Referenten der HVA des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR
sowie Referenten der Gruppe der Kundschafter für den Frieden:
Odense – ein Tatsachenbericht
Referenten der HVA bewerten die wissenschaftliche Konferenz „Hauptverwaltung A: Geschichte – Aufgaben – Einsichten“am 17./18. November 2007 an der Süddänischen Universität in Odense.
Die Medienreaktion nach der Konferenz trägt groteske Züge und steht mit dem tatsächlichen Verlauf der Tagung im krassen Widerspruch. Anwesend waren ehemalige Angehörige des MfS und Verantwortungsträger der HVA sowie prominente Wissenschaftler, Historiker, Rechtsexperten der DDR, wie auch Historiker und Geheimdienstexperten aus der BRD, den USA, aus Holland, Dänemark, Schweden.
Als Zeitzeugen folgten wir der Einladung der Süddänischen Universität. Unsere Teilnahme war von der Absicht und dem Willen getragen, einen Beitrag zum Dialog über die Geschichte der DDR und die Rolle der Geheimdienste in der Zeit des Kalten Krieges zu leisten.
Zur Vorgeschichte der Konferenz:
Im November 2001 führte die Birthler-Behörde in Berlin-Dahlem eine Konferenz zum Thema: „Stasi im Westen: Geheimdienste und Politik im deutschdeutschen Verhältnis“ durch. Dort traten nur Referenten der Behörde bzw. handverlesene Publizisten und Historiker auf. Vertreter des MfS waren nur als Zuhörer geduldet (Beiträge nachlesbar in: Georg Herbstritt/Helmut Müller-Enbergs: Das Gesicht dem Westen zu; edition temmen, Bremen, 2003).
Im Jahre 2002 sollte nach den Vorstellungen der Birthler-Behörde eine Podiumsdiskussion über die Kundschafter stattfinden. Als Thema war vorgesehen: „Kundschafter und Patrioten – Bundesbürger im Dienst der Stasi“. Einige „ausgewählte“ Vertreter der HVA sollten daran teilnehmen. Als wir als Bedingung unserer Teilnahme darauf bestanden, dass mindestens ein Kundschafter der DDR im Podium vertreten sein müsse, wurde dieses Projekt durch die Birthler-Behörde fallengelassen.
Wir führten dann am 7. Mai 2004 mit Unterstützung des Berliner Alternativen Geschichtsforums die internationale Konferenz „Spionage für den Frieden?“ in Berlin-Kreuzberg durch. Dazu liegt ein Konferenzband vor. Es traten Vertreter ausländischer Geheimdienste, renommierte Historiker und leitende Mitarbeiter der HVA/des MfS auf – aber Vertreter der Birthler-Behörde nahmen nicht teil.
Ab 2006/2007 gab es eine erste Initiative für eine gemeinsame Konferenz, wesentlich getragen u.a. durch Helmut Müller-Enbergs (Birthler-Behörde) und den dänischen Historiker Thomas Wegener Friis. Es erfolgte eine regelmäßige Abstimmung mit Vertretern der HVA und die Zusicherung einer fairen Behandlung teilnehmender Mitarbeiter und Kundschafter. Das Konzept und die organisatorischen Vorbereitungen waren für den Juni 2007 in Berlin abgestimmt. Die Absage, vorwiegend inspiriert von der Birthler-Behörde und von Vertretern der Berliner CDU führte zu Reaktionen bei der Süddänischen Universität mit der Grundaussage: Wir wollen diese Konferenz im Interesse der Freiheit der Wissenschaft – wenn das in Deutschland nicht möglich ist – dann in Dänemark.
Verlauf der Konferenz
Die Konferenz am 17./18. November 2007 in den Räumen der Süddänischen Universität war gegliedert in fünf Sektionen:
1. Die HVA im Überblick
– Nachkriegs-Gegenspionage in Europa: Prof. Dr. Nigel West (USA)
– Geschichte und Aufgaben der HVA: Werner Großmann (HVA)
– HVA – ein Forschungsstand: Helmut Müller-Enbergs (BRD)
2. Politische Spionage
– Bundesregierung und Auswärtiges Amt: Ralf-Peter Devaux (HVA)
– Parteien in der Bundesrepublik: Kurt Gailat (HVA)
– Kontaktpolitik: Dr. Herbert Bertsch (HVA)
– Spionage gegen die BRD: Bernd Lippmann BRD)
– Desinformation als Propagandakrieg der DDR (bis 1972): Prof. Dr. Michael Scholz (Schweden)
– Feindbilder: Vom Nutzen und Nachteil für den Intelligence Cycle: Dr. Beatrice de Graaf (Niederlande)
3. Militärspionage
– Strategische Militäraufklärung: Karl Rehbaum (HVA)
– Aufklärung der NATO: Rainer Rupp (HVA)
– Militärspionage unter Chruschtschow: Dr. Matthias Uhl (BRD)
– Militärspionage des BND in der DDR: Dr. Armin Wagner (BRD)
4. Wissenschafts-, Technik und Wirtschaftsspionage
– Der Sektor Wissenschaft und Technik: Horst Vogel (HVA)
– Operatives Wissen und praktische Verwertung: Prof. Dr. Jörg Roesler (BRD)
– Die „Kronjuwelen“ und die Bedeutung der wissenschaftlich-technischen Aufklärung: Prof. Dr. Kristie Macrakis (USA)
5. Gegenspionage und Spionageabwehr
– Aufklärung und Abwehr der CIA: Klaus Eichner (HVA)
– Aufklärung und Abwehr der BRD-Dienste: Gotthold Schramm (HVA)
– Infiltration des BND: Dr. Gabriele Gast (HVA)
– Das Verbindungssystem: Heinz Geyer (HVA)
– Kontinuität und Brüche des BND in der DDR-Spionage: Erich Schmidt-Eenboom (BRD)
– Konfrontation der Geheimdienste in Deutschland vor 1961: Dr. Paul Maddrell (Großbritannien)
– „Blinder Fleck“: Die CIA und Ostdeutschland: Benjamin B. Fischer (USA)
– Markus Wolfs Akten, Beute der CIA: Operation Rosenholz: Dr. Robert G. Livingston (USA)
Die Referate der HVA waren an der Themenstellung der Konferenz orientiert und verleugneten nicht unsere sozialistischen Positionen. Nachteilig wirkte sich aus, dass für den mündlichen Vortrag zwingend nur 20 Minuten möglich waren, dadurch kam es zu Verkürzungen, auf wichtige Argumentationen musste verzichtet werden. Zu jedem Referat liegt der Universität jedoch eine Langfassung (meist zwischen 10 und 15 Seiten) vor.
Von den Referenten der HVA erfolgten auf der Grundlage der Themenstellung der Konferenz qualifizierte Darstellungen jeweils mit Bezugnahme auf historische Ereignisse und Zusammenhänge. Sie bewerteten ihre Arbeit als Beitrag für die Erhaltung des Friedens und brachten Genugtuung darüber zum Ausdruck. Die Konferenz hat deutlich durch die detaillierten Vorträge der Kundschafter Dr. Gabriele Gast und Rainer Rupp gewonnen. Beeindruckend deren Schilderung wichtiger politischer und operativer Zusammenhänge und Erkenntnisse, sowie die politische Entscheidungen direkt beeinflussender Informationen. Dass beide Kundschafter bedeutsame Ergebnisse der Aufklärung der HV A zur Kenntnis gaben, zeigt die Reaktion einiger bürgerlicher Medien.
Von der Universität waren 13 westliche Wissenschaftler aufgeboten, die unter den gleichen Bedingungen agieren konnten.
Im Anschluss an die Sektionen bestanden Möglichkeiten für Anfragen an die Referenten bzw. für kurze Statements. Dabei kam es sowohl zu inhaltlichen Diskussionen als auch zu „propagandistischen“ Äußerungen von Vertretern beider Seiten. Auch die für die Diskussion zur Verfügung stehende Zeit war zu kurz bemessen. Dies verminderte beträchtlich die Möglichkeiten für den Meinungsstreit und zur Fragestellung.
Zu den aktuellen Reaktionen nach Abschluss der Konferenz:
Im Widerspruch zu allen früheren positiven Wertungen und Appellen für die „Freiheit der Wissenschaft“ – bis zum Abschluss der Konferenz am Sonntag, 18.11. – erklärte der Veranstalter, Dr. Thomas Wegener Friis, am 23.11.:
„Somit zeigten sich auf dieser Konferenz zwei Sachverhalte:
– Die anwesenden Wissenschaftler (Anm.: gemeint sind offensichtlich die westlichen Wissenschaftler!) haben eine durch Fakten abgesicherte Darstellung der DDR-Spionage geliefert.
– Die geistige Verfassung der alten Stasi-Eliten hat sich nicht verändert. Diese Personen haben sich mit ihren propagandistischen Äußerungen öffentlich diskreditiert.“
Das war eine erstaunliche Kehrtwende von der Position, die der Veranstalter Dr. Friis während und unmittelbar nach der Konferenz öffentlich vertreten hat. So wurde Dr. Friis z.B. in der Frankfurter Rundschau (19.11.2007) noch wie folgt zitiert: „Dass die HV-A-Leute ihre Position darlegen würden, das ist natürlich kontrovers. Aber alles in allem ist das vernünftig abgelaufen“. Und der „Stern“ (19. 11. 2007) berichtete: „der Konferenzorganisator Friis war am Ende hoch zufrieden mit dem Erfolg seiner Konferenz“. Gegenüber der Tageszeitung junge Welt (20.11.2007) sagte Dr. Friis, die Konferenz sei „sehr vernünftig gelaufen, es war ein spannendes Experiment“ Nach einigen Referaten habe es „zwar hitzige Diskussionen“ gegeben, man sei „sich aber nicht an den Kragen gegangen“. Was bei Dr. Friis den plötzlichen Sinneswandel verursacht hat, so dass er einige Tage später mit einer total konträren Stellungnahme an die Öffentlichkeit ging, darüber kann nur spekuliert werden.
Dagegen zeigte sich die schwedische Professorin Dr. Birgitta Almgren in einem Interview in junge Welt vom 30.11.2007 über das Ergebnis der Konferenz hocherfreut und zugleich machte sie klar: „Es geht für die Wissenschaft nicht um Schuldbekenntnisse.“ Unter Bezugnahme auf eine Veröffentlichung in der „Süddeutschen Zeitung“ betonte der westdeutsche Wissenschaftler Dr. Andreas Kalckhoff in einem Leserbrief am 22.11.2007: „Die Kritik, mit der die Autorin die Veranstalter bedenkt, ist für eine Journalistin, der die Trennung von Bericht und Kommentar, von Recherche und Interpretation doch vertraut sein müsste, schon erstaunlich. Anscheinend hat sie erwartet, dass die Spione, von denen einige von Gerichten schuldig gesprochen worden sind und ihre Strafe abgesessen haben, von den Historikern quasi noch einmal vor Gericht gezerrt und unter Johlen des Publikums abgeurteilt werden. Eine Historiker-Tagung mit einem Schauprozess zu verwechseln, ist indes ein Missverständnis.“
Aussagen aus einigen Medien:
– ohne Unrechtsbewusstsein; keine Aufklärung,
– nur beharrliche Rechtfertigung;
– die verbreiten doch nur Geschichtsklitterung;
– Zeitzeugen oder Unbelehrbare;
– Verhöhnung der Stasi-Opfer.
Diese Aussagen werden ergänzt durch hasserfüllte persönliche Diffamierungen. Da lesen oder hören wir: Gespenstertreffen in Dänemark; Seniorentreffen der schauerlichen Art; Butterfahrt der Stasi-Offiziere: Eine Hundertschaft beleibter Senioren schleicht in den Hörsaal; Versammlung alter Männer auf Krücken und in Gesundheitsschuhen.
Natürlich meldet sich auch die Birthler-Behörde zu Wort: Die Behörde, die eine Beteiligung an der Konferenz abgelehnt hatte, kritisierte deren Verlauf. Vom wissenschaftlichen Anspruch der dänischen Veranstalter, die Ansichten der HVA-Vertreter einer kritischen Reflexion auszusetzen, sei „nicht viel übrig geblieben“. „Aufklärungswille ist hier nicht erkennbar, es geht nur um Rechtfertigung“, sagte der wissenschaftliche Mitarbeiter der Behörde, Jens Gieseke (der als „stiller Beobachter“ an der Konferenz teilnahm), der Nachrichtenagentur AFP. „Die alten Stasi-Generäle haben keinerlei Reflexion dessen, was sie getan haben. Denen geht es nur um Reinwaschung und ums Abstreiten von Verantwortung“, sagte Birthler-Sprecher Andreas Schulze. „Man adelt Leute zu Zeitzeugen, die nichts gelernt haben. Die verbreiten doch nur Geschichtsklitterung.“
Und Hubertus Knabe sattelt noch drauf: Die Konferenz verharmlose die SED-Diktatur sagte Knabe vor Beginn der Konferenz. Dem Organisator Thomas Wegener Friis mangele es offenbar an der notwendigen Sensibilität im Umgang mit Diktaturen. Das Argument, die Stasi-Offiziere seien Zeitzeugen, sei absurd. „Das ist so, als würde man Osama bin Laden und seine Mitarbeiter zu einer Terrorismus-Tagung einladen.“ Damit unterstreicht Knabe seine Position, dass die Historiker das jetzt nachholen müssten, was die Justiz nicht geschafft hat.
Unter weitgehender Ausblendung der wissenschaftlichen Erkenntnisse und Diskussionen der Konferenz in Odense fokussierte sich die Berichterstattung, speziell in den deutschen Medien, auf die schrille „Vermarktung“ der persönlichen Äußerungen des Rechtanwalts Jürgen Strahl. Der hatte unter Verweis auf den gerade wieder ausgestrahlten Stauffenberg-Film auf die damals in Nazi-Deutschland vorherrschende Meinung gesagt: Verräter erschießen sich selbst oder sie werden erschossen. Ohne Versuch, den Sachverhalt weiter zu klären, stürzten sich die deutschen Medien auf diese gewiss inakzeptable Äußerung von Rechtsanwalt Strahl und so wurde die Aussage einer Person aus dem Publikum pauschal als die der ehemaligen HVA-Referenten kolportiert.
Lassen wir hier nochmals die schwedische Professorin, Frau Birgitta Almgren zu Wort kommen. Im bereits erwähnten Interview mit „junge Welt“ sagte sie mit Blick auf die Berichterstattung in den großen deutschen Medien: „Ich habe einige dieser Artikel gelesen und kann es gar nicht nachvollziehen. Mit Blick auf die Verfasser frage ich mich: Waren wir auf derselben Konferenz? Die Zeitungen stürzten sich auf irgendwelche provozierenden Äußerungen von Zugreisten in den Pausen, die nichts mit den Vortragenden zu tun hatten“.
Werner Großmann, der aus gesundheitlichen Gründen nicht an der Konferenz teilnehmen konnte, äußerte sich zu dieser absichtlichen Verdrehung der Tatsachen in den deutschen Medien am 29.11. in der jW: „In den letzten Tagen wurde durch Medien versucht, die Tätigkeit der HVA und ihrer ehemaligen Mitarbeiter zu diskreditieren und zu kriminalisieren sowie das Ergebnis der Konferenz in Frage zu stellen. Die Medien beziehen sich vor allem auf einen Diskussionsbeitrag des Gastes der Konferenz, RA Jürgen Strahl, der die Behauptung aufgestellt hatte, dass Verräter aus militärischen Einrichtungen zu erschießen seien oder sich selbst zu erschießen hätten. Er nahm dabei Bezug auf den Mord an Graf von Stauffenberg, der wegen seiner Beteiligung an den Ereignissen des 20. Juli 1944 von den Nazis hingerichtet wurde. Ich, unsere Teilnehmer an der Konferenz und alle ehemaligen Mitarbeiter der HVA distanzieren sich entschieden von dieser Feststellung. Den empörenden Vergleich von verbrecherischen Entscheidungen Nazideutschlands mit Vorgängen in der DDR weisen wir entschieden zurück. Wir halten das Vermächtnis gegenüber den Kämpfern gegen den Faschismus hoch und wenden uns gegen Verletzungen der Menschenrechte in Vergangenheit und Gegenwart.“
Wolfgang Schwanitz erklärte dazu: „Als letzter Leiter des Amtes für Nationale Sicherheit (AfNS) distanziere ich mich energisch von der Äußerung des Herrn Jürgen Strahl auf der Konferenz „Hauptverwaltung A., Geschichte/Aufgaben/Erkenntnisse“ am 17. und 18. November 2007 an der Süddänischen Universität in Odense. ….. Die faktische Gleichstellung der DDR mit dem Hitlerfaschismus ist eine Beleidigung aller, deren Maxime der Antifaschismus ist. Zu den Gründern des MfS gehörten viele Kämpfer gegen den Faschismus. Sie prägten den Geist des Antifaschismus in diesem Organ. Mit seiner Äußerung steht Strahl allein. Von ihr auf die Denkweise der Mitarbeiter des MfS zu schließen und eine neue Kampagne, ja Pogromstimmung, gegen die „Stasi“ auszulösen, ist dem Antikommunismus geschuldet. …“ (Vgl. www.mfs-insider.de)
Wir sind uns aber einig, dass die bürgerlichen Medien auch einen anderen Anlass für ihre Hetze und Verleumdung gefunden und genutzt hätten.
Aber die Medien kommen auch nicht umhin, in ihren Überschriften und Beiträgen positive Wertungen aus Beiträgen unserer Seite in die Öffentlichkeit zu transportieren, z.B.:
– erfolgreiche Arbeit zur Friedenssicherung;
– wir sind nicht wie andere Geheimdienste für Staatsstreiche, Ermordungen oder Entführungen verantwortlich;
– nach wie vor achten und ehren wir die Kundschafter des Friedens;
– unsere Quellen wurden niemals für Zwecke missbraucht, die humanistischen Zielen widersprechen;
– stolz auf unsere Arbeit mit herausragenden Ergebnissen;
– ich würde heute nichts anderes machen.
Zum Auftreten bürgerlicher Wissenschaftler:
Von den 13 westlichen Referenten behandelten zwei Historiker Themen weitab vom Inhalt der Konferenz (Prof. Nigel West über Überläufer aus dem KGB in den 40er/50er Jahren; Dr. Matthias Uhl über die Militärspionage des KGB unter Chruschtschow).
Die Frankfurter Rundschau zog als Resümee: „Die Fachwissenschaftler unter den Rednern blieben allerdings deutlich im Schatten der einstigen DDR-Geheimdienstler, die selbstbewusst bis aggressiv auch Fragerunden zur Selbstdarstellung nutzten.“
Der Leiter des Museums in der Berliner Normannenstr., Bernd Lippmann, hatte sich, anders als seine Berliner Kollegen, für die Teilnahme an der Tagung entschieden. Nach seinen Erklärungen wollte er den einstigen „Stasi-Generälen nicht das Feld überlassen“. Während seines Vortrages mit subjektiven und unrealistischen Vorstellungen über die Struktur der Westspionage des MfS stellte er dann u.a. die tiefgründige Frage: „Weil Sie doch so viel Wert auf Ihre antifaschistische Motivation legen, möchte ich mal wissen, ob alle von der Stasi verhafteten DDR-Bürger in Ihren Augen Faschisten gewesen sind?“ Herr Lippmann bezog sich auch auf seine Kontakte zur „Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte“. Auf eine Anfrage aus dem Publikum über geheimdienstliche Hintergründe der Gründung und des Wirkens dieser „IGfM“ wusste Herr Lippmann keine Antwort. Ein Vertreter der HVA nannte ihm spontan die Namen der Geheimdienstagenten, die Gründer der „IGfM“ waren – und Herr Lippmann konnte sich dann zumindest an einen Namen erinnern. Dem fügte er dann noch zehn Fragen an Gabriele Gast an mit dem Höhepunkt, ob denn die HVA ihr als Quelle auch vertraut habe.
Frühere Stasi-Offiziere sollten nach Ansicht von Lippmann zwar als Zeitzeugen befragt werden, dürften aber nicht als Verkünder ihrer Ideologie auftreten.
Der Militärhistoriker und Offizier der Bundeswehr, Dr. Armin Wagner aus Hamburg, versuchte eine Ehrenrettung des Bundesnachrichtendienstes (BND) und sparte dafür jede kritische Bewertung der Spionagemethoden des BND aus, die zu zahlreichen Verhaftungen durch das MfS führten. Es ist aus zahlreichen Publikationen ersichtlich, dass der BND wegen mangelnder Professionalität und Fehlern der V-Mann-Führer Hunderte von Agenten durch Enttarnung in der DDR verloren hat. Das findet bei Dr. Wagner keine Erwähnung. Nach Ansicht von Dr. Wagner habe der westdeutsche Dienst trotz viel schwierigerer Startbedingungen stets ein „zutreffendes Lagebild“ der sowjetischen Militärpräsenz in der DDR gehabt – auch wenn es mit der Spionage in den obersten Sphären der ostdeutschen Politik sehr haperte. Dr. Wagner bediente die alten Klischees der Geheimdienst-Arbeit Ost-West: „Aber es macht schon einen ethischen Unterschied, ob ich für eine liberale freiheitliche Ordnung arbeite oder für ein diktatorisches Regime.“ Im Disput über unsere Darlegungen zur Bearbeitung der bundesdeutschen Nachrichtendienste durch die HVA kritisierte er nachdrücklich, dass der Referent nichts über die Niederlagen der HVA in diesem Kampf ausgebreitet habe.
Die Tageszeitung junge Welt bilanzierte: „Vor allem bei Wissenschaftlern aus dem Ausland stieß die Konferenz auf Resonanz. ´Das war hochspannend. Ich habe noch nie so viele interessante Details erfahren`, lobte die niederländische Historikerin und Autorin Beatice de Graaf.´Von der HVA-Seite gab es selbstkritische und gut formulierte Beiträge, bei manchen Referaten wäre aber vielleicht etwas mehr wissenschaftliche Reflexion nötig gewesen.` Klaus Schulze, Assistenz-Professor an der Universität Roskilde (Dänemark), zeigte sich überrascht ´von der problematischen wissenschaftlichen Qualität von zwei der Bundesregierung nahe stehenden Referenten`. Der deutsche Friedensforscher Erich Schmidt-Eenboom hob den internationalen Aspekt hervor: ´Es hat sich ausgezahlt, dass Referenten aus Drittstaaten in die Konferenz einbezogen wurden`, bemerkte er gegenüber jW. ´Ich hoffe, dass diese neue Sachlichkeit auch nach Deutschland überschwappt.`“
Die Harvard-Professorin Kristie Macrakis, die seit Jahren über die wissenschaftlich-technische Aufklärung der DDR forscht und dazu etliche hundert Akten aus der Birthler-Behörde ausgewertet hat, hob die Qualität der jahrelang tätigen Quellen des Bereiches SWT hervor und polemisierte außerdem über die Thesen von Dr. Wagner, dass 90 Prozent der Quellen der HVA auf der Basis materieller Interessen tätig war (Dr. Wagner beruft sich dabei auf Forschungsergebnisse der Birthler-Behörde). Sie bekräftigte ihre Position noch einmal nachdrücklich in einem Leserbrief in der FAZ vom 5.12. mit der Überschrift: „Warum so feindselig?“
Erich Schmidt-Eenboom gab eine kritische Bilanz der BND-Spionage gegen die DDR. Nach authentischen Angaben hatte der BND im Jahre 1988 rund 180 Agenten in und gegen die DDR eingesetzt; davon waren 160 vom MfS gesteuerte Doppelagenten, von den 20 noch nicht offiziell enttarnten Quellen hatten 2, maximal 3, die Qualität von Innenquellen mit entsprechendem Informationszugang.
Der britische Historiker P. Maddrell, der seit Jahren Forschungen zur westlichen Spionage von 1945 bis 1961 vom Boden der BRD aus gegen die SBZ/DDR betreibt, stellte fest, dass bei diesen massiven Spionage- und Subversionsangriffen die DDR zu umfassenden Abwehrmaßnahmen gezwungen war, ihre Abwehrarbeit also legitim war.
Besonders faszinierend war der Vortrag des langjährigen Leiters der Historical Division der CIA, Benjamin Fisher. Er bezeichnete es als den größten historischen Fehler der CIA, die HVA als „toten Nebenarm“ des KGB betrachtet und damit unterschätzt zu haben. Die Quittung war, dass alle CIA-Agenten in und gegen die DDR vom MfS gegengesteuert waren. In seinem Beitrag listete er eine Reihe eindrucksvoller Erfolge der HVA auf.
Abschließend berichtete der USamerikanische Forscher und frühere Diplomat Robert Livingston ganz sachlich und unvoreingenommen über seine Forschungsergebnisse zum Problem der „Rosenholz“-Dateien. Dabei unterstrich er, dass die Arbeit der HVA in der BRD, wie auch anderswo, nicht auf Systemsturz, Unterwanderung usw. ausgerichtet war und gab eine hohe Wertung der HVA-Ergebnisse bei der Aufklärung in der Bundesrepublik und der NATO.
Noch einmal aus der Bilanz der jungen Welt: “In Dänemark ist machbar (Anm.: heute muss man sagen: schien kurze Zeit machbar), was in Deutschland zurzeit offenbar noch nicht möglich ist: eine offene und auf Erkenntnisgewinn gerichtete Diskussion über die Rolle der Auslandsaufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) der DDR. Die Konferenz war aus unserer Sicht unter den gegebenen Möglichkeiten ein wissenschaftlicher Erfolg, der eine Fortsetzung verdient. Sie bot Gelegenheit zu sachlichen Gesprächen und Dialogen. Im Frühjahr 2008 soll ein Konferenzband mit möglichst allen Beiträgen (das ist abhängig von der Zustimmung der Referenten zur Veröffentlichung ihrer Vorträge) erscheinen.
Dieser Bericht wurde von den Referenten der HVA des Ministeriums für Staatssicherheit
der DDR sowie den Referenten aus der Gruppe der
„Kundschafter für den Frieden“ kollektiv zusammengestellt
Mit herzlichem Dank für die Genehmigung übernommen aus:
GEHEIM Nr. 4/2007; 30. 12. 2007
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