Irak – Die Nemesis des Imperialismus

Frederic F. Clairmont[2]: Irak – Die Nemesis des Imperialismus

„Die koloniale Aggression gegen den Irak und die widerlichste Lüge der Lügenmaschine, die solche barbarischen Handlungen propagierte und rechtfertigte, wird für immer eines der größten und unverzeihlichsten Verbrechen gegen die Menschheit bleiben.“

(José Luis Zapatero, Premierminister Spaniens)

Ein unglaublich geschrumpfter, aber großspuriger und ehrloser Tony Blair hat sich mit Hilfe eines minimalen Wahlsiegs an die Macht geklammert. Dabei wurde er den Schmähungen seines Volkes ausgesetzt und vor aller Welt als „einer der infamsten politischen Schwindler aller Zeiten“ abgefertigt, wie es ein Labour-Parlamentarier formulierte. Das sind wohl die schärfsten Worte, die einen miserablen politischen Opportunisten beschreiben können, dessen schamlose Lügen seine Nation in einen grausamen Krieg hineinmanövrierten.

George W. Bush, sein Mitverschwörer, erreichte ebenfalls einen Wahlsieg (wenn man das so bezeichnen kann) – zu einem Kostenpunkt von 4 Milliarden US$. Eine jämmerlich korrupte Administration, schwer angeschlagen vom Vormarsch der nationalen Befreiungskräfte des Irak, ist in einem militärischen Morast stecken geblieben. Dazu lastet auf den USA eine der schlimmsten Zahlungskrisen, das notorische Doppeldefizit, was jemals eine Handelsnation befiel. Aber darüber später mehr.

Es gibt da noch einen dritten Mitspieler, der „gewählt“ bzw. von der Kolonialmacht aufgestellt wurde. Der Zweck dieses Marionetten-Regimes im Irak ist nicht Demokratisierung, wie seine Verfechter es darstellen, sondern als Diener eines fremden Oberherrn zu fungieren, dessen Befehle es ausführen muss. Da gibt es keinen Spielraum zum Manövrieren, und sein Aktionsradius ist auf die so genannte „Grüne Zone“ im Zentrum Bagdads beschränkt – ein von Stacheldraht umzäuntes Fegefeuer, das kein Quisling verlassen kann, es sei denn in schwer bewaffneter Begleitung, denn sie sind fast ohne Ausnahme den scharfen Angriffen der Widerstandskräfte ausgesetzt. Seine Lebensdauer ist nur kurz, denn als Dienerklasse hängt das Regime von seinem weißen Kolonialherren ab, dessen Hauptziel unverändert ist: Die Inbesitznahme der Energiequellen des Landes.

Michael Meacher, Parlamentsmitglied der Labour-Party und früherer Umweltminister, betont mit aller Deutlichkeit: „Der Grund, warum sie den Irak angreifen, hat nichts mit Massenvernichtungswaffen zu tun, auch nichts mit der Demokratie im Irak, es ging nicht um Saddam Husseins Missachtung der Menschenrechte. Es geht vor allem und ausnahmslos um Öl. Es geht um die Kontrolle des Nahen Ostens und spezifisch um die Kontrolle des Irak, des zweitgrößten Ölproduzenten der Welt. … Die Beweisführung ist überwältigend.“

Es ist kein Zufall, dass die Kolonialherrscher einen amerikanischen Strohmann und verurteilten Bankenschwindler, Ahmad Chalabi (einen amerikanischen Staatsbürger) zum stellvertretenden Premierminister des irakischen Quisling-Regimes ernannten. Sie wissen, dass ihre Gegenwart unerwünscht ist. Der Todesgeruch schwebt über Bagdad. Einst war es das ausdrückliche Ziel der Aggressoren, „die Herzen und Seelen“ ihrer Opfer zu gewinnen. Jedoch folgend auf Bushs Sieges-Halleluja vor über zwei Jahren hat die koloniale Besatzungsmacht mehr als 165.000 Menschen getötet und verwundet, und außerdem dazugezählt werden müssen die zahlreichen Opfer von Hunger und Epidemien wie Tuberkulose und Malaria. Die Zeiten verlogener Moralisierung sind wahrlich vorbei.

Die Besatzer und ihre Truppen, unentrinnbar verstrickt in ihre Demoralisierung und Drogenabhängigkeit, wissen, dass das Endspiel bald naht. Das Militär und die zivile Administration leben unter dem gleichen Druck der Verzweiflung. Im Jahr 1998 erklärte die damalige Außenministerin Madeleine Albright noch: „Wir sind die unentbehrliche Nation.“ Madeleine Albright antwortete auf die Frage, was sie davon halte, dass die Sanktionen gegen den Irak das Leben einer halben Million Kinder gekostet habe: „Wir denken, dass der Preis es wert ist.“

Der Krieg geht weiter, aber Bush und seine Berater leben in der Vorstellung, dass das Schreckliche nicht schrecklich ist. Ihr Refrain ist beruhigend in seiner Einfachheit: Der Feind ist in die Flucht geschlagen und der Sieg ist nahe. Aber die Widerstandskämpfer in der nationalen Befreiungsbewegung, mit denen ich sprach, sehen das anders.

In seinem Feuer- und Schwefelgedonner zu Anfang seiner zweiten Präsidentenperiode sprach Bush vom „Zünden eines Feuers in den Seelen der Menschen“ und erklärte, dass „eines Tages dieses ungezähmte Feuer der Freiheit bis in die dunkelsten Winkel unserer Welt leuchten wird.“ Ob derartiges Kauderwelsch seinen Anhängern Aufschwung gab oder die „Wächter gegen die Tyrannei“ begeisterte, weiß ich nicht. Die Oberhirten der führenden Kastenherde leben in ihrer eigenen Vorstellungswelt. Gleich ihrem Meister erkläre die us-amerikanische Außenministerin Rice: „Amerika und die freie Welt sind wiederum in einem langjährigen Kampf gegen eine Ideologie des Hasses verwickelt, gegen Tyrannei, Terror und Hoffnungslosigkeit. Wir stehen bei jedem unterdrückten Volk auf jedem Kontinent, und wir können nicht ruhen, bis jeder Mensch, der in Angst lebt, schließlich seine Freiheit erlangt hat. Wir müssen diesen Herausforderungen mit derselben Entschlossenheit und demselben Mut gegenübertreten, die unsere Nachkriegsjahre bestimmten.“ Es ist hoffnungslos, sie mit der Nase in das Blut der Millionen Menschen der Dritten Welt stecken zu wollen, die seit 1945 Opfer des us-amerikanischen Völkermordes überall auf der Welkt wurden. Entsprechend dieser verruchten Logik wurden die us-amerikanischen Massaker unter dem Deckmantel des Schutzes der Menschenrechte ausgeführt.

Das Geschwätz der Frau Rice ist mehr als nur eine politische Erklärung. Es ist das unverblümte Modell für einen weltweiten Eroberungskrieg. Um es gleich fest zu halten: zu den „Vorposten der Tyrannei“ zählen zur Zeit sechs Länder – Kuba, Burma, Belarus, Nordkorea, Iran und Zimbabwe. Es wird geplant, das Büro eines Koordinators für Wiederaufbau und Stabilisierung zu gründen, an das us-amerikanische Außenministerium angeschlossen und geleitet von Carlos Pascual, den George W. Bush als einen der „Befreier der Ukraine“ bezeichnete. Der Krieg im Irak ist noch nicht zu Ende, da werden bereits Pläne für weitere Kriege in der Zukunft geschmiedet, in 25 Ländern „demokratische und marktfreundliche“ politische Bedingungen zu schaffen. Der Imperialismus wurzelt nun einmal im Hegemonialstreben seiner Zentren, was heute heißt: neoliberale Politik, Privatisierung staatlicher Unternehmen, Deregulierung der Märkte, ungehemmte Kapitalanlage, wirtschaftlicher und politischer Druck bzw. Erpressung und schließlich Krieg.

In den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts ironisierte David Lloyd George: „Kratze an einem Tory und Du wirst immer einen Faschisten finden.“ Heutzutage ist es kaum nötig, am Neoliberalismus zu kratzen, um die primitive Anatomie des us-amerikanischen Faschismus sichtbar zu machen. Wendell Wilkie, der amerikanische Staatsmann, stellte präzise fest: „Sollte der Faschismus jemals nach Amerika kommen, wird es unter dem Namen `Demokratie` geschehen“. Viele sind der Ansicht, dass es heute bereits so weit ist.

Falluja – Iraks „Guernica“

Die besetzten Gebiete sind nicht mehr unter der Kontrolle der Besatzer. Das tägliche Leben ist zu einer tödlichen Lotterie geworden. „Meiner Ansicht nach ist Bagdad feindliches Territorium“, meint Oberst Lanza von der 1. Kavalleriedivision, die für einen großen Teil Bagdads verantwortlich ist. Aber das gilt nicht nur für Bagdad selbst, sondern für ein Hinterland, das so groß ist wie Kalifornien.

Die Stadt Falluja wird für immer im Pantheon nationaler Befreiungskämpfe ihren Platz haben. Eine einstmals schöne, moderne Stadt, etwa so groß wie Genf (320.000 Einwohner), ist jetzt eine Ruine. Krankenhäuser, Moscheen, Schulen und Gemeindehallen wurden dem Erdboden gleich gemacht. Unzählige Menschen verbluteten, weil medizinisches Personal gewaltsam aus der Stadt entfernt wurde. Apache Helikopter, Kampfflugzeuge, Napalm, Panzer, Artillerie und uranhaltige Munition wurden gegen ein schutzloses Volk geschleudert. Die Vereinigten Staaten von Amerika sind das einzige Land, welches das Abkommen von 1980 über das Verbot von Napalm nicht unterschrieben hat – einem tödlichen Cocktail aus Polystirenen und Flugzeugbrennstoff. Gegen diese Armada und die militärische Elite des Kolonialheeres traten die Widerstandskämpfer mit Handwaffen und kleinen Geschützen an – ihnen gegenüber us-amerikanische Spezialeinheiten, ukrainische und polnische Söldner u.a.m., über ihnen Großbritanniens „Black-Watch“-Helikopter. Trotzdem blieben die Widerstandskämpfer unbesiegt und entgingen der Gefangenschaft: nachts verschwanden sie spurlos über den Tigris.

Das Gemetzel der Soldateska im November 2004, angefeuert durch die Losung „Operation Phanto, Fury“, hatte zum Ziel, den Widerstand zu brechen, die so genannten „Terroristen“, „Saddams Müll“, später etwas höflicher, (wenn auch falsch) als „Aufständische“ bezeichnet, zu vernichten. Die militärische Vernichtungsorgie ging Hand in Hand mit grausamen Folterungen, wie sie die US-Truppen seit dem Vietnam-Krieg nicht mehr ausgeübt hatten. Es gab keine unabhängigen Berichterstatter, nur die von den US-Militärs “akkreditierten“ Journalisten, und besonders keine arabischen Nachrichtendienste wie Al Jazeera, die verboten waren.

Was die Besatzer (oder wenigstens die intelligenteren unter ihnen) begriffen, war die Intensität des Freiheitskampfes. Capt. Peter McCulloch von der „Black Watch“ fasste es treffend zusammen. „Der Feind ist überall und nirgends. Ich sehe Kinder, Frauen, alte Männer; die jungen Männer sind verschwunden. Aber wir wissen, dass wir die gehassten Feinde sind. Die Kinder und die Frauen fürchten sich nicht mehr. Ein junges Mädchen sagte zu mir in einfachem Englisch: `Wenn ich älter und stärker wäre, würde ich Dich töten!` – Das war keine zufällige Bemerkung, und ich wusste, dass sie keinen Augenblick gezögert hätte. Wie oft werden wir von Jungen und vor allem Mädchen beschimpft!? Ihre Hauptbeleidigung ist das Wort `scum` – Abschaum.“

Ein tiefer psychologischer Wandel versetzte den Todesstoß gegen die schwindenden Kräfte des Imperialismus. Nach Falluja ist der Widerstand gewachsen: laut Pentagon handelt es sich um rund 200.000 Männer, Frauen und selbst Kinder aller Altersgruppen und aller ideologischer und religiöser Überzeugungen, die Widerstand leisten.

Die Errichtung eines grausamen Folterregimes, das nicht seinesgleichen hatte seit den finsteren Tagen der US-Besatzung in Vietnam, gehört zu den größten Verbrechen der Okkupanten. Dessen Architekten sind selbstverständlich in den höchsten Schichten der militärischen und politischen Eliten zu finden, die niederen Ränge, die das dann ausführen mussten, werden nun aber dafür belangt. Wie die „New York Times“ vom 28. April 2005 schreibt, „waren die Rechtsüberschreitungen in Abu Ghraib, die einem damals den Atem verschlugen, symptomatisch für die Brutalität und Unrechtmäßigkeit der Bush-Regierung. Die Weitergabe Gefangener an Staaten, die Folterungen praktizieren, so z.B. ununterbrochene Zwangsbefragungen, Schlafentzug und Wassertorturen, sind heute weitgehend bekannt.“ In den Folterkammern, die während und nach der Schlacht um Falluja und in Abu Ghraib entstanden, wurden Experimente vorgenommen, die auch im Konzentrationslager Guantanamo Bay ihre Anwendung fanden.

Es ist nicht schwer, sich die arabische Reaktion auf das Gemetzel in Falluja vorzustellen. Ein 30-jähriger, westlich ausgebildeter Saudi artikulierte die Empörung von Millionen Arabern und anderer in der „Financial Times“: „Für uns ist der `amerikanische Traum` jetzt zum Alptraum geworden. Wir sehen auf unseren Fernsehschirmen, was im Irak vor sich geht. Die Amerikaner töten Männer, Frauen und Kinder. Die arabische Welt kann nicht das erschütternde Bild vergessen, wie ein amerikanischer Soldat kaltblütig einen wehrlosen Betenden in der Moschee von Falluja umbrachte. Wenn man Gewalt predigt und anwendet, erntet man Gewalt.“ Stabs-Sergeant James Massey beschrieb vor der kanadischen Kommission für Flüchtlings-Status, wie er und seine Kollegen von den `Marines` mehr als 30 unbewaffnete Männer, Frauen und Kinder totschossen, darunter einen irakischen Jungen, der mit erhobenen Händen aus dem Auto stieg. „Wir feuerten rund 500 Patronen per Personenwagen. Was die `Marines` taten: sie mordeten.“ Laut einem anderen Soldaten von der 82. `Airborne Division` wurden sie angeleitet, alle Araber als potenzielle Terroristen anzusehen … „Und wir wurden zu einem Hass angestachelt, der einem das Blut zum Kochen brachte.“ Tragischer Weise hören sich inzwischen diese so oft wiederholten Killer-Bekenntnisse fast banal an.

Derart blutrünstige Praktiken gehören zum imperialistischen Vernichtungskatalog, der an My Lai in Vietnam vom Jahre 1968 erinnert. Es waren Verbrechen des gleichen Typus. Ein Mitglied der us-amerikanischen `Marines`, von seinem Gewissen geplagt, schrieb damals an den Senator von Maryland, Charles McManus, wie er anhören musste, wie seine Männer fröhlich-angeregt die Tötung einer jungen Vietnamesin beschrieben, die sie mit einem 50-mm-Maschinengewehr angriffen, und wie sie lachten, als die Frau 10 Meter hoch in die Luft geschleudert wurde: „Für viele US-Amerikaner haben Vietnamesen längst aufgehört, Menschen zu sein.“, schrieb er. Die 347 Opfer des Massakers von My Lai, meist Frauen und Kinder, waren also keine Menschen. Im Vokabular der Nazi-Ideologen handelt es sich nur um Untermenschen.

Viele Milliarden Dollars fließen heute in die Gosse, in einem verzweifelten Versuch, das „Wiederaufbau-Geld“ dazu zu nutzen, Irakis gegen Irakis aufzustacheln. Ein flüchtiger Blick auf die täglichen Fernseh-Nachrichten zeigt  den totalen Bankrott einer solchen Strategie. Tatsächlich gibt es nichts Neues in der archaischen Militärplanung der Kolonialmächte. General de Lattre de Tasigny hatte schon 1948 angekündigt: „Wir werden Vietnamesen mit Vietnamesen töten!“ Aber am 30. April 1975, dem Datum, an dem der 30-jährige koloniale Völkermord in Vietnam endete, kam die Beschränktheit des Generals de Lattre so recht zum Vorschein: sein Plan, dass eine immer größere Zahl von angeheuerten Killern die Flut des Widerstandes aufhalten würde, war zerschmettert. Die hehren Worte des Siegers von Dien Bien Phu, des legendären Vo Nguyen Giap, an US-Verteidigungsminister Robert McNamara gerichtet, sind von höchster Bedeutung für ein tieferes Verstehen des heutigen Debakels der USA im Irak: „McNamara und seine Berater brachten die Zahl der Aggressoren auf eine halbe Million. Was war das Ergebnis? Sie wandten riesige Mengen giftiger Chemikalien und anderer fürchterlicher Mittel der Massenvernichtung an. Wohl werden sie dadurch die Zahl der Toten mehren und neue, schreckliche Leiden über unser Volk bringen, aber dadurch wird es ihnen nicht gelingen, das Ringen unserer Kämpfer um unsere Freiheit zu brechen. Es wird uns stärker machen. Und am Ende werden unsere Widerstandskämpfer siegen.“

Geschichtliche Parallelen sind nicht unbedingt identisch, und das bezieht sich auch auf den Vergleich zwischen Vietnam und Irak. Aber ungeachtet der Differenzen ist es doch von zentraler Bedeutung, dass sowohl der Widerstandskampf der Vietnamesen wie auch derjenige der Irakis das Verlangen versklavter Völker nach Freiheit darstellen. Die Internet-Botschaft eines der irakischen Freiheitskämpfer und Falluja-Veterans drückt die Bedeutung dieses Ringens mit unübertroffener Kraft und Pathos aus: „Über zwei Millionen Unschuldiger mussten sterben, während sie auf das Licht am Ende des Tunnels warteten. Es ist unsere Pflicht und unser Recht, die Besatzer zurückzuschlagen, und die an der Aggression teilnehmenden Nationen werden moralisch Rechenschaft ablegen müssen. Wir überqueren nicht die Meere, um Großbritannien oder die USA zu besetzen, Und wir sind nicht verantwortlich für 9/11. Dieses sind nur einige der verleumderischen Lügen, mit welchen diese Verbrecher ihre wirklichen Pläne für den Raub unserer Energiequellen verdecken wollen. Wir danken all den Menschen in den USA, in England und anderswo, die an Protestmärschen gegen den Krieg und gegen die Sanktionen teilnahmen. Wir brauchen weder Waffen noch Kämpfer. Wir haben davon genug. Wir rufen Euch auf, eine weltweite Front gegen den Krieg, gegen Sanktionen zu formieren. Die Feinde sind am Laufen. Sie haben keine Verstecke mehr und sind in die Enge getrieben wie Ratten. Jeden Augenblick ihres Lebens fürchten sie die Widerstandskämpfer. Sie können nichts vorausplanen, weil sie nichts voraussehen können. Wir sind jetzt in der Lage zu entscheiden, wen wir angreifen, wo wir angreifen und wann wir angreifen. Wie schon unsere Ahnen die ersten Funken der Zivilisation entfachten, so werden wir den Begriff „Eroberer“ neu definieren. In diesem Augenblick, zum aktuellen Zeitpunkt, schreiben wir ein neues Kapitel der Kriegskunst in Stadt und Land.“ Dieses noble Manifest ist meiner Überzeugung nach ein unzerstörbares Dokument und wird eine der feierlichsten Erklärungen der Menschenrechte bleiben. Es ist die höchste Bestätigung menschlicher Freiheit. Der Kernpunkt ist die Überzeugung, das die Überwältigung des Imperialismus grundlegend für die Verwirklichung einer Freiheit ist, die weit über den Irak hinaus reicht.

Nachfolgend werden wir untersuchen, wie der us-amerikanische Imperialismus durch seine eigene, widersprüchliche Politik geschwächt wird. Die astronomischen Kosten seiner Kriegsmaschine sind unkontrollierbar geworden, wie schon das Doppel-Defizit der USA anzeigt.

Der Militär-Moloch

Das Militär-Budget der USA für 2006 wächst ständig, und das Ausmaß dieses Wahnsinns kennt keine Grenzen. Ein Beispiel ist das Pentagon-Projekt für eine „unbesiegbare Roboter-Armee“. Billionen Dollars sollen in die Schaffung einer vollautomatischen Kampfgruppe investiert werden, die den unauffälligen Titel „Kampfsystem der Zukunft“ trägt. Es handelt sich um den größten militärischen Kontrakt in der Geschichte der USA. Das Ziel ist die Welteroberung. Wie General Gordon Johnson vom Oberkommando der bewaffneten Kräfte es zusammenfasste: „Lasst Euch daran erinnern, dass diese Roboter niemals hungrig werden. Sie haben keine Angst. Sie vergessen ihre Befehle nicht. Es kümmert sie nicht, wenn ihr Nachbar eben niedergeschossen wurde. Sie sind viel billiger. Und ja – sie leisten bessere Arbeit als Menschen.“ Dieser Marktschreier imperialistischer Warenangebote erinnert uns daran, dass die Roboter, angetrieben von Nanotechnologie (= Wissenschaft kleinster Strukturen), sich wie Menschen fortbewegen können oder wie Kolibris, wie Traktoren oder Panzer, wie Heimchen oder Zikaden.

Die Kosten für diese neuen Systeme werden vom Verteidigungsministerium für das Jahr 2010 mit rund 530 Mrd. US-Dollar angegeben. Gleichzeitig zehren aber die militärischen Schwierigkeiten der us-amerikanischen Expeditionstruppen an den finanziellen und produktiven Reserven des Imperialismus: massive Schuldenlasten, gleichzeitige Überakkumulation bei zu wenigen einträglichen Investitionsmöglichkeiten, Überproduktion und ungenutzte Produktionskapazitäten – es ist eine unabänderliche, systematische, fortlaufende und sich verschärfende Krise, die nicht wegargumentiert werden kann mit Hilfe frömmelnder und lügenhafter Versicherungen. Die imperialistische Wirtschaft segelt auf einem stürmischen Ozean der Schulden und hält sich parasitär am Leben mit Hilfe ausländischer Anleihen, vor allem finanziert von asiatischen Zentralbanken. Ende März 2005 betrug zudem die Inlandsverschuldung der USA 7,7 Billionen US-Dollar, etwas über 66 % des Nationalprodukts. Eine Zahl illustriert die nahende Katastrophe besonders deutlich: die Kennziffer des Handelsdefizits der USA. Der Wert der Einfuhren liegt um 66 % höher als der Erlös aus den Ausfuhren. Weitere Krisenzeichen: in den letzten 35 Jahren schrumpften die Arbeitsplätze in der Industrie von 33% auf weniger als 14% zusammen. Und die laufende Manipulation des Wechselkurses des US-Dollars kann das Defizit auf die Dauer auch nicht überbrücken. Wie wir also wiederholt feststellen, können die USA heute wohl kaum als führende Wirtschaftsmacht eingestuft werden, denn sie sind auf dem Weg zum Staatsbankrott.

Der Klassenkampf kann angesichts dieser aktuellen Situation nicht als gestriger, überlebter Industrie-Abfall abgetan werden. Im Laufe der letzten drei Jahre wuchsen die Löhne zehnmal langsamer als die Profite. Dieses Ergebnis kam zustande mit Hilfe solch klassischer Methoden wie Rationalisierung, aber auch durch Arbeitszeitverlängerungen, Lohnkürzungen – wie auch immer, es ist die alte Methode: Mehr Leistung für weniger Lohn.

Wie die New York Times vom 10. Juni 2005 schreibt, sind wirtschaftliche Stabilität und Sicherheit Dinge der Vergangenheit. Es braucht nicht viel, so etwa Krankheit oder Entlassung, um eine Familie aus der Mittelschicht in die Armut zu stürzen. Gleichzeitig werden die Reichen reicher: Die oberen 1 % der US-Amerikaner sahen ihr Einkommen verdoppelt, die oberen 0,1 % sogar verdreifacht.

Eines Tages werden Historiker die koloniale Aggression gegen den Irak als den Anfang des Zusammenbruchs der Weltmacht USA erkennen. Entsprechend der Hegelschen Philosophie der Geschichte sind die Ergebnisse menschlichen Handelns oft abweichend oder gegenteilig zu dem, was beabsichtigt wurde. So war es mit Hitlers Angriff auf die Sowjetunion, so ist es heute, sagt der ägyptische Schriftsteller Hosni El Shazli, mit der Aggression der USA gegen den Irak. Niemand konnte sich vorstellen, wie vereinsamt das Imperium nur zwei kurze Jahre nach der Verkündung des „Sieges“ ist. Bush steht allein da, eine verzweifelte, konfuse Gestalt. Und ein triumphierender George Galloway höhnt, dass Blairs Opfer ihn heimsuchen würden… Es ist nicht nur eine Anklage gegen den getreuen Schakal Bushs, sondern bezieht sich ebenfalls auf die bunte Auswahl der kolonialen Killer-Hilfstruppen, die „Koalition der Willigen“. Sie springen vom sinkenden Schiff des US-Imperialismus ab. Daher wird es nicht mehr lange dauern, bis sich diese Verbrecher vor einem Kriegsschuld-Tribunal verantworten müssen.

Das Ringen um die nationale Befreiung Iraks bedeutet, dass das Imperium nicht mehr im Stande ist, dem Ansturm des Neuen zu widerstehen, nicht nur nicht im Nahen Osten, sondern auch nicht anderswo. Dank der festgefahrenen Situation im Irak bleiben die Angriffspläne gegen Kuba und gegen Venezuela in den Schubladen des Pentagon liegen. Eine „zweite Front“ scheint für die USA zur Zeit nicht möglich zu sein. Und Kuba und Venezuela, die für ihre nationale Unabhängigkeit kämpfen, werden nicht unterliegen. Die Widerstandskämpfer im Irak haben aber dadurch aber nicht nur von diesen beiden Ländern den schärfsten Druck genommen, sie haben auch andere Invasionspläne der USA gestoppt: die US-Pläne zur Vernichtung des Iran und Nordkoreas. Nicht weniger wichtig ist, dass der Irakische Widerstand auch die Pläne zur Schaffung eines Groß-Israel, eines Super-Zionistenstaates, gestoppt hat.

Der Raub der riesigen Energievorräte des Irak ist bisher gescheitert, und gerade dies zeigt die verwundbare Stelle der us-amerikanischen Wirtschaft, die heute um ihr Überleben ringt mit geborgter Zeit und geborgtem Geld. Der US-Imperialismus ist ein Koloß auf tönernen Füßen, der keine Strategie siegreicher Kriege und auch keine Strategie des eigenen nationalen Überlebens entwickelt hat und sie auch nicht entwickeln kann.

Für den größten Teil der Menschheit ist das eine positive Entwicklung. Das Debakel des US-Imperialismus – militärisch, wirtschaftlich und ideologisch – hat die Schleusen geöffnet für den alles überwältigenden Ansturm anti-imperialistischer Fluten. Von diesem Standpunkt aus gesehen ist der Irakische Widerstand der Katalysator für den Zusammenbruch des imperialistischen Weltsystems geworden.

Frederic F. Clairmont, Genf; (Übersetzung: Vera Butler, Melbourne)

[2] Frederic F. Clairmont ist gebürtiger Kanadier, hat viele Jahre in der Wirtschaftskommission für Afrika und die UN-Konferenz für Handelsentwicklung gewirkt. Er hat in Kanada, im Kongo, in Schweden und in Indien unterrichtet und ist der Verfaser einer Reihe bedeutender Analysen zur Krise des Kapitalismus. Frederic F. Clairmont lebt zur Zeit in Genf und ist Mitarbeiter von „Le Monde diplomatique“. Vera Butler aus Melbourne war so freundlich, den Artikel für uns ins Deutsche zu übersetzen.