Heinz Hoffmann
Gewalt und Revolution
Die Große Sozialistische Oktoberrevolution war und ist groß, weil erstmalig die politische Macht durch eine Klasse errungen wurde, der nicht das Privateigentum an Produktionsmitteln zugrunde liegt, die die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beseitigte und damit die Wurzeln von Profitmacherei, Krieg, Elend und Unterdrückung der Mehrheit des Volkes beseitigte. Die Arbeiterklasse, im Bündnis mit der Klasse der Bauern, begann, den Charakter der gegenwärtig noch andauernden Epoche zu prägen – als den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus.
Dabei waren die Salven der „Aurora“ nur das Signal zum Beginn des gewaltsamen Aufstandes, zur Revolution. Eine solche ist nur möglich, wenn dieser ein großer, langwieriger, vielseitiger Prozess vorausgeht, keineswegs das Ergebnis einer plötzlichen Idee ist. Was quantitativ langsam anwächst, schlägt an einem bestimmten Zeitpunkt zu einer neuen Qualität um – oder wie mir einer meiner politischen Lehrer erläuterte: Das Wasser im Kochtopf wird langsam heiß, beginnt bei 60 Grad zu sieden, es entsteht sprunghaft eine neue Qualität, der Wasserdampf.
Die Revolution ist nicht an einen einzigen Tag gebunden, sondern eine harte, gewaltsame, opferreiche Auseinandersetzung mit dem bisher herrschenden gesellschaftlichen System. Einerseits muss sich eine Situation herausbilden, in der die Unterdrückten, Versklavten und der Profitmacherei Unterworfenen sowie die in Zwangsdiensten Stehenden nicht mehr gewillt sind, das ihnen auferlegte Joch zu tragen. Die Jahre des ersten imperialistischen Weltkrieges, an dem sich das zaristische Russland beteiligte, brachten nicht nur Millionen von Soldaten, vorwiegend Bauern, den Tod bzw. Verletzungen (z.B. allein im Jahre 1913 drei Millionen) sondern auch Hunger, Not, Elend, zwangsweise Überstundenarbeit, eine höhere Ausbeutung der Frauen und Kinder, Aussperrungen, Zwangsarbeit und Strafversetzungen. Zu politischen Streiks kam es anlässlich des Jahrestages der Lena-Ereignisse, 1916 streikten eine Million Arbeiter, darunter die Werftarbeiter von Nikolajew und die Kumpel des Donezbeckens.
Zar, Bourgeoisie und Kulaken waren nicht mehr in der Lage, mit ihren Mitteln das Land weiter zu regieren und die Massen zu unterjochen. Um die immer schärfer hervortretenden Widersprüche zu lösen, bedurfte es einer politischen Kraft, die den Massen den Weg in eine bessere Zukunft weist. In Russland oblag es der SDAPR, diesen Prozess zu propagieren und zu organisieren, wobei sie sich auf die theoretischen Ausarbeitungen durch Lenin stützen konnte. Das war um so wichtiger, da durch ihn einerseits bewiesen wurde, dass der Imperialismus sich in den einzelnen Ländern ungleichmäßig entwickelt, Russland das schwächste Glied in der Kette der imperialistischen Länder war. Der nächste, zu vollziehende Schritt konnte nur die sozialistische Revolution sein – als das gesetzmäßige Ergebnis gesellschaftlicher Entwicklung. In seinem Werk „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ zeigte Lenin u.a. auf, dass es sich in diesem Entwicklungsstadium um faulenden, sterbenden Kapitalismus handelt. Folgerichtig kam er in der Schrift „Über die Vereinigten Staaten von Europa“ zu der Schlussfolgerung, dass der Sozialismus auch in einem einzelnen Land. möglich ist. Die wissenschaftliche Basis für die Notwendigkeit und Berechtigung der sozialistischen Revolution war somit geschaffen.
Von nicht geringer Bedeutung für die Revolution war Lenins Werk „Das Militärprogramm der proletarischen Revolution“, in dem er u.a. den Müttern rät, was sie ihren Söhnen sagen sollen, wenn sie zum Militärdienst gepresst werden: „Du wirst bald groß sein, man wird dir ein Gewehr geben. Nimm es und erlerne gut alles Militärische – das ist nötig für die Proletarier, nicht um gegen deine Brüder zu schießen, wie es jetzt in diesem Räuberkriege geschieht und wie dir die Verräter des Sozialismus raten, sondern um gegen die Bourgeoisie deines ‚eigenen’ Landes zu kämpfen, um der Ausbeutung, dem Elend und den Kriegen nicht durch fromme Wünsche, sondern durch das Besiegen der Bourgeoisie und deren Entwaffnung ein Ende zu bereiten.“ Und die Söhne haben verstanden. Im Vorfeld der Revolution entstanden in der alten zaristischen Armee Rote Garden, die in den Tagen der Revolution sich zu roten Truppenteilen formierten.
Die bewaffnete Auseinandersetzung mit den militärischen Kräften der bisher herrschenden Klasse im Zentrum der Revolution, Petrograd, hatte einen relativ geringen Umfang. Bedeutsam war der Sturm auf das Winterpalais, in dessen Verlauf die Mitglieder der Provisorischen Regierung verhaftet wurden. Weitere Schwerpunkte waren die Staatsbank, das Telegrafenamt, die Ministerien, das Postamt und die Bahnhöfe. Die Bolschewiki bemühten sich, den Kampf möglichst ohne Verluste an Menschen zu führen, was z.B. durch den Versuch deutlich wurde, die Verteidiger der Wladimirski-Offiziersschule zur gewaltlosen Übergabe zu bewegen. Sowjet-delegierte mit einer Parlamentärsflagge unternahmen einen Versuch zur Beendigung des Wider-standes – sie wurden erschossen.
An dieser Stelle darf daran erinnert werden, dass das Ausmaß und die Intensität der Anwendung von Gewalt durch revolutionäre Kräfte nicht von diesen abhängt, sondern vom Widerstand der feindlichen Kräfte und ihren Versuchen, das bisher herrschende System zu erhalten bzw. wieder herzustellen. Diese beeinflussen entscheidend, wie hoch der Blutzoll ist, den das Neue zahlen muss.
Nach den Tagen der des revolutionären Aufstandes und der Ergreifung der politischen Macht durch die Bolschewiki zwangen die innere Konterrevolution unter den Befehlshabern Denikin, Koltschak, Kornilow, Alexejew, Judenitsch sowie die Interventionstruppen Englands, Frankreichs, Amerikas, Japans und Deutschlands der jungen Sowjetmacht einen erbitterten Kampf auf, sie scheuten auch nicht davor zurück, ganze Gruppen von Arbeitern und Bauern sowie führende Bolschewiki zu ermorden. Erst 1922 konnten die Bolschewiki konstatieren: Der Sieg ist unser! Die These Lenins, dass „eine Revolution nur dann etwas wert ist, wenn sie sich zu verteidigen versteht“, hatte sich bewahrheitet.
Am deutlichsten wird wohl der Zusammenhang zwischen Revolution und Gewalt, wenn man sich bewusst wird, dass Lenin noch jung, mit 54 Jahren am 21. Januar 1922 starb – an den Spätfolgen einer mit Gift versetzten Pistolenkugel, abgefeuert im Jahre 1917 von einer „Sozialrevolutionärin“. Es war das am meisten verabscheuungswürdigste, größte Verbrechen, das die Reaktion in der Absicht verübte, die Revolution zu enthaupten.
Lenin – als das größte theoretische Genie nach Marx und Engels auf dem Gebiet des wissenschaftlichen Sozialismus – hat der gesamten Menschheit einen unwiderruflichen Dienst erwiesen – den Weg zu ihrer Selbstbefreiung gezeigt und die Skizze für die neue, sozialistisch-kommunistische Gesellschaft entworfen.
Sein Werk wirkt über den Tod hinaus, zunächst weitergeführt durch die KPdSU, mit Stalin an der Spitze. Dessen größter Verdienst auf dem Gebiet der gewaltsamen Auseinandersetzung mit dem Imperialismus ist die Zerschlagung der Millionenarmee des faschistischen Deutschland, die Herbeiführung des Sieges unter Beteiligung der westlichen Alliierten. Etwa 50 Millionen Menschen verloren im II. Weltkrieg ihr Leben, Hunderttausende Verletzte, riesige Zerstörungen an materieller Basis und Kulturgütern – das ist die unheimliche Bilanz der Gewaltanwendung durch den Imperialismus.
Gewalt auf der einen Seite – Gewalt auf der anderen Seite – wann endet das? Der Marxismus-Leninismus hat darauf eine klare Antwort: Im Kommunismus. Bis dahin ist noch ein weiter Weg und wann und wie sich auch die Arbeiterklasse der einzelnen Staaten entscheiden wird, ob einzelne Länder oder mehrere Länder gleichzeitig zum Sozialismus gelangen – heute heißt die dringendste Aufgabe in der Auseinandersetzung mit dem Imperialismus: Schluss mit den weltweiten Kriegshandlungen der USA und deren Anspruch, die Welt zu beherrschen, Schluss mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr der BRD, Schluss mit der weiteren militärischen Aufrüstung Deutschlands, Schluss mit der Intensivierung der politischen Überwachung aller Bürger dieses Landes und Organisierung des Widerstandes gegen die Absicht, den präventiven politischen Mord parlamentarisch zu legitimieren, das braune Vorbild rechts zu überholen!
Kräfte, die diesen Zielen dienen können und entsprechende organisatorische Fähigkeiten besitzen, sind vorhanden – wie der Protest Tausender während des G-8-Gipfels in Heiligendamm gezeigt hat. In Umkehrung eines Stalin-Wortes muss man aber sagen: Sind die Kader vorhanden und es fehlt eine in der Praxis erprobte politische Linie, dann wird gar nichts entschieden. Und die Kommunisten müssen endlich begreifen, dass es einer kommunistischen Partei bedarf, die das Handwerkzeug anwendet, das ihr Marx, Engels, Lenin und Stalin in die Hand gegeben haben!
Heinz Hoffmann, Strausberg