Wir glauben nicht, dass der „Stein der Weisen“bereits gefunden ist

Waltraud Stiefsohn, KPÖ:
Wir glauben nicht, dass der „Stein der Weisen“bereits gefunden ist

Liebe GenossInnen, angesichts der Krise des neoliberalen Kapitalismus und einer Welt, die von Ausbeutung und imperialistischen Aggressionen zerrissen ist, gibt es nicht zu viel, sondern zu wenig Dialog und gemeinsame Aktion unter uns.

Es ist kein Geheminis, dass unter den Linken in Europa unterschiedliche Auffassungen über Inhalte und Methoden der Zusammenarbeit bestehen. Das ist angesichts einer pluralen Welt, in der jedeR auch unterschiedliche Erfahrungen sammelt, nicht erstaunlich. Ich sehe das nicht als Schaden, sondern es kann sogar ein positiver Faktor sein.

Wie Ihr wisst, zählt die Kommunistische Partei Österreichs zu den GründerInnen der Europäischen Linkspartei. Das Hauptargument jener Parteien, die diesen Schritt setzten, lautete: Die internationale Offensive des Neoliberalismus fordert die Erneuerung der gemeinsamen politischen Aktion jener Kräfte heraus, deren politisches Programm auf die Überwindung des Kapitalismus zielt. Gemeinsame Aktion erfordert aber auch Räume und einen gemeinsamen strukturellen Rahmens für Debatte. Unsere Meinung, die man teilen kann oder auch nicht, ist: Die heute nötigen Alternativen zum neoliberalen Kapitalismus lassen sich nicht aus der Tradition und der Kultur ausschließlich einer einzigen Strömung der Linken heraus begründen. Daher ist notwendig, dass ein gemeinsamer Rahmen unterschiedliche Erfahrungen, Strömungen und Kulturen vereinigen kann und pluralistisch funktioniert.

Bei allem Respekt, den wir unseren größeren Schwesterparteien entgegenbringen, glauben wir nicht, dass der “Stein der Weisen” bereits gefunden ist. Vielmehr meinen wir, dass wir uns alle immer noch auf dem Weg des Sammelns jener Erfahrungen befinden, die durch kollektive Anstrengungen zu einer angemessenen Strategie der Überwindung kapitalistischer und patriarchaler Strukturen verallgemeinert werden müssen. Das beinhaltet auch die Überwindung überkommener Vorstellungen des Inhalts und der Methodik der internationalen Zusammenarbeit.

In diesem Zusammenhang wurden Befürchtungen und bisweilen denunziatorischen Unterstellungen gegenüber dem Projekt der Europäischen Linken geäußert. Ich möchte sie benennen. Wie bereits erwähnt, zählt unsere Partei trotz einiger Erfolge zu den kleinen Kommunistischen Parteien in Europa, und wir sind auch nicht im Europaparlament vertreten. Wie sollen wir also verstehen, dass einzelne die EL als Ganzes und ihre Mitgliedsparteien als Revisionisten und Handlanger des EU-Kapitals bezeichnen, während sie im Europa-Parlament mit ihnen innerhalb der GUE-Fraktion – offenbar gut – zusammenarbeiten? Trifft nicht zu, dass sich die EL als die einzige Europäische Partei erweist, die international koordiniert gegen den neoliberalen Verfassungsvertrag kämpfte? Erwies sich die Kommunistische Partei Frankreichs nicht als eine maßgebliche Kraft in der Bewegung für das progressive Nein zur EU-Verfassung? Sind die Verdächtigungen die ausgesprochen werden, also berechtigt? Sehen so Handlangerdienste aus?

Behauptet wird auch, die EL vertiefe die Spaltung in der Linken. Soweit wir das beurteilen können, ist dies nicht zutreffend. Parteien der EL, wie die PDS, haben sich im nationalen Rahmen mit anderen Linken verbunden, neue Mitglieds- und Beoberachterparteien sind der EL beigetreten, sodass sie heute einen weithin anerkanntem Referenzpunkt der Linken auf unserem Kontinent darstellt. Das drückte sich auch auf dem Ersten Kongress der Europäischen Linken vor wenigen Wochen aus.

Die Parteien, die Mitglieder oder Beobachterinnen der EL sind, haben dafür ihre Gründe. Es wäre gut, diese Gründe ernst zu nehmen und zu respektieren. Diejenigen Parteien, die es nicht sind, haben ebenfalls wohl erwogene Gründe. Berechtigt uns das zu wechselseitiger Polemik? Umgekehrt: Weshalb sollte uns eine Meinungsverschiedenheit im Hinblick auf die EL daran hindern, unsere jeweiligen Motive zu respektieren, pragmatisch zusammenzuarbeiten und sachliche Meinungsunterschiede solidarisch zu diskutieren? Wir sollten aus der Vergangenheit gelernt haben. Die Türen zu verschliessen, gemeinsame Aktivitäten zu verunmöglichen, wäre der falsche Weg.

Liebe Genossinnen und Genossen, die Krise des neoliberalen Kapitalismus, die sich auf unserem Kontinent zu einer Krise des Integrationsmodells der EU verdichtet, stellt eine ungeheure Gefahr dar. Darin besteht aber auch die Herausforderung für die Erneuerung der Linken Sogar in unserem kleinen Land wachsen die Möglichkeiten, einen politischen Raum links von Sozialdemokraten und Grünen zu schaffen und durch eine konsequente Politik zu besetzen. Vertiefen wir den Dialog in Solidarität und Respekt für die Autonomie der von den einzelnen Parteien getroffenen Entscheidungen.

Ich bedanke mich bei der KKE für die Einladung und die Möglichkeit unsere Sichtweise darzustellen.

Waltraud Stiefsohn, KPÖ