Einige Anmerkungen zu Faschismuserscheinungen und zum Antifaschismus

Ingo Wagner

Einige Anmerkungen zu Faschismuserscheinungen und zum Antifaschismus

In seinem Diskussionsbeitrag zur Vorbereitung der internationalen Luxemburgkonferenz im Januar 2006 meinte Jürgen Elsässer flapsig: „… der Faschismus ist klinisch tot.“ (junge Welt vom 13. Januar 2006) Dieser generellen Aussage möchte ich widersprechen. Der „Kampf gegen Faschismus kann niemals altbacken sein.“ (Heinrich Fink) Hieran ändert das Auf und Ab des Einzugs von Neofaschisten in die parlamentarischen Vertretungen nichts. Der Kampf gegen den Faschismus hat tiefe historische Tradition auch in der antifaschistischen sozialistischen DDR. Er ist heute in der BRD nicht nur der Kampf gegen die neofaschistische Gewalt des Tages, die von neofaschistischen Organisationen und ihren jugendlichen Anhängern provoziert wird. Faschismus ist vielmehr ein solches Phänomen, das mit Staaten, Klassen und ihrer Politik verbunden ist, „von denen eine vergleichbare Gefahr wie einst von Hitlerdeutschland ausgeht. Es gibt sie.“ (Wolfgang Richter)

Im ND vom 26. November 2004 konnte man in „Leser Fragen – ND antwortet“ als Antwort auf die Frage „Faschismus oder Nationalsozialismus“ lesen, daß der Begriff „Nationalsozialismus … ausschließlich die in Deutschland seit Ende des Ersten Weltkrieges entstandene politische Bewegung, die 1933 als Diktatur des sogenannten Dritten Reiches errichtete“, bezeichnet. Und als Faschismus (fascio, italienisch für ‚Rutenbündel’) werden … diejenigen Bewegungen bezeichnet, die auf das Modell des italienischen Faschismus unter Benito Mussolini zurückgehen.“ Weiter. „Da der Dimitroffsche Faschismusbegriff eine ganze Reihe von Elementen des Faschismus bzw. Nationalsozialismus ausblendet bzw. nicht richtig erfassen konnte … geriet er als ‚ökonomisch verengt’ rasch in die wissenschaftliche Kritik.“

Diese Positionierung stieß auf energischen Widerspruch, der in vielen Leserbriefen zum Ausdruck kam. Zutreffend wurde moniert, daß die deutschen Faschisten sich zwar Nationalsozialisten nannten, „doch sie waren bekanntlich weder national noch sozialistisch, sondern nationalistisch und bzw. chauvinistisch und antisozialistisch bzw. antikommunistisch.“ (H.-J. Weise, ND vom 30. November 2004) K. Böske macht darauf aufmerksam, daß „Nationalsozialismus“ der Name ist, den sich diese Partei selbst gegeben hat. „Der Grund für die Übernahme dieses Begriffes ist die Nachkriegszeit. Ich würde sie als ein Produkt des Kalten Krieges, des Antikommunismus bzw. der Totalitarismus-Doktrin bezeichnen.“ (ND vom 17. Dezember 2004) H. Czepuck vermerkt, daß dieser „Begriff… schon von seinen Urhebern benutzt wurde, um das Volk irrezuführen. Nationalsozialismus und Realsozialismus sollen gleichgesetzt werden. Die Auswirkungen der sprachlichen Gleichsetzung sind tagtäglich in den Medien und der politischen Öffentlichkeit zu besichtigen.“ (ND vom 27./28. November 2004) U. Teltow hebt ab, daß es befremdlich in der Gegenwart ist, „wenn Linke, wenn sozialistische Politiker im Zusammenhang mit den Ereignissen im faschistischen Deutschland den Terminus Nationalsozialismus benutzen. Denn so, wie die deutschen Faschisten im 20. Jahrhundert den Begriff Sozialismus für die Nennung ihrer Partei mißbrauchten, soll in der Gegenwart oktroyiert werden, daß die sich als sozialistischer Staat verstehende DDR auch nur irgendetwas mit der Herrschaft der faschistischen Nazi-Diktatur gemein gehabt hätte.“ (ND vom 13. Dezember 2004) Zurückgewiesen wurde auch eine „ökonomische Verengung“ der Faschismustheorie von George Dimitroff (K. Laser, ND vom 1. Dezember 2004). Erscheinungsformen und auch eine notwendige Weiterentwicklung – all das „ändert nichts an bestimmten Wesensmerkmalen, die dem Faschismus in allen Ländern eigen sind. Und dazu gehört in jedem Fall der Zusammenhang mit den Kräften, deren Interessen er dient, also den extremsten Kräften des – in der Regel international agierenden – Finanz- und Großkapitals.“ (S. Scholze, ND vom 13. Dezember 2004)

Das „Dritte Reich“ war zweifelsohne eine faschistisches Regime. Wer den Faschismus nur auf die italienische Variante reduziert und eine „semantische Diskreditierung aller sozialistischen Alternativen durch die affirmativen Bestätigung der Selbstdefinition ‚Nationalsozialismus’, die gleichzeitig eine Brücke zur Totalitarismustheorie herstellt“ (Karl Heinz Roth) betreibt, behindert die Faschismusforschung. Roth plädiert deshalb folgerichtig „für eine transnationale und komparative Sichtweise auf die faschistische Epoche, was die Konstruktion eine theoretischen Modells und den Verzicht auf den wegen seines Singularanspruchs untauglichen Schlüsselbegriff ‚Nationalsozialismus’ voraussetzt. Dadurch werden wir in die Lage versetzt, den Faschismus nicht nur in seinen europäischen Varianten und Kontexten zu vergleichen, sondern auch in seinen weltgeschichtlichen Dimensionen zu begreifen.“[2]

Zu den Anwendungsmöglichkeiten und –grenzen marxistischer Faschismustheorien in heutigen Zeiten schließe ich mich Manfred Weißbecker an: „Den Kerngedanken marxistischer Auffassung zu diesem Thema sehe ich in der Aussage, daß sich der Faschismus nach dem ersten Weltkrieg auf dem Nährboden extrem expansiver Wirtschaftsinteressen, aggressionsbereitem Militarismus und bedenkenlosem Antidemokratismus entwickelt hat.“[3] Weißbecker nennt hierfür einige Grundkonstanten: Erstens die Tatsache, daß der Faschismus auf dem Boden kapitalistischer Wirtschafts- und Gesellschaftsverhältnisse entstanden und wirksam geworden ist; zweitens stellt der traditionelle Faschismus eine nationalstaatlich begrenzte, grundsätzlich nationalistische sowie eine zugleich expansions- und kriegsorientierte Ideologie völkisch-rassistischen Zuschnitts dar; die dritte Grundkonstante des traditionellen Faschismus besteht in der strikten Ablehnung bürgerlich-parlamentarischer Demokratie; eine vierte ist sein ‚sozialistisch’ verpacktes Angebot an die als „entnationalisierte“ bzw. internationalistische bewerteten Arbeitermassen und das Scheinbild einer „Volksgemeinschaft“ und eine fünfte ist die Tatsache, daß der traditionelle Faschismus in großem Stile Massen zu gewinnen und zu organisieren vermochte.

Daß die Definition, die Dimitroff auf einem Weltkongreß der Komintern im August 1935 gegeben hat, ein Sichtbarmachen involvierter Wesenselemente und weiterer Konkretisierung bedarf, ist offensichtlich; sie lautet: „Der Faschismus an der Macht … ist, wie ihn das 13. Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale richtig charakterisiert hat, die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals.“ Eine Charakteristik kann allerdings nur auf bestimmte Züge eines Gegenstandes hinweisen, die in einer bestimmten Beziehung eine gewisse Bedeutung haben. Und auch eine Definition kann den Gegenstand nicht allseitig erfassen und ihn ganz ausschöpfen. Eine Definition des Faschismus kann also nicht dessen gesamten Reichtum abbilden. Bei der Faschismusdefinition handelt es sich um eine echte Definition, welche die objektive Realität widerspiegelt, also um eine Realdefinition substantieller Art, die solche Merkmale widerspiegelt, mit denen der Faschismus charakterisiert wird.

In dieser Sicht wende ich mich gegen den Versuch von Kurt Pätzold, die Faschismusbestimmung von Dimitroff wie folgt zu relativieren: Richtig heißt es zwar, daß die faschistische Diktaturen als „Ausgeburten der imperialistischen Phase des Kapitalismus“ zu markieren sind. Aber dies wird mit folgender Einschätzung in Beziehung gesetzt: „Diese wiederum hatte Lenin als Epoche des Verfaulens und Absterben des Kapitalismus gekennzeichnet. Das ergab zusammengenommen, daß der Faschismus uns als Auswurf einer Gesellschaftsordnung gilt, die auf dem Totenbett lag. Inzwischen erleben wird, daß diese Prognose ein gewaltiger Irrtum war. … Die Macht des Kapitals scheint nun beim Eintritt in das 21. Jahrhundert gefestigt und ganz ungefährdet zu existieren. „Hieraus kann man nur folgern, daß die Bestimmung des Faschismus durch Dimitroff passé und die faschistischen Regime nur dem 20. Jahrhundert angehörten.[4] Einspruch! Natürlich hat sich das Zeitmaß des historischen Platzes des Imperialismus in der weltgeschichtlichen Entwicklung wesentlich verändert und richtig ist, daß sich Lenin – und andere Marxisten – irrten. Aber das „Absterben“ des Imperialismus, welches Lenin als Vergesellschaftungsprozeß der Produktion begriff, geht im rasanten Tempo durch die digitale Revolution weiter und der imperialistische Fäulnisprozeß zeigt sich in vielfältigen neuen Erscheinungen. Deshalb ist Faschismus in anderen Formen und Farben nach wie vor eine solche abstrakte Möglichkeit, deren Realität allerdings von vielen gesellschaftlichen Faktoren abhängig ist – vor allem vom Drang, die Interessen von Staat und Kapitel totalitär zu verschmelzen; denn: „Einfach ausgedrückt bedeutet Faschismus die totalitäre Verschmelzung von Staat und Kapitel.“[5]

Natürlich muß man mit dem Begriff Faschismus in unserer Zeit vorsichtig umgehen. Noch bevor der Faschismus auf der Bildfläche erschien, schrieb Lenin, daß die Monopolbourgeoisie „zu jeder Barbarei, zu jeder Bestialität und jedem Verbrechen bereit ist, um die untergehende kapitalistische Sklaverei zu erhalten.“ (Werke, Bd. 19, S. 82) Und daß der Imperialismus auf dem Gebiet der Politik durch Reaktion auf der ganzen Linie gekennzeichnet ist. Die kapitalistische Gesellschaft muß also nicht faschistisch geprägt sein, um hochgradig kriminell zu werden und Kriegsverbrechen zu begehen. Mir scheint, daß wir es gegenwärtig mit einem ambivalenten Phänomen zu tun haben. In den USA herrscht – innenpolitisch betrachtet – zwar nicht der Faschismus – aber es gibt zunehmend eine totalitäre Tendenz. Und in der USA-Außenpolitik treten zunehmend immer deutlicher faschistische Züge in den Vordergrund. „Seit Hitler hat es in der internationalen Arena keinen einzigen Staat gegeben, der es gewagt hätte, den Präventivkrieg als Mittel der Politik zu propagieren, vorzubereiten und zu entfesseln. Seit Hitler hat niemand die Grundprinzipien des Völkerrechts …. so mit Füßen getreten wie die derzeitige USA-Führungsriege um Georg W. Bush. Sie begibt sich damit in die Schuhe der in Nürnberg vor Gericht gestellten Schuldigen des Zweiten Weltkrieges.“[6] Jedoch scheint es richtig zu sein, daß die heute dominierenden imperialistischen Kräfte sich staatlich (noch) nicht faschistisch organisieren müssen , um ihre Ziele im Inneren wie nach außen verfolgen und erreichen zu können. Und das gilt auch für das deutsche Kapitel. Eine Faschisierung des Imperialismus in historischer Sicht ist allerdings keinesfalls ausgeschlossen.

Bleiben wir in der BRD. Natürlich muß man auf Wandlungen gefaßt sein. Es hieße Eulen nach Athen zu tragen, hier auf die neofaschistischen Tendenzen, die seit langem Wuchern, in concreto einzugehen. Hierzu gibt es einen umfangreichen Fundus an Publikationen. Dieser Sachverhalt bedeutet allerdings nicht, daß sich der deutsche Kapitalismus bereits staatlichfaschistisch organisiert. In der BRD hat sich vielmehr die soziale Basis der Rechten enorm verbreitet. Dieser Rechtstrend manifestiert sich in Politik und Ideologie zunehmend in Populismus, Nationalismus sowie in einem autoritärem Verwalten der sozialen und ökonomischen Unsicherheiten innerhalb des neoliberalen Kontextes. Damit einher geht eine Deformation des bürgerlichen Rechtsstaates. Die gegenwärtige soziale Konterreform erschüttert diesen Staat bis ins Mark. Alles , was er anfaßt, wird „Recht“, auch wenn es gegen noch so viele Gesetze verstößt. Sein sich am historischen Horizont abzeichnender totaler Zerfall ist nicht auszuschließen.

In diesem Kontext ist weiter abzuheben, daß der Neofaschismus in der BRD eine zunehmende staatlich-juristische Begünstigung erfährt, da er im System des staatsmonopolistischen Kapitalismus die Position der äußersten rechten Kräfte einnimmt. Seine Spezifik besteht darin, daß er im Unterschied zur konkreten historischen Ausgangslage des Faschismus in den dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts seine Erscheinungsformen in Politik und Ideologie unter Beibehaltung seiner politischen und ideologischen Grundkonzeption den heutigen imperialistischen Existenzbedingungen anpassen muß. Und deshalb verwundert es auch nicht, daß Naziaufmärsche zur bundesdeutschen Rechtsordnung gehören. Erich Buchholz hat klargestellt, daß der neutralistisch-objektivistische Standpunkt zur Demonstrationsfreiheit und anderen bürgerlichen Freiheiten im Verein mit der seit Jahrzehnten geübten Toleranz gegen nazistisches Gedankengut sich nicht nur als Heuchelei erweist. „Vielmehr beweist dies, daß die wirtschaftlich und politisch herrschenden Kräfte in der Bundesrepublik die faschistische Ideologie und in ihrem Sinne agierenden Organisationen als Gegenkraft gegen jegliche sozialistische Ideen und Bestrebungen benötigen.“[7] Ich bewerte dies nicht als Beginn einer Entwicklung, die unabwendbar im Faschismus in anderen Farben münden muß. Es ist aber nicht zu übersehen, daß gegenwärtig der Imperialismus dramatisch die Weltlage verschärft. Und hinzu kommt, daß die Niederlage des europäischen Sozialismus und der kommunistischen Weltbewegung zu einer solchen Katastrophe geführt haben , deren Folgen noch nicht absehbar sind. Deshalb ist – nach Klaus Steiniger – ein Zusammenschluß aller Antifaschisten notwendig – „bis weit ins bürgerliche Lager hinein und unter Einbeziehung von Menschen verschiedener Ideologie, Glaubenbekenntnissen und Parteien…“[8] Der Antifaschismus muß zu einem festen Bestandteil der politischen Kultur in der BRD werden – allerdings zu einer solchen, die den historisch variablen Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Faschismus nicht ausklammert. Ein breiter Antifaschismus ist notwendig, der sich nicht der sozialen Aufklärung und der kapitalistischen Voraussetzungen des Faschismus entledigt hat. Wer diese Wesenskomponenten des Antifaschismus ausklammert, landet im Post-Antifaschismus. Ein solcher „entrückt den Faschismus als klassenloses Wesen in metaphysische Sphären und beschönigt die neoliberale Realität. Er beweg sich in der Kontinuitätslinie des ‚Antitotalitarismus’, dessen ursächliche Hauptstoßrichtung der Antikommunismus ist. Eine solche Vergangenheitsbewältigung haben die Millionen Opfer des Naziterrors nicht verdient.“ (Werner Pirker)

Ingo Wagner,
Leipzig

  • [2]Siehe Karl-Heinz Roth: Faschismus oder Nationalsozialismus? In: junge Welt vom 31. Januar/1. Februar 2004.
  • [3]Siehe M. Weißbecker: Marxistische Faschismustheorien und das Heute, in: Marxistische Blätter. 5-03, S. 62 ff.
  • [4]Siehe K. Pätzold: Ein Hitler heute – wozu? In: junge Welt vom 30. Januar 2003.
  • [5]Vgl. Mumia Abu-Jamal: Faschismus – ein Fremdwort? In: Junge Welt vom 4./5. Dezember 2004.
  • [6]K. Steiniger, in: RotFuchs: März 2003, S. 1.
  • [7]Siehe Erich Buchholz: Naziaufmärsche gehören zur Bundesdeutsch Rechtsordnung, in: Weißenseer Blätter 1/2005, S. 27 ff.
  • [8]K. Steiniger, in: RotFuchs, März 2005, S. 1.