoratsinstitutionen im Oktober 2006 – E.N.] insbesondere dem guten persönlichen Verhältnis des deutschen UNMIK-Chefs Joachim Rücker[46] mit dem ebenfalls aus Deutschland stammenden KFOR-Kommandeur, Generalleutnant Roland Kather, und unterstreicht nicht nur die Bedeutung von top-down-Prozessen, sondern auch den hohen Stellenwert von Beziehungsnetzwerken und ‘persönlicher Chemie’ im Einsatz“, die natürlich nur unter deutschen Landsleuten so richtig aufkommen kann …

So wird im letzten Kapitel der Studie “Nationale Interessen und Optionen” die Notwendigkeit deutscher Führung begründet (IEP-Studie S. 120 ff):

– “Deutschland als Vorreiter einer neuen Sicherheitsphilosophie“: “Im Gegensatz zu anderen Staaten begreift sich Deutschland bereits heute als Motor einer nachhaltigen Sicherheitspolitik … und könnte durch die Einnahme einer Vorreiterrolle bei der Entwicklung einer neuen euro-päischen und transatlantischen Sicherheitsphilosophie einen enormen internationalen Ansehensgewinn realisieren.”

– “Deutsche EU-Ratspräsidentschaft 2007 als Wegbereiter“. Deutschland möge in dieser Eigenschaft den Strategiewechsel[47] mit einem “10-Punkte-Papier zur Zukunft des Kosovo nach der Statuslösung” einleiten und ein EU-internes “Food for Thought” Papier einbringen, wonach im Namen der Bekämpfung organisierter Kriminalität der “Elitenwechsel” im Kosovo er-möglicht bzw. von wirtschaftlicher Aufbauhilfe abhängig zu machen ist.

– “Deutsche Personalstrategie für internationale Positionen“. Hier geht es darum, aus der Tatsache, “dass mittlerweile nahezu alle Führungsfunktionen auf dem Balkan mit deutschen Staatsbürgern besetzt sind“, “nachhaltig Kapital zu schlagen und mit einem aktiven politischen Gestaltungswillen zu verknüpfen“, was bisher nicht gelungen sei.

Eine ad hoc Arbeitsgruppe namens “Kosovo Strategy Group” aus “unabhängigen Experten” möge den Strategiewechsel mittels “klassischer parlamentarischer Lobbyarbeit” zur “Bewusstseinsschaffung unter Führungspersonen der Regierungsfraktionen sowie den Mitglie-dern des Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses” während der deutschen Ratspräsidentschaft vorbereiten.

Im Mittelpunkt des „Strategiewechsels“ stehen die eingangs der Studie deutlich vorgetragenen “Deutsche(n) Interessen auf dem Balkan“:

– Der Kosovo ist das “unzweifelhaft … zentrale sicherheitspolitische Handlungsfeld Deutsch-lands. Deutschland ist dabei nicht nur der wichtigste Truppensteller auf dem Balkan, dem eine erhebliche Verantwortung beim Schutz eigener (ziviler und militärischer) Kräfte sowie der lokalen Zivilbevölkerung zufällt, sondern verkörpert obendrein den bedeutendsten Geldgeber für den regionalen Wiederaufbau, was nahezu zwangsläufig ein aktives Interesse am Gelingen der internationalen Stabilisierungsbemühungen mit sich bringt.”

– “Die Stabilisierung des Balkan als Lackmustest europäischer Handlungsfähigkeit“. Hier geht es um die “deutsche und europäische Glaubwürdigkeit zum weltweiten Krisenmanagement” und die “zukünftige außen- und sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands und der Europäischen Union“, weshalb ein Scheitern der ressourcenintensiven Mission[48] auf jeden Fall verhindert werden müsse. Dazu gehört im übrigen auch, den an anderer Stelle erwähnten[49] “kontraproduktiven” Einfluss der USA zurück zu drängen. Letztere bestehe u.a. in der “teils offene(n) Behinderung europäischer Ermittlungsbemühungen” gegen Kriminelle (der stell-vertretende UNMIK-Chef Steve Schook betrinke sich einmal die Woche mit Expräsident Ramush Haradinaj) und im Verstoß gegen die UN-Resolution 1244 durch eine von pentagon-nahen Firmen organisierte Militärausbildung des KPC (Kosovo Protection Corps)[50].

– “Kosovo als ‘Zentrales Experimentierfeld” der ESVP (Europäische Sicherheits- und Vertei-digungspolitik). Es geht um die “einzigartige Chance zur Weiterentwicklung gemeinsamer euro-päischer Fähigkeiten sowie der Vernetzung ziviler und militärischer Krisenmanagementakteure [unter deutscher Führung – die AG], da faktisch alle sicherheitspolitischen Kompetenzbereiche betroffen sind. Dies gilt insbesondere für das Kosovo, welches sich angesichts wachsender Interessenkonflikte mit den USA und Russland zunehmend zu einem ‘Prüfstein für die EU’” entwickle.

Kurzum: Deutschland hat sich mit dem Vehikel der EU – koste es, was es wolle – auf dem Balkan durchzusetzen, gegen Russland und gegen die USA, als “Lackmustest” und “Prüfstein” für weitere imperialistische Aktionen anderswo.

Die Zielgerade

Und die Wirtschaftsinteressen? Aus der Studie erfahren wir, dass “nach unabhängigen Schät-zungen allein in der Trepca-Mine im nördlichen Teil Kosovos Erzvorkommen im Wert von 25 Mrd. € vermutet” werden. (Wir erinnern uns: Die Trepca-Mine gehörte einst zum deutsch-faschistischen Besetzungsgebiet.) “Hinzu kommt, dass sich besonders die gesicherten, auf rund 8,7 Mio. Tonnen geschätzten Braunkohlevorkommen bereits wenige Meter unter der Erde befinden und somit als leicht abbaubar gelten“.[51] Obwohl die Qualität der Braunkohle als minderwertig zu erachten sei, stehen die Energiemonopole RWE und EnBW bereits in den Startlöchern: Sie “gehören zu den offiziellen Bewerbern um das etwa 3,5 Mrd. Euro teure Projekt eines neuen, 2,1 Megawatt großen Braunkohlekraftwerks ‘Kosovo C’ mitsamt neuer Kohlegrube.”[52]

Wichtiger noch als die Rohstoffvorkommen des Kosovo ist allerdings die Beherrschung des Balkan als strategischer Brückenkopf nach Vorder- und Zentralasien. Und hier geht es, neben Absatzmärkten und Einflusszonen,  u.a. konkret um die Gasvorkommen im zentralasiatischen Raum und deren Absaugung via Pipelines über den Balkan Richtung Westeuropa:

Die “Nabucco”-Pipeline, deren Baubeginn für 2009 geplant ist, soll Gas aus der Kaspischen Region, vor allem dem Iran (South-Pars-Feld, das bereits von Total, Shell und ENI/Agip genutzt wird), über die Türkei, an Serbien vorbei (!) über Bulgarien, Rumänien und Ungarn zum Netzknoten Baumgarten an der slowakisch-österreichischen Grenze leiten. Das Konsortium wird von der österreichischen OMV betrieben, RWE wurde jüngst als zusätzlicher Partner zu den Erdgasunternehmen der Region ins Boot gelassen. Inzwischen ist auch eine Beteiligung von Gaz de France im Gespräch – das Bündnis mit Frankreich hat schließlich seinen Preis. Die Kon-kurrenzpipeline heißt “South Stream” und wird von Russland in Absprache mit den För-derländern Turkmenistan und Kasachstan betrieben. Die Pipeline, an der der italienische Energiekonzern ENI beteiligt ist, soll von Russland durch das Schwarze Meer über Bulgarien, Mazedonien und Albanien nach Süditalien führen und ebenfalls eine Abzweigung nach Österreich haben. Das Nabucco-Konsortium will daher Russland in sein Projekt einbinden und South Stream in Bulgarien an Nabucco anschließen, um sowohl Gas aus Russland als auch aus Zentralasien zu transportieren. Gegen Gas aus Iran zieht allerdings die US-Regierung zu Felde, auch wenn sie “offiziell” das Nabucco-Projekt unterstützt. Dabei scheint eher die Frontstellung gegen Russland eine Rolle zu spielen, da South Stream wiederum eine Konkurrenz-Pipeline zur US-amerikanischen BTC (Baku-Tbilissi-Ceyhan) Pipeline ist, die bewusst russisches Terri-torium umgeht. Eine Unterstützung des Nabucco-Projekts ohne den Iran ist allerdings faktisch keine, denn dort lagern mehr als Dreiviertel aller Gasreserven in Zentralasien …[53]

Das Gerangel um Pipelines heißt aber nichts anderes als Kampf um die langfristige Zugriffsicherung auf Energiequellen, heißt wiederum nichts anderes, als sich alle bzw. mög-lichst viele Staaten der Region – die “Besitzer” der Rohstoffquellen wie die Transitländer – gefügig zu machen. Und darum ist es auch wichtig, wer den Balkan entsprechend “mund-gerecht” zerstückelt und beherrscht!

Der International Crisis Group, die die Sezession des Kosovo “begleitet” hat, gehören hochrangige Vertreter der deutschen Bourgeoisie[54] an und man darf damit rechnen, dass nun ein erheblicher Teil der strategischen Vorstellungen der deutschen Denkfabrik (IEP) umgesetzt wird. Da man auf Unruhen gefasst war und der Studie entsprechend einen Truppenrückzug aus der Region auch nach der “Unabhängigkeit” für wenig opportun hält, hat die Bundeswehr bereits seit November letzten Jahres ihre Aktivitäten in der Region verstärkt. So begann bereits am 16.11.2007 das deutsche NATO-Reservebataillon (Operational Reserve Force, ORF) im Süden Serbiens mit Patrouillen. Die 550 Soldaten entstammen dabei hauptsächlich dem Gebirgs-jägerbataillon 232 aus Bischofswiesen-Strub (bei Berchtesgaden in Bayern), dessen Tradition auf das 1938 gegründete Gebirgsjägerregiment 100 zurückgeht, das wiederum an Kriegs-verbrechen der Wehrmacht beteiligt war. Das Gebirgsjägerbataillon 232 hat bereits einige Ein-sätze in Kroatien, in Bosnien-Herzegowina und in Mazedonien hinter sich.[55] Abermals schließt sich der historische Kreis …

Nachdem sich der deutsche Imperialismus in der Kosovo-Frage hat durchsetzen können, ist damit aber längst nicht das Ende der Fahnenstange auf dem Balkan erreicht: Die fast aus-schließlich von Serben bewohnte Republika Srpska in Bosnien-Herzegowina könnte sich ver-anlasst fühlen, ebenfalls die Unabhängigkeit zu verlangen. Darauf vorbereitet, beteiligen sich bereits deutsche Soldaten an sogenannten “Liaison and Observation Teams” in Bosnien-Herzegowina. Die autonome serbische Provinz Vojvodina könnte die Sezession verlangen mit der Begründung, dass dort eine starke ungarische Minderheit lebt. In Mazedonien und Süd-Serbien sind bereits bewaffnete Albaner unterwegs, um sich mit dem Kosovo zusammen zu schließen und ein “Großalbanien” zu fordern.

Wie lange und wie oft noch wird der deutsche Imperialismus zündeln, bis die Region endgültig wieder in Flammen steht und deutsche Tornados abermals den Balkan zerbomben? Wie weit werden die imperialistischen Konkurrenten mitspielen bzw. stillhalten? Die Sezession des Kosovo ist ein weiterer Schritt in den nächsten Krieg, wenn es nicht gelingt, dem deutschen Imperialismus einen Riegel vorzuschieben.

Die Partei “Die Linke” hat bereits Organklage gegen die deutsche Anerkennung des Kosovo angekündigt. Sie ist in dieser Frage rückhaltlos zu unterstützen. Erfolg kann sie aber nur in dem Maße haben, wie sich innerhalb der Arbeiterbewegung und im demokratischen Kleinbürgertum eine Bewegung gegen die herrschende Klasse hier im Land und ihre Expansionsbestrebungen formiert: “Hände weg von Serbien! Abzug aller Soldaten und Bürokraten vom Kosovo! Raus aus dem Balkan!”

Eva Niemeyer,
Essen

FUSSNOTEN

  1. Vertrag über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland, Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Bonn, September 1990, S. 56, zit. n. Ralph Hartmann, “Die ehrlichen Makler”, 1999, S. 12
  2. ebd., S. 86
  3. Dieser Anteil betrug im übrigen vor den Massakern des faschistischen Ustascha-Regimes an den Serben und deren Vertreibung aus Kroatien noch 30%! (vgl. Ralph Hartmann, ebd., S. 58)
  4. Robert Gerald Livingston: “Guten Morgen Deutschland”, in: Der Spiegel, 4/1992, zit. n. Ralph Hartmann, ebd., S. 186
  5. zit. n. ebd., S. 140/141, Berlin 1999
  6. ebd., S. 16, S. 126
  7. vgl. FAZ, 7.4.1992, zit. n. Hartmann, S. 135, 1999
  8. Reinhard Mutz: Friedensgutachten 1996, zit. n. FR, 13.6.1996
  9. Ralph Hartmann, ebd., S. 140
  10. ebd., S. 172
  11. Die Zeit, 27.3.1992, zit. n. ebd., S. 58
  12. Ralph Hartmann, ebd., S. 177
  13. ebd., S. 244 ff
  14. vgl. Matthias Küntzel, “Der Weg in den Krieg”,  S. 83 ff, Berlin 2000
  15. ebd., S. 61 ff
  16. ebd., S. 181
  17. ebd., S. 166
  18. ebd., S. 191 ff
  19. zit. nach “Good Bye, America!” von Thomas Becker, Jungle World Nr. 16/14.4.1999
  20. Steven Erlanger, “Milosevic Agrees to let Diplomatic Observers Into Kosovo” (“Milosevic stimmt einer Entsendung diplomatischer Beobachter in den Kosovo zu”), in: New York Times, 8.6.1998, zit. n. Matthias Küntzel, ebd., S. 71
  21. vgl. KAZ 293, “Hauptfeind USA?”, August 1999
  22. vgl. Matthias Küntzel, ebd., S. 193
  23. Handelsblatt, 28.2.2008
  24. Heinrich Himmler 1940, zit nach Reinhard Kühnl: Der deutsche Faschismus in Quellen und Dokumenten, S. 328, Köln 1980
  25. Geschichte der Diplomatie, Bd. 2, Moskau 1947, S. 44, zit. n. Ralph Hartmann, ebd., S. 23
  26. Ralph Hartmann, ebd., S. 31
  27. Adolf Hitler, Völkischer Beobachter, 7.4.1941, zit. n. ebd., S. 42
  28. zit. n. Die Zeit, 2.9.1994
  29. vgl. Ralph Hartmann, ebd., S. 48/49
  30. zit n. Meurer/Vollmer/Hochberger: Die Intervention der BRD in den jugoslawischen Bürgerkrieg, S. 6f
  31. Dies als Schachzug, um Russland auszumanövrieren, denn der ursprünglich vorgesehene “Ahtissari”-Plan des gleichnamigen finnischen UN-Vermittlers vom März 2007, der ein EU-Protektorat nach dem  in Bosnien-Herzegowina implementierten Vorbild vorsah, scheiterte an Russlands Widerstand im UN-Sicherheitsrat.
  32. Zu lesen als “Lex EU”, die erhebliche Exekutivkompetenzen vorsieht bis hin zur Annullierung von kosovarischen Behördenentscheidungen (Artikel 146). Sie wurde taktischerweise erst 1 Tag nach der Unabhängigkeitserklärung veröffentlicht! (vgl. Handelsblatt, 20.02.2008)
  33. Nach der Auflösung des Staatenverbundes Serbien und Montenegro sollte mit dem Kosovo erstmals das serbische Kernland zerschlagen werden.
  34. Spanien wegen der Separatistenbewegungen im Baskenland, in Katalonien und Galizien, Zypern wegen des türkischen Nordteils, Griechenland wegen seiner Bindung an das griechische Zypern und Rumänien wegen seiner starken ungarischen Minderheit.
  35. Beim ersten Wahlgang am 20.1. konnte der “Ultranationalist” (= jemand, der es wagt, serbische Interessen zu vertreten und dabei von einem großen Teil der Bevölkerung unterstützt zu werden) Tomislav Nikolic noch bei einer “Rekordwahlbeteiligung” von 61% einen Stimmenanteil von 39,4% gewinnen, unterlag aber in der Stichwahl am 3.2.2008 Boris Tadic. Die EU belohnte das Ergebnis sogleich mit einem neuen Kooperationsangebot zur Bindung Serbiens an die EU.
  36. Kostunica vertrat mit seiner Haltung zur Wahrung der serbischen territorialen Integrität 75% der Bevölkerung, die in einer Meinungsumfrage erklärten, sie würden lieber auf einen EU-Beitritt verzichten statt den Kosovo (15% des serbischen Territoriums) aufzugeben (vgl. “Serbien lehnt EU-Kosovo-Mission ab”, Handelsblatt, 17.12.2007).
  37. E.on’s Ruhrgas hat an Gazprom einen Anteil in Höhe von 6,5% . Die BASF-Tochter Wintershall erwarb kürzlich direkte Förderrechte am westsibirischen Ölfeld Juschno Russkoje (im Gegenzug erhöht Gazprom seinen Anteil am Wintershall-Gazprom Gemeinschaftsunternehmen Wingas).
  38. “Gazprom kommt. Die Russifizierung des serbischen Energiemarkts”, FAZ, 29.1.2008
  39. IEP-Studie, S.11
  40. ebd. S.30
  41. Nicht erwähnt wird allerdings in der Studie, dass ein gewisser Jo Hanns Trutschler mit gefälschter Vita die KEK jahrelang leitete und 4,3 Millionen Dollar auf Konten von Briefkastenfirmen in Gibraltar abgezweigt hat (vgl. Handelsblatt, 4.2.2008).
  42. ebd., S.34
  43. ebd.
  44. ebd. S.73
  45. ebd. S.76
  46. Als Nachfolger von Søren  Jessen-Petersen unterhält auch Rücker beste Beziehungen zum ehemaligen Ministerpräsident Ramush Haradinaj, der zahlreicher Kriegsverbrechen angeklagt ist.
  47. Mit „Strategiewechsel“ ist nach dem Jargon der Studie die „neue Sicherheitsphilosophie“, „nachhaltige Sicherheitspolitik“ etc. gemeint, anstelle des bisherigen sicherheits- und gesellschafts-politischen Flickwerks von UNMIK und KFOR, das die Studie so kritisiert. Tatsächlich geht es also um einen Wechsel hin zu einem vollständigen Besatzerstatus unter deutscher Führung.
  48. Das Handelsblatt spricht in seinem Artikel “Flucht nach vorn” vom “bisher größte(n) und teuerste(n) außenpolitischen Einsatz” der EU, 7.12.2007
  49. IEP-Studie, S.80
  50. Das sogenannte “Kosovo Schutzkorps” wurde 1999 gemeinsam von KFOR und UNMIK als Nachfolgeorganisation der UCK gegründet. Niemand wollte die UCK zerschlagen – obwohl dies in der Sicherheitsresolution 1244 vorgesehen war; sie sollte vielmehr in neuer, “ziviler” Form noch gute Dienste leisten bei der Befriedung des Kosovo und als Grundstein für den Aufbau einer eigenen Armee im Kosovo (unter imperialistischer Aufsicht, versteht sich). Die zahlreichen Übergriffe auf die serbische Bevölkerung, das Schleusen von Waffen u.a. nach Mazedonien, die Korruption und Verbrechensliste der Ex-UCK Führer, all dies ist umfangreich belegt, hat aber weder UNMIK noch KFOR bewogen, diese “Schutzorganisation” zu säubern bzw. aufzulösen. Es ist daher keineswegs nur der USA vorzuwerfen, gegen die UN-Resolution 1244 zu verstoßen …
  51. IEP-Studie, S.31
  52. “Das letzte afrikanische Land Europas”, Handelsblatt, 14.12.2007
  53. vgl. Handelsblatt, 5.2.2008
  54. Ex-Außenminister Joseph Fischer, Ex-Verteidigungsminister Volker Rühe, SPD-Außenpolitikerin Uta Zapf, Ex-SWP (Stiftung Wissenschaft und Politik)-Vorsitzender Christoph Bertram
  55. vgl. www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57098