Frank Flegel:
„Ein entscheidender Aspekt war damals, dass Fidel – wie üblich – diesen Schritt ausführlich vor dem Volk begründete…“
Antwort auf Heinz W. Hammer
Lieber Heinz, Du bist ganz offensichtlich nicht der Ansicht, dass es neue Entwicklungen auf Cuba gibt, hältst die „Interpretation“ der neuen Landwirtschaftspolitik als „Aufweichung“ sozialistischer Prinzipien für irrig und meinst, dass wir (also die „offen-siv“) eine konkrete Maßnahme (die Landvergabe an Privatbauern) aus einem ganzen Katalog herausnehmen und ideologisch verorten würden. Das Ganze sei unseriös und eine „cubanologische“ (Fehl)Interpretation.
Es tut mir wirklich leid, gerade Dir widersprechen zu müssen.
Zunächst einmal möchte ich jedoch festhalten, auf welcher prinzipiellen Basis unsere Diskussion stattfinden: wir – Du wie auch die „offen-siv“ – haben im Sinne und auf Basis unserer Prinzipien des proletarischen Internationalismus auch zu Cuba eine wissenschaftliche „Richtschnur“: die prinzipielle und bedingungslose Unterstützung des sozialistischen Cuba und seiner revolutionären Führung! Das unterscheidet uns von jenen, die entweder eine – wie auch immer geartete – so genannte „kritische Solidarität“ predigen oder praktizieren, hinter deren „Cuba-Engagement“ sich aber tendenziell antisozialistische Positionen verstecken oder aber solchen, die nach außen hin ganz prinzipiell die cubanische Revolution zu unterstützen scheinen, zum Beispiel aber gleichzeitig eine strategische Bündnispolitik mit konterrevolutionären Kräften betreiben, die offen für den Sturz der revolutionären Führung in Cuba, d.h. die Konterrevolution, eintreten.
Was ich (neben den zu erwartenden klassenmäßigen Schwierigkeiten, die die neue Landwirt-schaftspolitik hervorbringen wird und worauf ich weiter unten noch näher eingehe) für ein großes Problem halte, siehst Du schon an der Überschrift. Ich zitiere dort Deine Worte bezüglich des Verhaltens der revolutionären Führung Cubas bei Einführung des Dollars 1993 als zweite Währung. Das Zitat in der Überschrift ist nicht vollständig, Du fährst in Deiner Zuschrift nämlich wie folgt fort: „…hierbei keinesfalls Schönfärberei betrieb, sondern diese – zu dieser Zeit in diesem Raum – ökonomische Notwendigkeit als einen durchaus politischen Rückschritt definierte und an die PCC-Kader als Vorbilder in der anstehenden Phase appellierte.“
Mir ist nicht bekannt, dass aktuell Ähnliches zur historischen und ideologischen Einordnung der neuen Landwirtschaftspolitik geschah, im Gegenteil: alle mir bisher zugänglichen Quellen stellen das Ganze nicht als (historisch-aktuell notwendigen, aber bedauerlichen und hoffentlich bald wieder aufhebbaren) Rückschritt, sondern als grundsätzlichen Fortschritt dar.
Und so etwas muss man selbstverständlich „ideologisch verorten“, auch wenn Du das so abschätzig formulierst. Warum? Ich zitiere aus dem ND: „85 Prozent dessen, was die Kubaner verzehren, entstammt Importen. Der Staat muss dafür 1,6 Milliarden Dollar im Jahr berappen, bei steigender Tendenz. Zugleich liegen 51% des kultivierbaren Bodens brach oder werden mangelhaft bewirtschaftet. Rentabel arbeiten nur die Privaten und zumindest einigermaßen akzeptabel jene Genossenschaften, denen Plantagen vom Saat zur Nutzung übergeben wurden. Die rein staatlichen Farmen können nur in den seltensten Fällen ihren Verpflichtungen nachkommen.“ Das sagt aus: die Landwirtschaft sozialistisch zu organisieren (zur Zeit und/oder auch grundsätzlich? – das bleibt im Unklaren) ist unmöglich. Eine solche Einschätzung, lieber Heinz, ist nicht irgendwas.
Die Maßnahmen, die die cubanische Führung beschlossen hat, um die Lage zu verbessern, sind: Vergabe von Land an Privatbauern, Auflösung von 104 landwirtschaftlichen Staatsbetrieben, Erhöhung der staatlichen Ankaufpreise für Agrarprodukte der Privatbauern und der Genossen-schaften.
Das ist mitnichten eine einzelne ökonomische Maßnahme, sondern eine grundsätzliche Orientierung (siehe zum Beispiel auch Entwicklungen im sozialistischen Polen und die SU unter Gorbatschow, wobei ich allerdings unterstreichen möchte, dass ich hier keine „Gleichheits-zeichen“ setze!).
Wohin Privatisierungen in der Landwirtschaft aus der dann entstehenden Dynamik der Klassensituation und der Klassenkämpfe führt und führen muss, sollte uns allen bekannt sein: Der Privatbauer möchte expandieren, fordert die rechtliche Möglichkeiten, Arbeitskräfte nach seinem Gutdünken einzustellen und zu entlassen, fordert „Freiheit“ von der staatlicher „Gängelung“ garantierter Abnahmemengen zu festen Preisen („Seit dem 1. April sind die Bürokraten ausgeschaltet“, ND vom 14. April 2008), fordert stattdessen freie Preise und freie Märkte, fordert Privateigentum an Grund und Boden, fordert freien Verkauf auch für die ihm nützlichen Produktionsmittel, daraus folgt die Forderung nach freiem Außenhandel, – sprich: er wird zum Kulak, zum Konterrevolutionär. Der Feind ist sich darüber im Klaren und passt dementsprechend seine konterrevolutionäre Strategie an; deshalb haben wir ja auch sehr ausführlich die strategischen Einschätzungen einiger bundesdeutscher Stiftungen wie auch von Bundesaußenminister Steinmeier abgedruckt.
Um der wirtschaftlichen Erdrosselung durch den Imperialismus und seinen Weltmarkt zu entgehen, ist es für sozialistische Revolutionen nicht immer auszuschließen, einen solchen Weg privater Landwirtschaft, auch privater Dienstleistungen und privater Kleinproduktion (kurzzeitig) gehen zu müssen. Ein Fortschritt aber ist dieser Weg nie und kann er nie sein. Damit sind wir beim „springenden Punkt“: in jeder revolutionären Entwicklungsphase, auch in einer sozialistischen, können unter bestimmten historischen Bedingungen Notwendigkeiten entstehen, Kompromisse, ja sogar Rückschritte, hinsichtlich einiger Entwicklungstendenzen sowie schon erreichter Errungenschaften, vor allem auch im ökonomischen Bereich, einzugehen, um die grundsätzliche Entwicklung wie auch die strategische Orientierung gegen den Imperialismus und seine fünften Kolonnen zu verteidigen. Das führt objektiv zu einer Verschärfung des Klassenkampfes unter revolutionären und sozialistischen Bedingungen. In dieser Phase kommt es besonders auf die politische und ideologische Klarheit sowie einer dementsprechenden Einheit der revolutionären Führung, insbesondere einer Kommunistischen Partei, an. Auf dieser Basis entwickeln sich z.B. die Orientierung der Kader oder die öffentliche Darstellung und Analyse der getroffenen Maßnahmen. Denn alles entscheidet sich an der Bewusstheit der Führung, der Partei und des Volkes.
Welche Rolle in so einer komplizierten Entwicklungsphase sozialdemokratische Parteien, Organisationen oder Persönlichkeiten haben können, wollten wir ebenfalls mit der Dokumen-tierung der Positionierungen der „Rosa-Luxemburg-Stiftung“ (der Partei „Die Linke“) in diesem Zusammenhang anhand der Widergabe von Originalpositionen dokumentieren. Lieber Heinz, über Hans Modrow brauchen wir beide ja wohl nicht mehr zu diskutieren… Sein Versuch jedenfalls, in Cuba eine Perestroika zu verkaufen, dient objektiv der ideologischen Verwirrung, Schwächung und damit jenen Kräften, die die revolutionäre, sozialistische Entwicklung in Cuba von innen her zersetzen wollen. Auch das ist ein nicht zu unterschätzendes Element des Klassenkampfes.
Kurzum: wir haben in einer komplizierten Entwicklungsphase des Sozialismus in Cuba vor dem Hintergrund der so genannten „Neuen Weltordnung“ des Imperialismus Strategiepapiere des Feindes, Aktivitäten sozialdemokratischer Kräfte (so auch der Partei „die Linke“) sowie Maßnahmen der revolutionären Führung Cubas dokumentiert, die als Antwort auf die imperialistische Herausforderung zu werten sind. In diesem Zusammenhang haben wir Fragen gestellt, wollten zum Nachdenken anregen, das Augenmerk auf den sich verschärfenden Klassenkampf in Cuba lenken mit dem Ziel, die ideologische und politische Wachsamkeit gegenüber den Strategien des imperialistischen Feindes – auch, aber nicht nur, in Cuba – zu schärfen. Das ist ein Element des proletarischen Internationalismus und damit im Falle Cubas der prinzipiellen Verteidigung des sozialistischen Cuba und seiner revolutionären Führung.
Frank Flegel, Hannover