Die Wahrheit über die Grenze – Das Bekenntnis des Chefs der Grenztruppen der DDR.

Erich Buchholz:
Die Wahrheit über die Grenze – Das Bekenntnis des Chefs
der Grenztruppen der DDR.

Mit dieser Autobiografie – einem wahrhaften Bekenntnis – hinterlässt der langjährige Chef der Grenztruppen der DDR (von 1979 bis 1990) eine umfassende Darstellung des Grenzdienstes der DDR.

Chef wurde er, nachdem er, statt den Lehrstuhl für die Ausbildung von Kommandeuren der Grenztruppen in Dresden aufzubauen, zum 1. Stellvertreter des Chefs der Grenztruppen ernannt worden war und dann ein Studium an der Akademie des Generalstabs der Streitkräfte der UdSSR in Moskau absolviert hatte.

Sein Lebensweg ist typisch für unsere Generation: aus erlebtem Krieg (Luftangriffe und Bombeneinschläge; sein zur Wehrmacht eingezogener Vater hatte 1944 in Jugoslawien unter dem Druck des Erlebten Selbstmord begangen) und Hitlerfaschismus (so die lebensgefährliche Ausbeutung von KZ-Häftlingen aus Buchenwald in der nach Nordhausen verlegten Produktion der V 2) zog auch er die Schlussfolgerung, nie wieder Krieg, nie wieder Faschismus! Auch die Biografie des Autors ist typisch für viele DDR-Bürger, denen in der DDR eine beispiellose Möglichkeit und Lebensperspektive eröffnet worden war: vom Dorfschüler zum General! Auch in seiner Biografie spiegelt sich, wie bei ähnlichen Biografien, die Weltgeschichte der letzten mehr als 60 Jahre wider.

Im Einklang mit dem Potsdamer Abkommen erstrebten wir in Ost und West mit all unseren Kräften ein antifaschistisches, friedliebendes und demokratisches Deutschland aufzubauen, von dem nie wieder Krieg ausgehen würde.

Der notorische Antikommunismus und Antisowjetismus der USA-Administration und der Adenauer-Leute stellte sich durch eine separate Staatsbildung in Westdeutschland und die Integration des Weststaates mit seiner absichtsvoll erhaltenen militärischen Potenz in die NATO dem durch das Potsdamer Abkommen für das deutsche Volk eröffneten Weg entgegen. Mehr noch: die als notwendige Antwort auf die separate Staatsbildung gegründete DDR wurde – wie der Autor anschaulich vermittelt – durch die Militarisierung Westdeutschlands entgegen ihren eigenen, auf Frieden gerichteten Plänen und Vorhaben genötigt, zu ihrer Verteidigung Streitkräfte zu schaffen und sich mit anderen sozialistischen Ländern im Warschauer Pakt zusammenzuschließen. Insbesondere bedurfte es, wie der Autor an zahlreichen Beispielen überzeugend darlegt, einer gehörigen Kontrolle und Sicherung der westlichen Staatsgrenze der DDR zur remilitarisierten BRD vor deren feindseligen Anschlägen, die – offen verkündet – in der Gründung der DDR eine hochverräterische Abspaltung vom deutschen „Kernland“, der BRD, sah und die sie von Anfang als ihr politisches Hauptziel wieder „heimzuholen“ erstrebte.

All das reflektiert der Autor an seinem persönlichen Lebensweg. Deshalb wurde er 1948 Volkspolizist und 1957 Grenzer.

Als Strafrechtswissenschaftler gehörte die Tätigkeit der Grenztruppen der DDR nicht zu meinem wissenschaftlichen Arbeitsgebiet. Mit deren Wirken wurde ich erst nach 1990 als Strafverteidiger in Strafprozessen gegen Angehörige der Grenztruppen der DDR, vornehmlich junger einfacher Grenzsoldaten, bekannt; näheres erfuhr ich durch anwaltliche Akteneinsicht in verschiedene, damals geheime Dokumente, Berichte und andere Informationen über die DDR-Grenztruppen. Deshalb war für mich das „Bekenntnis“ des Chefs der Grenztruppen eine wertvolle sachkundige Bereicherung all dessen, was ich zuvor als Strafverteidiger erfahren hatte – auch als Bestätigung des Wahrheitsgehalts seines Bekenntnisses.

Die Biografie eröffnet Einblicke in die Strukturen und Entscheidungen der Führungsorgane der Grenztruppen und des Ministeriums für Nationale Verteidigung.

Mich beeindruckt, dass dieser Militär mit seinen Emotion nicht zurückhält, besonders was die enorme körperliche und psychische Belastung der Grenzsoldaten betrifft, die die politische und militärische Führung der DDR in Erfüllung des Verfassungsauftrages des Artikels 7 der durch Volksentscheid angenommen Verfassung der DDR, die Unverletzlichkeit der Grenzen jederzeit zu gewährleisten, ihnen auferlegen musste. Ihn bewegen sehr die von den Grenzsoldaten gebrachten Opfer, so die von westlicher Seite oder durch Verrat ermordeten Grenzer, von denen heute niemand mehr spricht.

Auch denkt er an die Grenzverletzer, die in selbstmörderischer Weise unter Missachtung von Warnungen und Androhung des Schusswaffengebrauchs, teilweise außerordentlich hartnäckig, sich selbst in Lebensgefahr gebracht hatten, die durch ihr Verhalten den Schusswaffengebrauch der Grenzsoldaten mit Verletzungen, auch tödlichen, ausgelöst und dadurch diesen jungen Männern zugemutet hatten, zur Waffe zu greifen, auf Menschen zu zielen.

Das Menschenleben ist für ihn das höchste Gut.

Allerdings kann der Autor bekräftigen, dass in 96% aller versuchten „Grenzdurchbrüche“ die Grenzverletzter ohne Einsatz der Schusswaffe, vielfach bereits im Vorfeld, festgenommen werden konnten. Allein diese Tatsache bestätigt, dass es nicht darum ging, Grenzverletzer zu töten, sondern sie festzunehmen – nicht zuletzt, um die Umstände, Hintergründe und Motive solcher Unternehmen aufzuklären.

Er spart auch nicht aus, wie er als Chef der Grenztruppen im Jahr 1984 durch die Medien von der – eigenwilligen – Erklärung Erich Honeckers erfuhr, dass die DDR die Minen abbaue. Noch mehr empört ihn die gedankenlos-leichtfertige – oder gar absichtsvoll-verräterische – Freigabe der Grenzen durch Schabowski am 9.11.1989, was die Gefahr eines Blutbads an den Grenzen herauf beschwor.

Er würdigt, wie die Grenzsoldaten der DDR gerade in dieser Nacht vom 9. zum 10. 11.1989 beispiellos verantwortungsbewusst gegenüber den Bürgern ihres Staates gehandelt und trotz massenhaften Ansturms auf die Staatsgrenze an keiner Stelle von der Schusswaffe Gebrauch gemacht hatten.

Die Grenztruppen der DDR standen – nächst dem MfS – seit eh und je im Visier des Gegners und unterlagen einem entsprechenden medialen Trommelfeuer. Dazu gehört jene bösartige Äußerung des ARD-Korrespondenten Loewe, dass die Grenzsoldaten auf der Lauer lägen, um auf Flüchtlinge „wie auf Hasen zu schießen“! Das ist nicht nur eine grobe Lüge, sondern kommt einer Volksverhetzung (§ 130 StGB/BRD) nahe, darauf gerichtet, Hass gegen die Angehörigen der DDR-Grenztruppen zu entfachen.

Demgegenüber macht der Autor die Wahrheit deutlich und beweist an vielen Beispielen, dass die Grenzer aus dem Staatsvolk der DDR kamen und mit persönlichen und familiären Verbindungen integrierter Teil dieses Staatsvolks waren. Sie waren keine blutrünstigen „Killer“, wie dies in westlichen Medien verbreitet wurde und wird, sondern einfache junge Männer, die darauf hofften, ihre – nun einmal notwendige – Dienstzeit an der Grenze ohne „besondere Vorkommnisse“, ohne von der Schusswaffe Gebrauch machen zu müssen, mit „weißen Handschuhen“ absolvieren zu können. Als Strafverteidiger habe ich persönlich diese Denkweise bei den von mir verteidigten Grenzsoldaten unmittelbar erlebt.

Bei dieser Biografie überrascht es nicht, dass der Autor mit zu den ersten gehört, die nach dem „Anschluss“ (Beitritt per 3.10.1990) von bundesdeutschen Fahndern mit sinnloser Hausdurchsuchung (denn einen Schießbefehl konnten sie nicht finden, weil es keinen gab) und Staatsanwälten strafrechtlich verfolgt wurden.

Der Autor veranschaulicht seine rechtsstaatswidrige Vorverurteilung, besonders durch die Medien, und die Stationen seines Strafverfahrens: Er veranschaulicht, wie eine bundesdeutsche Siegerjustiz mit den ehemaligen DDR-Grenzsoldaten, und ihren Vorgesetzten sowie mit dem nach dem Einigungsvertrag anzuwendenden DDR-Recht umging. Die Wahrhaftigkeit seiner Aussagen ist für mich aufgrund eigener Erfahrungen als Strafverteidiger über jeden Zweifel erhaben.

Nachdem die 29. Große Strafkammer des Landgerichts Berlin entgegen dem Antrag der Staatsanwaltschaft gegen den Autor keinen Haftbefehl erließ, ging diese zum Kammergericht, wo zwar ein Haftbefehl erlassen, aber dessen Vollzug unter den üblichen Auflagen, so der polizeilichen Meldepflicht, außer Vollzug gesetzt wurde.

Da die zahllosen von der Staatsanwaltschaft eingeleiteten Strafverfahren gegen Hoheitsträger der DDR die Berliner Justiz heillos überlastete und deshalb auch bei Baumgarten trotz Anklageerhebung wegen „Totschlags“ in 19 Fällen (mit 40.000 Seiten „Beweismitteln”) das gerichtliche Verfahren nicht alsbald eröffnet werden konnte, wurde gerade für dieses Verfahren in Gestalt der 36. Großen Strafkammer (Schwurgerichtskammer) mit Richter Karl-Friedrich Föhrig als Vorsitzendem ein zusätzlicher Spruchkörper eingerichtet (es ist schon zu fragen, ob solche Schaffung einer besonderen Strafkammer noch dem verfassungsrechtlichen Gebot des gesetzlichen Richters entspricht).

Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbandes, Oberst Dr. Gertz, selbst Jurist, hatte zu der Anklage gegen den Autor gemeint, ihr sei kein Erfolg beschieden. Offenbar kannte er die politische Strafjustiz seines Staats nicht! Aufgrund dominanter DDR-Feindlichkeit und des vorherrschenden Antikommunismus – worauf der Westberliner Professor Uwe Wesel hinweist – verdrehte und entstellte die bundesdeutsche Justiz auch in diesem Fall das DDR-Recht nach bundesdeutschen Rechtsvorstellungen, sodass zahlreiche Unrechtsurteile ergingen – so auch gegen Baumgarten.

Die Verurteilung des Autors zu 6 1/2 Jahren am 40. Verhandlungstag am 10. September 1996 im Schwurgerichtssaal der Kriminalgerichts, im Saal 500, der mehreren DDR-Bürgern nicht fremd ist, gehört zu den schwersten Freiheitsstrafen, die die DDR-feindliche Justiz bei DDR-Hoheitsträgern verhängte.

Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung publik machte, hatte Föhrig in der mündlichen Urteilsbegründung erklärt: „Wir wollten verurteilen und wir haben verurteilt!“ Damit hat diese Richter öffentlich die rechtsstaatliche Tarnung dieser Prozesse heruntergerissen und die DDR-feindliche Strafjustiz der BRD nackt, in ihrer politischen Wirklichkeit vor Augen geführt.

Aus der Geschichte ist geläufig, dass der Geradlinigkeit des besiegten Militärs überwiegend Achtung gezollt wird. Das gilt jedoch nicht, wenn es gegen die DDR und ihre Repräsentanten geht: die Geradlinigkeit des Autors vor Gericht bewirkte bei dem extrem DDR-feindlichen Richter Föhrig eine Strafschärfung. Eigentlich hätte elfmal lebenslänglich ausgesprochen werden müssen, erklärte dieser in seiner mündlichen Urteilsbegründung. Da aber der militärische Vorgesetzte des Angeklagten, der Verteidigungsminister der DDR, Heinz Kessler, „nur“ zu 7 1/2 Jahren verurteilt worden war, sei die Schwurgerichtkammer genötigt gewesen, unter diesem Strafmaß bleiben!

Für mich als Strafverteidiger ist die Darstellung seiner Erlebnisse in seinem Strafverfahren nachvollziehbar, was seine Wahrhaftigkeit bestätigt. Dazu gehört auch die von ihm ebenso wie von vielen andern Angeklagten erlebte Solidarität seiner Mitstreiter und vieler DDR-Bürger. Auch erfuhr er, dass einige Mitarbeiter der Westberliner Justiz, einschließlich der Hafteinrichtungen, sich von der gegen DDR-Hoheitsträger praktizierten Siegerjustiz – zumindest innerlich – distanzierten.

Bis zum letzten Atemzug sah sich der DDR-General in der Pflicht, wahrheitsgemäß darzustellen, wie es wirklich in der DDR und insbesondere bei den Grenztruppen der DDR zugegangen war.

Damit hatte er den vielen Tausenden Grenzsoldaten ein sie ehrendes Denkmal gesetzt.

Klaus-Dieter Baumgarten; Erinnerungen.
Autobiographie des Chefs der Grenztruppen der DDR
edition ost  2008

Erich Buchholz, Berlin