Einleitung aus: Die konterrevolutionären Kräfte bei den Oktoberereignissen in Ungarn

Einleitung aus: Die konterrevolutionären Kräfte bei den Oktoberereignissen in Ungarn

(aus: „Die konterrevolutionären Kräfte bei den Oktoberereignissen in Ungarn“, herausgeben vom Informationsbüro des Ministerrats der Ungarischen Volksrepublik, Budapest, ohne Jahres-angabe, S.3 ff., leicht gekürzt)

Die kennzeichnenden Merkmale der Propaganda der bürgerlichen Restauration waren vor den Oktoberereignissen und zum Teil auch zur Zeit der Oktoberereignisse Heuchelei und Verhüllen der tatsächlichen Ziele. Diese Heuchelei war ein wohldurch­dachtes, listiges Mittel der Irreführung der sozialistisch denkenden Massen. Die zur Zeit des bewaffneten Aufstandes in der Presse erschienenen Forderungen und Programme blieben weit hinter dem zurück, was die Agitatoren der Konterrevolution mündlich forderten oder was sie bereits durchführten. Bei der Untersuchung der in den Forderungen enthaltenen Punkte müssen wir uns die Eigentümlichkeit jener Zeitspanne vor Augen halten, die darin bestand, dass die Taten die niedergeschriebenen und veröffentlichten Worte bei weitem übertrafen.

So war beispielsweise niemals die Losung gedruckt zu lesen, alle Kommunisten und mit den Kommunisten zusammenarbeitenden staatlichen und städtischen Funktionäre in leitenden Stel

lungen, die Fabrikdirektoren usw. ihres Amtes enthoben werden müssen – in der Tat aber wurde damit auf verschiedenen Gebieten der Verwaltung, in vielen Institutionen und Unternehmen bereits begonnen. Viele tüchtige und allgemein geachtete leitende Personen wurden entfernt und ihre Stellungen wurden nach und nach von Vertretern der bürgerlichen Restauration eingenommen. Niemals war beispielsweise die konterrevolutionäre Forderung gedruckt zu lesen gewesen, dass die Kommunistische Partei verboten und die leitenden Kommunisten verhaftet werden sollen – aber die Parteihäuser in den Bezirken wurden durch bewaffnete Gruppen besetzt, das Gebäude  des Budapester  Parteiausschusses unter Geschützfeuer genommen,  zahlreiche leitende Parteifunktionäre ermordet. In Budapest gingen organisierte bewaffnete Gruppen von Haus zu Haus, verhafteten Hunderte und aber Hunderte von Parteimitgliedern und setzten andere auf die Liste der zu Verhaftenden. Der weiße Terror breitete sich auch auf die Provinz aus.

Man schrieb von Gleichberechtigung und Freundschaft gegenüber der Sowjetunion – in Wirklichkeit aber schändete man die Ehrenmäler der Sowjethelden, riss die roten Sterne herunter, verbrannte die Bücher in russischer Sprache, darunter die Werke von Lenin, Tolstoi und Dostojewskij, ja sogar die russische Ausgabe von Petöfi.

Wenn die Konterrevolution von Anfang an auch in der Presse ihre wahren Pläne, ihr wirkliches Gesicht gezeigt hätte, dann hätten sich die großen Massen und unter ihnen auch die sozialistischen Studenten bald gegen sie gewandt.

Die der Regierung gegenüber betonten und in Druck er­schienenen Forderungen und Losungen hatten im allgemeinen einen provisorischen Charakter. Wenn die Regierung sich zu etwas bereit erklärte, kam die Konterrevolution sofort mit neuen Forderungen, wobei sie hinzufügte, dass sie kein Vertrauen zur Regierung habe, solange diese die neuen Forderungen nicht erfülle. Ein Beispiel hierfür sind die sich fortwährend ändernden Forderungen, die sich auf die Zusammensetzung der Regierung bezogen: anfangs wurde die Aufnahme Imre Nagys in die Regierung gefordert; als dies geschah, forderte man, dass die kommunistischen Minister aus der Regierung hinausgeworfen und Anna Kéthly in die Regierung auf­genommen werde, usw.; in den ersten Novembertagen wurde bereits die Losung laut: „Nieder mit Imre Nagy!”

Die Taktik, die Forderungen zu steigern, wurde vom Sprachrohr der amerikanischen Imperialisten, dem berüchtigten „Sender freies Europa”, inspiriert.

Im „Sender freies Europa” forderte am 31. Oktober ein gewisser Oberst Bell das Landesverteidigungsportefeuille für die „Freiheitskämpfer” und im Handumdrehen wurde Maléter zum Verteidigungsminister ernannt. Am 31. Oktober posaunte das „Freie Europa” in den Äther: „Der Warschauer Vertrag hat vernichtet zu werden und es hat erklärt zu werden, dass Ungarn nicht mehr Mitglied des Vertrages ist” und am nächsten Tag, am 1. Novem­ber, gehorchte Imre Nagy. Das „Freie Europa” machte kein Hehl daraus, dass es dem ungarischen Volke eine aus Emigranten beste­hende, „mit eiserner Hand durchgreifende” Regierung auf den Nacken setzen wollte, die die Aufgabe gehabt hätte, in Ungarn die alte Ordnung wiederherzustellen. Hiervon wurde in jenen Tagen auch in der ausländischen Presse viel geschrieben.

Bei der Beurteilung der Forderungen muss auch noch in Betracht gezogen werden, dass zu dieser Zeit selbst die amerikanische Propagandazentrale, die die ganze konterrevolutionäre Bewegung steuerte, die taktische Weisung ausgegeben hatte, dass man die Fabriken, die Gruben und die Gutsbesitze jetzt noch nicht für ihre früheren Besitzer zurückzufordern brauche. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die amerikanischen Propagandisten und ihre ungarischen Agenten auf dem gesellschaftlichen Eigentum der Großbetriebe „nicht bestanden” hätten, sobald die einstigen kapitalistischen Elemente die politische Macht an sich gerissen hätten.

Trotzdem die angeführten Umstände die unverhüllte, offene Äußerung der auf die Wiederherstellung des früheren Systems gerichteten Bestrebungen verhinderten, kamen sie, wenn auch in gedämpfter, vernebelter Form, dennoch an die Oberfläche. Die Anhänger des verschwundenen Horthy-Regimes konnten sich nämlich, als sie glaubten, die politische Macht bereits in Händen zu haben, nicht zurückhalten und verletzten in gewissem Masse die von den amerikanischen Ideologen des „Senders freies Europa” vorgeschriebene Taktik. Da und dort tauchten auch schon die ehemaligen Gutsherren auf und forderten ihre Güter zurück;  Otto von Habsburg verlangte die ungarische Krone zurück; emigrierte Grafen erschienen im vornehmsten Hotel der Grenzstadt Sopron; auch Prinz Löwenstein kam nach Ungarn. Mindszenty ließ gleichfalls die Maske ­fallen.

Die bürgerliche Restauration hatte ihr von den amerikanischen Agenten angefertigtes Rezept. Danach wäre der erste Schritt gewesen, die Machtorgane des volksdemokratischen Staates zu zersprengen, die Partei der Arbeiterklasse außerhalb des Gesetzes zu stellen und in die Illegalität zu drängen sowie Ungarn unter dem Vorwand der „Neutralität”  aus  dem  Lager  der  sozialistischen Länder herauszureißen und dem Block der westlichen kapitalistischen Länder anzuschließen. Natürlich wurde dem Volk anfänglich verschwiegen, dass die Macht des Großkapitals sich ungehindert werde wiederherstellen lassen, wenn in Ungarn die Amerikaner, die westlichen  „UNO-Truppen” und ihre ungarischen Agenten die Herren sein werden. Es wurde auch ein Schleier darüber gebreitet, dass dieser Schritt ein Wiederaufleben der Gegensätze Ungarns zu seinen Nachbarn bewirkt hätte und dass unser Land dadurch zum Brandherd eines neuen Krieges geworden wäre. Dieser Plan wollte Ungarn in einen vorgeschobenen östlichen Brückenkopf des westlichen Imperialismus verwandeln. Das war so sehr mit offenkundigen Gefahren verbunden, dass selbst nüchterner denkende bürgerliche Politiker davor die Augen nicht verschließen konnten. So warnte beispielsweise auch Nándor Bilkei-Gorzö im so genannten „Nationalkomitee der Hauptstadt” vor dem „gefährlichen Spiel”, das der Bruch des Warschauer Vertrages bedeutet hätte.

Ein Merkmal der bürgerlichen Restauration war das Erscheinen der Parteien des Horthy-Regimes im öffentlichen Leben. Im Budapester Rathaus tauchten schon eine „Christlich-Ungarische Partei” und ein „Christlicher Jugendbund” auf, und außerdem fanden sich in der Hauptstadt noch drei „christliche” parteibildende Gruppen. Die Christlich-Demokratische Volkspartei, der Christliche Jugendverein und die Christlich-Demokratische Partei konstituierten sich. Die zu neuem Leben erweckten „christlichen” Parteien des Horthy-Regimes und ihre Bundesgenossen machten sich auch sofort daran, in der Presse sowie auch auf andere Weise die Schmutzwellen der kommunistenfeindlichen, der sowjetfeindlichen, der antisemitischen und der chauvinistischen Agitation aufzupeitschen.

Es bildeten sich auch Parteien, deren Organisatoren die bürgerliche Restauration nicht in der Form der Restauration des Horthy-Regimes durchzuführen gedachten, sondern die sozialistische Macht durch ein bürgerlich-demokratisches oder bürgerlich-liberales Regime abzulösen ver-meinten. Die tatsächliche militärische und politische Führung der Konterrevolution war aber in den Händen der politischen und militärischen Vertreter des Horthy-Faschismus. Zahlreiche Gruppen der bürgerlichen Restauration waren ein Gemisch der bürgerlich-demokratischen, der bürgerlich-liberalen sowie der „christlichen” und faschistischen Richtungen. Ein wich­tiges „zusammenhaltendes Element” dieser Gemischtheit bildete die Unterwürfigkeit vor dem westlichen Imperialismus.

In diesen Tagen liefen in der Presseabteilung des Ministerpräsidenten Gesuche mehrerer unbekannter oder kaum bekannter Personen und parteibildender Gruppen um Blattkonzessionen ein. Die Ungarische Unabhängigkeitspartei legte ihrem am 1. November überreichten Gesuch auch ihr Programm bei, in dem sie unter anderem das sozialistische System verwirft und sich eindeutig zur „Verwirklichung der reinen, ewigen und ungarischen bürgerlichen Demokratie“ und zur „Unversehrtheit des Privateigentums“ bekennt.

Die faschistischen Kräfte der bürgerlichen Restauration bildeten auch einen sogenannten „Landesblock der Parteilosen”. In ihrem Programmentwurf, den sie der Regierung Nagy überreichten, können wir lesen: „Alle jene Partisanen, die sich nach der Aufrollung der AVH (ungarische Abkürzung für Staatsschutzbehörde) frei bewegen, sind unter Polizeiaufsicht zu stellen,” ferner: „In sämtlichen Unternehmen, Betrieben, Ämtern und Institutionen sind mit sofortiger Wirkung die Parteibüros der Kommunistischen Partei, die Gewerkschaftsbüros und die Abteilungen der Verteilung der Arbeitskraft der Unternehmen aufzulösen…”

Unter Führung der Faschisten konstituierte sich auch der „Kameradschaftsbund der Ungarischen Politischen Gefangenen”, unter dessen Mitgliedern sich auch verurteilte pfeilkreuzlerische Mörder befanden. Diese Organisation wollte ein Blatt unter dem Titel „Ébresztó (Weckruf) herausgeben, das auch in seinem Titel an die berüchtigte faschistische Organisation der Konterrevolution von 1919, den „Verein der Erwachenden Ungarn”, erinnerte.

Eine unzweifelhafte und charakteristische Tatsache der horthyistischen Restauration war im Budapester Rathaus die Konstituierung des sogenannten Nationalkomitees der Hauptstadt am 1. November. Dieses Komitee erklärte von sich selbst, dass nur es allein zur Besetzung der Stellungen im Rathaus zuständig sei. Der Rechtsanwalt Karoly Zajgóvári erklärte laut Protokoll: „Das National­komitee soll vom Abteilungsleiter aufwärts jeden Leiter als entlassen erklären.” Am 2. November machte sich das Komitee „an die Arbeit”. Der Delegierte der gar nicht existierenden „Christlich-Ungarischen Partei” schlug auch schon vor, dass ein Piaristen-geistlicher der Leiter der kommunalen Unterrichtsabteilung sein soll und beantragte, dass die 1945 und später entlassenen Horthysten sämtlich ins Rathaus zurückgenommen werden sollen.

Zahlreiche Tatsachen der Restaurationsbestrebungen zeigten sich in den verschiedenen Provinzstädten und Dörfern. Hierüber werden wir auch in dieser Ausgabe charakteristische Tatsachen anführen.

Einer der charakteristischsten Vertreter der Restaurationsbestrebungen war Kardinal Mindszenty. Am Abend des 3. November hielt Mindszenty eine Rundfunkrede, in der er seine politischen Ansichten darlegte. Die Rede war, mochte sie noch so vernebelt sein, sehr eindeutig.

Mindszenty schrieb mit folgenden gebieterischen Worten vor, wie die gesellschaftliche Einrichtung Ungarns beschaffen sein soll: „Wir wollen eine Nation und ein Land sein, die in einem Rechtsstaat, in klassenloser Gesellschaft leben, die demokratischen Errungen­schaften entwickeln, auf der Grundlage des von sozialen Interessen richtig und gerecht eingeschränkten Privateigentums stehen und von  einem  kulturnationalistischen Geist durchdrungen sind.” Mindszenty kehrte zur Demagogie des „christlichen Kurses” und des Nazismus zurück, als er sich für ein „gerechtes” und „von sozialen Interessen eingeschränktes” Privateigentum einsetzte. Aber wir wissen auch aus der Geschichte, dass all dies in der Tat die unumschränkte Herrschaft des Kapitals bedeutet.

Die Grundlage der sozialistischen Gesellschaft ist der gesell­schaftliche, gemeinsame Besitz der Produktionsmittel. Mindszenty hat diesem Gesellschaftssystem mit seiner Rede – indem er es als gestürzt bezeichnete – das Grab geschaufelt. Die Regierung Imre Nagy wurde von Mindszenty natürlich nicht anerkannt und das brachte er in dem ihm eigenen anmaßenden Tone auch mit den folgenden Worten zum Ausdruck: „Die Teilhaber und Erben des gestürzten (!) Systems (die Erben, das sind Imre Nagy und die Regierung) tragen eine besondere Verantwortung Tätigkeit, für jede Unterlassung, Verspätung oder unrichtige Maßnahme gleicherweise.”  Die Drohung Mindszentys galt auch Imre Nagy und Konsorten: „… die gesetzliche Zurverantwortungziehung muss auf der ganzen Linie und zwar durch ein unabhängiges und unparteiisches  Gericht erfolgen.“

Mindszenty forderte auch Neuwahlen, an denen „alle Parteien teilnehmen können“ und zwar „unter internationaler Kontrolle”. Der Kardinal wiederholte das vom „Freien Europa” einige Tage später ausgebene Schlagwort von der „Unabhängigkeit” unter westlicher Kontrolle, wobei sämtlichen bürgerlichen Restaurationsparteien ­eine freie Tätigkeit gesichert und die Tätigkeit der kommunistischen Partei tatsächlich unterdrückt und unter die Erde gezwungen werden soll.

Der Kardinal schloss seine Rede mit der Forderung, dass der Kirche „ihre Institutionen” zurückgegeben werden sollen, unter welchen Begriff natürlich auch der Grundbesitz gehört.

Mindszenty hatte dem „gestürzten System” der Volksdemokratie eine Leichenrede gehalten, doch hatte er es voreilig getan. (…)

In diesem Band publizieren wir einzelne auf die Durchführung der kapitalistischen Restauration bezügliche politische Tatsachen, Ziffern und neueres Tatsachenmaterial über die Bluttaten der Konterrevolution,die den konterrevolutionären Aufstand in ein helleres Licht rücken.

Aus dem gesammelten Material lassen sich in dieser Beziehung unwiderlegliche Schlüsse ziehen:

1. Die Initiatoren und Organisatoren des bewaffneten Aufstandes waren ausländische Agenten, horthyistische Emigranten und die Angehörigen ihrer im Lande befindlichen illegalen Organisationen, die als Organisatoren an den Massenbewegungen teilnahmen und deren Lenkung immer mehr an sich rissen.

2. Die im Lande befindlichen Vertreter des vor zwölf Jahren gestürzten Regimes begannen bereits in der Hauptstadt und in zahlreichen Provinzstädten, Gemeinden und Kreisen mit der Wiedererstellung der früheren Macht und die im Ausland lebende Emigration machte sich schon zusammen mit ihren hiesigen Agenten zur völligen Machtübernahme bereit.

3. Die Hetzsendungen des mit Dollars erhaltenen und aus Amerika gelenkten, in Westdeutschland tätigen „Senders freies Europa” haben bei der ideologischen Vorbereitung und praktischen Führung der Konterrevolution, bei der Heraufbeschwörung eines bewaffneten Kampfes, bei der Nichteinhaltung der Feuerpause und bei der Erweckung einer zum Lynchen unschuldiger, ihrem Volk und Vaterland treuer Menschen führenden Massenhysterie eine große Rolle gespielt. Die Leiter des „Senders freies Europa” sind besonders verantwortlich für das unter ungarischen Menschen angerichtete Blutvergießen und für deren darauf folgende Ver­lockung nach dem Westen und für die durch das Dissidieren tausend und aber tausend ungarischen Familien verursachte Tragödie.

4. Das Ziel der konterrevolutionären Aufrührer wurde nach dem 29. Oktober immer offenkundiger: Sturz des sozialistischen Volkssystems und Ausbreitung der westlichen kapitalistischen Interessenssphäre auf Ungarn — das heißt die bürgerliche Restauration.

Die Niederschlagung des konterrevolutionären Aufruhrs war das einzige Mittel, dass das ungarische Volk der finsteren Ära einer neuen Konterrevolution entgehe.