Redaktionsnotitz 05/02

Wer die Zukunft gewinnen will, muss die Vergangenheit begreifen.

Diese sehr allgemeine Einsicht werden mit Sicherheit sehr viele Menschen als richtig ansehen.

Schwieriger wird es, wenn es an konkretere Fragen geht. Schon die Beurteilung der welthistorischen Ereignisse 1989/1991 in Europa zeigt das Problem: Sie werden von manchen „friedliche Revolution” und/oder „Wende” (CDU/CSU, FDP, SPD, Grüne, Teile der PDS, bürgerliche Presse, öffentlich-rechtlicher Rundfunk und selbiges Fernsehen), von manchen „Untergang” oder „Zusammenbruch des Sozialismus”, gleichbedeutend auch „Implosion des sozialistischen Systems” (Teile des bürgerlichen Lagers, offizielle PDS, offizielle DKP, trotzkistische und anarchistische Linke u.a.) genannt, von anderen (Teile der DKP, z.B. RotFuchs, KPD, unorganisierte Marxisten-Leninisten, Offensiv, KAZ, u.a.) werden diese Ereignisse als „Niederlage des Sozialismus” und „Konterrevolution” bezeichnet.

Hinter der Bezeichnung steht natürlich eine differierende Sichtweise der Dinge.

Für die Bourgeoisvertreter, die den Sozialismus selbstverständlich hassen, muss er an sich selbst zugrunde gegangen sein. Es steht ja zu beweisen, dass er sowieso nichts taugt, früher nichts, jetzt nichts und in Zukunft erst recht nichts..

Für die Abschwörer, Wendehälse und Revisionisten muss das ganze Elend der Niederlage des Sozialismus in Europa natürlich durch den sog. „Stalinismus” verschuldet sein (mit dem man dann auch eilfertig und freudig die wesentlichen Ziele des Sozialismus – also die Aufhebung des Privateigentums an den Produktionsmitteln und die Einführung der gesellschaftlichen Planung der Produktion – über Bord wirft).

Und für diejenigen, die an der historischen und gesellschaftlichen Notwendigkeit des Sozialismus festhalten, kommt es darauf an, die Fehler, falschen Entwicklungen, die Ursachen für die Schwächung des Sozialismus und seine Niederlage zu erforschen mit dem Ziel, diese vermeiden zu lernen, also einen zukünftigen Sozialismus stärker, besser, siegreicher gestalten zu können – und nicht, um in seinen Abgesang einzustimmen.

Aber nun ist das Ganze ja nicht nur eine Frage des politischen Geschmacks oder des beliebigen Pluralismus – frei nach dem Motto: „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing”, oder: „Ich mach mir meine Theorie nach meinem politischen Standort”. Nein, geschichtliche Abläufe haben konkrete Ursachen, konkrete Bedingungen, resultieren aus bestimmten Verhältnissen und bringen bestimmte (andere) Verhältnisse hervor. Es geht also nicht nur um Standpunkt und Position, es geht auch um Wahrheit und Lüge. Und zur Zeit macht sich die Lüge mal wieder unsichtbar, indem sie riesengroße Ausmaße annimmt.

Geschichtliche Prozesse sind in ihrem aktuellen Entstehen nicht immer leicht zu analysieren. Trotzdem ist aber gerade das die Kunst, die wir so gut wie möglich beherrschen müssen. Dazu braucht es die Klarheit über die unmittelbar vorhergegangene Geschichte, denn je genauer wir studieren können, wie und warum sich unsere unmittelbare Vorgeschichte wohin bewegt hat, desto wahrscheinlicher ist es, dass wir uns darüber Klarheit verschaffen können, wo wir zur Zeit stehen und wie wir heute die geeignete Orientierungen für die richtige Politik entwickeln können.

Meines Erachtens gibt es bei dieser Aufgabe zwei bisher im chaotischen Nebel bzw. im unbestimmten Zwielicht gehaltene Epochen: Die Zeit der Sowjetunion „unter Stalin”, wie es so schön heißt, – und die Konterrevolution in Europa 1989-1991.

Ulrich Huar nimmt sich den ersten der beiden genannten Abschnitte vor, einen Abschnitt unserer Geschichte, dessen konkrete Analyse fast wie verboten erscheint – so, als läge ein Tabu darauf.

Ich weiß nicht zu sagen, wie viele Menschen ich in meinem Leben bisher kennen gelernt habe, die weder genauerer Kenntnisse über die Entwicklung der Sowjetunion von Mitte der 20er Jahre bis Anfang der 50er Jahre besessen noch auch nur eine einzige Zeile von Stalin gelesen hatten, sich in ihrem Urteil aber immer so sicher waren.

Und so tönt es denn aus allen Ecken: das sei alles Deformation, Abweichung, Verbrechen, mit kurzen Worten Tyrannei und Despotie, oder feiner ausgedrückt und damit auch gleich dem Faschismus beigeordnet: Totalitarismus. Keiner habe dem Sozialismus so viel Schaden zugefügt wie Stalin. Fertig ist das Urteil. Kenntnisse sind nicht erforderlich, wenn nur alle der gleichen Ansicht sind. Man weiß sich mit solchen Äußerungen auf der richtigen Seite, fühlt sich, wie es mir einmal allen Ernstes – und natürlich abgrenzend – gesagt wurde, als „normal denkender Mensch”.

Gerade die Etappen, die uns mit Absicht verdunkelt werden, müssen wir uns am genauesten anschauen. Die Arbeit von Ulrich Huar leistet dazu einen ausgesprochen wichtigen Beitrag.

Ein redaktioneller Hinweis: Ulrich Huars Arbeiten über Stalin werden zeitgleich bei uns und in der Schriftenreihe der KPD veröffentlicht. Für dieses Heft danken wir der Redaktion der Schriftenreihe der KPD sehr herzlich für die Arbeit der Texterfassung und Korrektur.

Und ein finanzieller Hinweis: Die Zeitschrift „Offensiv” finanziert sich allein durch Spenden, wird nicht von der Partei unterstützt (und will dies auch nicht, um nicht die Unabhängigkeit zu verlieren), wir sind also auf niemanden angewiesen als auf unsere Leserinnen und Leser.

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Für die Redaktion: Frank Flegel, Hannover