Zur Dialektik von Übergängen

Hermann Jacobs
Zur Dialektik von Übergängen

Antwort an Hans Kölsch

Der Beitrag von Hans Kölsch in der September-Oktober Ausgabe 2007 von „offen-siv“ („Zum Streit über die Politische Ökonomie“) eignet sich, noch einmal einige Fragen unserer Debatte über die Politische Ökonomie des Sozialismus/Kommunismus dar- und klarzustellen. Wir sind ja daran interessiert, dass unsere Debatte von der internationalen Arbeiterbewegung – soweit noch dem sozialen Anliegen der Arbeiter verbunden – angenommen wird, also auch verstanden wird. Nur als verstandene kann sie auch aufgenommen werden.

Noch einmal: Diese Debatte stellt ein Novum dar, „offen-siv“ ist meines Wissens die einzige sozialistische Zeitschrift auf dieser Welt, die überhaupt die Frage der Aufhebung der bürgerlichen Produktionsweise noch in der alten marxistischen Weise aufwirft – als eine Aufhebung der bürgerlichen Verhältnisse zur Produktion in ihrer Gesamtheit. Da wird also kein Unterschied gemacht, ob diese oder jene Entwicklungsform der bürgerlichen Produktionsweise – diese Form mehr, jene weniger – aufzuheben seien, sondern Kommunismus bedeutet, und das bekunden die Beiträge in „offen-siv“, Auswechselung im Verhältnis zur Produktion im allgemeinen; die Gesamtheit der Auswechselung ist also im Wechsel der ökonomischen Grundlage, auf die sich eine kommunistische Produktionsweise bezieht, vorausgesetzt. Wir sagen auch, was gemeint ist: An die Stelle der Ökonomie der abstrakten Seite der Arbeit muß treten die Ökonomie der konkreten Seite der Arbeit, und was die Ökonomie der Arbeitszeit betrifft (das rationale Element in einer Ökonomie der abstrakten Seite der Arbeit), so wird sie die Rolle spielen, die sie im Rahmen eines Verhältnisses zur konkreten Arbeit spielen kann; wir sind keineswegs an die Wertform gebunden, wenn wir Arbeitszeit sagen. Das ist die Auswechselung der bürgerlichen Eigentumsökonomie durch die kommunistische assoziierte Produktionsweise.

Zweitens, und dies wäre dann der besondere Historismus in unserem Kampf: Aktueller (!) Anlass, diese Diskussion in dieser Grundsätzlichkeit und Vollständigkeit zu führen, ist der, dass sich in der Reaktion auf jene gesellschaftliche Entwicklung, die sich in den real sozialistischen Ländern herausgebildet hatte, eine Kritik des Verrisses breitmacht; deren planwirtschaftliches System, heißt es, sei auf die verschiedenste Weise „erstarrt“, „dogmatisiert“, „bürokratisiert“, „entdemokratisiert“ und woraufhin noch „entartet“ worden, so dass es nur noch durch ein „anderes ökonomisches System“, einen „anderen Sozialismus“ zu ersetzen sei – und das sei wieder ein waren- oder wertökonomisches, endlich ein Sozialismus „mit Markt“. Oder sagen wir auch: eine Ökonomie mit „vielen ökonomischen Subjekten“ statt nur eines einheitlichen Subjekts. Das Ganze verkauft sich als „Rückkehr zur Demokratie“, die ein „Zentralismus“ nicht gewährleistet.

Nicht ein eigenes, abstraktes Interesse an sich, sondern die aus der Position der Warenökonomie getroffene absolute, ebenfalls vollständige Kritik am realen Sozialismus ist uns zum Anlass geworden, ihrer Theorie noch einmal übergeordnete Beachtung zu widmen.

Der kommunistischen Idee wird ein Paradigmen-Wechsel, eine Renaissance der Vergangenheit abverlangt. Und nun unsere Frage, das Anliegen unserer Beiträge: Ist das gerechtfertigt? Ist der „Sozialismus mit Markt“ nichts weiter als das Hineintragen der bürgerlich-reformistischen Ideologie bis in die Praxis des real beginnenden, begonnenen Sozialismus, oder gibt/gab es tatsächlich Prozesse in diesem realen Sozialismus, die eine „vorsichtigere“, dem bürgerlichen Prinzip mehr angelehnte Form des „Übergangs“ zum Sozialismus/Kommunismus, oder gar einen ganz anderen Sozialismus, angemahnen lassen? Das NÖS der DDR z.B., China z.B.? Oder etwas ganz Neues?

*

Hans Kölsch (ein Kritiker mit DDR-Praxis) also:

Er beginnt mit einem „großen“ Vorwurf an die Redaktion „Offen-siv“ und an meine Adresse:

„In der Redaktionsnotiz wird behauptet, dass die Erkenntnisse über den Mehrwert, in denen das Produktionsverhältnis zwischen Kapital und Arbeit (?, Arbeit oder Arbeiter?, J.) bloßgelegt ist (Marx), möglicherweise und wahrscheinlich den Erkenntnissen vom Wertgesetz nachzuordnen seien, die ja vor allem die Probleme der Distribution betreffen. Das Wertgesetz und nicht das vom Mehrwert sei der konzentrierte Ausdruck der kapitalistischen Ökonomie, weshalb für den Sozialismus das revolutionäre Kriterium nicht in der Veränderung des kapitalistischen Eigentums an den Produktionsmitteln und der ausbeuterischen Klassenverhältnisse bestünde, sondern in der Abschaffung des Wertgesetzes.“ (Heft 3/07 S.3)

Ich habe nachgeschaut, und auf der Seite 3 von Sonderheft 3 nur diesen Satz gefunden: „Die ökonomische Debatte bezieht sich vor allem auf ein grundlegendes Problem: das Wertgesetz. Hier scheiden sich aktuell heute und auch schon so lange, wie es eine sozialistische Bewegung gibt, die Geister: Die Frage ist: Ist das Wertgesetz der konzentrierte Ausdruck der kapita-listischen Ökonomie und muss es deshalb im Sozialismus überwunden werden – oder ist das Wertgesetz von grundsätzlicher überhistorischer Bedeutung, also eine Grundlage allen mensch-lichen Wirtschaftens und muß es deshalb im Sozialismus respektiert werden?“ (Ebda. S. 3)

Wie uns der Vergleich zeigt, hat Hans Kölsch etwas nachgeholfen. Er hat der Fragestellung in der Redaktionsnotiz eine andere Richtung gegeben. Während diese nach der „überhistorischen Bedeutung des Wertgesetzes“ fragt, die auch vom Sozialismus zu respektieren sei – eine Debatte, die die sozialistische Bewegung schon seit langen beutelt (siehe hier u. a. die große Polemik von Engels gegen Dühring), ändert Hans Kölsch die Frage ab: Weil in der Redaktionsnotiz vom „Wertgesetz als dem konzentrierten Ausdruck der kapitalistischen Ökonomie“ gesprochen, deshalb, so folgert Hans Kölsch, sei nicht mehr vom Mehrwertgesetz als diesem konzentrierten Ausdruck die Rede, Marx (oder Lenin) also nicht mehr entsprochen.

Aus einer Aussage der Redaktion, die über den Kapitalismus hinausgreift und den Gegensatz zwischen Kapitalismus und Sozialismus/Kommunismus erfasst, macht Hans Kölsch eine Aussage, die nur eine innere Gegensätzlichkeit des Kapitalismus erfassen soll bzw. offen-siv nun nicht mehr erfasse. Während ja wohl die Redaktionsnotiz den viel weitergehenden Gegensatz erfassen möchte – Wert-Nichtwert -, sieht Hans Kölsch ihn gegeben in der Form Wert-Mehrwert:

„Die umfangreichen Analysen und Beweisführungen von Marx belegen, in Übereinstimmung mit den realen ökonomischen Verhältnissen, dass das Wertgesetz für die ganze Periode der einfachen, vorkapitalistischen Warenproduktion und für das Verhältnis zwischen den Warenproduzenten bestimmend gewesen ist. Solche Verhältnisse bestehen im Kapitalismus neben (!, J.) der kapitalistischen Warenproduktion fort. Doch die hier bestimmenden ökonomischen Regulierungen sind im Kapitalismus den Erfordernissen der Mehrwertproduktion nach- und untergeordnet und nicht (!, J.) dem Wertgesetz“. (Offen-siv 9/07, S.77) Und weil nach- und untergeordnet, soll deshalb der Sozialismus, indem er vom Mehrwert befreit, die Befreiung des Wertgesetzes bringen?

Gedeckt durch die „umfangreichen Analysen und Beweisführungen von Karl Marx“ wirft Hans Kölsch nun der Redaktion des „Offen-siv“ und mir als Autoren im besonderen vor, wir hätten die grundsätzliche gesellschaftliche Kritik von der kapitalistischen Klasse weg auf die Klasse (oder soziale Schicht) der einfachen Warenproduzenten gelenkt, indem wir uns mehr auf Wert- als auf Mehrwert-Kritik orientierten:

„Da die Politische Ökonomie stets im engsten Zusammenhang mit der Praxis des Klassenkampfes steht, weil sie den wissenschaftlichen Zugang zu den Klassenverhältnissen und zu den Klassenkämpfen ermöglicht, müßte sie, wenn sie den ökonomischen Lehren von Offensiv folgt, die Kämpfe der Arbeiterklasse in erster Linie gegen ‚Warenproduzenten’ und nicht gegen die mehrwerthungrigen kapitalistischen Ausbeuter richten, die sich als kapitalistische Warenproduzenten grundlegend von den einfachen Warenproduzenten unter-scheiden, was bei Offensiv keine Rolle spielt“ (ebda. S. 77/78.)

Ich denke, die Redaktion wird dazu auch noch etwas sagen, meinerseits nur soviel: Dieser Eindruck, wir würden unser Feuer gegen die einfachen Warenproduzenten richten und nicht gegen die kapitalistischen Ausbeuter, kann natürlich nur entstehen, wenn man selbst die jeweiligen Begriffe oder ökonomischen Kategorien besonderen Klassen zuordnet, den Wert also zur einfachen Warenproduktion, den selbstarbeitenden Warenproduzenten, und den Mehrwert zum Kapitalismus, dem ausbeutenden Kapitalisten. Man kritisiert also, wenn man den Wert kritisiert, die einfachen Warenproduzenten – und nicht den Mehrwert, die Kapitalisten, und man kritisiert, wenn man den Mehrwert kritisiert, die Kapitalisten, und nicht den Wert, nicht die … einfachen Warenproduzenten? (Na, da stimmt was nicht, darauf kommen wir noch, denn in Wahrheit meint unsere Kritik am Wert im Sozialismus viel mehr als nur ein bürgerliches Kleineigentum). Eine solche trennende Zuordnung – den Wert an den einen Historismus der Warenproduktion und den Mehrwert an den anderen – nehme ich aber nicht vor, und die Redaktion, denke ich, auch nicht.

Die Dialektik, mit der Marx die Warenökonomie historisch erklärt, ist eine andere: Die einfache Warenproduktion, die der kapitalistischen Form der Warenproduktion vorangeht, braucht natürlich den Wert noch nicht in Einheit mit dem Mehrwert zu betrachten – und wo selbstarbeitende Warenproduzenten noch im Kapitalismus existieren, im Prinzip auch nicht (obwohl sie natürlich eine Kosten-“Gewinn“-Rechnung aufmachen müssen und überhaupt in ihren Preisen dem Prinzip des Produktionspreises des Kapitals unterworfen sind), für den Kapitalismus aber ergibt sich die Frage des Verhältnisses von Voraussetzung und Entwicklung, von Wert und Mehrwert. Der Kapitalist muss Wert und Mehrwert in Einheit denken, bzw. die Theorie muss klarlegen, in welchem Verhältnis der Kapitalismus zu seiner ökonomischen Voraussetzung oder Grundlage steht. An die Stelle einer mit Parallelität operierenden Dialektik setzt Marx eine determinierte. Um dies und nichts anderes geht es in den „umfangreichen Analysen und Beweisführungen von Karl Marx“. Die Dialektik von Wert und Mehrwert kann sich nicht in einem einfachen Nebeneinander erschöpfen, wie uns Hans Kölsch empfiehlt.

Hans Kölsch hat es hier mit einem eigenen Problem zu tun, was wohl einen Grund hat; auf den werden wir zu sprechen kommen.

Historisch unmittelbar ist der Kommunismus selbstverständlich durch den Kapitalismus heraus-gefordert, er ist also Kritik des Mehrwertes, aber in einem weiteren Sinne ist der Kommunismus durch die ganze bisherige menschliche gesellschaftliche Geschichte herausgefordert; in seine Kritik am Kapitalismus ist die Kritik an der einfachen Warenproduktion eingeschlossen, in seine Kritik am Mehrwert also auch die Kritik am Wert. Den Mehrwert zu kritisieren, und den Wert nicht (oder den Wert zu kritisieren und den Mehrwert nicht) käme mir nicht in den Sinn. Da Kapital Kapitalisierung der Wertform ist, muss wohl deren Verhältnis bestimmt sein, um es kritisieren zu können. Die Kritik an der Warenproduktion zu beschränken auf den Umstand, dass auch die Arbeitskraft zur Ware geworden ist, aber die Warenproduktion nicht auch als diese Produktionsweise zu kritisieren, also die geschichtliche Erweiterung zu kritisieren, aber nicht das Tor, durch dass sie gekommen, ist absurd, weil dies ein  eingeschränktes, reduziertes Geschichts- resp. Gesellschaftsverständnis darstellt.

Fehlt es denn dem Kommunismus an irgendetwas, so dass er „ergänzt“ werden muss?

Der Kapitalismus ist auch nicht nur Mehrwert, sondern ist Mehrwert. Man kann den Mehrwert nur als eine Form von mehr Wert deklarieren, weil an sich als Wert (weil an sich die Ware als Wertform). Der Kapitalismus vernichtet in Massen kleine Warenproduzenten, aber er hebt das ökonomische Verhältnis dieses kleinen (also selbstarbeitenden) Warenproduzenten nicht auf, sondern treibt es auf die Spitze: Der Kapitalismus erst ist allgemeine Warenproduktion (Marx), und damit erst verallgemeinertes Verhältnis zum Wert, d.h. alles ist in die Wertform getaucht, jede gesellschaftliche Regung ihr unterworfen. Man kann den Wert nicht separat und man kann den Mehrwert nicht separat denken, sondern nur beides in Einheit. Und wenn in dieser Einheit ein Widerspruch (schon (!) ein Widerspruch) enthalten, dann bitte … sprechen wir ihn aus. Aber nicht so, dass man dieser Form der inneren Negation der Warenökonomie von vornherein dadurch entgeht, dass man Wert und Mehrwert sozial gesehen trennt.[6]

Warum ist der Kommunismus Kritik der Ware, des Wertes, der Wertform? Reicht es, hier zu sagen: Weil ihm nicht gefällt, dass diese Gesellschaftsformen statt in der Hand aller Mitglieder der Gesellschaft zu erscheinen, nur noch in den Händen einer kleinen, nichtallgemeinen Schicht von kapitalistischen Eigentümern erscheint, nur noch der ökonomische Ausdruck/Verhältnis einer Minderheit unserer Gesellschaft ist?

Darauf könnte man das Verständnis der kommunistischen Kritik reduzieren – die Lösung wäre dann wieder allgemeinere Form der Warenproduktion, am Kapitalismus also den Kapitalisten zu überwinden, nicht aber dieses Verhältnis an sich – womit wir das Problem andeuten, von dem Hans Kölsch umgetrieben wird und auf das wir abschließend zu sprechen kommen.

Das Wesen der kommunistischen Kritik am Kapitalismus, an der Warenproduktion in allen Farben, leitet sich aus einem neuen gesellschaftlichen Charakter der Arbeit her, deren Voraus-setzung nicht mehr die (einstige, geschichtliche) Voraussetzung der Warenproduktion ist: der einzelne, individuelle, isoliert von einer Gesellschaft agierende Produzent, der Überschüsse an andere einzelne isolierte Produzenten abgibt und so peu a peu, über einen Jahrtausendprozess, allmählich eine Gesellschaft der allgemeinen Warenproduktion gebiert.

Es wäre ein großer Irrtum, zu denken, dass sich allein aus dem Händewechsel der Gebrauchswerte oder aus einem allgemeinen Warenverkehr allein eine Gesellschaft begründete.

Der moderne Kommunismus begründet sich modern, als Arbeit, die auf neue Weise einen gesellschaftlichen Zusammenhang ausbildet. Diese Arbeit entsteht (seit ca. 200 Jahren) a priori als Gesamtarbeit und ihr Subjekt ist ein Gesamtarbeiter, wie ihn die vorausgesetzte Geschichte nicht kennt, nicht kennen kann. In Ermangelung eines isolierten ökonomischen Subjekts kann der Kommunismus – und von Anfang an – nicht Warenproduktion sein. In einer Gesamtarbeit ist das Subjekt, dem der Wert historisch was bedeutet – und weshalb er gemessen werden, in eine Gegenständlichkeit der Aneignung verwandelt werden muss -, einfach nicht mehr da! Historisch existent ist ein anderes ökonomisches Subjekt, und für das müssen wir Ökonomie machen. Hier geht es also nicht mehr um Äquivalenz, sondern um Proportionalität; die einzelne ökonomische Aktivität ist eingeordnet in eine allgemeine, sie ist deren Ausdruck, aber sie drückt nicht mehr aus, dass sie „unmittelbar“ etwas an sich hat, was bedacht werden muss. Dass Arbeit, die in lebendiger Form geleistet worden, nun in einer gegenständlichen Form angeeignet werden soll – also ein 2. Mal (was dazu führt, dass sie in eine allgemeine Form gebracht werden muss, um so vergleichbare Arbeit zu werden), ist kein Bedürfnis der proportionalen Ökonomie. Die proportionale Ökonomie eignet nicht die eigene Arbeit an, sie bezieht sich überhaupt nicht auf die eigene Arbeit/Arbeitszeit als ein Maß für Aneignung, sondern sie eignet die Arbeit der anderen Produzenten der Gesellschaft an, und hier nach dem Maß und in der Menge an, wie sie für sie, die selbstbewussten Subjekte dieser Gesellschaft geleistet worden sind. Die proportional bestimmte Form der Aneignung kennt nur die konsumtive Form (warenökonomisch beginnt sie also mit G, und setzt in W wie Gebrauchswert um), in ihr ist der Zusammenhang Gesellschaft zu Individuum geregelt, nicht aber bestimmt sich, wie in der äquivalenten Ökonomie, das Individuum (d.h. ein privat agierender Arbeiter), um ein Verhältnis zur Gesellschaft zu regeln. Um die Aneignung auf den elementaren Ebenen der Produktion auf Konsumtion umzustellen, bedarf es einer Bestimmung des Einzelnen durch die Gesellschaft. Hoheit ist die Gesellschaft, die Gesamtheit der Individuen. Was will die Gesellschaft, die Gesamtheit der Individuen von ihrem einzelnen Individuum (einzelnen Betrieb, Person etc.)? Erwartet sie von einem Betrieb viel, dann hat sie viel für ihn in der Voraussetzung des Erwartens produziert, und dann eignet der Betrieb viel an, und wenn wenig, dann wenig; aber das sind Gebrauchsgüter, nicht Werte. Was soll der Wert in diesem Zusammenhang? Er ist doch Aneignung für sich. Ihn anzueignen, ist doch nur Bedürfnis für unmittelbar Nichtgesellschaftliche. Solange wir diesen Wechsel vom unmittelbar nicht Gesellschaftlichen zum unmittelbar Gesellschaftlichen nicht als Wechsel auch bzw. wesentlich im ökonomischen Verhältnis begreifen, als diametral einander entgegen gesetzte Produktionsweisen, ist alles Bekenntnis zum Kommunismus umsonst, vergebene Liebesmüh`, wir „verstehen einander nicht“.

Warum begreift das Hans Kölsch – und so viele andere, ja, eine ganze ökonomische Richtung des „modernen Sozialismus“ – nicht? Einmal, weil sie einfach nicht ein inneres Verhältnis zu dem eben geschilderten entwickelten gesellschaftlichen Charakter der Arbeit aufnehmen, es ist ihnen noch immer äußerlich, bestenfalls zukünftig, in einer 2. Phase des Kommunismus erst innerlich. Jetzt aber ist ihnen innerlich, dass es noch eine Fortsetzung der Warenökonomie gibt. Der Sozialismus soll eigene Gesellschaftsformation der Warenproduktion sein. Aber nicht schlechthin Fortsetzung, sondern endlich gar ihre richtige Form, und das heißt gegensatzlose Form der Warenökonomie. D.h., da der Mehrwert der Gegensatz, muss er aus der Warenökonomie heraus. In ihrer Warenökonomie ist der „Produzent“ kein Lohnarbeiter mehr, wird er nicht mehr ausgebeutet – und das heißt, nicht mehr vom Drang eines Ausbeuters auf den Mehrwert gebeutelt, und deshalb in der warenökonomischen kritischen Reform des Realsozialismus die Konzentration der Kritik auf den Mehrwert und nicht auf den Wert! Die Kritik am Mehrwert ist nur Getue. Der „sozialistische Warenproduzent“ soll frei, endlich frei sein … zur Warenproduktion. Und eben noch nicht zum Kommunismus. Darum geht es gar nicht mehr.

Die „sozialistische Warenproduktion“ bildet sich etwas ein auf ihre Kritik am Kapitalismus, die sie auf eine Kritik des Mehrwertes reduziert – sie scheint dadurch antikapitalistisch bzw. prosozialistisch (indem sie den Sozialismusbegriff selbst reduziert), aber die Basis ihrer Kritik am Mehrwert als der Aneignung fremder Arbeit ist die Voraussetzung des Mehrwertes: Ist der Wert als die Aneignung von eigener Arbeit. „Eigene Arbeit“ soll angeeignet werden, nie der Bezug auf Eigenheit aufgegeben werden, das ist das Kredo der warenökonomischen Reform des realen Sozialismus, um auf keinen Preis der Welt Verständnis dafür aufzubringen, was gesell-schaftliche Aneignung bedeutet. (Und ob es das überhaupt geben kann: Sozialistische Warenproduktion ohne Mehrwert, ohne Rückfall in die Lohnarbeit – darüber haben wir noch gar nicht gesprochen.)

So wird man natürlich keine Revolution verstehen, nicht die sozialistische, nicht die … kapitalistische. „Eigene Arbeit“ ist – sowohl in der entwickelten gesellschaftlichen Arbeit als auch im realen Sozialismus – ein Nonsens.

Um auf diese Weise zu einem Fortschritt in der Geschichte zu kommen, muss man sich natürlich auf den guten alten Wert zurückziehen und sich dazu jene Klasse oder Schicht aussuchen, zu der er noch passte (und die wirklich nur allmählich aus der Geschichte verschwindet und zu der man durchaus Bündnispartner sein muß) und den bösen neuen Mehrwert zum Teufel wünschen. Auf diese Weise liefert man auch einen Beweis dafür, dass man gegen den Kapitalismus ist und gut zum Sozialismus passt. Der Mangel ist nur, dass solcher Sozialismus immer nur versprochen, aber nie gemacht worden ist. „Marktwirtschaft“, ja, die kann man machen (man braucht nur keine Planwirtschaft zu machen und dann wird man wohl ökonomisch früher oder später in eine Zwangslage kommen), aber der „marktwirtschaftliche Sozialismus“ – oder gar Kommunismus – ist eine Revolution rein im theoretischen Bereich, ist ein Ideologismus geblieben, keine Revolution der Praxis geworden. Wenn Marktwirtschaft – dann bleibt der Sozialismus auf der Strecke, und wenn Sozialismus – dann die Marktwirtschaft.[7]

Der eigentliche große Irrtum von Hans Kölsch ist der, dass er die „Praxis der Ware-Geld- (oder Geld-„Ware“)-Beziehungen“ in den Planwirtschaften des real existierenden Sozialismus als eine Form der Warenproduktion versteht:

„Der Sozialismus hätte keine 70 Jahre überlebt, wenn die Revolutionäre das Wertproblem ignoriert hätten“. (Ebda. S.84)

Damit stellt er sich in einen Gegensatz – zu uns, aber auch zur Reform!

Lieber Hans Kölsch: Dieser reale Sozialismus, von dem Du glaubst, in ihm hätten die Revolutionäre den Wert 70 Jahre nicht ignoriert, wird doch gerade deshalb der Kritik ausgesetzt, weil er das Wertproblem „ignoriert“ hat. Sieht Hans Kölsch diese Kritik nicht? Die Kritik geht doch dahin, dass der reale Sozialismus das Wertgesetz missachtet („dogmatisiert“ usw.) hat. Hier ist Hans Kölsch nicht auf dem Laufenden. Die Reformen erwähnt er mit keinem Wort. Und darum versteht er auch nicht, wogegen wir uns wehren.

Ich möchte in drei Punkten meine Auffassung zu Hans Kölsch, und worin wir Lernende, besser Verstehende – auch unserer Debatten – sein sollten, zusammenfassen.

1. Der Übergang von der einfachen Warenproduktion zum Kapitalismus ist nicht der einer Paralleldialektik, worin ein Rest von einfachen Warenproduzenten noch das Wertgesetz reprä-sentieren und eine neue Klasse von Kapitalisten das Mehrwertgesetz. Wir gehen umgekehrt davon aus – ohne das hier im Einzelnen näher zu dokumentieren (das kann man ja in der Zukunft einmal tun) -, dass die Konzentration des ökonomischen Interesses des Kapitalisten „an der eigenen Arbeit“ den Wertpreis modifiziert zum Produktionspreis, was eine partielle Lösung/ Trennung des Kapitalismus von seiner gesellschaftlichen Voraussetzung der einfachen Warenproduktion bedeutet, aber den Kapitalismus noch nicht aus dem Rahmen der generell der abstrakten Seite der Arbeit untergeordneten Wertökonomie entfernt, d.h. der Kapitalismus ist ökonomisch gesehen Verhältnis zum Wert. Dies gilt auch für seine permanent inflationäre Form.Kapitalismus ist Wertökonomie, und man kann den Kapitalismus nicht aufheben ohne an die Frage zu geraten, wie in seine Aufhebung die Aufhebung der Wertökonomie eingebettet ist. Anzunehmen, aus der Aufhebung des Kapitalismus würde der Wert wie Phönix aus der Asche steigen, wirft natürlich die Frage auf, ob es keine dem Kapitalismus übergeordnete Begründung des Kommunismus gibt, d.h. eine Begründung aus der Arbeit, die schon den Wandel der Warenökonomie zum Kapitalismus bewirkt hat und nun in einem Kommunismus jenseits von allen Voraussetzungen ihre Erfüllung, d.h. ihre endlich verstandene Alternative findet. Wir brauchen die Widersprüche der Warenökonomie nicht, um die Negation der Warenökonomie zu begründen – das zeichnet den Kommunismus aus!

2. Falsch ist auch, die Paralleldialektik in der Art in den Beginn der sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsordnung fortzutragen, dass, weil ja „unsere Bündnispartner“, einfache Warenproduzenten, noch existieren, auch das Wertgesetz fortgesetzt werden muss. Hier gilt, was schon für den Kapitalismus galt: So, wie sich der Wertpreis dem Produktionspreis unterordnen muss, einfache Warenproduzenten also die selben Preise zu realisieren hatten wie kapitalistische Produzenten, muss sich ein (beabsichtigter) Wertpreis dem sozialistischen Festpreis unterordnen (was für „einfache Warenproduzenten“ übrigens einen großen ökono-mischen Nutzen mit sich brachte/bringt). Mit festen Preisen endet der Wert als Verhältnis der Preise, d.h. endet die Wertökonomie und beginnt die Gebrauchswertökonomie. Jetzt wird der Arbeitsmengenertrag geldmengenprägend. Hans Kölsch hat diese Aussage in unseren Beiträgen glatt verschwitzt.

3. Damit ist klar, dass Hans Kölsch die „Ware-Geld-Beziehungen“ im real existierenden Sozialismus falsch einschätzt. Er sieht uns in einer Gegnerschaft – und sich in einer Identität -, die so nicht stimmt; uns also in einer Gegnerschaft zu den „Geld-“Ware“-Beziehungen“ der Planwirtschaft, und sich in einer Identität zu einer wirklichen Warenökonomie. Wir sind weder in dieser Gegnerschaft, noch ist er in dieser Identität. Wir sind als Gegner der Fortsetzung der Wertökonomie Anhänger der Festpreisökonomie, und er kann als ein Verstehender auch des Festpreises noch als Wertpreis nicht Anhänger der wirklichen Warenökonomie sein; d.h. er müßte früher oder später ein gespaltenes Verhältnis zum realen Sozialismus äußern – oder eines zum Reform“sozialismus“. (Aber vielleicht ist er gewinnbar – für ein höheres Verständnis in der Dialektik der Übergänge von Gesellschaften.) Als Festpreis jedenfalls tritt die sozialistische Ökonomie aus dem Wertverhältnis heraus, die sozialistische Ökonomie – wenn sie Planwirtschaft natürlich – war keine der Ökonomie der abstrakten Seite der Arbeit mehr (und wenn dazu noch immer nicht genug gesagt worden ist, kann man auch das in der Zukunft tun).

Hans Kölsch geht nicht auf unser Problem, das in „Offen-siv“ zur Debatte gestellte, ein: Wie hält er es denn mit dem Reform“sozialismus“? Er muss doch auch sehen, dass hier Waren-produktion „Warenproduktion“, echte unechte kritisiert. In der Arbeiterbewegung wird noch ein beträchtlicher Kampf geführt werden müssen, in dem es einerseits um den richtigen theoretischen Ausdruck der Übergänge in den Formen der Warenökonomie selbst, und anderer-seits um den Unterschied von richtigem und falschem ökonomischen System ab der ersten Phase des Kommunismus geht. Tatsache ist doch, dass dieser Kampf, selbst wenn er zur Zeit nicht praktisch Gegenstand unserer Auseinandersetzungen sein kann[8], als theoretischer begonnen hat, ja, jetzt erst, wo es um die Deutungshoheit über die sozialistische Geschichte geht, in vollem Gange ist.

                                                                                                                               Hermann Jacobs, Berlin

  1. Dann lebte der Wert historisch gesehen natürlich länger als der Mehrwert, weil „kleine Warenproduzenten“ länger im Sozialismus weiterleben als Kapitalisten. Und die Theorie wäre fein `raus.

  2. Man verstehe endlich mal auch China. China ist nicht die Lösung unseres Problems, von dem wir hier sprechen, sondern der zähe Kampf um das Problem selbst. Marktwirtschaft ist nicht fertig (in China), sondern umkämpft.
  3. China, Vietnam, Korea erklären sich noch etwas anders, vielleicht Kuba nicht, hier wäre schon ein realer Kampf möglich.