Vorwort

Frank Flegel:
Vorwort

Die Debatte um die Ökonomie des Sozialismus hat die Frage der Warenproduktion schon seit langem zum Thema – und seit der Konterrevolution in Europa nimmt sie noch an Schärfe zu. Diese Debatte verläuft nicht in ruhigen, argumentativen Bahnen, so wie es wäre, wenn Genossinnen und Genossen in kameradschaftlicher Weise die beste Lösung suchen. Nein, wir finden heftige Polemiken, Anklagen, Vorwürfe, ja auch Jauchekübel. Im folgenden führe ich drei kleine Beispiele dafür an, die sich zwar von den üblichen Verteufelungen der Planwirtschaft als „Staatssozialismus“, „bürokratische Mangelwirtschaft“, „überzentralisiertes Kommando-system“ etc.p.p. durch etwas mehr Konkretion abheben, aber nicht weniger dogmatisch sind:

Ernst Albrecht sagt, Zitat: „Es geht vor allem darum, voluntaristische Verletzungen des Wertgesetzes und die Untergrabung des Prinzips der materiellen Interessiertheit unbedingt zu vermeiden.“[1]

Ingo Wagner sagt: Gesellschaftliches Eigentum an den Produktionsmitteln im Sozialismus auch auf die kollektivwirtschaftlich organisierte Landwirtschaft ausdehnen zu wollen, um die Warenzirkulation im Sozialismus durch den direkten Produktenaustausch ersetzen zu können, sei „primitiver Dogmatismus“, der „zum negativen Stalinschen Erbe gehört, welches seinen Nachfolgern hinterlassen wurde.“[2]

Fred Matho sagt, Zitat: „Ware-Geld-Beziehungen und Wertgesetz sind also keine Ärgernisse, vielmehr wichtige Errungenschaften hochspezialisierter gesellschaftlicher Produktion, die den Menschen großen Nutzen bringen. Das ins Stammbuch einiger Überschlauer, die das „ultralinks“ negieren, es ideologisch gar verteufeln wollen und meinen, sich sogar auf Karl Marx stützen zu können.“[3]

Bevor wir näher hinsehen, ob und wie sich in dieser Debatte wer auf Marx stützen kann, sei noch angemerkt, dass sowohl Fred Matho als auch Robert Steigerwald öffentlich davon abgeraten haben, zu diesem Thema die Klassiker zu befragen, weil dort nur wenig Aussagekräftiges zu finden sei. Soweit, so schlecht. Ich habe nachgeschaut und musste nicht lange suchen.

Nun also Karl Marx:

„Die Wertform des Arbeitsprodukts ist die abstrakteste, aber auch allgemeinste Form der bürgerlichen Produktionsweise, die hierdurch als eine besondere Art gesellschaftlicher Produktion und damit zugleich historisch charakterisiert wird. Versieht man sie daher für die ewige Naturform gesellschaftlicher Produktion, so übersieht man notwendig auch das Spezifische der Wertform, also der Warenform, weiter entwickelt der Geldform, der Kapitalform usw.”[4]

„Gebrauchsgegenstände werden überhaupt nur Waren, weil sie Produkte voneinander unabhängig betriebener Privatarbeiten sind. … Da die Produzenten erst in gesellschaftlichen Kontakt treten durch den Austausch ihrer Arbeitsprodukte, erscheinen auch die spezifisch gesellschaftlichen Charaktere ihrer Privatarbeiten erst innerhalb dieses Austausches. Oder die Privatarbeiten betätigen sich in der Tat erst als Glieder der gesellschaftlichen Gesamtarbeit durch die Beziehungen, worin der Austausch die Arbeitsprodukte und vermittelst derselben die Produzenten versetzt. Den letzteren erscheinen daher die gesellschaftlichen Beziehungen ihrer Privatarbeiten als das, was sie sind, d.h. nicht als unmittelbar gesellschaftliche Verhältnisse der Personen in ihren Arbeiten selbst, sondern vielmehr als sachliche Verhältnisse der Personen  und gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen.“[5]

„Stellen wir uns endlich, zur Abwechslung, einen Verein freier Menschen vor, die mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln arbeiten und ihre vielen individuellen Arbeitskräfte selbstbewusst als eine gesellschaftliche Arbeitskraft verausgaben. … Das Gesamtprodukt des Vereins ist ein gesellschaftliches Produkt. Ein Teil dieses Produkts dient wieder als Produktionsmittel. Er bleibt gesellschaftlich. Aber ein anderer Teil wird als Lebensmittel von den Vereinsgliedern verzehrt. Er muss daher unter sie verteilt werden. Die Art dieser Verteilung wird wechseln mit der besondern Art des gesellschaftlichen Produktionsmechanismus selbst und der entsprechenden geschichtlichen Entwicklungshöhe der Produzenten. Nur zur Parallele mit der Warenproduktion setzen wir voraus, der Anteil jedes Produzenten an den Lebensmitteln sei bestimmt durch seine Arbeitszeit. Die Arbeitszeit würde also eine doppelte Rolle spielen. Ihre gesellschaftlich planmäßige Verteilung regelt die richtige Proportion der verschiednen Arbeitsfunktionen zu den verschiednen Bedürfnissen. Andrerseits dient die Arbeitszeit zugleich als Maß des individuellen Anteils der Produzenten an der Gemeinarbeit und daher auch an dem individuell verzehrbaren Teil des Gemeinprodukts. Die gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen zu ihren Arbeiten und ihren Arbeitsprodukten bleiben hier durchsichtig einfach in der Produktion sowohl als in der Distribution.“[6]

 „Innerhalb der genossenschaftlichen, auf Gemeingut an den Produktionsmitteln gegründeten Gesellschaft tauschen die Produzenten ihre Produkte nicht aus; ebenso wenig erscheint hier die auf Produkte verwandte Arbeit als Wert dieser Produkte, als eine von ihnen besessene sachliche Eigenschaft, da jetzt, im Gegensatz zur kapitalistischen Gesellschaft, die individuellen Arbeiten nicht mehr auf einem Umweg, sondern unmittelbar als Bestandteil der Gesamtarbeit existieren.“[7]

„Formeln, denen es auf die Stirn geschrieben steht, dass sie einer Gesellschaftsformation angehören, worin der Produktionsprozess die Menschen (=Kapitalismus; d.Red.), der Mensch noch nicht den Produktionsprozess (= Sozialismus/Kommunismus; d.Red.) bemeistert, gelten ihrem bürgerlichen Bewusstsein für ebenso selbstverständliche Naturnotwendigkeiten als die produktive Arbeit selbst.“[8]

Die Theorie, die „die Warenproduktion verewigen will“, nennt Marx „kleinbürgerlichen Sozialismus“.[9]

Hier liegt der Hase im Pfeffer: bei der Auseinandersetzung um die Warenproduktion im Sozialismus geht es um eine Auseinandersetzung, die Klassenkampfcharakter hat. Die Warenproduktion als Wesensmerkmal des Sozialismus zu behaupten ist, als hole man die Machtfrage des Klassenkampfes, die ja zunächst entschieden war mit der gesellschaftlichen Umgestaltung, mit der die Arbeiterklasse sich in den Besitz der Produktionsmittel gesetzt, also das Privateigentum an ihnen aufgehoben hat, in diese siegreiche Arbeiterklasse zurück – und zwar an einem der wichtigsten Orte, nämlich der Ökonomie.

Dementsprechend wird ein künftiger Sozialismus entweder den Schritt in die neue Gesellschaft mittels einer neuen, höheren Ökonomie schaffen, basierend auf dem Gemeineigentum (und nicht auf unterschiedlichen Eigentumsformen) und basierend auf der gesamtgesellschaftlichen Planung, die die Zurückdrängung und schließlicher Aufhebung von Warenproduktion und Wertgesetz notwendig fordert (und nicht deren Geltung) – oder erneut untergehen.

Frank Flegel, Hannover

  • [01] Ernst Albrecht, RotFuchs, März 07, Innenblatt, RF-Extra. S. II

  • [02] Ingo Wagner, Kritische Notizen gegen Geschichtsmystifikationen in Sicht des wissenschaftlichen Sozialismus; in: „Die Legende von der revisionistischen Wende“, Schriftenreihe des „Marxistischen Forums“, Nr. 56, Juni 2008, S. 21/22
  • [03] Fred Matho, „Gilt das Wertgesetz auch im Sozialismus?“ in: RotFuchs Nr 3-2006, S. 10
  • [04] Karl Marx, Das Kapital, Band 1, MEW 23, S. 95
  • [05] Karl Marx, Das Kapital, Band 1, MEW 23, S. 87
  • [06] Karl Marx, Das Kapital, Band 1, MEW 23, S. 93
  • [07] Karl Marx, Kritik des Gothaer Programms, MEW 19, S. 19/20
  • [08] Karl Marx, Das Kapital, Band 1, MEW 23, S. 95/96
  • [09] Karl Marx, Das Kapital, Band 1, MEW 23, S. 102