Wertgesetz und Mehrwertproduktion

Frank Flegel
Wertgesetz und Mehrwertproduktion

Anmerkungen zu Hans Kölsch: „Zum Streit über die politische Ökonomie“ (offen-siv 9/07)

Auf all das einzugehen, was Hans Kölsch uns in seinem Beitrag in der vorigen Ausgabe der „offen-siv“ nachsagt, würde diesen Rahmen sprengen. Deshalb hier nur einige Beispiele:

„Mit der Annahme, dass das Wertgesetz der konzentrierte Ausdruck der kapitalistischen Ökonomie sei und dass es deshalb im Sozialismus überwunden werden müsse, werden alle Tatsachen über die Klassenverhältnisse im Kapitalismus hinter einer Nebelwand verborgen. In konsequenter Fortführung der Ausgangsthese verschwindet hier die kapitalistische Gesell-schaftsformation mit ihren charakteristischen Klassenverhältnissen. An ihre Stelle tritt bei Offensiv eine Gesellschaftsformation und Gesellschaftsordnung der `Warenproduktion´. (S.49). Proletarier, Kapitalisten, Bauern, Handwerker usw. erscheinen jetzt alle vor allem als Wareneigentümer, Käufer und Verkäufer. Ihr gleich geartetes Streben gehe dahin, dass ihre Ware dem Wertgesetz entsprechend verkauft oder gekauft wird und in dieser Gesellschaftsordnung soll dies das bestimmende, ordnende ökonomisches Gesetz sein, das keinen aus der Produktion stammenden Mehrwert kenne.“

Nach der Auffassung des Genossen Kölsch vernebeln wir also die Klassenverhältnisse im Kapitalismus, machen alle Menschen klassenunspezifisch zu gleichartigen Wareneigentümern und behaupten, dass es im Kapitalismus keinen aus der Produktion stammenden Mehrwert gäbe. Das ist ein solcher Unsinn, dass es nicht lohnt, darauf inhaltlich einzugehen – man muss nur die „offen-siv“ lesen, dann weiß man, dass das nicht stimmt.

Die interessante Frage ist: warum bastelt sich der Genosse Kölsch solch einen Pappkameraden und schlägt dann drauf? Die Antwort wird erst beim zweiten oder dritten Lesen seines Artikels deutlich: Er will das Wertgesetz als allgemeines Grundgesetz menschlichen Wirtschaftens verstanden wissen – egal, ob im Kapitalismus oder im Sozialismus – und wehrt sich heftig gegen jede anderslautende Einsicht.

Denn der Genosse Kölsch schreibt: „Die sozialistischen Revolutionen des 20. Jahrhunderts waren mit dem Realkapitalismus konfrontiert, mit der Aufgabe, Ausbeutung und kapitalistische Mehrwertproduktion zu überwinden und gleichzeitig die Aufgabe zu lösen, die sozialistische Produktion planmäßig  für die Bedürfnisse der Bevölkerung, der Produktion und den Warenverkehr mit anderen Ländern zu organisieren und das mit einem möglichst geringen Aufwand an Zeit und Kraft aller Art zu gewährleisten. Bei Offensiv aber ist der Kampf gegen Wertverluste in der Produktion und für Zeitgewinne im Sozialismus ein Markenzeichen für Revisionismus, weil das mit Wertermittlungen, mit Preisen und Geld zu tun hat.“ Hier zeigt sich, dass der Genosse Kölsch nicht in der Lage ist, zwischen ökonomischem Kalkül und Wertgesetz zu unterscheiden. Für ihn ist eine rationelle Planung, die „einen möglichst geringen Aufwand an Zeit und Kraft aller Art“ gewährleistet, sofort und automatisch gleichzusetzen mit der Anwendung des Wertgesetzes; also: nur mittels der Anwendung des Wertgesetzes sei eine rationelle Produktion möglich. Und auf der Grundlage dieses seines theoretischen Irrtums wirft er uns dann vor, den Kampf gegen Verschwendung für „ein  Markenzeichen des Revisionismus“ zu halten („Bei Offensiv aber ist der Kampf… für Zeitgewinne im Sozialismus ein Markenzeichen für Revisionismus…“). Einen größeren Blödsinn kann es kaum geben.

Weiter meint der Genosse Kölsch, folgendes im Heft 3/07, S.3, gelesen zu haben: „In der Redaktionsnotiz wird behauptet, dass die Erkenntnisse über den Mehrwert, in denen das Produktionsverhältnis zwischen Kapital und Arbeit bloßgelegt ist (Marx), möglicherweise und wahrscheinlich den Erkenntnissen vom Wertgesetz nachzuordnen seien, die ja vor allem die Probleme der Distribution betreffen. Das Wertgesetz und nicht das vom Mehrwert sei der konzentrierte Ausdruck der kapitalistischen Ökonomie, weshalb für den Sozialismus das revolutionäre Kriterium nicht in der Veränderung des kapitalistischen Eigentums an Produktionsmitteln und der ausbeuterischen Klassenverhältnisse bestünde, sondern in der Ab-schaffung des Wertgesetzes. (Heft 3/07 S. 3)“ Wir wollten also keine Veränderung des kapita-listischen Eigentums an den Produktionsmitteln und der ausbeuterischen Klassenverhältnisse, so der Genosse Kölsch. Das grenzt schon an böswillige Verleumdung, aber sei’s drum. Wir wenden uns besser den tatsächlichen Inhalten seiner kritischen Anmerkungen zu.

Denn neben den vielen unrichtigen Unterstellungen ist gerade diese Passage seines Artikels sehr interessant, weil die Sache sich zuspitzt an der aufgeworfenen Frage: „Ist das Wertgesetz der konzentrierte Ausdruck der kapitalistischen Ökonomie…?“ (Redaktionsnotiz Heft 3/07, s.o). Der Genosse Kölsch meint, dass das nicht so sei, sondern dass vielmehr im Gesetz vom Mehrwert dieser konzentrierte Ausdruck vorliege.

Schon diese Gegenüberstellung – Wertgesetz kontra Mehrwerttheorie – ist falsch. Der Hintergrund der Probleme liegt im Nichtverstehen der Marxschen Kapitalanalyse bzw. in einem wissenschaftstheoretischen Missverständnis derselben, nämlich im Ableugnen des inneren Zusammenhanges von Ware, Wert, Geld und Kapital. Der Genosse Kölsch wird sicherlich nicht leugnen, dass Marx die Ware als „Elementarform“ der kapitalistischen Gesellschaften bezeich-net und seine Untersuchung dieser Gesellschaftsform mit der Analyse der Ware beginnt. Aber er ist nicht in der Lage, den inneren Zusammenhang von Ware, Wertgesetz, Warenzirkulation, Entstehen des Geldes und der Verwandlung von Geld in Kapital (und damit kapitalistische Ausbeutung, Klassenspaltung der Gesellschaft, Klassenkampf usw.) zu sehen. Für ihn ist in der Theorie wie in der Praxis die Warenproduktion kein Problem und das Wertgesetz etwas Gutes, das auch im Sozialismus gilt – der Sündenfall beginnt erst bei der Mehrwertproduktion. Wie verquer der Genosse Kölsch das Wertgesetz versteht, zeigt sich in einem Nebensatz des obigen Zitates. Dort sagte er, dass die „Erkenntnisse vom Wertgesetz … vor allem die Probleme der Distribution betreffen.“ Der Genosse Kölsch meint also, dass das Wertgesetz vor allem den Austausch regelt – und mit der Produktion wenig oder nichts zu tun hat. (Die vom Genossen Kölsch benutzte Einschränkung „vor allem“ ist etwas schwammig, so dass ich nicht genau weiß, auf was sich seiner Meinung nach das Wertgesetz noch bezieht und in welchem Ausmaß es dies tut.) Dieser zitierte Halbsatz zeigt aber das grundlegende wissenschaftstheoretische Miss-verständnis. Die Ware und das Wertgesetz ist die Grundlage des Kapitalismus, die Keimform, aus der sich die Warenzirkulation, die Herausbildung des Geldes und des Kapitals als sich selbst verwertender Wert (Marx) ergibt, weiter die Arten der Mehrwertproduktion, die Klassen der bürgerlichen Gesellschaft, die Verwertungsprobleme des Kapitals, der tendenzielle Falls der Profitraten, die allgemeine Krise des Kapitalismus und schließlich die Barbarei des Imperialismus.

Nun ist dieser Streit um die theoretische Erfassung des Marxschen Hauptwerkes, genauer gesagt um die Frage, ob es einen inneren Zusammenhang von Ware, Wert, Geld und Kapital gibt oder nicht, ob dementsprechend Ware und Geld „unschuldige“ Kategorien sind, die mit der Herausbildung einer Ausbeutergesellschaft nichts zu tun haben und die Probleme erst mit der Mehrwertproduktion beginnen, oder ob es ein zwingend notwendiges „inneres Band“ (Marx) gibt und deshalb die Ware und das Wertgesetz als Keimformen des Kapitalismus, als konzentrierter[1] Ausdruck der kapitalistischen Ökonomie zu fassen sind, aus deren innerer Dynamik sich zwangsläufig eine Ausbeuterordnung entwickelt, nicht neu. Nach meinem (zugegebenermaßen lückenhaften) theoriegeschichtlichen Wissen kam diese künstliche Tren-nung (flapsig formuliert: „gute“ Ware und „gutes“ Wertgesetz – „böse“ Mehrwertproduktion und „böse“ Ausbeutung) Mitte bis Ende der 50er Jahre in der ökonomischen Diskussion der Sowjetunion auf. Aus Westdeutschland kenne ich sie aus den 70er Jahren im Zusammenhang mit dem Schulungsmaterial „Politische Ökonomie“ der DKP. Wie die Diskussion in der DDR verlief, weiß ich leider nicht. Es wäre sicherlich interessant und erhellend, hier nochmals genauer in die Theoriegeschichte zu blicken und diese in den Zusammenhang mit den politischen und ökonomischen Richtungsentscheidungen der KPdSU zu setzen.[2]

Es zeigt sich immer wieder, dass wir auf dem Gebiet der Ökonomie noch einiges an theoretischer Arbeit vor uns haben. Wir sollten nicht verzagen, sondern uns der Aufgabe stellen.

                                                                                          Redaktion „offen-siv“, Frank Flegel, Hannover

PS: Anmerkung zum Beitrag „Niederlagenanalyse in der Diskussion“ von Hans Kölsch in dieser Ausgabe von „offen-siv“:

Eigentlich ist zum fundamentalen, auch in diesem Beitrag des Genossen Kölsch nochmals deutlich werdenden Missverständnis der Marxschen Theorie oben schon alles gesagt, aber eine Sache muss richtig gestellt werden und wenn wir dies schon tun müssen, so wollen wir sowohl noch auf einen zweiten, eigentlich schon besprochenen Widerspruch eingehen, als auch auf den Zungenschlag der Wissenschaftsfeindlichkeit in den Ausführungen des Genossen Kölsch hinweisen.

I. (Die Richtigstellung): Im Vorwort zur „Niederlagenanalyse“ gibt es leider einen Druckfehler. Dieser Druckfehler ist mit dem jedem ausgelieferten Exemplar des Buches beigelegten Blatt „Fehlerkorrektur“ berichtigt worden. Wenn der Genosse Kölsch trotzdem meint, falsch zitieren zu müssen und trotz Korrektur behauptet, wir sähen die Ursache der Niederlage „im Wesen des Sozialismus“[3], müssen wir darauf hinweisen, dass es richtig heißt: „…im Wesen des reformistisch deformierten Sozialismus…“.[4]

II. (Wertgesetz und Rechnungsführung): Das schon oben angesprochene Missverständnis des Genossen Kölsch, im Zusammenhang mit der sozialistischen Planwirtschaft ökonomisches Kalkül und Wertgesetz nicht auseinander halten zu können, wird an einem der von ihm hektisch aneinander gereihten Leninzitat besonders deutlich. Er zitiert Lenin, der sagte, dass es nach der sozialistischen Revolution um die schwierige Aufgabe gehe “eine vom gesamten Volk ausge-übte Rechnungsführung und Kontrolle zu organisieren, jene Aufgabe, mit der der wirkliche Sozialismus anfängt“ und schreibt selbst: „Deshalb konzentrierte der Klassenfeind seine Angriffe auf ökonomischem Gebiet darauf, zu erschweren und nach Möglichkeit zu verhindern, dass die Arbeitsproduktivität gesteigert werden und ein Zeitgewinn, ein Wertgewinn, im Kampf für die Befriedigung der Bedürfnisse der Bevölkerung erreicht werden könnte“  (Hervor-hebungen: Red. offen-siv). Rationalität gleich Herrschaft des Wertgesetzes? Wer an Zeit-ökonomie denkt, denkt automatisch auch das Wertgesetz? Nochmal: Was hat der Genosse Kölsch von Lenin zitiert?: „…eine vom gesamten Volk ausgeübte Rechnungsführung und Kontrolle zu organisieren,…“! Dieses Lenin-Zitat soll ein Beleg dafür sein, dass das Wertgesetz auch im Sozialismus gelten soll? Befördert die Herrschaft des Wertgesetzes im Sozialismus die Aufgabe, die Lenin uns vorgibt (…vom gesamten Volk ausgeübte Rechnungsführung und Kontrolle …)?

Nein. Wenn das Wertgesetz im Sozialismus herrscht, hat weder die Partei noch das gesamte Volk irgendeine Möglichkeit, Rechnungsführung und Kontrolle auszuüben. Denn die Herrschaft des Wertgesetzes vollzieht sich unabhängig vom Bewusstsein der Handelnden, quasi hinter ihrem Rücken; das Wertgesetz macht sich selbst zum Subjekt der Gesellschaft und die Menschen zu Objekten seines Geltens.[5]

III. (Was heißt Wissenschaftlichkeit?): Der Genosse Kölsch schreibt im Zusammenhang mit seinen Ausführungen über die „Aktionseinheit von Kommunisten“: „Alles was uns der Aktionseinheit von Kommunisten einen Schritt näher bringt, ist ein Fortschritt im Kampf gegen den Klassenfeind. Alles, was uns davon entfernt, hilft dem Klassenfeind, die Spaltung der Widerstandskräfte aufrecht zu erhalten und zu vertiefen. Dazu gehört auch die Behauptung, dass der Zusammenschluss von Kommunisten von der Verständigung darüber abhängig sei, was Autoren von Offensiv als „Wissenschaft“ manifestieren.“ Wir wollen hier nicht weiter darauf eingehen, dass der Genosse Kölsch uns auf der Seite des Klassenfeindes verortet (das ist zu absurd), sondern nur auf das Problem der Wissenschaftlichkeit unserer Weltanschauung hinweisen: Natürlich geht es nicht darum, „was Autoren von Offensiv als `Wissenschaft´ manifestieren“ – allerdings geht es im vollsten Ernst darum, dass wir (für den Gen. Kölsch: gemeint ist nicht die „offen-siv“, sondern die kommunistische Bewegung!) entweder die Welt wissenschaftlich, d.h. marxistisch-leninistisch erkennen und aus dieser Erkenntnis unsere Politik ableiten – oder zerrieben werden und zwangsläufig scheitern.

Wir sollten uns davor hüten, Bestrebungen und Aktivitäten, die sich zum Ziel setzen, die Wissenschaftlichkeit des Marxismus-Leninismus zu rekonstruieren, zu verteidigen und zu ver-breiten, deshalb zu bekämpfen, weil uns irgendeine Schlussfolgerung nicht passt. Denn nicht derjenige, der den wissenschaftlichen Anspruch aufrecht erhält, dient dem Klassenfeind, son-dern derjenige, der ihn preisgibt.

Mir hat kürzlich ein Student unseres marxistisch-leninistischen Fernstudiums die Frage gestellt, was die Parole der SED denn sollte, dass die Partei immer Recht habe. Ich habe geantwortet: Die Partei muss um den Preis des Untergangs Recht haben, denn sie muss immer und überall das Richtige tun.

Dass das wieder so wird, daran müssen wir arbeiten. Und im kommunistischen Spektrum sollte niemand, der sich um die Wahrheit bemüht, wegen dieses Bemühens diskreditiert werden. Das einzelne Resultat einer Forschung kann falsch oder fehlerhaft sein, der Anspruch an die Wissen-schaftlichkeit unserer Weltanschauung ist es niemals.

                                                                                          Redaktion „offen-siv“, Frank Flegel, Hannover

FUSSNOTEN

  1. Ein konzentierter Ausdruck ist eben noch kein entfalteter, siehe die vorherigen Ausführungen.
  2. Fürs erste empfehle ich allen Interessierten zwei Schriften. Stalin: Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR (nur antiquarisch zu beschaffen oder im Internet herunterzuladen); und: Harpal Brar: Perestrojka – Der vollständige Zusammenbruch des Revisionismus (leider nicht über Buchhandlungen, sondern nur beim Verlag Pahl-Rugenstein-Nachfolger,  Tel.: 0228-632306 oder 0228-634968).
  3. „Daraus wird dann abgeleitet, dass die Ursache unserer Niederlage im ´Wesen des Sozialismus` gelegen habe.“ (siehe Hans Kölsch: „Niederlagenanalyse in der Diskussion“;  in diesem Heft)
  4. Und, lieber Genosse Kölsch, hier ein direktes Wort an Dich: Wir lieben die offene Diskussion strittiger Fragen und publizieren die unterschiedlichen Standpunkte dazu gern, dabei darf es auch scharf und polemisch zugehen, denn das dient der Klarheit. Inhaltlich aber muss das Ganze bitte in redlicher Art und Weise geschehen. Mit Fälschungen zu arbeiten, das ist für uns kein Stil.
  5. Wer Näheres wissen will, der lese die erste vier Kapital des Marxschen Kapitals, darin vor allem den 4. Abschnitt des Ersten Kapitels: „Der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis“.