Einige Anmerkungen für die weitere Diskussion

Werner Roß: Einige Anmerkungen für die weitere Diskussion

Werter Genosse Flegel, Eure Zeitschrift „Offensiv” 1/2002 habe ich zufällig von einem Genossen erhalten. Die Beiträge haben mich angesprochen. Ich habe sie mit Interesse und Gewinn gelesen. In den Grundsatzfragen gibt es meinerseits Übereinstimmung. Wir werden in der KPF Sachsen über diesen Themenbereich diskutieren. Wichtig ist, dass Ihr gedankliche Anregungen gegeben und Denkstoff hinterlassen habt. Das betrifft insbesondere die Revisionismusthematik. Gestattet mir einige Anmerkungen für die weitere Diskussion:

1. Etwas unterbelichtet ist die Frage der so genannten „Freiheitsgüter”, die Kernpunkt des libertären Sozialismus des Programmentwurfs der PDS (A.Brie, M.Brie, Klein) darstellen. Für Irritationen und Polemik gegen unser Sozialismusbild hat auch der aus dem Kontext gerissene Satz von R. Luxemburg gesorgt, die von der „Schaffung einer Gesellschaft” gesprochen hat, „worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist”. Nun wissen wir, anknüpfend an K. Marx und F. Engels, dass für diese freie Entwicklung Voraussetzungen notwendig sind. Die Prämissen sind die Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln, die Abschaffung des Staates und der Konkurrenz. Alle Produktion muss in den Händen der assoziierten Produzenten konzentriert werden.

Mir scheint, dass wir im Bereicht der Menschen- und Grundrechte offensiver sein müssen. Das betrifft die Universalität der Grundrechte und deren Garantie (politische, ökonomische, soziale, juristische), die erst im Sozialismus Realität werden. Ohne die Lösung der Macht- und Eigentumsfrage sind die Grundrechte in ihrer Totalität nicht zu verwirklichen.

2. Was die Vergesellschaftung des Eigentums angeht, so ist deren Unabdingbarkeit in Zusammenhang mit der Beseitigung der Ausbeutung und der Arbeitslosigkeit, der Schaffung sozialer Gerechtigkeit, der planmäßigen und rationalen Steuerung gesellschaftlicher Prozesse zu betonen. Ohne die Vergesellschaftung des Eigentums ist die Lösung der durch das Kapitalverhältnis resultierenden Widersprüche eine Farce. Marx und Engels haben im Kommunistischen Manifest dargelegt, dass „die Kommunisten ihre Theorie in dem einen Ausdruck zusammenfassen (können): Aufhebung des Privateigentums”.

Scharf polemisieren müssen wir gegen die Vergesellschaftung im Sinne der Beschränkung der Verfügungsmacht der Kapitaleigner über das Eigentum, soweit die Vergesellschaftung darauf beschränkt wird. Hier haben wir es mit einer klassischen sozialdemokratischen Position zu tun, die sich die PDS zueigen gemacht hat. Eine solche Sichtweise ist nicht dazu angetan, das Ausbeutungsverhältnis als Quelle von Mehrwert und Profit zu eliminieren.

Illusionen gilt es auch über das Gruppeneigentum auszuräumen, soweit es sich um vorherrschendes gesellschaftliches Eigentum handeln soll. Die Problematik liegt sicher in der Gesellschaftskonzeption des Anarchismus, der dem Staat, der Zentralgewalt und der Autorität abschwört. Sein Ziel ist ein föderalistischer sozialer und ökonomischer Aufbau der Gesellschaft, wobei die Sozialisierung nicht durch die zentralisierte politische Macht, sondern durch Kooperation und Assoziation, durch Gegenseitigkeit der Arbeiter und Bauern erreicht werden soll. Betont wird die persönliche Verantwortung des Einzelnen, bedingt durch seine individuelle Interessenlage (vgl. die Theorien von William Godwin, Pierre Joseph Proudhon, der als erster den Begriff Anarchismus prägte, sowie von Max Stirner und M.A. Bakunin). Hier haben wir es mit einem utopischen Glauben an Gerechtigkeit und Gegenseitigkeit, von gleicher Verteilung der Produktionsmittel zu tun. Dieser bezieht sich auch darauf, dass alle Arbeiter in Warenproduzenten und Kleineigentümer verwandelt werden sollen. Dies sei die Voraussetzung, um die Staatsgewalt zu verdrängen und somit den Kapitalismus reformieren zu können. K. Marx setzte sich mit den philosophischen und ökonomischen Auffassungen von Proudhon in seinem Werk „Elend der Philosophie” (1847) auseinander und kritisierte ihren idealistischen und kleinbürgerlichen Charakter.

Die Konsequenz für das gesellschaftliche Eigentum ist, dass es nur als Staatseigentum fungieren kann, wobei von den Grundpositionen der wissenschaftlichen Sozialismuskonzeption des Marxismus auszugehen ist, hier von der Dialektik von Staat und Eigentum. Durch die politische Machtergreifung der Klasse der Lohn- und Sozialabhängigen wird gesellschaftliches Eigentum geschaffen, das selbst wiederum die Grundlage für deren politische Machtausübung darstellt. Gerade im gesamtgesellschaftlichen Eigentum äußert sich die wechselseitige Beziehung von Eigentümerfunktion und politischer Machtausübung.

3. Gegen die Gewaltenteilung wird in fast allen Artikeln polemisiert und angemerkt, dass eine solche für den Sozialismus inakzeptabel sei. Eine die Thematik problematisierende Sichtweise wäre m.E. wünschenswert gewesen. Wesentlich scheint mir zu sein, die Gewaltenteilung als arbeitsteilige Verwirklichung der Machtverhältnisse des Kapitals im bürgerlichen Staat zu werten (vgl. Auseinandersetzung von Marx mit Monesquieu). In einem sozialistischen Staat geht es auch um die Verwirklichung der Machtverhältnisse, allerdings unter anderen Vorzeichen, aber unter Aspekten von Gegenkontrolle und der Durchsetzung der sozialistischen Gesetzlichkeit.

In diesem Zusammenhang scheint mir eine Bemerkung zum demokratischen Sozialismus als organische Verbindung von zentraler Staatlicher Leitung und eigenverantwortlichem Handeln der sozialistischen Betriebe sowie der Werktätigen und Bürger angezeigt. Der nach der so genannten „Wende” politisch von rechts, aber auch von links befehdete „demokratische Zentralismus” darf nicht als Vollzugsdemokratie, sondern muss als Entscheidungsdemokratie unter aktiver Mitwirkung der Bürger verstanden werden. Erst dann kann er als unerlässliches Grund-, Entwicklungs- und Organisationsprinzip der Gesellschaft seine Optimierungsfunktion erfüllen.

4. Was das Abgleiten der PDS in eine Partei mit sozialdemokratischem Profil angeht sowie die Wahrnehmung typischer Aufgaben eines Wahlvereins, so gibt es hier keinen Dissens zwischen uns. Wir können allerdings an der Frage unserer eigenen Blauäugigkeit nicht vorbei gehen. Dabei geht es um zwei miteinander zusammenhängende Grundprobleme. 1. Ist Politik ohne Ideologie möglich? 2. War die Grundkonstruktion des Pluralismus für eine antikapitalistische und sozialistische Partei vom Ansatz her richtig?

Beide Fragen verneine ich. Wir waren hier Illusionen aufgesessen; denn ohne eine marxistisch-leninistische Orientierung ist Antikapitalismus auf sozialistischer Grundlage politisch nicht möglich. Der unausbleibliche Revisionismus zeigte uns, wohin eine solche Fehleinschätzung führt.

Übrigens: weiter in der PDS als Kommunist zu bleiben, bedeutet Illusionen für den Widerstand aufzubauen und einen politischen Tod auf Raten zu betreiben. Ich persönlich habe durch meinen Austritt aus der PDS nach dem Dresdener Parteitag meine Konsequenzen gezogen. Sowohl Marx als auch Lenin haben darauf aufmerksam gemacht, wann ein Bruch mit einer revisionistischen Partei notwendig ist.

Mit solidarischen und kommunistischen Grüßen! Werner Roß, Zwickau