Der Imperialismus muss die Geschichte fälschen Beispiel Sowjetunion

Harpal Brar:
Der Imperialismus muss die Geschichte fälschen
Beispiel Sowjetunion

Einleitung

„Die Bourgeoisie macht alles zu einer Ware, also auch die Geschichtsschreibung. Es gehört zu ihrem Wesen, zu ihren Existenzbedingungen, alle Waren zu verfälschen: sie verfälscht die Geschichtsschreibung. Und diejenige Geschichtsschreibung wird am besten bezahlt, die im Sinn der Bourgeoisie am besten verfälscht ist.”[1]

Diese scharfsinnige Beobachtung von Engels sollte nicht vergessen werden bei der Beurteilung der Diskussionen, die zwischen dem proletarischen und dem bürgerlichen Lager hinsichtlich der Interpretation der Gründe und der Ereignisse wüten, die zum zweiten Weltkrieg führten, der Rolle des imperialistischen Lagers auf der einen Seite und der sozialistischen Sowjetunion auf der anderen Seite in diesem Krieg und schließlich die Resultate dieses Krieges. Diese Diskussionen befassen sich nicht nur mit unserer Ansicht der Vergangenheit, obwohl das wichtig ist. Noch wichtiger, sie beabsichtigen, die Zukunft zu beeinflussen und zu gestalten.

Von der imperialistischen herrschenden Klasse kann man kaum erwarten, daß sie anerkennt, daß der moderne Krieg ein Produkt des Imperialismus ist; daß dutzende Millionen Menschen während des Krieges abgeschlachtet worden waren für die Entscheidung, welche der Gruppen der imperialistischen Banditen – anglo-amerikanisch-französische oder deutsch-italienisch-japanische – den größten Anteil an der Ausplünderung der Welt erhalten sollten; daß die Beseitigung der Kriege nur durch die komplette Beseitigung der Teilung der Gesellschaft in Klassen möglich ist; „Man kann dem imperialistischen Krieg und der ihn unvermeidlich erzeugenden imperialistischen Welt nicht anders entrinnen, man kann dieser Hölle nicht anders entrinnen, als durch den bolschewistischen Kampf und durch die bolschewistische Revolution“.[2]

Außerdem machen sich die herrschenden Klassen der imperialistischen „Demokratien“ alle mitschuldig am Wachsen und Erstarken des Faschismus, ein Fakt, den sie aus offenkundigen Gründen nicht zugeben werden. Deshalb muß die herrschende Klasse jedes imperialistischen Staates wohl oder übel die Geschichtsschreibung fälschen, weil die tatsächliche Geschichte die genozidale und mörderische Natur des Imperialismus deutlich zum Vorschein bringt – dieses blutdurstigen Monsters, das solche kolossalen Mengen von Blut vergossen hat, die Menschheit entwürdigt zum Hungertod, Elend und Entartung, und das Schicksal der menschlichen Zivilisation gefährdet.

Der sowjetische Sieg im Zweiten Weltkrieg war eine Katastrophe für den Imperialismus. Während der Erste Weltkrieg die Große Sozialistische Oktoberrevolution in Gang brachte und die mächtige UdSSR entstehen ließ, brachte der Zweite Weltkrieg ein komplettes sozialistisches Lager hervor, welches ein Drittel des Globus und ein Viertel der Weltbevölkerung umfaßte, und welches den Imperialismus in seinen Grundfesten erschütterte. Gerade weil der Krieg selbst ein Produkt des Imperialismus war, führte der Sieg der Sowjetunion in diesem gigantischen Kampf direkt zum System des Sozialismus. Gerade deshalb gab es das unaufhörliche Bemühen der imperialistischen Bourgeoisie, die Geschichte des Zweiten Weltkrieges zu verbiegen und zu fälschen – mit dem einzigen Zweck, die Natur und die Rolle des Imperialismus zu verschleiern und die der Sowjetunion zu verleumden.

Das imperialistische anti-sowjetische Propagandafeuer wuchs in der Folgezeit nach dem Zusammenbruch der UdSSR und der osteuropäischen Volksdemokratien an. Während der fünfzigste Jahrestag des Sieges über den Faschismus die Gelegenheit für eine bösartige ideologische Kampagne gegen die ehemalige Sowjetunion, ihre Führung und das sozialistische System benutzt wurde, brachte der sechzigste Jahrestag arrogante Forderungen von der imperialistischen Bourgeoisie und ihren hochbezahlten ideologischen Schmierern, daß die heutigen bourgeoisen Führer von Rußland sich nicht nur für die sowjetischen Erfolge bei der Zerschlagung der antisowjetischen Pläne der imperialistischen „Demokratien“ und für ihre Rolle bei der Befreiung der Völker der UdSSR, Ost- und Mitteleuropas vom Joch des Faschismus durch die fast im Alleingang geleistete Zerschlagung der mächtigen faschistischen Kriegsmaschine zu entschuldigen habe, sondern auch für ihre Existenz überhaupt.

Bei seinem Besuch in Georgien am 10. Mai 2005 hatte George W. Bush, der widerlichste Kopf der blutdürstigsten imperialistischen Macht, die gegenwärtig Afghanistan und Irak besetzt, die in Partnerschaft mit dem britischen Imperialismus mehr als 150.000 unschuldige Iraker ermordet hat und Folterkammern in Irak, auf Guantanamo und anderenorts für die brutale Behandlung von irakischen und afghanischen Patrioten errichtet hat, die Kühnheit zu erklären, daß für die „meisten in Ost- und Mitteleuropa der Sieg [im Zweiten Weltkrieg] die eiserne Herrschaft eines anderen Empires brachte. Der Tag der Kapitulation bezeichnet das Ende des Faschismus, aber nicht das Ende der Unterdrückung“.

Die Europäische Kommission, der ausführende Arm der EU, gab am 6. Mai eine Erklärung ab, daß der Fall der Berliner Mauer – nicht die Zerschlagung Hitlerdeutschlands – das „Ende der Diktatur“ in Europa markierte. „Wir erinnern“, sagte die Kommission, „an die vielen Millionen, für welche das Ende des Zweiten Weltkrieges nicht das Ende der Diktatur war, und für welche echte Freiheit erst mit dem Fall der Berliner Mauer kommen sollte.“

Als Ende April 2005 der russische Präsident Wladimir Putin mit überwältigender öffentlicher Zustimmung in der russischen Förderation erklärte, daß der Zerfall der Sowjetunion „die größte geopolitische Katastrophe des Jahrhunderts“ sei, wurde das der Anlaß für wahrhaft reaktionäre Zornesausbrüche seitens der Ideologen des Imperialismus und der konterrevolutionären Strohmannregimes in Polen, Georgien und den baltischen Staaten. Estland und Litauen boykottierten die Feierlichkeiten am 9. Mai in Moskau zu Ehren des 60. Jahrestages des Sieges über den Faschismus, während Lettlands Präsidentin Vaira Vike-Freiberga lediglich teilnahm, um die russische Interpretation der Geschichte zu bezweifeln, indem sie behauptete, daß das Eintreffen der Roten Armee im Jahre 1945 weniger eine Befreiung der baltischen Staaten als der Ersatz einer Okkupation (Nazi) durch eine andere (Sowjet) gewesen sei, was vorgeblich noch schlimmer war. Gemäß der Lesart der halb-faschistischen Regimes der heutigen baltischen Staaten ist die Zerschlagung der Sowjetunion und die resultierende Unabhängigkeit (oder besser, die Rekolonisierung durch die US- und EU-Imperialisten) der ehemaligen Republiken der UdSSR eine Wundertat und keine Katastrophe.

Die Financial Times ging in einer Ausgabe vom 07. Mai 2005 mit einem Lippenbekenntnis zum „größten Opfer bei der Bekämpfung Hitlers … das von der ehemaligen Sowjetunion bezahlt wurde, welche 27 Millionen Leben verlor – mehr als das Doppelte verglichen mit den Verlusten der westlichen Alliierten und Deutschlands zusammengenommen“ zur äußersten Respekt-losigkeit über, welche allen bekannten Fakten und der historischen Wahrheit ins Gesicht schlägt, daß Rußland „die Rolle der Sowjetunion bei der Kollaboration mit Hitler bei der Okkupation von Osteuropa in den Jahren 1939-40 und bei der Ausübung ihrer Herrschaft in dem Gebiet ab 1945 anerkennen müsse“ und fügte hinzu, daß „die Soldaten der Roten Armee selten als Befreier von denen gesehen werden, die sie zu befreien suchten“. Selbst ein oberflächlicher Blick auf die Berichte dieser Zeit und das Filmmaterial, welches die Rote Armee zeigt, wie sie von einem zum anderen Land, in denen die Menschen durch die Okkupation der Nazis Tortur, Brutalität, Erniedrigung und Hunger gelitten hatten, als Befreier begrüßt wurde, würde alsbald die völlige Unrichtigkeit der Behauptung der Financial Times beweisen.

Der unheilbar reaktionäre Kommentator Martin Wolf wagte in der Financial Times vom 11. Mai 2005, angetrieben zu reißerischer Ekstase durch Putins Bemerkung, die Behauptung, daß „die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts eigentlich nicht die Auflösung der Sowjetunion gewesen sei, sondern deren Gründung“, und er fügte hinzu, daß der „Sowjetische Parteienstaat das organisatorische Modell und die negative Inspiration für Hitlers Nationalsozialismus gewesen“ sei. Wie alle bourgeoisen Scharlatane muß er auch seine Bewunderung für den „Heroismus der Menschen der Sowjetunion“ vortäuschen, welche „dieses widerwärtige [Nazi] Regime zerstörten“, denen „die Menschheit ewig dankbar sein muß“. Das ist jedoch lediglich eine List, ein Vorspiel zu seiner irren Erklärung, daß „der Psychopath, welcher den Sowjetstaat kontrollierte, diesen Krieg weit eher möglich und weitaus kostspieliger machte, als er hätte sein müssen, nicht zuletzt für seine eigenen Leute“.

Der Schreiber des gerade erwähnten Urteils glaubt offensichtlich, daß Behaupten gleich Beweisen ist, weil er nicht einen Fetzen Beweis für diese Anschuldigung liefert. Aber seine wilde Behauptung ist Beweis genug dafür, daß nicht J. W. Stalin der Psychopath ist, auf den sein giftiger Angriff zielte, sondern der Journalist Martin Wolf selbst, der durch sein söldnerisches Bekennertum zur Verteidigung des mörderischen Monopolkapitalismus alle Wesenszüge einer psychopathischen Persönlichkeit erworben hat (wie Horden von anderen seines Berufes, deren Geldbörsen mit Geld aus imperialistischer Kriegsbeute vollgestopft sind und die bezahlt werden, um den Sozialismus zu verleumden und die imperialistische Ausbeutung und das Räuberunwesen in strahlenden und wunderschönen Farben zu schildern). Nur so ist seine weitere Behauptung zu erklären: „Was die von der Roten Armee Befreiten erhielten, war nicht Freiheit, sondern viereinhalb Jahrzehnte Gefangenschaft. Für die Sowjetunion selbst führte das Experiment zum Tod von mehreren 10 Millionen und am Ende zu Armut.“

Nur ein gewinnsüchtiger Schmierfink, dem Ehrlichkeit und Respekt vor den Fakten fehlen, und der all die Armut, Kriminalität, das Sinken der Lebenserwartung und der kulturellen Standards auf dem Territorium der ehemaligen UdSSR ignoriert, kann Behauptungen wie die eben zitierte aufstellen. Es war nicht die Sowjetunion, sondern ihr Zusammenbruch, der die Not, das Elend und das Unglück zur Folge hatte, welches die Völker der ehemaligen UdSSR heute von allen Seiten einhüllt.

Während er heuchlerisch seine „Bewunderung für die Courage der russischen Menschen“ zum Ausdruck bringt und seinen „Dank für ihre Beiträge zu unserer Kultur“ ausspricht, offenbart Mr. Wolf seine ungetrübte „Freude über den Zusammenbruch des Sowjetregimes“ in der Hoffnung auf „das Entstehen eines modernen, wohlhabenden und demokratischen Rußlands“ – alles Schlüsselworte für die Heiligkeit des Privateigentums, die intensivierte Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und einer Nation durch eine andere – alles im Namen von „Demokratie“, „Freiheit“, „Menschenrechten“ und dergleichen Phrasen.

Mr. Wolf kann nicht einmal den Gedanken ertragen, daß die Völker der ehemaligen Sowjetunion traurig sind über das unheilvolle Verschwinden ihres einst großen und ruhmvollen sozialistischen Staates. Er will solche Empfindungen verbieten, indem er sagt: „Rußland wird nur ein normales Land [das heißt ein bourgeoises Höllenloch] sein, wenn seine Menschen ihre Freiheit eher begrüßen als dem Verschwinden ihrer Staatsmacht nachzutrauern.“

Die Menschen der einstigen Sowjetunion wissen es jedoch besser, weil sie wissen, was sie verloren haben. Deshalb sehen sie ganz selbstverständlich mit Zuneigung und Wehmut zurück auf die Tage der Sowjetunion, welche ihnen Sicherheit des Lebens und wachsende Lebens- und kulturelle Standards garantierte, und welche so überragende Siege auf jedem Gebiet erreichte – ökonomisch, wissenschaftlich, kulturell, diplomatisch und militärisch – unter der Führung der KPdSU, an deren Spitze 30 lange Jahre dieser unerschrockene Revolutionär und Verteidiger des Sozialismus, Josef Stalin, stand.

Das ist es, was die bourgeoisen Ideologen, die dem Antikommunismus erliegen und in ihrer Sichtweise vom Haß auf die proletarische Herrschaft geblendet sind, unmöglich verstehen können. Kein Wunder also, daß der Economist vom 7. Mai schrieb: „Das Überraschende der russischen Sicht auf Stalin ist nicht, daß der skurril exzentrische Stadtrat ein offizielles Angebot gemacht hat, ihn zu rehabilitieren, oder daß einige andere ihm zu Ehren Statuen errichten wollen“, sondern daß ein beträchtlicher Anteil der Einwohner ihn positiv sehen. „Der Respekt für Stalin“, heißt es weiter, „ist am stärksten bei den Alten, den Armen … sowie bei den verbliebenen Kommunisten, von denen einige an seinen Geburtstag und Todestag noch Blumen an seinem Denkmal niederlegen.“

Es ist diese Erinnerung der russischen Menschen, ihr Verlangen nach dem sowjetischen System und ihre Liebe zu den zwei Giganten, Lenin und Stalin, die die sowjetischen Menschen erfolgreich zu solchen heldenhaften Bemühungen wachriefen, die erklären, warum die Regierung Wladimir Putins gezwungen war, den 60. Jahrestag des sowjetischen Sieges über den Faschismus mit solcher Fanfare zu begehen. Fünfzig Weltführer beobachteten die Parade von 7.000 Soldaten, darunter 2.600 Veteranen, die in 130 umgebauten Kriegslastwagen am Leninmuseum im Kreml vorbeifuhren. Die Hälfte der Soldaten trug Uniformen und Waffen der 1940-er Jahre, Kampflieder singend trugen sie Transparente von Lenin und Stalin und winkten mit der sowjetischen Hammer-und-Sichel-Flagge. Es ist also unter anderem diese Rückbesinnung, die zum Wachsen der kommunistischen Bewegung auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion beiträgt.

Die Niederlage des Sozialismus ist fast ausschließlich auf den Verrat des chrustschowschen Revisionismus zurückzuführen, welcher durch seine Revision und völlige Entstellung des Marxismus auf den Gebieten der Politischen Ökonomie, der Philosophie und des Klassenkampfes in einer Periode von drei Jahrzehnten, beginnend mit dem XX. Parteitag 1956, die Bedingungen für die Restauration des Kapitalismus unter der Führung der Gorbatschow-Clique vorbereitete. Indem sie von dieser Niederlage lernen, kommen die Menschen der früheren sozialistischen Länder wie auch die Menschen andernorts nicht umhin (und haben in der Tat schon damit begonnen), sich neu zu organisieren und für den Sozialismus zu kämpfen.

Ungeachtet all der Rückschläge, die der Sozialismus zweifellos erleiden mußte, wird die Menschheit nicht von den imperialistischen Schlächtern zerbrochen werden, noch wird sie verwirrt und demoralisiert von der Revision, Entstellung und Fälschung der Geschichte, wie das von der imperialistischen Bourgeoisie und ihren Gefolgsmännern versucht wird. Im Gegenteil, sie wird sich als siegreich erweisen. Laßt die Bourgeoisie rasen und toben, laßt ihre ideologischen Müllkutscher die Geschichte fälschen nach ihres Herzens Lust; das Proletariat und die unterdrückten Menschen werden durch diese Fälschungen hindurchsehen und lernen, sie mit der Verachtung zu behandeln, die sie verdienen.

Die Artikel in dieser Broschüre sind ein Teil unseres Beitrages zum Kampf gegen die bürgerlichen Geschichtsfälscher, unseres Kampfes für Wahrheit, unseres Kampfes für die Überwindung des Imperialismus, der „unweigerlich und bald sterben wird, wie ungeheuer bestialisch die Erscheinungsformen der Raserei vor seinem Tode auch sein mögen.“[3]

Harpal Brar, London, Juni 2005. Übersetzung aus dem Englischen: Andrea Vogt

  • F. Engels, Material for the History of Ireland, Aus den Fragmenten zur „Geschichte Irlands“, 1870 – MEW Bd. 16, S. 499 – 500
  • Der vierte Jahrestag der Oktoberrevolution“ von W.I. Lenin, 14. Oktober 1921 – Werke, Bd. 33, S. 36
  • Prophetic Words“ V I Lenin, 29 June 1918 / “Prophetische Worte”, W.I. Lenin, 29. Juni 1918 – Werke, Bd. 27, S. 500