Stein des Anstoßes

Eva Ruppert:
Stein des Anstoßes – Der im ND nicht gedruckte Artikel

(Anmerkung: Zum richtigen Verständnis des Artikels ist es unbedingt notwendig, die dazugehörigen Fußnoten zu lesen.)

Ein zweiter Gedenkstein in Friedrichsfelde? „Die Toten mahnen uns!“ Was bedeutet uns dieses Denkmal auf dem Sozialistenfriedhof in Berlin? Jedes Jahr im Januar gehen Zehntausende dorthin, um die Kämpfer der Revolution zu ehren. Was treibt so viele Menschen immer wieder an diese historische Stätte. Weil sie gerade heute, da der Kapitalismus immer wütender um sich schlägt, erkennen, wie wahr die Gedanken der revolutionären Kämpfer sind, derer dort gedacht wird.

Karl Liebknecht, der einzige Reichstagsabgeordnete, der 1914 den Mut hatte, gegen die Kriegskredite zu stimmen und der sich an die Beschlüsse der internationalen Sozialdemokratie hielt; Rosa Luxemburg, die kluge und mutige Frau, die an seiner Seite gegen Militarismus kämpfte und nach dem Verrat der Sozialdemokratie für eine neue marxistische Partei eintrat; Rudolf Breitscheid, sozialistischer Reichstagsabgeordneter und Antifaschist, Sondergefangener Hitlers, sowie Ernst Thälmann, der in Buchenwald ermordet wurde und der mit unvergleichlichem Weitblick auf dem 12. Parteitag der KPD 1929 den Zusammenhang zwischen Faschismus, Imperialismus und Krieg erkannte: „Damit wird immer klarer, dass die deutsche Bourgeoisie ihre Kapitaloffensive nur durchführen kann, wenn sie eine scharfe Wendung in der Richtung der faschistischen Herrschaftsmethoden vollzieht.“ Eine Warnung auch an uns Heutige.

„Den toten Helden der Revolution“ war als ehrenvolle und mahnende Inschrift auf dem Revolutionsdenkmal in Friedrichsfelde angebracht, das am 11. Juni 1926 von Wilhelm Pieck, der damals die Berliner Parteiorganisation leitete, in Anwesenheit von Ernst Thälmann und unter Beteiligung Zehntausender eingeweiht worden ist. Jahrelang hatten[37] Berliner Arbeiter unter großen Anstrengungen für das Denkmal gesammelt, das vom berühmten Architekten, Bauhaus-Direktor von Dessau, Mies van der Rohe, entworfen worden war.[38]

Nach dem von Hitlerfaschisten organisierten Reichstagsbrand und der Massenverfolgung von Kommunisten, Sozialdemokraten und anderen Demokraten entfernten die Nazis den Sowjetstern vom Revolutionsdenkmal. Besucher wurden festgenommen. Trotzdem nutzen Antifaschisten immer wieder auch kirchliche Gedenktage, um Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und andere Revolutionsopfer zu ehren.

Im Januar 1935 wurde das imposante Monument von den Faschisten dem Erdboden gleichgemacht. Die Grabsteine für Liebknecht, Luxemburg und andere Revolutionsopfer konnten aber gerettet werden.  Es gibt Fotos von der barbarischen Grabschändung. Im „Neuen Deutschland“ vom 5./6. Juli 1975 wurden sie veröffentlicht. Der japanische Antifaschist Prof. Dr. Etsuji Sumiyo, der in den 30er Jahren als junger Journalist in Deutschland war, hat sie dem Historiker Dr. Kurt Gossweiler zukommen lassen. Das ND schrieb damals: „Dieses Geschenk aus dem fernen Japan symbolisiert auf seine Weise, wie vergeblich die Anstrengungen aller Reaktionäre von gestern und heute waren und sind, das Andenken an solche Helden wie Karl und Rosa aus dem Gedächtnis der Menschen auszulöschen.“ Ich denke, diese Worte gelten auch und gerade für die heutige Zeit, in der nicht nur die Gegner der proletarischen Revolution und der DDR, sondern auch Genossen aus der PDS die revolutionäre Bedeutung des Mahnmals verfälschen wollen.[39]

Am 14. Januar 1951 konnte die neue Gedenkstätte eingeweiht werde. In seiner Gedenkansprache sagte der damalige Staatspräsident der DDR, Wilhelm Pieck: „Wir ehren mit dieser Gedenkstätte die Toten aus fünf Jahrzehnten deutscher Arbeiterbewegung. Wir wollen mit der gemeinsamen Ehrung der alten Sozialisten und der in der Weimarer Republik und unter dem Hitlerfaschismus gefallenen und ermordeten Kämpfer unsere unverbrüchliche Treue zur großen sozialistischen Idee zum Ausdruck bringen und geloben, die Einheit der Arbeiterklasse als das teuerste Gut der sozialistischen Bewegung zu hüten. Wir erfüllen damit das Vermächtnis des besten Arbeiterführers in der Zeit der Weimarer Republik, unseres Ernst Thälmann.“[40]

Am 10. November 2006 wurde still und leise, kurz vor der diesjährigen L.-L.-Demonstration, ein neuer Stein mit der Inschrift „Den Opfern des Stalinismus“ in Berlin-Friedrichsfelde aufgestellt. Was aber ist „Stalinismus“? Erich Honecker schrieb 1992[41]: „Es gilt heute als `modern`, aufrechte Kommunisten als Stalinisten abzustempeln. … Unter der Flagge des Kampfes gegen den `Stalinismus` wird der Kampf gegen den Sozialismus geführt wie ehemals der Kampf gegen den Kommunismus unter der Flagge des Bolschewismus geführt wurde. Der `Stalinist` Dimitroff hat aber über den Bolschewistenfresser und Judenschlächter Göring im Kampf um die Wahrheit gesiegt.“

Auf dem Sonderparteitag der SED/PDS im Dezember 1989 hat Gregor Gysi erklärt, dessen wichtigstes Ergebnis sei die Zerschlagung des Stalinismus gewesen. Stalin zum Schöpfer einer eigenen Theorie zu machen ist Geschichtsfälschung. Stalin war stets Leninist. Und hat nie den Anspruch erhoben, eine eigene Theorie zu haben. Ohne ihn wäre die sozialistische Sowjetunion wahrscheinlich schon in den 30er Jahren durch Diversion und Spionage zerstört worden. Und es nicht aus der Geschichte zu streichen, dass die Völker der Sowjetunion als erste eine neue Gesellschaft aufbauten, in der es keinen Faschismus gab und keinen Krieg geben sollte. Ohne Stalin hätte 1945 nicht die rote Fahne auf dem Reichstag in Berlin gehisst werden können.[42] Selbst der Antikommunist Churchill musste dies[43] anerkennen. Er sagte nach dem Zweiten Weltkrieg: „Stalins Kraft war so groß, dass er unter den Führern aller Völker und Zeiten nicht seinesgleichen kennt.“[44] Zu erinnern ist auch, dass es Stalin war, der den Westmächten und beiden deutschen Regierungen wenige Jahre nach dem Krieg einen Vorschlag für einen Friedensvertrag unterbreitet hat auf Grundlage des Potsdamer Abkommens.[45] Ist das „Stalinismus“?

Nun wendet man ein, die „Säuberungen“ der 30er Jahre in der Sowjetunion unter Stalin hätten so viele unschuldige Opfer gefordert, die man doch auch ehren müsse. Dazu ist zu sagen, dass diese Opfer, die nicht in Abrede gestellt werde, ebenso wie Leid und Tod von 25 Millionen Sowjetsoldaten und Sowjetbürgern, auf das Konto der Hitlerfaschisten und ihrer Hintermänner gehen, die Deutschland aufrüsteten, um einen Stoß gegen die Sowjetunion zu führen, und die einen Keil in die Anti-Hitler-Koalition zu treiben versuchten. Leider führten die notwendigen Maßnahmen gegen einen faschistischen Überfall und die Bildung einer Fünften Kolonne dazu, dass auch Unschuldige betroffen wurden.[46]

Ohne „Ent-Stalinisierung“ wäre die Restauration des Kapitalismus nicht möglich gewesen. Der „Anti-Stalinismus“ ist komprimierter Antikommunismus und damit Antimarxismus und Antileninismus. Wer Stalin verteufelt, verurteilt gleichzeitig auch Marx und Lenin. Antikommunismus ist nicht nur die „Grundtorheit“ unserer Epoche, wie Thomas Mann sagte, sondern ein Grundverbrechen, um der Arbeiterklasse ihre stärkste Waffe, den Kampf um die Eigentums- und Klassenverhältnisse, zu nehmen.

Sind mit den neuen „Opfern“ etwa auch die Naziverbrecher gemeint, die 1945 in ehemaligen Konzentrationslagern und Zuchthäusern, übrigens nicht nur in der sowjetisch besetzten Zone, inhaftiert waren?

Ein Gedenkstein mit der Inschrift „Den Opfern des Stalinismus“ ist eine Beleidigung nicht nur der revolutionären Kämpfer Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, sondern aller, die mit ihrem Blut für den Sozialismus, gegen Krieg und Faschismus ihr Leben gelassen haben und derer, die heute für eine sozialistische Gesellschaftsordnung kämpfen.[47]

Der Stein des Anstoßes, der Schandstein, der für Antikommunismus und Revisionismus steht, muss beseitigt werden. Im Gedenken an Karl und Rosa.

Eva Ruppert,
Bad Homburg

  • [37]Als es noch hieß, dass der Beitrag erscheinen würde, hatte das ND hier gestrichen: „…auf Initiative der KPD-Führung…“

  • [38]Als es noch hieß, dass der Beitrag erscheinen würde, hatte das ND hier gestrichen: „In seiner Ansprache anlässlich der Enthüllung des Denkmals sagte Wilhelm Pieck damals: `Wie dieses Denkmal uns stets erinnern soll an die blutigen Kämpfe, die vom Proletariat um seine Befreiung und gegen die Konterrevolution geführt wurden und an die schmachvollen Dienste, die ihr die sozialdemokratische Führerschaft schon geleistet hat, so soll dieses Denkmal mit der von ihm wehenden roten Fahne und dem an ihm leuchtenden Sowjetstern ständig ein Mahnzeichen zum Kampf sein, zum Sammeln der Massen für den Kampf, zur Organisierung der Revolution und zur höchsten Kraftentfaltung, um sie zum Siege zu führen.` Auch Ernst Thälmann hielt eine kurze Ansprache.
    In den Jahren, die der Einweihung des Mahnmals folgten, veranstaltete die KPD jährlich im Januar – bis zur Errichtung der faschistischen Diktatur – Kampfdemonstrationen zur Grabstätte der Revolutionsopfer. Sie gingen in die geschichte ein unter dem Begriff „LLL-Feiern“. In der Zeit der Weltwirtschaftskrise 1929 und der sich ausbreitenden faschistischen bewegung gewnnen die Demonstrationen zur Gedenkstätte immer deutlicher antifaschistischen Charakter. Polizei und Nazis verstärkten ihre Provokationen. Bei der verbotenen Maidemonstration 1929 wurde wahllos auf Demonstraten geschossen. Die Opfer des Berliner Blutmais wurden ebenfalls in Friedrichsfelde beigesetzt.“
  • {39]Als es noch hieß, dass der Beitrag erscheinen würde, hatte das ND hier gestrichen: „Die rote Fahne, die bis Januar 1933 am Denkmal gehisst werden konnte, wurde von dem deutschen Kommunisten Max Dübel gerettet und 1952 der Kreisdelegiertenkonferenz der SED in Berlin-Lichtenberg übergeben.
    Nach dem Sieg über den Hitlerfaschismus, an dem die Sowjetunion den größten Anteil hatte, wurde über einen Neubau der Gedenkstätte der Sozialisten nachgedacht. Rechtssozialdemokratische Kräfte aus den Westsektoren Berlins versuchten das zu verhindern oder mindestens zu erschweren.
    Wilhelm Pieck richtete im November 1946, gestützt auf die Forderung zahlreicher Arbeiter, einen Brief an den Oberbürgermeister von Groß-Berlin, um an die Erfüllung eines Magistratsbeschlusses von 1945 zum Neubau der Gedenkstätte zu erinnern.“
  • [40]Als es noch hieß, dass der Beitrag erscheinen würde, hatte das ND hier gestrichen: „…, der uns immer lehrte, mit allen Kräften die Einheit der sozialistischen Bewegung zu erkämpfen. In seinem Geiste geloben wir, den Krieg durch den Frieden zu bezwingen`.
    Auch nach dem Ende der DDR fanden und finden jährlich im Januar Demonstrationen und Gedenkveranstaltungen statt – unter Beteiligung Zehntausender -, die zu den Gräbern der Revolutionsführer strömen, die Inschrift des Gedenksteins „Die Toten mahnen uns“ vor Augen. Die jährliche Massendemonstration – von den Medien kleingeredet – zeigt, dass trotz der Niederlage von 1989 die große Sache der Revolution lebt und nie sterben wird.“
  • [41]Als es noch hieß, dass der Beitrag erscheinen würde, hatte das ND hier gestrichen: …in: „Zu dramatischen Ereignissen“, S. 34:…“
  • [42]Als es noch hieß, dass der Beitrag erscheinen würde, hatte das ND hier gestrichen: „Kurt Gossweiler sagte in einem Vortrag am 27. März 2004 in Bernburg: ´Alle Kommuniste, alle Kämpfer gegen den Faschismus und alle Juden, die im besetzten Europa überlebt haben, haben dies vor allem der Sowjetunion, der Roten Armee und damit auch Stalin zu verdanken.´“
  • [43]Als es noch hieß, dass der Beitrag erscheinen würde, hatte das ND hier das Wort „dies“ eingefügt und dafür gestrichen: „…die Persönlichkeit Stalins…“
  • [44]Als es noch hieß, dass der Beitrag erscheinen würde, hatte das ND hier gestrichen: „Stalin sagte bei der Siegesparade am 9. Mai1945 in Moskau: ´Die Sowjetunion feiert den Sieg, wenn sie sich auch nicht anschickt, Deutschland zu zerstückeln und zu vernichten´“.
  • [45]Als es noch hieß, dass der Beitrag erscheinen würde, hatte das ND hier gestrichen: „Von Stalin, nicht von den Westmächten, die das Potsdamer Abkommen bis heute missachten.“
  • [46]Als es noch hieß, dass der Beitrag erscheinen würde, hatte das ND hier gestrichen: „Selbst von Antikommunisten wird die Rechtmäßigkeit der Prozesse der dreißiger Jahre nicht bestritten.“
  • [47]Als es noch hieß, dass der Beitrag erscheinen würde, hatte das ND hier gestrichen: „Rosa Luxemburg sagte auf dem Gründungsparteitag der KPD 1918/19 in ihrer Programmrede: ´Sie (die herrschende Klasse) sind so weit, dass heutzutage das Dilemma, vor dem die Menschheit steht, heißt: entweder Untergang in der Anarchie oder Rettung durch den Sozialismus. … Der Sozialismus ist Notwendigkeit geworden,…nicht weil das Proletariat (heute vielleicht das <Prekariat>?) nicht mehr unter den Lebensbedingungen zu leben bereit ist, die ihm die kapitalistischen Klassen bereiten, sondern deshalb, weil, wenn es…nicht den Sozialismus verwirklicht, uns allen zusammen der Untergang bevorsteht´. Das gilt auch uns heute.
    Am 18. Januar 1920 sagte Wilhelm Pieck über die beiden großen revolutionären Kämpfer: ´Sind uns die beiden auch geraubt, ihre Stimme, ihr Geist sind stets unter uns, die konnten sie nicht erschlagen. Sie uns lebendig zu erhalten ist unsere Pflicht und unser Leben´.“