Planwirtschaft – auf der Höhe der Zeit

Helmut Dunkhase, Dieter Feuerstein:
Planwirtschaft – auf der Höhe der Zeit

Vorbemerkung der Redaktion offen-siv: Wir bringen hier den ersten Teil des Artikels, der sich mit den grundsätzlichen Entscheidungen beschäftigt. Im zweiten Teil geht es um Input-Output-Rechungen und das Buch von Cockshott und Cottrell: „Alternativen aus dem Rechner, …“ . Die dortigen Ausführungen sind sehr speziell und gehören eher in ein ökonomisches Fachmagazin als in unser Zeitschrift. Deshalb verzichten wir hier auf den Abdruck. Wer den kompletten Artikel lesen möchte, findet ihn unter: www.helmutdunkhase.de
(d. Red.)

Markt und Plan bilden einen Antagonismus. Zum Markt gehören untrennbar unabhängig, privat voneinander produzierende Produzenten, deren Zusammenhang durch den Tausch gestiftet wird. Der Tausch ist verbunden mit einem Händewechsel und in seiner Realisierung nehmen die Produkte die Form einer Ware an. Die gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeitquanten für die Produkte bestimmen sich im Nachhinein, gewaltsam. Das besorgt das hinter dem Rücken der Agierenden wirkende Wertgesetz.

Die duale Aussage dazu: Zum Plan gehören untrennbar abhängig voneinander produzierende Produzenten, deren Zusammenhang durch Kooperation gestiftet wird. Die Kooperation ist nicht mit einem Händewechsel verbunden und in Kooperation erzeugte Produkte nehmen nicht die Form einer Ware an. Die gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeitquanten stehen von vornherein fest.

Probleme der Planung in den realsozialistischen Ländern

Mit den ersten Fünfjahrplänen und dem Pioniergeist der Stalinzeit wurden gewaltige Erfolge erzielt. Doch mit zunehmender Differenzierung der Volkswirtschaft reichte eine vom Bruttooutput ausgehende Planung nicht mehr aus. Es musste nach Wegen gesucht werden, die eine rationellere Verteilung der Ressourcen und eine objektive Bewertung ökonomischer Vorgänge gewährleistet.

Bahnbrechend in dieser Hinsicht waren die Arbeiten des Mathematikers L.W. Kantorowitsch, die 1938 ihren Ausgang nahmen mit der praktischen Problemstellung, das beste Produktionsprogramm für die Auslastung von Schälmaschinen einer Leningrader Furnierholzfabrik zu finden und einen neuen Zweig der Mathematik begründeten: die Lineare Optimierung. Damit war der Typus einer Aufgabe gegeben, die „selbst nur entspringt, wo die materiellen Bedingungen ihrer Lösung schon vorhanden oder wenigstens im Prozess ihres Werdens begriffen sind“ (MEW 13, S.9). Die wissenschaftliche Behandlung der Frage, wie „optimaler Gebrauch von ökonomischen Ressourcen“[17] gemacht wird, stellt sich in einer Produktionsweise, in der der Blick immer auf das Ganze der Volkswirtschaft gerichtet ist, eher, dringlicher und vor allem umfassender als in einer Gesellschaft, in der das Verfolgen partikulärer Interessen im Mittelpunkt steht.

Während die sowjetische Wissenschaft – im wahrsten Sinne des Wortes – auf der Höhe der Zeit war und Weltmaßstäbe setzte, galt dies weniger für den politischideologischen Bereich. Neue Planungsideen hatten mit Widerständen zu kämpfen und noch die Kybernetik wurde anfangs als „bürgerliche Wissenschaft“ denunziert. So kam es, dass in den Elfenbeintürmen der wissenschaftlichen Institute wunderbare Modelle ausgebrütet wurden, während andererseits noch auf dem 21. Parteitag (1959) die schädlichen ökonomischen Auswirkungen der weiterhin verbreiteten „Tonnenideologie“ offenbar wurden.

Lösungsversuche gingen in die falsche Richtung: Die Liberman-Reformen setzten auf die Autonomie der Einzelbetriebe und deren Profite als entscheidende Kennziffer.

Es gab aber auch objektive Gründe dafür, dass die wissenschaftliche Beherrschung der Planwirtschaft nur rudimentär wirksam werden konnte. Lineare Optimierung, die durchgängig ins Auge gefasste Methode, um zu einer effektiveren Planung zu gelangen, zeitigte sicherlich bedeutende Erfolge bei der Materialausnutzung auf betrieblicher Ebene oder bei bestimmten Aspekten der volkswirtschaftlichen Planung wie der Optimierung von Transportwegen. Aber die Anforderungen an die Industrieplanung einer gesamten Volkswirtschaft kontrastierten nicht nur mit der damals vorhandenen rechentechnischen Basis (und wurden auf dieser Ebene auch nicht ins Auge gefasst), sondern auch mit der durch die Komplexität (im präzisen algorithmischen Wortsinn) gesetzten objektiven Grenzen. Hinzu kam noch das Problem des Mangels bzw. der schlechten Qualität von Daten.[18]

Es ist davon auszugehen, dass die beschriebenen Probleme der Planrealisierung die Diskussionen über Warenproduktion im Sozialismus/Kommunismus befördert haben. Marx hat bekanntlich große Mühen darauf verwendet, die historische Begrenztheit der Wertform zu zeigen, und es gibt wohl nur eine einzige Stelle, in der Marx von Wert – genauer: Wertbestimmung, nicht Wertform! Im Zusammenhang einer kommunistischen Gesellschaft spricht. (MEW 25, S.859) Hatte Stalin 1952 noch auf dem Übergangscharakter der Warenproduktion beharrt und darauf verwiesen, dass ihre Aufhebung eigentlich nur an den unterschiedlichen Eigentumsformen in Industrie und Landwirtschaft hapere[19], sprach Ulbricht vom Sozialismus als einer „relativ selbstständigen sozialökonomischen Formation“, in der „Warenproduktion, Wertgesetz, Preis und Gewinn […] auf ihrer eigenen Grundlage“ wirken.[20] Die Notwendigkeit der Warenproduktion im Sozialismus wurde nicht mehr abgeleitet aus der Existenz verschiedener Eigentumsformen, sondern aus dem Stand der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, dem Charakter der Arbeit und dem Entwicklungsstand des gesellschaftlichen Bewusstseins[21]. Das Wertgesetz wurde quasi offiziell zu einem Gesetz des Sozialismus erklärt.[22] Damit gerät man aber in ein Dilemma, wenn man gleichzeitig vom Plan nicht lassen will. Denn das Wirken des Wertgesetzes ist untrennbar verbunden mit der Existenz unabhängig voneinander produzierenden Produzenten, deren Produkte im Tausch auf dem Markt gesellschaftlich bewertet werden, während der Plan im Gegensatz dazu durch Kooperation miteinander verbundene, voneinander abhängige Produzenten voraussetzt. Je mehr Plan, desto weniger Wertgesetz und umgekehrt. Dieses Dilemma zeigt sich am deutlichsten in der Festlegung von Preisen. Über absurde Preisrelationen gab es bekanntlich viele Geschichten zu erzählen.

Versuche, wie etwa – im Zusammenhang des „Neuen Ökonomischen Systems“ einen neuartigen „sozialistischen Preistyp“[23]7 zu definieren, führten nicht weiter. Nachdem zunächst (S.391) mehrmals hin und her gesprungen wird in der Versicherung, dass der Preis den Wert zur Grundlage habe, andererseits aber auch planmäßig zu Stande käme, ohne dass in irgendeiner Weise auf den Punkt gebracht wird, wie der Preis denn nun bestimmt wird, wird schließlich ein „Prozess der Annäherung des Preises an den Wert“ beschrieben, der auf den guten, alten Kostpreis hinausläuft – nur dass man ihn in der Planwirtschaft nicht bestimmen kann! Dieser gedankliche Wirrwarr ist nur als eine Folge des unbegriffenen Antagonismus von Plan und Markt zu erklären und trug dazu bei, dass sich so weder die (zerstörerische) Dynamik einer kapitalistischen Marktwirtschaft wiederherstellen noch sich die Vorzüge einer sozialistischen Planwirtschaft entfalten konnte.

Man muss sich entscheiden: Entweder der Preis wird durch das Wertgesetz bestimmt, dann braucht man unabhängige Produzenten und einen freien Markt; oder aber – wenn man sich für den Plan entscheidet – durch direkte Messung des gesellschaftlichen Aufwands. Dazu kommt nur die Arbeitszeitrechnung in Frage.

Helmut Dunkhase, Berlin

  • [17] Leonid W. Kantorowitsch, The best use of economic resources, Pergamon Press Oxford, 1965, ist die Zusammenfassung der Arbeiten des Autors auf diesem Gebiet seit ihrem Beginn 1938 an der Leningrader Universität.
  • [18] Ebd. S.139
  • [19] Stalin, Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR, Dietz Verlag Berlin, 1952, S.17
  • [20] Walter Ulbricht, Zum ökonomischen System des Sozialismus in der DDR, Bd.2, Berlin 1968, S.530
  • [21] Politische Ökonomie des Sozialismus und ihre Anwendung in der DDR, Berlin, 1969, S.264
  • [22] Ebd. S. 390
  • [23] Ebd. S. 391