Hisbollah und der Widerstand. Standpunkt der Kommunistischen Partei Libanons

KP Libanons:
Hisbollah und der Widerstand. Standpunkt der Kommunistischen Partei Libanons

Interview[1] mit Marie Nassif-Debs[2], Mitglied des Politbüros der KP Libanons

Frage: Die Kommunistische Partei Libanons ist eine säkulare Partei und sie ist im nationalen Widerstand engagiert. Welche Beziehungen hat sie zur Hisbollah?

Marie Nassif-Debs: In den letzten 20 Jahren gab es in der Beziehung zur Hisbollah große Veränderungen. Vor zwanzig Jahren begann die Hisbollah mit einem gnadenlosen Krieg gegen die Kommunisten. Das lag nach meiner Ansicht an einer fundamentalistisch-islamischen Strömung, die vor allem durch „Da’wa“, eine fundamentalistische islamische Partei repräsentiert wurde, die Unterstützung aus dem Irak und dem Iran bekam, nicht ausschließlich, aber in der Mehrheit aus Shiiten bestand und die KP Libanons generell als Feind ansah. Diese Strömung wollte jede Idee des Laizismus und der Säkularisierung, der Offenheit, überhaupt jede andere Philosophie unterdrücken. Hisbollah ging so weit, einige unserer Genossen umzubringen, speziell Intellektuelle, Kader an den Universitäten. Zum Beispiel wurde Mahdi Amil von ihr ermordet, der über die Probleme des Kolonialismus und über Probleme der Religion und der Religiosität gearbeitet hatte. Er war ein wirklich großer Wissenschaftler und ein großer Philosoph. Ebenso Hassan Mroue, ebenfalls ein großer Philosoph, der ein sehr wichtiges Werk herausbrachte: „Die materialistischen Tendenzen des Islam“. Zunächst war er ein Sheikh, er wollte in Najaf im Irak studieren. Dann bemerkte er, dass ein solches Leben für ihn das falsche wäre und wurde Kommunist. Er schrieb zahlreiche Bücher.

Es gab auch gewisse organisierte Kämpfe, so in Beirut, im westlichen Bekaa, in anderen Regionen, überall dort, wo es eine gewisse Konzentration der Kräfte gab, die der einen Seite erlaubte, die andere zu bekämpfen und zu unterdrücken. Leider  half das der syrischen Fraktion sehr, die Kommunisten aus dem nationalen Widerstand herauszudrängen und sie zu eliminieren.

Es gab eine gewisse Verständigung zwischen den Syrischen Kräften und der Hisbollah und auch noch anderen Kräften. Wir wurden gejagt. Es gab Genossen von uns, die Widerstandsaktionen durchführten und dabei getötet wurden – aber sie wurden von hinten erschossen.

Nach all dem entwickelten sich die Beziehungen etwas besser. In den Straflagern und Gefängnissen Israels waren die Kämpfer der Hisbollah mit den Kämpfern der Kommunistischen Partei vereint. Natürlich waren die Kommunisten dort in der Mehrheit, aber das nur am Rande. Sie lernten sich dort kennen, so entstanden neue Beziehungen zwischen den Kadern der beiden Organisationen. Und nach ihrer Freilassung entwickelten sich die Beziehungen weiter.

Gleichzeitig entwickelte sich die Hisbollah weiter, besonders nach der Wahl von Hassan Nasrallah als Generalsekretär. Und das liegt daran, dass er – und diesen Standpunkt teilen viele meiner Genossen mit mir – mehr Araber als Muslim ist. Mit anderen Worten: er sieht die Dinge mit den Augen eines Arabers. Zum Beispiel will er Jerusalem befreien, dies aber nicht, weil die Stadt einer der heiligen Plätze des Islam ist, sondern weil die Palästinenser das Land ihrer Vorfahren zurück bekommen sollen, ihren eigenen Staat bekommen sollen. Seine Orientierung ist anders als die seiner Vorgänger. Seit dieser Zeit sind unsere Beziehungen einfacher, trotzdem noch immer schwankend, mal besser, mal schlechter.

Frage: Und heute?

Marie Nassif-Debs: Die Beziehungen zwischen der Hisbollah und uns haben sich ganz besonders entwickelt seit der jüngsten Aggression Israels. Wir hatten eigenständig zum nationalen Widerstand aufgerufen und bewaffnete Milizen aufgestellt, die gegen das Eindringen der israelischen Truppen in unterschiedlichen Regionen kämpften, die von der israelischen Armee besetzt werden sollten, so in Bekaa, bei Baalbeck, wo wir ein israelisches Kommando stoppten, das nach Jameliyya, einer Gemeinde mit kommunistischer Mehrheit, vordringen wollte. Drei unserer Genossen sind dort gefallen.

Wir sind noch immer skeptisch, was unsere Beziehungen zur Hisbollah angeht, denn noch immer gibt es Streitpunkte zwischen ihr und uns, zum Beispiel in der Frage der Auflösung der konfessionellen Bindungen der Regierung[3]. Sie hat hier keine klare Position, aber sie entwickelt sich.

Wir hatten Differenzen mit der Hisbollah im Sommer 2005, nach dem Rückzug der syrischen Kräfte. Während der Parlamentswahlen hielt es die Hisbollah, um sich vor der Resolution 1559[4] zu schützen, für notwendig, mit denjenigen eine Allianz einzugehen, die weiterhin pro-syrisch waren, also mit den maronitischen „Libanese Forces“, mit Hariri (Mustaqbal) und Joumblatts PSP. Wegen dieser Allianz wurde es möglich, dass der „March of 14 Forces“[5] eine Mehrheit gewann und in die Lage kam, die Regierung bilden zu können – Hassan Nasrallah gibt es inzwischen zu. Wäre die Hisbollah ein Bündnis mit den Kommunisten und den Aounisten[6] eingegangen, wäre diese Mehrheit nie zustande gekommen.

Wir schätzen die Hisbollah heute ein als eine Partei des Widerstandes, als einen Teil der Bewegung für die nationale Befreiung auf der arabisch-nationalen Ebene, wir haben aber Differenzen mit ihnen in der Frage, wie die politischen und ökonomischen Probleme des Libanons zu lösen sein könnten. Aber auch in dieser Frage gibt es bei der Hisbollah Bewegung, vor allem innerhalb der letzten fünf Monate[7], sie nahm sehr ernsthaft an der Demonstration am 10. Mai 2006 teil. Aber trotz allem: die Hisbollah hat zu sehr vielen Problemen keine Position. Sie stellt zwei Minister, einer davon ist der Energieminister, und er redet davon, die Stromversorgung im Libanon privatisieren zu wollen. Er ist ein Anpasser, kein Kämpfer.

Das zweite Problem ist, dass Hisbollah keine klare Position hat zur Frage der Regierungsart, zur Frage von politischen Reformen, die in Richtung Säkularisierung und Modernisierung gehen. Das sind die wichtigsten politischen Dissenspunkte. Außerdem sind wir gegen die Wiederwahl des Präsidenten der Republik, Emile Lahoud – und Hisbollah unterstütz Lahoud.

Frage: Siehst Du Möglichkeiten für eine weitere Entwicklung der Hisbollah?

Die Hisbollah gruppiert sich mehr oder weniger deutlich in zwei Haupttendenzen. Da ist die Tendenz der Da’wa, das ist die Richtung, die den Islam will. Und die andere Tendenz, die stärker wird, ist die, die für Gewaltenteilung ist, für Alternativen und so weiter. Ich glaube, dass es für Hisbollah keine andere Möglichkeit gibt, als sich weiter in diese zweite Richtung zu entwickeln. Wir führen die Diskussionen mit der Hisbollah weiter. Ich glaube, dass sie, will sie nicht die Früchte des Sieges ein zweites Mal verspielen – und ich bezeichne das, was im Juli und August 2006 geschah als einen Sieg, denn wir sind gegen Israel aufgestanden, die stärkste Macht der Region! Also, wir denken, dass, wenn die Hisbollah einen Vorteil aus dem Sieg ziehen will, wenn das libanesische Volk einen Vorteil aus dem Sieg ziehen soll, Hisbollah sich entwickeln muss. Ansonsten kehren wir zurück zu einer Situation wie im Jahr 2000. Im Jahr 2000 war es dem islamischen Widerstand zu verdanken, dass unser Land befreit wurde, dies war das erste Mal in der arabischen Geschichte so. Aber der Sieg wurde vertan, ja vernichtet durch die religiöse Bindung. Ich glaube, dass das einige der Führer von Hisbollah verstanden haben. Und wir hoffen – auch weil es innerhalb der Hisbollah einen heftigen Kampf darum gibt – dass sie nicht zu den alten Positionen zurückkehrt und nicht wieder auf pur religiöse Positionen zurückfallen wird.

Frage: Wie entwickelt sich die Nationale Widerstandsfront, die sich während der Kämpfe gebildet hat, weiter?

Wir haben den Prozess eingeleitet, ein Bündnis der Hisbollah und der Aounisten gemeinsam mit uns zu schaffen. Viele Kader der Hisbollah sehen in Aoun inzwischen jemanden, der dem christlichen Faschismus widerstanden hat. Unter den jungen Leuten, vor allem an den Universitäten, gibt es eine große Zustimmung zu den Aounisten. Wir haben begonnen mit einer Bewegung gegen die syrische Kontrolle, aber leider ist sie untergegangen in einer Welle arabischer Gefühle. Das zeigt sehr gut die Probleme, wie sie zur Zeit im Libanon existieren.

Weitere Probleme, z.B. der Kampf gegen die Korruption oder der Ruf nach Säkularisierung eröffnen neue Möglichkeiten für Bündnisse. Die frühere Premierministerin, Salim Hoss, ist ebenfalls sehr offen, mit einer sehr arabischen Orientierung, und sie sieht die wichtigsten Punkte so: Wir müssen daran arbeiten, neue Bündnisse zu schaffen, um eine Regierung der Nationalen Einheit zu erreichen und neue Parlamentswahlen abzuhalten, und zwar auf Grundlage eines Wahlgesetzes, das proportional und säkular ausgerichtet sein muss. Schließlich muss die Verfassung geändert werden, um die religiöse Ausrichtung von Politik und Verwaltung zu überwinden.

Frage: Und das alles diskutiert Ihr mit Hisbollah?

Ja! Wir diskutieren das tatsächlich. Wir sagen ihnen – und ich glaube, dass sie es wirklich verstehen – dass, so wie es zur Zeit ist, eine große Persönlichkeit wie Nasrallah, eine solche charismatische Persönlichkeit, zwar ein Symbol für den gesamten Mittleren Osten sein kann, er aber niemals Präsident der Republik würde. Wenn wir Leute haben wollen, die die wichtigsten Posten in der Republik besetzen, können wir nicht einseitig religiös ausgerichtet sein. Auch wenn ihn zur Zeit die Shiiten unterstützen und auch einige Christen, auch wenn er die Mehrheit im Volk hätte, so könnte er doch nicht Präsident werden. Denn von den 128 Mitgliedern des Parlaments sind die Hälfte an die Muslims vergeben, darin ein Drittel an die Shiiten. Die Muslime können also niemals die Mehrheit erringen, weil es Quoten gibt.

Deshalb bekämpfen wir die Quoten, wenn wir sie los sind, kann jeder kandidieren und es geht um Programme, um soziale, ökonomische und politische Vorhaben, dann kann es wirkliche Bündnisse geben, – und kein Quotensystem. Es gibt viele Leute, die ähnlich denken.

Aber: Außer der Kommunistischen Partei und einigen anderen linken Gruppen sind alle politischen Parteien konfessionell gebunden. Die Hisbollah und Amal sind shiitisch, die Libanese Forces sind maronitisch (und es gibt einige Griechisch-Orthodoxe unter ihnen), die PSP ist drusisch, Hariris Zukunftspartei ist sunnitisch und so weiter. Das System reproduziert sich selbst, denn wir haben immer Parlamentsmitglieder, die ausschließlich auf konfessioneller Basis gewählt wurden und die eine Politik verfolgen, die nur ihren Interessen dient.

Wir hatten Bürgerkriege, und sie orientierten sich an der Religion. Die viel fundamentaleren Probleme im sozialen, ökonomischen und politischen Bereich spielten dagegen nur eine untergeordnete Rolle.

                                                                               Marie Nassif-Debs, KP Libanons, Paris, 21. 9. 2006

FUSSNOTEN

  1. Das Interview wurde am 21. September 2006 in Paris geführt von Mireille Court und Nicolas Qualander. Es ist erschienen im Internetprotal von: www.internationalviewpoint.org im November 2006
  2. Marie Nassif-Debs ist aktiv in der Nationalen Konferenz für den Kampf gegen die Unterdrückung vonm Frauen, sie ist aktives Mitglied der Lehrergewerkschaft des Libanon, Buchautorin und Journalistin – und Mitglied des Politbürso der KP Libanons
  3. Es geht darum, dass Posten in Regierung und Verwaltung nach einem Quotensystem an die unterschiedlichen religiösen Gruppen vergeben werden, z.B. muss der Präsident der Republik ein maronitischer Christ sein, der Premierminister ein sunnitischer Moslem und so weiter.
  4. Die Resolution 1559 ist eine Resolution des Sicherheitsrates der UNO aus dem Jahr 2004, die u.a. verlangt, dass alle im Libanon vorhandenen Milizen entwaffnet und aufgelöst werden.
  5. Name der Koalition der anti-syrischen Kräfte.
  6. Die Anhänger des entlassenen christlichen Generals Michel Aoun.
  7. Gemeint ist der Zeitraum von Frühjahr bis Spätsommer 2006