Anregungen

Gerhard Feldbauer:
Anregungen

Der Beitrag von Andrea und André Vogt (10/2006) regt mich zu einigen Gedanken an, die nicht der Weisheit letzte Schluss sein sollen. Ihren kritischen Anmerkungen zu den elementaren Fehlstellen in den RF-Leitsätzen stimme ich generell zu. Es bestätigt sich ein weiteres Mal das theoretisches Abfallen, das auch in den Leitartikeln, aber nicht nur da, zum Ausdruck kommt. Brisante Themen werden schon mal ausgeklammert, so die KVDR, die schon im Rechen-schaftsbericht auf der Versammlung 2005 unter den sozialistischen Ländern nicht mehr erwähnt wurde.

Der Bemerkung zu den Linken und Kommunisten möchte ich vorausschicken, dass wohl all-gemein Übereinstimmung darüber besteht, dass uns die Niederlage des Sozialismus in Europa in nicht wenigen Fragen weit über ein Jahrhundert zurückgeworfen hat. Das bedeutet auch, dass wir uns, wenn auch unter veränderten Bedingungen und mit dem Wissen und den Erfahrungen des zurückgelegten Kampfes ausgestattet, mit ähnlichen Problemen der Spaltungserscheinungen, welche die sozialistisch-kommunistische Bewegung von Anfang an heimsuchten, konfrontiert sehen.

Zum Durcheinander, das beim Gebrauch des Terminus „Linke“ herrscht, steuerte besagter RF-Chefredakteur das Seine bei, als er sich auf der Rosa-Luxermburg-Konferenz am 13. Januar wieder einmal über die „Zusammenführung von Kommunisten, Sozialisten und anderen linken Demokraten auf marxistischer Grundlage“ in „Aktionseinheit“ ausließ. Es ist also durchaus angebracht, zu versuchen, etwas Klarheit darüber zu schaffen, wer sich wo und mit welchen Zielen unter diesem Etikett vorstellen, wer darauf Anspruch erheben kann, sich zur revo-lutionären Linken zu zählen, und was wir heute unter Arbeitereinheit, Aktionseinheit und darü-ber hinaus gehenden Bündnissen verstehen, welche Kriterien wir anlegen. Ganz abgesehen davon, dass man diesbezügliche  Reden auf ihren Wahrheitsgehalt abklopfen sollte, ob da nur theoretisiert wird, Worte und Taten übereinstimmen.

Vielleicht vermittelt uns Lenin Anregungen. Im Kampf gegen den mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges offen ausgebrochenen Opportunismus, darunter seiner schlimmsten Erscheinung, dem Sozialchauvinismus, fand im September 1915 auf Initiative der Linken in der Italienischen Sozialistischen Partei die Zimmerwalder Konferenz statt, der im April 1916 die zweite in Kienthal folgte. Unter den teilnehmenden Sozialisten formierte Lenin aus Internationalisten und revolutionären Marxisten (so seine Formulierung) die revolutionäre Zimmerwalder Linke. „Der Zusammenschluss der genannten Gruppe ist eine der wichtigsten Tatsachen und einer der größten Erfolge der Konferenz“, schätzte er ein (Bd. 21, S. 389 ff., 396 ff.). Die Linke setzte sich auf der Tagung mit der Gruppe der „schwankenden beinahe Kautzkyaner“ entschieden auseinander. Dem Manifest der Tagung, das an „Inkonsequenz und Halbheit“ litt, stimmte die Zimmerwalder Linke, Lenin folgend, dennoch zu, weil es „faktisch einen Schritt vorwärts zum ideologischen und praktischen Bruch mit dem Opportunismus und Sozialchauvinismus“ darstellte.

Ich stimme Fritz Dietmars Einschätzung zum Briefwechsel Steigerwald-Gossweiler (7/2006) bezüglich der Bewahrung von Achtung und Zuneigung trotz kontrovers ausgetragener Posi-tionen zu. „Keiner hat den anderen als Agenten des Klassenfeindes dargestellt“, betont Fritz Dittmar. Nebenbei bemerkt sehe ich Robert Steigerwald, mit dem ich nicht immer übereinstimme, etwas einseitig erwähnt. Man lese nur einmal seinen Beitrag „Dialektisch, praktisch, gut“ (jW 2. Nov. 2006), den ich für eine gute Studie schöpferischen Herangehens an die Klassiker halte. Und es gibt mehrere davon aus seiner Feder. Kurt tritt immer konsequent von seiner marxistisch-leninistischen Haltung abweichenden Meinungen entgegen. Dafür stand bereits sein Standartwerk „Wider den Revisionismus“. In diesem Zusammenhang hat mich verwundert, dass er sich zu den seit Jahren vom RF-Chefredakteur betriebenen Spaltungsversuchen unserer Bewegung, die ihn auch persönlich diffamieren, ausschweigt. Diese Art von Opportunismus, derart demagogisch vorgetragen, richtet noch gar nicht absehbaren Schaden an.

Abschließend ein Wort zur Erörterung des neuen DKP-Programms (9/2006). In der widersprüchlichen Debatte wurden gute und zutreffende Gedanken vorgebracht. Ohne hier ausführlich auf die einzelnen Wertungen einzugehen, betrachte ich jedoch einige als überzogen und im Widerspruch zu der von Fritz Dietmar bezüglich Steigerwald-Gossweiler aufgezeigten Haltung stehend. Ich vermisse, dass zu wenig von Gemeinsamkeiten ausgegangen, statt dessen viel Trennendes in den Vordergrund gestellt wurde. Damit kommt man bei der DKP-Basis, die im allgemeinen für kritische Gesichtspunkte aufgeschlossen ist, nicht an. Meine diesbezügliche Meinung gründet sich auf Erfahrungen, die ich in den letzten Jahren bei zahlreichen Vorträgen vor DKP-Gruppen sammeln konnte. Auch als ich im vollbesetzten Hörsaal der Heidelberger Universität zum historischen Platz der DDR sprach und sie als die größte Errungenschaft in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung einschätzte, haben die zahlreich erschienenen Genossen der DKP-Gruppe mich aktiv in der harten Auseinandersetzung unterstützt.

Im wesentlichen halte ich die von Wolfgang Herrmann formulierten Bemerkungen für die richtige Vorgehensweise. In Sonderheit unterstreiche ich zwei seiner Gedanken: Dass sich „die Sozialismusvorstellungen einer kommunistischen Partei auch auf die Erfahrungen des realen Sozialismus gründen müssen“, und seine Feststellung, „die DKP hat sich während der Pro-grammdebatte vorwärtsentwickelt“, was sich auch auf eine bis dahin nicht vorhandene Annäherung an den ersten Gedanken erstreckt.

In diesem Zusammenhang habe ich mir nochmals Marx´s Kritik am Gothaer Programm, Engels Vorwort vom 6. Januar 1891 eingeschlossen, vorgenommen (Bd. 19, S. 11 bis 32 und 521 f.). Sicher, die Verfasser des DKP-Programms wären gut beraten gewesen, Marx´s „Randglossen“ stärker und grundsätzlich bei der Ausarbeitung zu beachten. Für ein Gothaer Programm, wie die Analysen streckenweise den Eindruck vermitteln, halte ich das DKP-Programm jedoch in seiner Ganzheit nicht. Am zutreffendsten hat hier Arne Taube eingeschätzt: „Jedoch markieren noch immer das errungene Programm, wie die Partei als Organisation eine Position, die nur urteilen lässt, dass die Arbeiterklasse in der BRD heute de facto über keine Organisation verfügt, die so entschieden wie die DKP ihre Interessen vertritt: sie ist die größte Organisation der revolutionären Linken, besitzt vorerst eine in den Rudimenten noch immer revolutionäre Pro-grammatik – wie mangelhaft sie gemessen an den Forderungen der Klassiker auch erscheint – und ist auf dem Gebiet der alten BRD zumindest teilweise recht gut gewerkschaftlich ver-bunden. Hieraus folgt, dass auch mit dem neuen Programm jedem Kommunisten weiterhin zu raten ist, in die DKP einzutreten (oder zumindest die Nähe zu suchen), sich dabei jedoch ihrer organisatorischen und programmatischen Schwächen bewusst zu sein.“

Gerhard Feldbauer;
Poppenhausen