Vera Richter, Michael Götze:
Was soll der Antrag der zehn?
Dem 18. Parteitag der DKP liegen zwei Anträge zur weiteren Arbeit der Partei in der kommenden Legislaturperiode vor. Die „Arbeitsvorhaben 2008/2009″ des Parteivorstandes und eine „Handlungsorientierung” von zehn Mitgliedern des Parteivorstandes, der sogenannte „Antrag der zehn”.
Die Verfasser der „Handlungsorientierung” sind im Parteivorstand (PV) mehrfach aufgefordert worden, „ihre Konzepte und Pläne” endlich auf den Tisch zu legen. Dabei wurde stets suggeriert: ihr wollt eine andere Partei. Was nun auf dem Tisch liegt, ist nicht neu. Es ist das, was wir im Parteivorstand wiederholt diskutiert haben. Auch bei der Diskussion über die „Arbeitsvorhaben 2008/2009″, die im Schnellverfahren stattfand und in einer Abstimmung per Mail endete. Der UZ, Zeitung der DKP, waren die kontroversen Debatten in der Berichterstattung über PV-Tagungen nie eine Erwähnung wert. In der UZ-Auswertung zur 13. PV-Tagung konnten wir dann lesen, dass Parteivorstandsmitglieder wegen der „Handlungsorientierung” Besorgnis geäußert hätten, dass die DKP durch interne Auseinandersetzungen erneut geschwächt werden könnte. Es sei auch inhaltlicher Widerspruch gegen den „Antrag der zehn” formuliert worden: der Antrag würde „den programmatischen und allgemein-politischen Diskussionen sowie Beschlüssen des Parteivorstandes zuwiderlaufen”. Der Parteitag rückt näher, die Vorwürfe der Spaltung schlagen ein. Es wäre interessant gewesen, zu lesen, an welchen Stellen die „Handlungsorientierung” gegen Beschlusslagen und Parteiprogramm verstößt.
Die vorliegenden Papiere verdeutlichen, dass es in der Partei unterschiedliche Positionen hinsichtlich des Charakters der DKP, ihrer spezifischen Aufgaben und ihrer Handlungsfelder gibt. Wir sind der Meinung, dass die Diskussion um die Positionen in Vorbereitung und auf dem Parteitag offen und ehrlich geführt werden muss und dass diese Debatte zur Stärkung der Partei beitragen kann. Das weitere Deckeln der inhaltlichen Diskussion wäre in der Tat eine Schwächung.
Was macht den Charakter und die Eigenständigkeit der Kommunistischen Partei aus?
Die „Arbeitsvorhaben 2008/2009″ formulieren: „Unter diesen (den heutigen) Bedingungen muss die DKP durch ihre theoretische Arbeit und ihr politisches Handeln ihre gesellschaftliche Notwendigkeit und Nützlichkeit für die arbeitende Klasse und die Bewegungen nachweisen. Die Aufgabe der DKP liegt weniger darin, ‘radikalere und weitergehende Forderungen’ als die anderen Teile der gesellschaftlichen und politischen Linken zu stellen, sondern in der Erarbeitung politischer Strategien zur Entwicklung von Widerstand und der Durchsetzung progressiver Reformen sowie der Förderung der dafür notwendigen Kämpfe.”
Im Gegensatz dazu gehen die Verfasser der „Handlungsorientierung” sehr wohl davon aus, dass es Aufgabe von Kommunistinnen und Kommunisten ist, „radikalere und weitergehende Forderungen” zur Diskussion zu stellen und für sie zu werben. Wir gehen davon aus, dass sich wirksamer Widerstand nur durch das Schaffen von Klassenbewusstsein entwickeln lässt und das eben darin die spezifische Aufgabe der Kommunisten besteht. In der „Handlungsorientierung” heißt es deshalb: „Revolutionäre Politik in nichtrevolutionären Zeiten heißt vor allem, jedes fortschrittliche Interesse aufzugreifen und gemeinsam mit den Betroffenen Widerstand für die Durchsetzung dieser Interessen zu entwickeln. Das gilt auch für Abwehrkämpfe. Dabei gilt es zu verdeutlichen, dass es sich bei den Angriffen auf unsere Rechte nicht um einzelne Aktionen handelt, sondern dass sie Ergebnisse des Grundwiderspruchs unserer Gesellschaft, des Grundwiderspruchs zwischen Kapital und Arbeit sind. So kann in diesen Kämpfen Klassenbewusstsein entstehen.”
In den großen und kleinen Kämpfen den Grundwiderspruch zwischen Kapital und Arbeit herauszuarbeiten und die Frage des Eigentums in den Mittelpunkt zu rücken, bedeutet eben „radikalere und weitergehende Forderungen” in die Bewegung zu tragen, sie dort zu diskutieren und Menschen dafür zu gewinnen. Das ist die Aufgabe der Kommunistischen Partei, die ihr weder die Linkspartei noch antikapitalistische Kräfte in der so genannten globalisierungskritischen Bewegung abnehmen. Das hat nichts mit Arroganz oder erhobenem Zeigefinger zu tun, sondern es entspricht unserer Weltanschauung. Es hat auch nichts mit Sektierertum gegenüber der Linkspartei und den Bewegungen zu tun, die in vielen Fragen Bündnispartner sind.
Wo arbeiten und kämpfen wir in erster Linie?
Die „Arbeitsvorhaben 2008/2009″ und die „Handlungsorientierung” unterscheiden sich zweitens im Bezugsrahmen für unser Handeln – sowohl territorial als auch was die Adressaten unserer Politik angeht. In den „Arbeitsvorhaben 2008/2009″ lesen wir: „Die Wiederherstellung des nationalen ‘Sozialstaates’ ist aussichtslos und nicht Ziel unseres politischen Handelns.” Davon abgesehen, dass auch die Antragsteller der „Handlungsorientierung” keine Illusionen über den Sozialstaat haben, geht es darum, wo und mit wem der Widerstand in erster Linie zu entwickeln ist. Ist der Rahmen in erster Linie in diesem Land, in den Betrieben vor der Haustür oder den Konflikten im Wohngebiet oder lässt sich Widerstand nur erfolgreich „entlang der transnationalen Konzernketten” formieren? Dass es sich bei dieser Formulierung in den „Arbeitsvorhaben 2008/2009″ nicht um einen Fauxpas handelt, zeigt sich unter anderem an der Stelle, wo zur stärkeren Zusammenarbeit mit der sogenannten globalisierungskritischen Bewegung aufgerufen wird, die „mobilisierungsfähig ist, die öffentliche Debatte stark beeinflusst und jugendgemäße Aktionsformen entwickelt”. Ihre „Stärke”, heißt es da, bestehe unter anderem darin, „dass sie Felder bearbeitet, die von den Gewerkschaften bisher vernachlässigt werden, weil diese nach wie vor weitgehend in der Interessenvertretung in nationalstaatlichem Rahmen verfangen sind”. Nicht überraschend ist da die Zuneigung zur Europäischen Linkspartei (EL). Obwohl die DKP dort “nur” einen Beobachterstatus hat, lasen wir von Leo Mayer auf der Titelseite der UZ vom 21.12.07 bereits, die DKP sei Teil der EL. Heinz Stehr, Vorsitzender der DKP, formulierte in der jungen Welt, dass es darum gehe, das Maß an politischer Übereinstimmung auf der Grundlage der beschlossenen Politik der Europäischen Linkspartei zu diskutieren. Lothar Bisky, zum Führungspersonal dort gehörend, formulierte hingegen in der JW (23.11.07) eine Absicht der EL so: “Die Europäische Linkspartei, das Kerneuropa der Linken, bedeutet einen qualitativ neuen Schritt im Anpassungsprozess politischer Kräfte in der EU, die ihren Ursprung in der revolutionären Arbeiterbewegung haben, hin zum Linkssozialismus”. Andere Parteien wie die KKE oder PCP beteiligen sich nicht an der EL. Auch die DKP sollte sich einen anderen Schwerpunkt setzen.
Die Verfasser der „Handlungsorientierung” gehen nach wie vor davon aus, dass es zunächst und in erster Linie darum gehen muss, in diesem Land in der Arbeiterklasse zu wirken, sich wieder in ihr zu verankern und Klassenbewusstsein zu entwickeln. So wie es die Aufgabe der Kommunistischen Parteien, Bewegungen und Belegschaften in anderen Ländern ist, dort den Widerstand zu entwickeln. Erst wenn das geschieht, ist ein Austausch fruchtbar, lassen sich Erfahrungen auswerten, Kräfte bündeln und gemeinsame Kämpfe führen.
Wie und mit wem lässt sich der Widerstand in diesem Land entwickeln?
Die Verfasser der „Handlungsorientierung” formulieren: „Für die Entwicklung des Widerstandes, den Aufbau von Gegenmacht und die Veränderung des gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses sind die Belegschaften der großen Betriebe und Verwaltungen sowie ihre Interessenvertretungen, die Gewerkschaften, von zentraler Bedeutung. …Neben den Betrieben sind die vielfältigen Widersprüche, die das kapitalistische System produziert, am stärksten in den Kommunen spürbar. Deshalb ist die Politik in den Kommunen das zweite Standbein unserer Arbeiterpolitik.” Eine ganz ähnliche Passage findet sich auch in den „Arbeitsvorhaben 2008/2009″, aber die Schlussfolgerungen sind andere. Während die „Arbeitsvorhaben 2008/2009″ erneut den Markt der Möglichkeiten für die Parteigliederungen eröffnen, schlägt die „Handlungsorientierung” eine klare Konzentration auf unsere beiden Standbeine Betriebs- und Gewerkschaftspolitik sowie Kommunalpolitik vor – und zwar auf allen Ebenen.
Wenn es um die Entwicklung von Klassenbewusstsein geht, geht es um die Verankerung in der Klasse und nicht in der Bewegung. Es geht um die Verankerung in Betrieben und Belegschaften, in Initiativen in den Städten und Stadtteilen, die für soziale Verbesserungen streiten. Von beidem sind wir weit entfernt. Wenn wir die Aufgabe ernst nehmen, kommt ein hartes Stück Arbeit auf uns zu, die Zeit in Anspruch nehmen wird. Klar ist aber, dass wir durch Lippenbekenntnisse, dass es theoretisch wichtig und richtig und eigentlich nötig wäre, nicht weiter kommen. Auch nicht dadurch, dass wir uns betuppen und Betriebsgruppen aufzählen, die real nicht mehr existieren. Die „Handlungsorientierung” schlägt vor, die Aufgabe anzugehen, anstatt uns weiter allein in die vorhandene Bewegung zu stürzen und hier und da die rote Fahne zu zeigen. Dazu brauchen wir eine organisationspolitische Diskussion um Aufgaben und Arbeitsweise der Partei.
Eine wesentliche Schwäche der „Arbeitsvorhaben 2008/2009″ ist, dass sie den Zustand der Partei nicht berücksichtigen. Wir haben es mit einem drastischen Zerfall unserer Organisationsstrukturen zu tun. Nur noch ein Drittel der Grundorganisationen arbeitet mit Vorständen, nur die Hälfte führt regelmäßig Bildungsabende durch. Das ist keine Schwarzmalerei, sondern das sind Ergebnisse der Mitgliedsbuchneuausgabe. Im Referat der 8. PV-Tagung „zu den politischen Herausforderungen und den Aufgaben der DKP” wurde unter anderem festgestellt, „dass nur ein Drittel unserer Mitglieder regelmäßig monatlich über die Politik diskutiert und sich verständigt”. Die Schlussfolgerung in dem Referat hieß: „Bei dieser Bilanz dürfen wir nicht zur Tagesordnung übergehen.” Die „Arbeitsvorhaben 2008/2009″ tun aber genau das.
Die „Handlungsorientierung” richtet den Blick auf die eigene Organisation. Wir müssen doch zur Kenntnis nehmen, dass wir eine kleine Partei geworden sind und schon deshalb nicht auf allen Baustellen tanzen können. Wir müssen uns reorganisieren, neue Ausstrahlung gewinnen und durch konzentrierte, aber vernünftige Arbeit auch wieder Mitglieder gewinnen. Die „Handlungsorientierung” schlägt vor, wieder organisiert an die Arbeit vor und in Betrieben und in den Stadtteilen zu gehen. Organisiert heißt, mit der Unterstützung der Zentrale und der Bezirksleitungen. Sie schlägt vor, mit dieser inhaltlichen Ausrichtung die Grundorganisationen zu stabilisieren und ihre Anzahl zu erhöhen, die Anzahl der Betriebs- und Stadtteilzeitungen zu erhöhen und gemeinsame Kampagnen anzugehen. All das mag in vielem noch zu unkonkret sein, aber es wäre ein guter Anfang, um darauf aufzubauen. Wir brauchen die Diskussion um unsere Organisation und die Arbeit und Stärkung unserer wichtigsten Gliederungen, der Parteigruppen. Diese Debatte als Nabelschau oder Sektierertum zu bezeichnen, wie im Parteivorstand geschehen, verkennt die Problemlage. Die Alternative ist das Treiben in oder noch schlimmer das Hinterherlaufen hinter der Bewegung. Dazu brauchen wir keine Kommunistische Partei.
Vera Richter, Michael Götze