Willi Opitz:
Es gab keinen Schießbefehl
In den politisch motivierten Strafverfahren gegen Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates der DDR und Führungskräfte der Grenztruppen der DDR wurden unter massivem Einsatz von Polizei, Staatsanwaltschaft, Gauckbehörde und weiterer Spezialkräfte die Archive des Nationalen Verteidigungsrates und der Schutz- und Sicherheitsorgane der DDR durchsucht, wurde nach einem „Schießbefehl“ gefahndet.
Es wurde keiner gefunden, denn es gab keinen. Es gibt keinen.
Nun traten Frau Birthler und Hubertus Knabe zum wiederholten Male in Aktion. Sie brachten den Leiter der Magdeburger Außenstelle der Birthler-Behöre zum Einsatz. Dieser fand „rein zufällig“, passend zum Jahrestag des 13. August, in der Akte eines Unterfeldwebels der Grenztruppen ein Papier, welches er sofort als „Dienstanweisung des MfS“ erkannte, als Schießbefehl einstufte obwohl dieses weder einen Kopfbogen noch eine Unterschrift trug und mit Schreibmaschine abgefasst war.
Unmittelbar nach diesem „Fund“ waren Frau Birthler und Hubertus Knabe in allen Medien pausenlos zur Stelle. In den Hauptnachrichten aller Fernsehsender und in fast allen meinungsbildenden Medien berichteten sie von einem „aufsehenerregenden und bedeutsamen Dokument“, von einer „Dienstanweisung des MfS“, von einem „bisher nie belegbaren Schießbefehl“.
Mit dieser Aktion haben Frau Birthler und ihr früherer Mitarbeiter Knabe, unterstützt von unkritischen, diensteifrigen Medien, die Unentbehrlichkeit und Wichtigkeit ihrer schon seit geraumer Zeit in der Kritik stehenden Behörde unterstreichen wollen.
Damit hoffte sie offensichtlich auch, die konzeptionellen Vorstellungen und Vorschläge von Historikern und des Staatssekretärs Naumann unterlaufen zu können, die Unterlagen ihrer 2.300 Mitarbeiter umfassenden und jährlich über 100 Millionen Euro verschlingenden Behörde in das Bundesarchiv in Koblenz zu überführen.
Peinlich für die Akteure dieser Aktion und für die sie unterstützenden Medien, dass sie folgende Sachverhalte völlig missachtet haben:
Das in Rede stehende Papier lag bereits 1993 der „Zentralstelle für Regierungskriminalität“ und 1996 dem Landgericht Berlin vor.
1998 wurde es auszugsweise von Helmut Müller-Enberg, übrigens einem leitenden Mitarbeiter der Gauck-Birthler-Behörde, in der Schriftenreihe „DDR-Geschichte“ veröffentlicht, jedoch nicht mit der perfiden Andeutung, dass es sich um eine Dienstanweisung des MfS, um einen Schießbefehl handele.
Als ehemaliger leitender Angehöriger des MfS, so zu sagen auch als „Insider“ für dienstliche Bestimmungen des Ministers, fühle ich mich verpflichtet, einige Bemerkungen über dieses Gebiet zu machen, um zu belegen, dass es sich bei dem aufgefundenen Papier um keine Dienstanweisung des MfS, um keinen Schießbefehl handelt.
Eine Dienstanweisung (DA) war eine formgebundene schriftliche dienstliche Bestimmung, die der Minister für Staatssicherheit, basierend auf den Gesetzen über den Ministerrat der DDR vom 16. November 1954, 8. Dezember 1958, 17. April 1963 und 16. Oktober 1972 erließ. Sie hatte u.a. folgenden Anforderungen zu entsprechen: Kopfbogen: Der Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik. Ministerium für Staatssicherheit. Der Minister. Titel der jeweiligen DA und Anzahl der Seiten. Geheimhaltungsstufe und Verschlussnummer (diese wurde sowohl auf das Deckblatt als auch auf jede Seite der DA aufgetragen.) Die schriftlichen dienstlichen Bestimmungen wurden generell gedruckt, also nicht mit Schreibmaschine angefertigt. Durch die Verschlusssachenabteilung wurde ein lückenloser Nachweis über den Umgang mit VS-Sachen geführt. Auszüge aus VS-Sachen waren nicht statthaft und eine Ablage in Personalakten unmöglich.
Ich verbürge mich dafür: Der Minister für Staatssicherheit hat weder schriftlich noch mündlich einen Schießbefehl erteilt. Es hat zu keiner Zeit, an keinem Ort und gegenüber keiner Person Weisung gegeben, auf Frauen und Kinder zu schießen.
Prof. Willi Opitz, Generalmajor des MfS a.D.
P.S.: Nach Fertigstellung des Artikels erfuhr ich aus noch nicht überprüfter Quelle, dass die Leitung der Birthler-Behörde bereits im Juni 2007 von der Magdeburger Außenstelle über den „Fund“ des Papieres informiert wurde. Sie hat aber gewartet, um die „Sensation“ pünktlich vor dem 13. August zu verkünden. Vielleicht kann Frau Birthler dieses Geheimnis lüften.
Nachtrag: Nach massivem Druck der Öffentlichkeit musste Frau Birthler in „Die Welt“ vom 17. August 2007 zugeben, dass das Papier bereits 1993 aufgefunden und 1997 abgedruckt wurde. Sie musste weiter eingestehen: „Das bereits Anfang 2006 gefundene Dokument bot damals nach Ansicht der Pressestelle in Berlin keinen Anlass, von der normalen Verhaltensweise abzuweichen.“
Dankend übernommen aus:
„Die Rote Fahne“, Zentralorgan der KPD, Ausgabe September 2007