Geschichtskalender

Gernot Bandur: Lothar Berthold: Geschichtskalender

Der Autor, geboren 1926, ist ausgewiesener Fachmann zur Erforschung der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. In der DDR hatte er leitende Funktionen in verschiedenen wissenschaftlichen Einrichtungen des ZK der SED und der Akademie der Wissenschaften inne. 1966 war er Sekretär des Autorenkollektivs der achtbändigen „Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung”. Zuletzt war er Verlagsleiter.

Während andere seines Alters sich nach 1990 zur Ruhe setzten, war es für ihn nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Staatensystems in Europa erst recht notwendig, entsprechend seinen Kräften sowohl auf seinem Fachgebiet als auch politisch weiter zu arbeiten. Mehr als ein Jahrzehnt wirkte er intensiv in der Leitung des sich 1992 konstituierten und parteiübergreifend arbeitenden Marxistischen Arbeitskreises zur Erforschung der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung mit. Bis heute verfasst er für das DKP-Blatt „Roter Brandenburger” „Geschichtskommentare des Monats”. In ihnen nimmt er anhand geschichtlicher Erfahrungen konkret zu aktuell-politischen Fragen Stellung. Vom Dezember 1996 bis zum Juni 2003 verfasste er außerdem für das Zentralorgan der KPD, „Die rote Fahne”, insgesamt 75 Kalenderblätter, in denen er in mehr oder weniger langen Beiträgen zu unterschiedlichsten historischen Ereignissen Stellung bezog.

Nunmehr liegen dieselben im vorliegenden Band als Sammlung vor. Entstanden ist ein Buch, das, wie der Herausgeber Hans Wauer mit Recht einleitend feststellt, „unterhaltsam und informativ” sowohl junge Leser als auch ältere in seinen Bann zieht. Für jeden Monat hat Lothar Berthold, wie er betont, „eine charakteristische historische Begebenheit herausgegriffen, die Grundfragen des Klassenkampfes um geschichtlichen Fortschritt oder Rückschritt” beleuchtet (S.4) Das geschieht schlaglichtartig, ohne innere Chronologie und Systematik. Leiten ließ sich der Autor bei seinen Ausarbeitungen von den 1925 niedergelegten Gedanken Ernst Thälmanns, dass Jubiläen für die Kommunisten und den klassenbewussten Teil des Proletariats nicht leere „Gedenktage” sind, „sondern Richtlinien für den Klassenkampf, Leitfäden für die Aktion”. Oder wie es August Bebel 1876 ausdrückte: „Geschichtskenntnisse sind notwendig, damit das Volk seine Geschicke selbst in die Hand nehmen kann.” (ebenda)

Zeitlich umspannt das Buch Ereignisse aus der gesamten Geschichte der Arbeiterbewegung; von der bürgerlich-demokratischen Revolution von 1848/49 und dem von Karl Marx und Friedrich Engels verfassten „Manifest der kommunistischen Partei” bis zum 50. Jahrestag des 17. Juni 1953 und dem Aggressionskrieg der NATO gegen Jugoslawien 1999. An behandelten Themenkomplexen seien hier beispielhaft genannt: die Novemberrevolution 1918/19, der Kapp-Putsch 1920, die Kommunistische Internationale, der demokratische Neubeginn 1945 und die Herausbildung der beiden deutschen Staaten – und schließlich die Konterrevolution in der DDR. An theoretischen Grundsatzdokumenten sind neben dem „Kommunistischen Manifest” auch solchen wichtigen Materialien, die gerade jetzt sehr relevant sind, eigenen Beiträge gewidmet: Lenins „Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution”, Programm des Spartakusbundes 1918, Dokumente zum Kampf um die antifaschistische deutsche Volksfront 1935-1937, Aufrufe des ZK der KPD und des Zentralausschusses der SED vom 11. bzw. 15. Juni 1945. Biografische Beiträge sind Wilhelm Liebknecht, Wladimir Iljitsch Lenin, Ernst Thälmann und J.W. Stalin gewidmet. Auf bestimmte Ereignisse kommt der Verfasser bei verschiedensten Gelegenheiten immer wieder zurück. Vor allen Dingen trifft das auf die Geschichte der DDR zu.

Gewünscht hätte man sich, dass in der vorliegenden Buchform von der Chronologie der erschienenen Artikel abgewichen, also thematische Komplexe zusammenfassend abgehandelt worden wären. Das hätte die Aussagekraft stark erhöht. Oftmals zitiert der Autor sehr ausführlich aus Originalquellen. Das ist besonders lesenswert. Leider werden aber exaktere Belege nicht gegeben. Das hätte besonders denjenigen, die durch die Ausführungen zur Weiterbeschäftigung angeregt werden, die Arbeit erleichtert.

Über manche Einschätzung kann man sicher mit dem Autor streiten und vieles wird auch durch die Erschließung neuer Quellen immer wieder hinterfragt werden müssen. Hier und da hätte ein kritischere Sicht Not getan. Das trifft beispielsweise auf die Rolle J.W. Stalins zu. Gerade in Anbetracht immer wieder vorgebrachter Fälschungen müssen Leistungen, Fehler, Versäumnisse und auch von ihm zu verantwortende Verbrechen benannt werden. Zu bedauern ist auch, dass Lothar Berthold nicht immer vom neuesten Forschungsstand Kenntnis genommen hat. Das merkt man ganz konkret bei Beiträgen, wo Ausführungen zur USPD gemacht werde. Schon zu DDR-Zeiten gab es differenziertere Sichten gerade zum Zentrismus und der Linken in der USPD. (Ausführlich ist das dargelegt in der 1993 von Dieter Engelmann und Horst Naumann herausgebrachten Monografie „Zwischen Spaltung und Vereinigung. Die USPD in den Jahren 1917-1922″)

Trotz dieser benannten Mängel schließt sich der Rezensent der Meinung des Herausgebers an, dass Lothar Berthold mit seiner Arbeit ein guter Abriss zur Geschichte der Arbeiterbewegung gelungen ist. Die größtenteils aus dem Privatarchiv des Autors stammenden Fotos lockern den Text auf. Bei einer evtl. Neuauflage sollte aber keinesfalls auf ein Personenregister verzichtet werden. Gernot Bandur, Berlin